no future! Ein Gefühlsausbruch
Homestory von Theresia Pfister
Mit dem, was ich bisher an Erfahrungen, Einsichten, an Gehörtem, Gelesenem und Beobachtetem gesammelt habe, bin ich eigentlich (und täglich mehr) davon überzeugt, dass wir schnurstracks auf einen tödlichen Abgrund zumarschieren. Ich muss „wir“ sagen, weil auch ich dieser Spezies Mensch angehöre. Gerne distanziere ich mich davon und fühle mich fremd, je älter je öfter, aber ich gehöre doch dazu.
Marx und Engels haben die Entwicklung der Menschheit beschrieben bis hin zu dem heutigen kapitalistischen System und dessen ruinösen Gesetzmäßigkeiten wie Wachstums- und Profitzwang. Das hat sich über mehrere Jahrtausende hingezogen, und nur selten wurde „Stopp!“ gerufen. Auch die französische und russische Revolution und die wenn auch nur kurzlebige Pariser Kommune, die sich für die Aufhebung des Privateigentums und damit für eine friedlich(er)e, solidarische Welt einsetzten, scheiterten grandios, aber die Revolutionäre hatten den Mut, gegen den Strom zu schwimmen und unter Einsatz ihres Lebens auf die Möglichkeit eines anderen Zusammenlebens hinzuweisen.
Herr und Knecht haben sich schließlich arrangiert, als ganze Spezies fühlen sie sich der Schöpfung überlegen, praktizieren deren Unterwerfung, obwohl (oder weil?) ihnen täglich, stündlich ihre Ohnmacht vor Augen geführt wird: der Tod kommt für jede/n früher oder später, der Körper und all seine Organe arbeiten ohne menschliches Zutun, das Herz schlägt, der Atem kommt und geht ohne zu fragen, wir haben keine Kontrolle darüber. Trotz diesem „Geworfensein“, trotz diesem offensichtlichen Ausgeliefertsein entblöden wir uns nicht zu behaupten, dass die Erde unser Eigentum sei, wir maßen uns an zu bestimmen, wem was gehört und wem nicht, ziehen Grenzen, bauen Zäune und Mauern und morden, wenn diese willkürlichen Trennlinien überschritten werden.
Es gibt die Geschichte von Buddha, der einen Mörder bat: „Bevor du mich umbringst, erfülle mir noch einen Wunsch: Schneide den Ast dieses Baumes ab.“ Der überraschte Übeltäter tat, worum gebeten. Dann bat Buddha ihn, den Ast wieder anwachsen zu lassen. – So leicht ist Zerstörung, und so schwer bis unmöglich der schöferische Akt.
Inzwischen können wir jedes Leben auf unserem Planeten mehrfach vernichten, es gibt weltweit über 400 Akws, 10.000 atomare Waffen, die Lagerung der abgebrannten Brennstäbe der Akws ist ungeklärt und keine Lösung in Sicht. Auch nach Tschernobyl und Fukushima verharren wir in unserer Ignoranz, lachen über die Einfalt von Schafen, nennen uns gegenseitig dumme Kuh, blöde Gans und Rindvieh, ohne zu merken, dass unsere Blödheit als Menschheit im Ganzen von keinem Tier überboten werden kann.
Hat nicht der Club of Rome schon um 1970 gewarnt, dass es „5 vor 12“ sei? Seither erscheint fast jährlich ein Appell in Buch- oder anderer Form, der auf die Gefahren der jetzigen Entwicklung hinweist – die Klimaerwärmung, das Schmelzen der Gletscher und Pole, die Abholzung der letzten Urwälder, das rapide Artensterben, die ausgelaugten Böden, die Schäden durch Pestizide, Genmanipulation u.v.m. – alle Kassandra-Rufe verhall(t)en unbeachtet. Die zwei Weltkriege mit ihren Gräueln? Der Holocaust mit seinem unfassbaren Horror – warum hat das nicht gereicht? Keine Steigerung des Schreckens mehr vorstellbar? O nein – es ging und geht weiter.
Dabei wären die Menschen mit so viel Talent gesegnet. Es braucht nicht viel Phantasie sich auszumalen, wohin das Freisetzen der schöpferischen Kräfte all der vom Systemwahnsinn unterdrückten, geknechteten, niedergehaltenen Menschen die Gesellschaft zum Besseren hätte voranbringen können, ganz zu schweigen vom Freisetzen der schöpferischen Kräfte der weiblichen Hälfte der Gesellschaft. Aber haben wir überhaupt noch Phantasie? Der Kapitalismus ist alternativlos. Punkt. These – Antithese – Synthese, das gilt nicht mehr. Das Jin und Jang der asiatischen Philosophen, das Spiel der Gegensätze und ihrer Transzendenz – das alles wird geleugnet, alles wird grau und versinkt in einem lähmenden oberflächlichen Irgendwas, betäubt und bewusstlos ertrinkt die große Masse in ihrer Ohnmacht, die Drahtzieher und Puppenspieler ersaufen in ihren Allmachtsphantasien.
Gott ist tot – jetzt ist der Mensch ein Gott, der glaubt, er kann mit allem spielen. Aber: „Naturgesetze können überhaupt nicht aufgehoben werden. Was sich in historisch verschiedenen Zuständen ändern kann, ist die Form, worin jene Gesetze sich durchsetzen.“ (Marx) Und die Form, wie die Naturgesetze sich nunmehr durchsetzen, wird zur Katastrophe für die menschliche, blinde Überheblichkeit. So stehen wir also da, das Wasser bis zum Hals, dem blinden Diktat des Kapitals unterworfen, die Naturgesetze missachtend und die Folgen verdrängend. Wir sind alle, jede/r einzelne von uns für die heutige, hiesige Situation mitverantwortlich. Die Entscheidung für das Privateigentum, für das Patriarchat, die Atomspaltung, die Eingriffe in das Erbgut usw. haben wir nicht widerrufen, kein Gott, kein Teufel hat uns dazu gezwungen. Es gibt auch keine Sündenböcke, weder die da oben noch die da unten. Eine Umkehr erscheint unwahrscheinlich, wir stecken alle tief im Dreck, und es ist schon lang nach 12 – aber mit Selbstkritik, Selbsterkenntnis und mit dem Eingeständnis der Eigenverantwortung an die Wand fahren ist allemal besser und menschenwürdiger als im dumpfen Gleichschritt wie Lämmer zur Schlachtbank. Aber vielleicht sind wir bis jetzt doch nur zu dumm gewesen, um zu sehen, dass darin doch noch eine Chance liegen könnte.