Unpopuläres zum Populismus
Streifzüge 40/2007
VORLAUF POPULISMUS
von Franz Schandl
Nehmen wir nur eines der vielen Bücher, die heute zum Thema veröffentlicht werden. Vor uns liegt ein von Susanne Frölich-Steffen und Lars Rensmann herausgegebener Sammelband mit dem Titel „Populisten an der Macht. Populistische Regierungsparteien in West- und Osteuropa“ (Braumüller, Wien 2005, 237 Seiten, 24,90 Euro, Seitenangaben beziehen sich in Folge darauf), der hier einer speziellen Betrachtung unterzogen wird, obwohl die darin enthaltenen Überlegungen alles andere als speziell sind. Der Band geht zurück auf die Tagung „Rechtspopulisten an der Macht“, die im Februar 2005 an der Ludwig-Maximilians-Universität München abgehalten wurde. Die einzelnen Beiträge sind unterschiedlicher Qualität, was sie eint, ist aber das unhinterfragte und schier selbstverständliche Glaubensbekenntnis zur Demokratie.
Demos und Populus
Zweifellos, wer vom Populismus spricht, darf von der Demokratie nicht schweigen. Das kann man den Autoren auch nicht vorwerfen, problematisch ist allerdings, dass sie den Zusammenhang fast ausschließlich als Differenz gelten lassen. Diskutiert wird die Spannung, nicht jedoch das gemeinsame Bezugsfeld. Der Populismus erscheint weniger als konsequente Äußerungsform der Demokratie, sondern als tendenziell gegen sie gerichtet. In dieser Gegenüberstellung fühlt die Sozialwissenschaft sich wohl, ist doch eines ihrer Aufgabengebiete die Anprangerung der Abweichung von einer bestimmten Norm. Das ist ihr Bedürfnis, weil Pflicht.
Solch Kritik des Populismus liegt oft analytisch unter dem Niveau populistischer Selbstbeschau. Nehmen wir etwa Thaddäus Podgorski, den ehemaligen ORF-Chef, der einer der wenigen ist, der jenen Widerspruch so gar nicht gelten lassen will. Wer für Quote und Verkauf ist, wer gewählt werden will, ist unvermeidlich ein Populist, schreibt er sinngemäß in der Kronen Zeitung. Auf die Frage, was Populismus sei, antwortet Podgorski: „Der Duden spricht von einer Politik, die versucht die , Gunst der Massen‘ zu gewinnen. Na und? Das wollen wir doch alle, auch wenn wir es nicht zugeben. Populismus soweit das Auge reicht. Nur wer populär ist, kann sein Produkt oder sich selbst verkaufen. Der Bekanntheitsgrad diktiert den Preis.“ Wer den Markt will, muss auch den Populismus wollen und wer den Populismus nicht will, darf auch nicht den Markt wollen. Das liegt auf der Hand, aber begriffen werden will es akkurat nicht. Natürlich ist das nun nicht unbedingt eine große Erkenntnis, sondern nur die herbe Wahrheit, aber sie ist doch um vieles weniger abgefeimt als die akademische Verlogenheit, die selten über ritualisierte Beschwörungen hinauskommt. Es ist beschämend wie bezeichnend, dass der Vertreter der Kulturindustrie hier klarer sieht als viele Vertreter der wissenschaftlichen Zunft.
Nicht nur weil Demos und Populus das Gleiche bezeichnen, ist die mehrfach vorgetragene Grundthese, dass Demokratie und Populismus sich widersprechen, äußerst fragwürdig. Die Mobilisierung von Stimmungen und ihre Verwandlung in Stimmen ist doch die der Marktwirtschaft analoge Aufgabe der Politik. Im Populismus wird jene beständig an die Werbeindustrie und deren Praktiken angepasst. Die Populisten reproduzieren sich als mediale Helden. Der Erfolg des Populismus in der Politik läuft parallel zur Ausweitung und Systematisierung der Public relations. Seriosität und Diskretion sind in der Arena einer rücksichtslos agierenden politischen Auseinandersetzung auf jeden Fall weniger geschäftstüchtig, das heißt Stimmen akkumulierend, als Anmache und Aufdringlichkeit. Es ist davon auszugehen, dass die populistische Zurichtung von Politik sich inzwischen verallgemeinert hat. Nicht nur Populisten sind populistisch.
Die Herausgeber schreiben selbst: „Der Politikstil nationalpopulistischer Akteure ist entsprechend personalisierend und auf Selbstinszenierung des charismatischen Parteiführers im Spiel mit der Mediendemokratie sowie auf populäres Agendasetting ausgerichtet.“ (S. 11) Aber kann damit nicht jede Politik beschrieben werden? Nach dieser Einschätzung müsste man Politik konsequenterweise als populistisch charakterisieren. Übersetzung und Umsetzung von Interessen werden nachrangiger. Personalisierung, Inszenierung, Mediatisierung sind das Um und Auf politischer Kommunikation geworden. Mit dem Populismus beseitigt die Politik ihre letzten sich einst auferlegten Skrupel.
Was unterscheidet, ist der Grad der Auffälligkeit und die Selektion der Zugeordneten, aber doch nicht die Form. Wird der populistische Zug lediglich an seinen schärfsten oder penetrantesten Exponenten demonstriert, fällt die Politik als Ganzes in den Schatten der Unauffälligkeit. Man wird den Verdacht nicht los, dass der Populismus als Folie der Abgrenzung herhalten muss, um das Gegebene besser erscheinen zu lassen und es vor allem als unhinterfragbar anzuerkennen. Populisten fungieren sodann als Störenfriede, aber als objektiv notwendige Störenfriede.
Legitimationswissenschaft
Stutzig macht auch die Rede von „liberal-demokratischen Systemen“ (S. 4). Worin besteht der Sinn, das Wort „liberal“ vorne anzukleben? Niemand käme auf den Gedanken, die Demokratie „sozialdemokratisch“ oder „christdemokratisch“ zu benennen. Warum diese plakative Überbestimmung? – Liberal ist jedenfalls eines dieser Flexiwörter, es kann stehen für vieles: für marktwirtschaftlich, offen, tolerant; einmal bezeichnet es eine dezidierte politische Richtung, dann wiederum gleich das politische System der repräsentativen Demokratie. Aber immer schwingt eine positive Assoziation mit. Mit solcher Begrifflichkeit ist der Beliebigkeit freilich Tür und Tor geöffnet, theoretisch ist sie jedenfalls nicht ausgewiesen, geschweige denn fundiert. Dass sowohl Liberalismus als auch Populismus den Markt beschwören (ganz exzessiv z. B. Berlusconi, aber auch alle Haiderianer), wird hier nicht als gemeinsame Basis identifiziert, sondern einfach eskamotiert. Doch gerade das verbindet sie: pro Arbeit, pro Leistung, pro Konkurrenz, pro Standort, pro Markt, pro Werbung, pro Kulturindustrie. Dumme Frage: Warum ist eigentlich die Forderung nach mehr Staat populistisch und die nach mehr Markt nicht?
Es sollte darüber nachgedacht werden, ob die Populismus-Forschung nicht falsch läuft, ja zu einer Art Legitimationswissenschaft des Status Quo geworden ist. Dass sie nicht bloß die demagogischen Inhalte kritisiert, sondern sämtliche Motive des Populismus als Ressentiments disqualifiziert. Exemplarisch genannt sei die in den Beiträgen weitgehend affirmative Sicht des Globalisierungsprozesses oder der europäischen Einigung. Doch nur weil es da Vorurteile gibt, ist nicht jeder Einwand und jede Regung einfach darunter zu subsumieren. Diesen Eindruck jedoch vermittelt die Lektüre. Populist dient als Schimpfwort einer Globalisierungsgemeinde. Für die Modernisierung habe man zu sein. Indes, die Alternative zum Ressentiment ist nicht die Affirmation.
Wir-Gruppen konstruieren übrigens nicht nur die Populisten. Einige Autoren scheiden selbst gern die Welt in „wir“ und „die“, sehen hier die weltoffenen Demokraten, dort die ressentimentgeladenen Populisten samt Anhang. Doch diese Zweiteilung ist Unsinn, sie begreift die Leute nicht in ihrer fragmentierten und widersprüchlichen Komplexität, sondern prägt plastische Idealtypen und interpretiert Realität anhand solcher identitätsstiftender Konstruktionen. Sie putzt sich an ungustiösen Erscheinungen ab, legt unliebsamen Pöbel darauf fest und feiert Distinktionserfolge.
Natürlich ist es richtig, die populistische Angstmache anzuklagen (S. 12), bloß: Sollen die Leute vielleicht keine Angst haben? Gibt es vor der Angstmache nicht auch bereits eine Angsthabe, die von ersterer in berechnender Absicht instrumentalisiert wird? Angst ist doch nicht einfach als individuelles oder kollektives Manko abzutun, dem man sich durch positives Denken und flexibles Handeln entziehen kann. Populisten erzeugen nicht die Angst, aber sie schüren sie, benennen Schuldige und versprechen Abhilfe. Die Verängstigungen der Leute werden zumindest angesprochen, wenn auch extrem zugerichtet. Aber im Gegensatz zum etablierten Diskurs fühlen sich viele Leute im populistischen Gemaule wahrgenommen und nicht bloß verachtet. Erzielt werden mentale Erleichterungen, die oft auf blanker Schadenfreude basieren: „Der hat es ihnen aber gezeigt“, „Der hat es ihnen aber reingesagt“. Der gute Demokrat bietet Verdrängung, der böse Populist Entladung.
Auf dieser Ebene liegen aber auch die Schranken des Populismus. Will er praktisch werden, d. h. das Gebiet der medialen Aufregung und Aufstachelung Richtung Umsetzung verlassen, scheitert er. Das Parallelprogramm, nämlich regieren und opponieren zugleich, läuft nicht, selbst wenn es als mediales Zappen eine Zeit lang funktionieren kann. Die Simulation hat ihre inneren Grenzen, so sehr sie sich auch zu wandeln versteht. An die Regierung gekommen erweist sich der Populismus stets als unfähig und hilflos. Durchstarten kann er nicht, also muss er lavieren. Seine Präpotenz erscheint als lächerlich. Das fällt selbst den eigenen Wählern auf und daher auf jenen zurück. Und doch überlebt der Populismus stets den Absturz der Populisten. Auch wenn sich die Typen regelmäßig blamieren, tut dies dem Typus keinen Abbruch. Es kann sogar sein, dass ein und derselbe sein zeitweiliges Ende übersteht und zu einem Comeback ansetzt. Berlusconi ist das gelungen und Haider gleich mehrmals.
Populistisches Bedürfnis
Populisten klinken sich ein in die Verkürzungen der vom kapitalistischen Alltag hervorgebrachten Vorurteile, sie reproduzieren diese aber nicht nur ununterbrochen, sondern verstärken sie. Populisten sind nicht die „Profiteure von politischen Defiziten“ (Josef Kirchengast, Der Standard, 5. Oktober 2006, S. 2), sie optimieren vielmehr den möglichen politischen Profit, indem sie am rücksichtslosesten aktuellen Stimmungen entsprechen. Populisten sind Marktradikale in der Politik, unabhängig davon, was sie inhaltlich vertreten mögen. Zweifellos gibt es ein populistisches Bedürfnis, Populismus ist nicht bloß ein politischer Stil. Der Modus der Kulturindustrie ist vielmehr zum Formzwang von Demokratie und Politik geworden. Seine Programmatik lässt sich eher an Fernsehprogrammen ablesen als in politischen Erklärungen. Serienhelden dienen als Matrizen für die Parteiführer. Sie sind die zur Nachahmung empfohlenen Vorlagen. Aufgrund seiner festen Verankerung im Alltag darf die Analyse des Populismus nicht auf die Politik verengt, ja nicht einmal auf sie zentriert werden.
Es ist schon seltsam. Da werden zwar die Autoritäten abgelehnt, aber der Führerkult von den Unternehmen über die Politik bis zur Kultur geradezu als Selbstverständlichkeit zelebriert. Starmania feiert einen Höhepunkt nach dem anderen. Die ganze Gesellschaft baut auf dem Zwang der Verwertung auf, der eben Unterwürfigkeit und Gehorsam zur reellen Grundlage hat, da mag man noch so oft Hannah Arendt zitieren, dass eins nicht gehorchen darf. Bürgerliche Mündigkeit meint geschäftsmäßige Hörigkeit. Diese behauptet freilich kaltschnäuzig, sie sei nichts anderes als der freie Wille.
„Vorstöße rechtspopulistischer Parteien werden in der Regel allenfalls von Boulevardzeitungen unterstützt“ (S. 71), heißt es in einer Fußnote. Aber das ist so nicht richtig. Es übersieht Wesentliches, weil es lediglich offensichtliche Unterstützung als Förderung gelten lässt. Diese Kulisse muss deutlicher hinterfragt werden. Gerade die faszinierte Berichterstattung über die so genannten bösen Buben gleicht medialen Events sondergleichen. Da geht es um die Quote. Gerade die Verfolgung, also das Hinterherlaufen, erhöht die allseitige Beachtung immens. Sie steigert die Reichweite des Mediums wie die Stimmen des Gejagten. Ein Zusammenhang ist gegeben, auch wenn alle auf Abgrenzung aus sind. Ja, sie ziehen sich gegenseitig an ihren Zurückweisungen hoch, bauen sich eine Strickleiter aus Stimmen und Verkaufszahlen, obwohl sie doch meinen, sich gegenseitig einen Strick zu drehen. Medium und Populismus agieren auf gleicher Basis. Ein investigativer, skandalisierender und eben nicht analytischer Journalismus treibt den Populisten Wähler in Scharen zu. Dieses Verhältnis sollte zumindest als Synkretismus begriffen werden.
Vor allem die Rolle des Fernsehens oder diverser Zeitgeistmagazine, aber auch der Volks- und Popmusik müsste in diesem Zusammenhang näher beleuchtet werden. Entscheidend ist die Synchronität der Anliegen, also nicht der explizite Zuspruch, sondern die implizite Übereinstimmung. Da spielt zusammen, was nur scheinbar nicht zusammengehört. Es ist eine Art große Kollusion unvermuteter Kompatibilitäten, die sich hier abzeichnet, ein unabgesprochenes Zusammenwirken, das seine Synergien nicht einmal ansatzweise kennt, aber sie blind und perfekt abspult. Medium und Populismus agieren mit den gleichen Instrumentarien. Diese gesellschaftliche Synthetisierung müsste auch in den Mittelpunkt der Überlegungen betreffend die Veränderungen der Politik gestellt werden.
„Populistisch sind die Medien, die niedermachen, was sie hochgejubelt haben, damit die Quote steigt“, schreibt Georg Franck (Mentaler Kapitalismus. Eine politische Ökonomie des Geistes, München-Wien 2005, S. 235. ). Aber warum erst im zweiten Fall? Was unterscheidet die beiden? Sieht man daran nicht, wie eng Achtung an Verachtung geknüpft ist? Hochjubeln und Niedermachen sind doch die Kriterien von Campaigning und Negative Campaigning. Also das Vademecum des öffentlichen Aufsehens. Gemäß den Franckschen Kriterien der Aufmerksamkeit sind beide nur Varianten, die den gleichen Effekt erzielen wollen. Kurzum: Populistisch ist jedes Quotengedränge wie die Konkurrenz überhaupt. Was sich heute demonstriert, ist die Kenntlichkeit, die wiederum Folge der Verschärfung des Modus ist. „Negative Botschaften wirken besser als positive“, sagt der Politikforscher Fritz Plasser. (Kurier, 29. September 2007) Und wie.
Diese Entwicklung wird heute mehr beklagt als begriffen. Geradezu hilflos wirken Aufrufe wie jene von Hans Rauscher, der einfach fordert: „Aufhören mit Dirty Campaigning, solange es noch Zeit ist. Die Parteien sollten es sich im bereits laufenden Wahlkampf verkneifen, mit persönlichen Untergriffen zu arbeiten.“ (Der Standard, 15. April 2006) Doch wenn Wahlen nur noch so zu gewinnen sind, verzichtet doch niemand auf diese Instrumentarien. Im Gegenteil, man wird aus dem Vollen schöpfen. Negative Wahlkämpfe nehmen daher zu. Leichter als sich aufzuwerten ist es, den Gegner abzuwerten. Nur so ist oft die Diskrepanz in der Außenwahrnehmung herstellbar. Jemandem den Schmutzkübel drüber zu kippen ist einfacher als sich selbst aufzuputzen. Die innere Logik der Politik im kulturindustriellen Zeitalter schreit direkt nach solchen Kampagnen.
Kontraproduktives Geschrei
Die abgefeimteste Variante des Populismus ist der Liberalismus selbst, eben weil er sich zusehends als einzige nichtpopulistische Variante zu verkaufen versteht und diesbezügliche Kritik erfolgreich unterläuft. Seine Demagogie ist eine, die sich in den gängigsten Phrasen in keiner Weise vom Populismus unterscheidet, man denke an: „Gearbeitet werden muss“, „Menschen bedürfen der Konkurrenz“, „Der Markt entspricht der menschlichen Natur“ etc. Das Populismus-Geschrei ist kontraproduktiv geworden. Populismus ist von einer selektiven Bezeichnung zu einer inflationären Bezichtigung aufgestiegen, einer, die gierig ins Geschehen eingreift. Zu allen möglichen und unmöglichen Anlässen aufgetischt, fungiert sie auch als abgeschwächter Faschismus-Vorwurf. Unter dem Nazi-Verweis tut man es ungern. Insbesondere Deutschland ist jenes Musterland, wo Richtiges sich durch Überdosierung ins Irre steigert und so ehrbare Anliegen durch Infamie und Maßlosigkeit desavouiert, ja regelrecht umbringt. Dem Kampf gegen den Antisemitismus ist es bereits so ergangen. Dieses Feld ist verbrannte Erde, Tummelplatz diverser Denunzianten der antideutschen Szene.
Der akute Antipopulismus ist zu einem (links-)liberalen Ablenkungsmanöver von der marktwirtschaftlichen Realität geworden. Er spricht so gern von falschen Reaktionen, um über das falsche Ganze gar nicht mehr sprechen zu müssen. Selbst wo er recht hat, verfolgt er üble Zwecke. Der Marktwirtschaftsdemokratismus will überhaupt jedes Anliegen jenseits von Markt und Geld diskreditieren. Gerade der Brutstätte aller Ressentiments gilt sein Schutz. Und der Mob, der aus ihr entsteht, dient der Selbstimmunisierung.
Der Populismus ist seinem Wesen nach nicht Gegner der Demokratie, sondern ihre Fortsetzung mit entschiedeneren Mitteln. Demokratisierung der Demokratie führt zum Populismus. Der Populismus ist die reinste Form der Demokratie. Diese Kommerzialisierung der Politik ist in der politischen Konkurrenz selbst angelegt, sie kommt nicht von außen. Wo Populismus draufsteht, ist Demokratie drinnen. Seine Methode ist die Werbung, sein Auftreten erinnert frappant an die Serienstars in den Soap Operas, seine Rede ist das nachgeschliffene Gerede des Stammtischs. Populismus wie Politik insgesamt sind entschieden antikritisch. Sie formieren sich als Auslieferung an die Stimmungen durch ihre Einforderung. Populismus betreibt die Kommodifizierung des politischen Sektors. Politik ist mehr denn je praktizierender Opportunismus.
Populismus – rechts wie links – erhebt das Marketing, also den Markt zur Maxime. Die Form, der man sich da freilich überantwortet, zeitigt nur Ergebnisse und Wirkungen innerhalb dieser Form. Populismus meint die kulturindustrielle Okkupation der Politik. Die wird aber nie mehr rückgängig gemacht werden können. Wer sich in der Politik bewegt, agiert populistisch. In der Politik gibt es keine populismusfreie Zone. Den Leuten nach dem Mund zu reden, gehört dazu, einige beherrschen es besser, einige schlechter. Gewählt wird, wer an aktuellen Stimmungen anknüpfen kann. Kein Versprechen, das nicht erlaubt ist, kein Versprechen, das nicht gebrochen werden darf. Diese Tatsachen sind so omnipräsent, dass sie glatt übersehen werden.
Die Analyse, die wir vorschlagen, müsste mehr integrieren als differenzieren. Natürlich soll nicht der absoluten Indifferenz das Wort geredet (Haider=Schröder=Blair=Schüssel=Merkel), wohl aber soll argumentiert werden, dass die substanzielle Zusammengehörigkeit dieser Politiken mehr in den Mittelpunkt gerückt werden muss, nicht zwischen Normaldemokraten und bösen Buben zu unterscheiden ist. Ansonsten besorgt der unbezichtigte Populismus das, was dem bezichtigten Populismus vorgeworfen wird. Man denke nur an die rassistische Ausländerpolitik der Schengenstaaten. Nicht nur die böse Buben versenken gelegentlich unliebsames Menschenmaterial im Meer.
Politik als Simulation
Populismus ist uns keine selektive Charakterisierung einer bestimmten Politik, sondern Populismus deckt immer mehr die Varianz von Politik insgesamt ab. Es stellt sich also weniger die Frage, welche Politik populistisch ist, sondern welche es vermag, es nicht zu sein. Darauf fällt uns nichts ein. Politik in Zeiten ihres Verfalls tendiert zur Simulation ihrer selbst. Wenn wir eine Analogie zur Ökonomie herstellen wollen, dann gleichen die angebotenen Politiken faulen Krediten, und obwohl die Versprechen oft gleich Finanzblasen platzen, ist Politik nach wie vor verkaufbar, vor allem auch, weil keine Alternative zur Gestaltung des öffentlichen Raums für möglich erachtet wird.
Die Spielräume oder das, was einst „relative Autonomie“ geheißen wurde, sind keine mehr, trotzdem gilt es, diese Fiktion ganz hartnäckig aufrecht zu erhalten. Wie der Glaube an Arbeit, Geld und Wert gesichert werden muss, so auch die Illusion in die Politik. Es hat sie gegeben, es muss sie geben, es wird sie geben. Da wird tatsächlich gebetet: Die Anzahl der Schriften, wo die Politik beschworen, gefordert und gewünscht wird, ist groß. Diese Betrachtung der Politik ist keine analytische oder gar kritische, sondern eine projektive. Ihr wird alles Mögliche, ja Unmögliche unterstellt.
Wenn herkömmliche Politik keine bewegenden Gefühle mehr zu erzeugen versteht und nur noch kapitalistische Rationalität in öffentliche Verwaltung übersetzt, tritt die Simulation, das Spektakel, die Inszenierung, vollends an ihre Stelle. Diese sind nicht mehr bloßer Zusatz, sie sind vielmehr der mächtige Ersatz einer zerbröselnden Form, die nur noch als Hülle zur Verfügung steht. Der heute grassierende Populismus kann als adäquates Zerfallsprodukt absterbender Politik gelten. Er verkündet volltrunken die vollmundige Behauptung, dass er schon wüsste, wie es weiterginge, ließe man ihn nur machen. Er ist der Rausch, der die nötige Ernüchterung verhindert. Der Populismus suggeriert Entscheidungen, wo es keine mehr gibt.
Der Glaube an die gestaltende Kraft der Politik wird zwar immer wieder aufs Neue enttäuscht, ohne dass daraus allerdings Schlüsse gezogen werden, zumindest was das Formprinzip selbst betrifft. Da sind dann halt bestimmte Politiker, Funktionäre, Bürokraten, Apparatschiks, Verräter oder gar Korrupte und Kriminelle schuld. So führt die Kritik der Politiker selten zu einer Kritik der Politik, sondern reibt sich an irgendwelchen billigen Ersatzsubjekten wie den Populisten. Der Populismus soll akkurat nicht als Hilflosigkeit der Form, sondern als Gefahr für diese wahrgenommen werden. Zum Schluss gedeiht wiederum die Affirmation der Politik selbst. Was wohl der Zweck der ganzen Übung ist.
Vorschau
2. Teil: Formkriterien populistischer Anmache;
3. Teil: Skizzen einer Antipolitik.
1. Juli 2007