Der Messias aus dem Musterknabenkatalog
von Franz Schandl
Schnell kann das gehen. Plötzlich schaut alles ganz anders aus, obwohl sich gar nichts verändert hat. Mit dem Vorsitzenden- und Kanzlerwechsel hat die SPÖ ein Bravourstück an medialem Regietheater abgeliefert. Nicht ganz geplant, aber doch gelungen. Da mag der Status noch so schlecht sein, die Befindlichkeit ist in den Tagen seit Pfingsten in unabsehbare Höhen geklettert.
Tatsächlich erwecken die letzten Wochen den Eindruck, als sei die Krise, bisher groß aufgeblasen, auf einmal regelrecht weggeblasen. Kerns erste Auftritte waren zweifellos professionell, auch wenn er mit Abkanzelung seines Vorgängers es sich recht billig gemacht hat. Taktisch war das klug, dieses „Ich bin einer von Euch“, es soll den Angefressenen die Wut nehmen. Seit der Quereinsteiger Republik und Partei führt, tut die SPÖ geradewegs so, als sei sie nicht wiederzuerkennen. Dieses Kunststück hat Christian Kern, der ehemalige Vorstandsvorsitzende der Österreichischen Bundesbahnen (ÖBB) binnen weniger Tage durchgezogen.
Mister Hype
„Zukunftsfit“ sollen Partei und Gesellschaft werden. Eine „Trendwende“ sei notwendig, der „Stil“ müsse sich ändern, „ein Neustart“ stehe an. Kern wird nicht müde zu betonen, dass mit „Machtversessenheit“, „Zukunftsvergessenheit“ und „Ideenlosigkeit“ Schluss sei. Selbstverständlich gehe es darum, „die Fenster zu öffnen“ und „frische Luft“ zu atmen. Es gelte „die SPÖ nicht in die Mitte, sondern in die Breite zu führen“. Last but not least: „Die Politik muss raus zu den Menschen.“ Investitionen sind anzukurbeln, das Wachstum zu fördern u.v.m. Wem das alles bekannt vorkommt, irrt nicht. Alles, woran man zu glauben hat, wird neu serviert. Der Verkäufer ist nicht nur tüchtig, er ist flott und adrett, ja mondän. Die alten Hülsenfrüchte sind wieder auf dem Markt, werden gehandelt und gekauft. Auf einmal sehen sie ganz frisch aus.
Auch John Maynard Keynes und Karl Schiller erleben eine Renaissance: „So viel Markt wie möglich, so viel Staat wie nötig“, lautet die ultraneue Devise. Da kann niemand dagegen sein. Endlich sagt es einer. Wir sind baff. An die Stammbelegschaft gewandt, heißt es: „Wir sind die Partei der hart arbeitenden Menschen, die sich an die Regeln halten.“ Aber auch an die bescheiden gewordene Linke sendet Kern Signale, da ist von „Grundsätzen“ die Rede, „für die die Menschen brennen“, von einer „progressiveren Handschrift“ oder gar vom „Systemwechsel“, wobei natürlich bloß das Steuersystem gemeint ist. Der Code wirkt Wunder. „Es geht um die Lufthoheit an den Stammtischen, um Hegemonie.“ Gramsci kennt er also auch. Ein richtiger Hype geht da ab, man verfolge nur einschlägige Zeitschriften des rot-grünen Spektrums.
Etwa den Falter. „Christian Kern wurde vergangene Woche nach seiner ersten Rede wie der Messias empfangen“, lesen wir da. Anhimmeln ist angesagt. „Gemeinsam mit dem neuen Bundeskanzler Christian Kern sieht Österreichs Staatsspitze plötzlich so aus, als hätte man sie in einem europäischen Musterknabenkatalog bestellt. Kern und Van der Bellen, das steht für weltoffen und proeuropäisch, für ein Selbstverständnis jenseits altmodischen Österreichertums, für ökosoziale Marktwirtschaft und Start-up-Mentalität, am Ende vielleicht auch für eine bessere Dritte Republik jenseits der Blockade innerhalb der Großen Koalition. Vieles scheint über Nacht möglich geworden in Österreich.“ Alles wird gut. Dieser New Political Business Slang scheint Furore machen zu wollen.
„Die größte Wachstumsbremse ist die schlechte Laune“, sagt der Neue. Folglich gilt es diese zu heben, sie zum treibenden Faktor zu machen. Was ist schon die Lage gegen die Laune? Und so steigen, weil die Stimmung sich bessert, die Umfragewerte wieder an. Man glaubt es kaum, aber man kann es messen. Es ist dieses Gieren nach dem Schein, die Kraft der Simulation und Illusion, die sich hier inszeniert. Und ankommt. Definitiv. Es ist die große mediale Retorte, aus der solche Produkte entstehen. Mit dem neuen Chef sind die Genossen glücklich. Die Politik bleibt zwar grosso modo gleich, aber sie kommt nun ganz anders rüber. Parteivorsitzende haben Vorstandvorsitzenden zu gleichen. Der Mann, der sogar beim Joggen Telefonate führt, erfüllt dieses Kriterium. Macher sind heute das Nonplusultra.
Kann es sein, dass man einen schwachen Text zur Blüte bringt, sofern der Kontext stimmt? Das kann nicht nur sein, das ist geradezu der Fall. Der Kommerz lebt davon, Banalitäten und Phrasen als etwas Besonderes erscheinen zu lassen. Sagen es viele, sagt es schon viel. Noch dazu, wenn man es gut sagt. Dann klingt überzeugend, was eigentlich platt ist. Rhetorik ist nicht die Kunst der Aussage, sondern die der Ansage. Christian Kern weiß, was zu tun ist. Aber weiß er, was er tut?
Freilich versteht Kern sein Handwerk. Auch auf seine eigenen Fotostrecken legt er großen Wert. Aber spricht das für ihn? Oder eher durch ihn? Und welches Können ist dieses Können? Welche Kunst wird uns hier nahe gebracht? Und führt sie wohin oder verführt sie bloß? Besteht unsere Lenkung in der Ablenkung? Kern stürzt, wenn nicht ein Land, so doch eine Partei in die Euphorie. Glauben müssen sie daran, denn was sonst können sie noch glauben. Der Manazu tunger wird es schon richten. Mühelos versetzte der Parteichef den Landesparteitag in Klagenfurt in eine regelrechte Kern-Mania. Die Funktionäre fürchten sich nicht vor ihm, sondern ohne ihn.
To pop
Populismus kommt heute nicht nur vom lateinischen populus, er kommt auch vom englischen to pop, was meint: knallen, platzen. Immer ist und geht was los. Rausplatzen und durchknallen, gibt es bessere Verben, um die Aufmerksamkeitsökonomie der Kulturindustrie zu beschreiben? Es herrscht eine Politik der Plötzlichkeiten. Stets wird scharf geschossen. In immensem Eifer werden Fixierungen produziert, denen sich kaum jemand entziehen kann. In allen Ecken und Winkeln und Netzen lauern sie, via Gerätschaften sind wir angeschlossen, ja ausgeliefert. Was wir sehen, hören, spüren, da haben wir ganz wenig zu entscheiden. Das ist vorgegeben, da machen wir mit, egal ob es uns passt oder nicht. Stimmungen entwickeln sich kaum merklich, sie treten vielmehr abrupt auf. Geradezu sprunghaft fluktuieren sie. Die Prognostik hat es schwer, zumindest wenn sie konkret werden will. Diskrepanzen zwischen Lage und Stimmung werden größer, sie zoomen in alle Richtungen, lassen kaum ahnen, was morgen reüssieren kann.
Wenn Eloquenz alles schlägt, dann muss beim Publikum allerdings ein großes Maß an Verzauberung vorgegeben sein um dieses Theater so und nicht anderes auffassen zu können. Das Geschehen ist nicht Gegenstand, es muss sich erst zu Ereignissen verdichten, die als markante Versatzstücke mediale Beachtung erheischen und sodann vom Publikum wahrgenommen werden. Wahrgenommen wird nicht, was wirklich wahr ist, sondern was einen real anmacht und bedrängt, also die Belästigung, die aber aufgrund ihrer Häufung gar nicht mehr als solche begriffen wird. Wir fühlen weniger was ist, als das, was sticht. Und das, was sticht, empfinden wir als bestechend.
Kern ist einer, der die mediale Klaviatur souverän beherrscht. Die frei gesprochene Regierungserklärung imponierte. Stil, Performance, Ambiente, Habitus, Ritus, Code werden immer bestimmender. Wir haben ein formatiertes Publikum, das gut abgerichtet, in Serie reinfällt. Was im akuten Fall aber auch bedeutet: Eine kleine Erschütterung und dieselben Leute sind wieder bei Strache und Hofer. Und das zeichnet sich auch schon ab, zumindest atmosphärisch.
Die aktuelle Anfechtung des Ergebnisses der Bundespräsidentschaftswahl durch die Freiheitlichen vor dem Verfassungsgerichtshof hat zwar kaum Aussicht auf Erfolg, aber sie schürt Latrinengerüchte und Verschwörungstheorien, vor allem führt sie dazu, dass die FPÖ die nächsten Wochen wieder mühelos und penetrant die Öffentlichkeit dominiert. Dass Unregelmäßigkeiten bei Wahlen auftreten, ist normal, dass die Briefwahlstimmen bereits am Sonntag und nicht am Montag gezählt werden, in vielen Gemeinden Usus. Das ist zwar gesetzlich nicht erlaubt, war aber bis jetzt immer toleriert, schließlich haben am Montag weniger Leute Zeit als am Wahlsonntag. Es ist auch kein Zufall, dass die Wahlbeisitzer der FPÖ die allermeisten Protokolle unterschrieben haben und diese Unregelmäßigkeiten nicht gleich urgierten. Aber Strache geht es um den Wirbel. Den braucht er. Exzessiv halluziniert sich die FPÖ als Opfer dunkler Mächte.
Auch die erste relevante Personalentscheidung der von Kern geführten Regierung, ließ keinen neuen Stil erkennen. Im Gegenteil: Einmal mehr hat die ÖVP beim Rechnungshof ihre Kandidatin schamlos durchgepresst. Die Kanzlerpartei sah dabei gar nicht „machtbesessen“ aus, eher völlig ohnmächtig. Abermals ließ man sich von der Volkspartei vorführen. Droht die ÖVP trotz aufrechter Koalitionsvereinbarung mit der FPÖ zu stimmen, bricht die Sozialdemokratie ein. Vorerst werden diese taktischen Spielchen weiterlaufen. Der entfachte Erwartungsdruck freilich ist enorm: Entweder liefert er schnell, oder er ist schnell geliefert, der Christian Kern.