Shareconomy

Für die Durchsetzung des Kapitalismus war es notwendig, die Menschen durch die „Einhegung der Commons“ von ihren Subsistenzmitteln zu trennen. Zu den traditionellen Commons gehörte die gemeinschaftliche Nutzung von Naturressourcen: Wiesen, Weiden, Wälder, Wasser. Gewohnheitsrechtlich wurden sie geteilt genutzt und boten vor allem kleinen Bauernhöfen und Landarbeiter_innen ein Auskommen. Mit dieser Art des Teilens war mit der Einhegung Schluss. Freie, aber vereinzelte Lohnarbeiter_innen mussten fortan ihre Arbeitskraft verkaufen, um die Existenz ihrer getrennten, von der Warenökonomie abgespaltenen Privathaushalte zu sichern.



Der Privathaushalt, der allein für sich
die Geldmittel beschafft, war in der Zeit des Fordismus ein
Erfolgsmodell, das in der sich gegenwärtig ausbreitenden Krise jedoch
seinen Modellcharakter verliert. Alte Denk- und Handlungsmuster werden
in Frage gestellt, neue Lebens- und Handlungsweisen etablieren sich. Zu
ihnen gehört eine Wiederentdeckung des Teilens. Der exklusive
Privatbesitz ist nicht mehr erstrebenswert, die gemeinsame Nutzung von
Ressourcen spart nicht nur Geld, sondern durchbricht auch soziale
Trennungen. Warum nicht das Auto, den Garten, die Wohnung, die Werkzeuge
und anderes mehr gemeinschaftlich nutzen?

Das Teilen ist eine positiv-reziproke Handlung. Die
involvierten Menschen beziehen einander wechselseitig ein. Alle haben
etwas davon, und dennoch wird nicht getauscht, denn das, was sie davon
haben, ist sehr vielfältig und unberechenbar. Im Kern geht es um die
(Wieder-) Herstellung menschlichen Reichtums jenseits von Tausch und
Geld. Tauschen hingegen ist negativ-reziprok strukturiert. Die
einen wollen möglichst viel haben, die anderen möglichst wenig geben. Im
Tausch werden die Menschen strukturell voneinander getrennt.

Die Shareconomy, auch kollaborative Ökonomie genannt, macht
aus Teilen wieder Tauschen. Sie ist eine moderne Form der Einhegung des
Teilens, ist ein Weg der Verwarenformung menschlicher
Beziehungen. Ressourcen werden nicht mehr gemeinschaftlich genutzt,
Teilen ist also keine soziale Handlung mehr, sondern der Eigentümer
einer Ressource teilt diese auf in einen selbst zu nutzenden und einen
vermietbaren Teil – physisch oder zeitlich. Teilen wird verdinglicht,
ganz wie Marx es für den Warenfetisch beschriebt: Das Verhältnis von
Sozialem und Dinglichem, von Mittel und Zweck kehrt sich um. Die
Ressource ist nicht mehr Mittel zur gemeinschaftlichen
Bedürfnisbefriedigung, sondern ihr Zweck ist der Gelderwerb. Diesem
fremden Zweck ist nun das Soziale als Mittel untergeordnet. Das Soziale
wird kommodifiziert. Ich lerne nicht mehr Menschen kennen, um mit ihnen
eine gute Zeit zu haben, zum Beispiel bei der gemeinsamen Nutzung meiner
Wohnung, sondern ich lerne neue Kunden kennen, um ihnen temporär mein
Zimmer gegen Bezahlung zu überlassen. Vermieten statt Teilen, Kunden
finden statt menschlicher Begegnung.

Shareconomy ist Ausdruck der Krise. In Griechenland vermieten viele ihre Häuser und Wohnungen über AirBnB
– aus Not. Wenn Arbeitskraft nicht mehr gefragt ist, bleiben oft keine
anderen Ressourcen, die noch zur Verwertung taugen. Ökonomisch gesehen
handelt es sich dabei um eine Umleitung von Einkommen: „Ich gebe dir von
meinem Einkommen für die Nutzung deiner Ressource, bessere damit dein
Einkommen auf und spare selbst dabei“. Dabei wird nicht nur kein neuer
Wert geschaffen, sondern das gemeinsame Nutzen von Ressourcen vermindert
den Absatz und damit die Produktion der entsprechenden Waren. Das ist
ökologisch sinnvoll, aber ökonomisch bedrohlich, weil es die Krise
befördert. Der Kapitalismus kann nur existieren, wenn Verwertung mittels
Produktion und Absatz neuer Waren gelingt.

Individuell ist die Vermietung eigener Ressourcen eine Möglichkeit,
das eigene Budget aufzubessern bzw. durch Nutzung der günstigen Angebote
Ausgaben zu reduzieren. So schont die massenhafte Nutzung von UberPop
(Vermittlung privater Fahrten) den eigenen Geldbeutel, ist jedoch für
die Taxi-Unternehmen eine existenzbedrohende Konkurrenz. Doch die Logik,
dass mein Fortkommen stets immer auch auf Kosten von anderen geht,
durchzieht die Warengesellschaft als Ganzes. Die Exklusionslogik betrifft ebenso die Lohnarbeiter_innen und Unternehmer_innen wie eben auch die Shareconomy.

Ganz im Sinne der Schumpeterschen schöpferischen Zerstörung
löst die Shareconomy bestimmte Märkte auf und schafft neue. Wird
Carsharing zum Massenphänomen, sinkt die Autoproduktion. Wird der
nächste Griechenland-Urlaub massenhaft im AirBnB-Quartier
verbracht, müssen viele Hotels schließen. Im Unterschied zu früheren
Innovationszyklen ist der schöpferische Anteil jedoch wesentlich kleiner
als der zerstörerische: Große Marktsegmente werden zersetzt, und der
Rest wird umverteilt. Dass daraus einige spezialisierte Vorreiter als
Sieger hervorgehen, liegt auf der Hand. In den USA ist innovative Disruption – flächendeckende Marktzerstörung bei punktueller Innovation – explizite Strategie des Venture-Kapitals. Autokannibalismus statt Kapitalverwertung, und die Shareconomy bietet ein Spielfeld dafür.

Unter dem Label Shareconomy werden jedoch auch commonsorientierte
Praktiken subsummiert, die mit Ökonomie nicht viel zu tun haben. Alle
Projekte müssen sehen, wie sie die finanziellen Mittel aufbringen, die
sie im Kapitalismus nun einmal benötigen. Die Scheidung geschieht dort,
wo die gemeinschaftlichen Praktiken am Teilen oder am Tauschen
orientiert sind. Dort wo Commoning und Geldlogik getrennt sind, ist der
Widerstand gegen die Reintegration in die Warenproduktion am größten.

Obwohl die Tauschlogik mit der Shareconomy revitalisiert wird und
dadurch das Teilen vergiftet, sorgt es dennoch für einen
Mentalitätswandel. Nicht mehr alles selbst zu besitzen, sondern sich
Ressourcen zu teilen – und sei es gegen Geld – ist ein Schritt in die
Richtung zur Wiederentdeckung des bedürfnisorientierten Teilens und des
Commoning. Doch dieser Schritt ist bewusst zu gehen. Von alleine kommt
der Abschied vom Tauschen nicht, zu sehr ist das bedingungsvolle,
miteinander verkoppelte Geben und Nehmen Teil der alltäglichen
Handlungsweise geworden. Zu lernen ist: Nur Teilen jenseits von Geld und
Tausch ist echtes Teilen.