National und Neoliberal
Alexander Gauland würde es am liebsten mit Christian Lindner machen – falls sich die Gelegenheit ergeben sollte, versteht sich. Der smarte FDP-Posterboy sei sein bevorzugter Koalitionspartner, erklärte der greise – aber offensichtlich immer noch rüstige – Spitzenpolitiker der AfD gegenüber Medienvertretern rund eine Woche vor der Bundestagswahl.
Wenn es sein müsse, würde die AfD mit der FDP koalieren, da gebe es die größten Überschneidungen, erläuterte der AfD-Führer. Bislang stellt sich zumindest offiziell diese Option nicht, da vor den Wahlen, trotz erster Annäherungen zwischen CDU und AfD in der ostdeutschen Provinz, sowohl die FDP wie auch die CDU eine Zusammenarbeit mit der AfD ablehnen.
Auf den ersten Blick mag diese Koalitionspräferenz des AfD-Politikers überraschen, da Gauland hierbei die strikt neoliberale FDP einer rechtskonservativen Kraft wie der CDU vorzieht. Bislang hat der Spitzenkandidat der AfD vor allem durch rassistische und geschichtsrevisionistische Provokationen von sich reden gemacht, die ihn ein Verfahren wegen Volksverhetzung einbrachten. Dass aber ein ins Rechtsextreme strebender Populist, der sich immer stärker in nationalsozialistischer Ideologie verfängt, ausgerechnet mit der Partei der marktradikalen Globalisierungsbefürworter koalieren würde, schient deplatziert.
Indes, wie so oft bei der extremen Rechten, trügt hier einfach der erste Schein. Zum einen kennt man sich aus neoliberalen Thinktanks. Christian Lindner war bis 2015 Mitglied der extrem neoliberalen Hayek-Gesellschaft, in der inzwischen AfD-Sympathisanten tonangebend sind. Die Süddeutsche bezeichnete den neoliberalen Thinktank gar das „Mistbeet“ der AfD. Die Hayek-Gesellschaft hat sich der Propagierung „marktradikaler Ideen“ verschrieben und spielt eine führende Rolle bei der „ideologischen Ausrichtung und Koordinierung einer Vielzahl neoliberaler Denkfabriken und Netzwerke“, schreibt Lobbywatch. Es bestünden „enge Beziehungen“ auch „zur Alternative für Deutschland.“
Neben der Schweizer Spitzenkandidatin Weidel sind in der Hayek Gesellschaft die berüchtigte Beatrix von Storch sowie Peter Boehringer organisiert, der bei der Bundestagswahl auf dem zweiten Platz der bayerischen Landesliste kandidiert. Die AfD mag sich als die einzig wahre Opposition präsentieren, als die Partei des kleinen (deutschen) Mannes, die alle zu kurz gekommenen Volksgenossen ins Recht setzen und mit den korrupten Eliten aufräumen werde. Doch in Wirklichkeit will sie nicht den Bruch mit den bestehenden Verhältnissen, sondern deren krisenbedingte Verschärfung. Das bestehende neoliberale System soll ins Extrem getrieben werden.
Das ist auch kein großes Geheimnis. Ein Blick in das Programm lässt die üblichen Grundsätze neoliberaler Politik erkennen, die durch sozialpolitische Unverbindlichkeiten übertüncht werden: „Verschlankung des Staates“, „Abbau von Subventionen“, „Vereinfachung des Steuersystems“, „Staatsquote senken“. Es ist mitunter, als ob man ein FDP-Programm vor sich hätte. Es wird die Abschaffung der Erbschaftssteuer als Substanzsteuer gefordert und die Wiedereinführung der Vermögenssteuer abgelehnt. Und selbstverständlich stehen all diese Postulate, wie auch die angestrebte „Entlastungen der Geringverdiener“, in Konflikt mit dem Versprechen, keine weiteren Schulden zu machen.
Was unter einer „fairen Unternehmensbesteuerung“ zu verstehen ist, wie auch unter einem einfachen und „transparenten Steuersystem“, das die AfD fordert, konnte im Programmentwurf der Partei nachgelesen werden. Noch stärker ausgeprägt waren die neoliberalen Grundsätze in eben diesem Rohentwurf der AfD. Die neoliberale Schlagseite ist seither in den offiziellen Programmpunkten etwas aufgeweicht worden – aus wahltaktischen Gründen sicherlich.
Ein Blick in den Programmentwurf aus dem vorherigen Jahr legt offen, dass es sich hier um eine Elitenpartei handelt, unter deren Herrschaft vor allem all jene „kleinen Leuten“ zu leiden hätten, für deren Wohl die Parteigrößen einzustehen vorgeben.
Neoliberalismus und Rechtspopulismus – die Politik
In dem Entwurf wurde die Absenkung des Spitzensteuersatzes von 45 Prozent auf 25 Prozent angepeilt – dieser Steuersatz sollte für alle Einkommen ab 25.000 Euro gelten (ein wirklich „faires“ System, das Spitzenverdiener genauso besteuern würde wie Krankenschwestern). Die Erbschaftssteuer sollte ersatzlos gestrichen werden. Die Gewerbesteuer, eine Haupteinnahmequelle der ohnehin klammen Kommunen, stand damals ebenfalls auf der Abschussliste der AfD. Profitieren würden davon vor allem Unternehmen.
Da die Rechtspopulisten keine neuen Schulden machen wollen, würden diese Steuergeschenke für Reiche durch Sozialkürzungen finanziert. Die AfD wollte laut Programmentwurf auch Arbeitslosenversicherung und die Unfallversicherung privatisieren, sodass Lohnabhängige sich selbst versichern müssten. Die Folge: Gerade prekär Beschäftigte könnten sich keine Arbeitslosenversicherung leisten, da dort die Beitragssätze aufgrund des erhöhten Risikos besonders hoch wären. Bezeichnenderweise hat die AfD vor der Wahl ihr rudimentäres Sozial- und Wirtschaftsprogramm aufgeweicht.
Aufstiegschancen für Kinder aus Arbeiterfamilien wollte die AfD im Rohentwurf mit aller Macht minimieren – indem das dreigliedrige Schulsystem verfestigt wird und Alternativen wie die Gesamtschulen verschwinden. Schon in der Grundschule soll die Selektion erfolgen, die für das künftige Leben der Kinder entscheidend ist.
Nirgends waren im Programmentwurf die neoliberalen Kontinuitätslinien der AfD so deutlich ausgeprägt wie beim Thema Hartz IV und Zwangsarbeit. Das neoliberale Hartz-IV-System, das bereits Zwangsarbeit unter Rot-Grün einführte, wollte die Partei des „kleinen Mannes“ nicht etwa abschaffen, sondern als „Bürgergeld“ entschlacken. Und das sah dann so aus: 30 Wochenstunden Zwangsarbeit für „gemeinnützige“ Zwecke, die mit 1000 Euro im Monat vergütet würden – sodass der derzeitige Mindestlohn noch unterboten würde. Wer sich der Zwangsarbeit verweigert, der soll kein „Bürgergeld“ erhalten. Wer nicht arbeitet, der soll auch nicht essen (Franz Müntefering). Der Kreis schien sich zu schließen: Der Reichsarbeitsdienst der Nazis, der bei Hartz IV Pate stand, könnte nun von den Rechtspopulisten weiter „modernisiert“ werden.
Was ist also die AfD? Eine FDP mit Nazis?. Entsprechend wird diese Partei von den reaktionärsten Teilen des Kapitals gefördert: von Schweizer Steuerflüchtlingen, deren Milliardenvermögen mittels Arisierungen im Dritten Reich gemehrt wurde, oder von Hamburger Reedern wie Folkard Edler, die Millionenbeträge in den Aufbau einer erzreaktionären Rechten pumpten. Selbstverständlich erwarten diese Geldgeber eine Rendite für ihre politischen Investitionen. Und selbstverständlich wird die AfD liefern, sofern sie die Gelegenheit dazu bekommt. Auf Kosten der Schwächsten. Auch wenn die neoliberalen Rechtspopulisten in den vergangenen Monaten zumindest sozialpolitisch Kreide gefressen haben.
Es scheint somit absurd, dass gerade in Ostdeutschland viele „kleine Leute“ die AfD wählen wollen – eine Partei, die die neoliberale Krisenverwaltung der vergangenen Jahre noch auf die Spitze treiben und einen regelrechten Ständestaat einführen will. Doch ist das Ganze mehr als ein simpler Betrug, bei dem eine von reaktionären Milliardären und Millionären finanzierte, rechtspopulistische Partei die Wählermassen hinters Licht führt, um die Interessen des Kapitals durchzusetzen.