Krisenimperialismus – Teil 3
von Tomasz Konicz Teil 1, Teil 2
Ein Überblick über die geopolitischen Implikationen des transatlantischen Freihandelsabkommens
Gegen wen sich das transatlantische Freihandelsabkommen TTIP richtet, war schon bei dessen großspuriger Ankündigung im Sommer 2013 sonnenklar. Den Machtblöcken beiderseits des Atlantiks eröffne die angestrebte Freihandelszone die Möglichkeit, die „globale Führung“ des „alten Westens“ in einer multipolaren Welt erneut geltend zu machen, jubelte das Wall Street Journal (WSJ) schon im Juni 2013.
Die Neue Züricher Zeitung (NZZ) wurde in ihrem Kommentar sogar noch deutlicher Die transatlantische Freihandelszone stelle letztendlich ein „diskriminierendes Präferenzabkommen“ zwischen den USA und der EU dar, das ein „Handelsregime unter Ausschluss Chinas und anderer Schwellenländer“ etablieren würde.
Die meisten bi- oder multilateralen „Freihandelsabkommen“ dienten nicht dem Zweck der „Liberalisierung des Handels“, sondern sie fungierten „als Schutzmechanismen vor allzu starker Konkurrenz“. Damit begingen Washington und Brüssel „Verrat an ihren eigenen Idealen“, die im Rahmen der Nachkriegsordnung auch eine „multilaterale Handelsordnung“ propagierten, um „die diskriminierenden Abkommen der 1930er Jahre zu überwinden“.
Die Zielsetzung des TTIP besteht somit in der ökonomischen Exklusion der Entwicklungs- und Schwellenländer, die als eine zunehmende Bedrohung für die erodierende Machtfülle der westlichen Zentren des kapitalistischen Weltsystems wahrgenommen werden: „Viele Bürgerinnen und Bürger in OECD-Staaten fragen sich, ob sie im globalen Wettbewerb mit den aufstrebenden Ökonomien werden bestehen können“, so die NZZ.
Diskriminierendes Präferenzabkommen?
Die westlichen Funktionseliten reagieren auf diesen Erosionsprozess westlicher Machtfülle mit einer Art Freihandels-Protektionismus, der letztendlich einen Versuch darstellt, in die imperiale Vergangenheit zurückzukehren, als die ökonomische und militärische Überlegenheit des Westens unangefochten war.
Die NZZ benannte auch die geopolitische Dimension dieses „diskriminierenden Präferenzabkommens“. Das TTIP zielt selbstverständlich auch auf die Ausgrenzung Russlands und die weitestgehende Zurückdrängung russischen Einflusses in Europa. Ein ähnlich strukturiertes „Freihandelsabkommen“ forciert Washington auch im pazifischen Raum, das dort auf die Exklusion Chinas abzielt:
Zurzeit verfolgt die Regierung Obama nämlich nicht nur ein transatlantisches, sondern auch ein transpazifisches Grossprojekt. Am Transpazifischen Partnerschaftsabkommen (TPP) nehmen zwölf Länder, einschließlich des wirtschaftlichen Schwergewichts Japan, teil. China ist nicht eingeladen, diesem Abkommen beizutreten. Sollte es den USA gelingen, sowohl das transatlantische als auch das transpazifische Abkommen zum Abschluss zu bringen, wäre handelspolitisch eine neue, bipolare Ordnung entstanden.
Eine dermaßen global ausgedehnte atlantisch-pazifische Freihandelszone würde die meisten Schwellenländer und wichtigsten globalen Herausforderer der westlichen Hegemonie ausschließen, die mittelfristig die Dominanz des US-Dollar als Weltleitwährung infrage stellen könnten: China und Russland. Die Wochenzeitung Die Zeit bezeichnete auf ihrer Internetpräsenz TTIP ebenfalls als einen „Schutzwall vor den Schwellenländern“, als eine „Revanche des Nordens“, der „die Dominanz der beiden größten Wirtschaftsblöcke der Welt festigen“ wolle. Allein auf die transatlantische Freihandelszone würden rund 50 Prozent der globalen Wirtschaftsleistung und ein Drittel des weltweiten Handels entfallen.
Die Deutsche Welle zeigte in einem Kommentar konkret, welche ökonomischen Folgen die Ausschlußmechnismen der Freihandelszonen auf alle Volkswirtschaften haben, die ihnen nicht angeschlossen sind: „Wo es viele Gewinner gibt, muss es auch ein paar Verlierer geben“, da die Volumina des Welthandels durch das TTIP keinen schnellen Anstieg, sondern eine Umleitung erfahren würden. Während die großen Handelsblöcke den Warenaustausch untereinander verstärken dürften, würden die Importe aus „Lateinamerika, Asien und Afrika“ in diese „Super-Freihandelszonen“ abnehmen.
TTIP als „Flucht nach vorn“ vor der kapitalistischen Systemkrise
Deswegen hätten Kritiker das Vorhaben auch als „Handels-NATO“ bezeichnet, die darauf abziele, „die Welt zu spalten.“ Die chinesische Zeitung Global Times kommentierte, dass die geplanten Freihandelszonen China „in die Ecke“ drängen würden, weil die Volksrepublik und andere Schwellenländer es sich nicht leisten könnten, aus diesem ausgeschlossen zu werden und letztendlich „mit an Bord“ kämen – zu Bedingungen des „Alten Westens“, versteht sich.
TTIP stellt nicht nur eine kaum verhohlene Kriegserklärung an die aufstrebenden Schwellenländer dar, es ist auch ein Versuch, die Systemkrise des Kapitalismus auf beiden Seiten des Atlantiks durch einen weiteren Liberalisierungsschub zumindest zu verzögern. Es handelt sich um eine Art „Flucht nach Vorn“ vor den zunehmenden Verwerfungen und Widersprüchen der kapitalistischen Systemkrise. Auf größerer, transatlantischer Ebene soll ein ähnlicher Prozess angestoßen werden, wie er im Rahmen der Gründung und Expansion der Europäischen Union ablief – und Europa bis zum Krisenausbruch ein knappes Jahrzent kreditfinanzierten Wachstums bescherte.
Zumindest innerhalb der EU wurde die transatlantische Integration auch als Reaktion auf die anhaltende Wirtschaftskrise verstanden. Die TTIP sei „das billigste Ankurbelungsprogramm, das man sich vorstellen kann“, behauptete etwa EU-Kommissionspräsident José Manuel Barroso, der sich davon einen zusätzlichen Anstieg der Wirtschaftsleistung um 120 Milliarden Euro pro Jahr versprach.
Das Wall Street Journal brachte das Kalkül Brüssels, mit einer Art Flucht nach vorn den eskalierenden Krisenwidersprüchen zu entgehen, auf den Punkt:
Für die Führung der EU ist es ein Versuch zu demonstrieren, dass das europäische Projekt noch mehr zu bieten hat als Rezession und grimmige Austerität.
„Das billigste Ankurbelungsprogramm, das man sich vorstellen kann“
Die angestrebte Exklusion nahezu der gesamten Semiperipherie des kapitalistischen Weltsystems aus diesem exklusiven Freihandelsklub gründet vor allem auf dem strategischen Kalkül, mittelfristig die Abhängigkeit der Zentren von der wichtigsten Ware zu reduzieren, mit der Entwicklungs- wie Schwellenländer den „alten Westen“ versorgen: den Energieträgern.
Die russische geopolitische Konzeption des „Energieimperiums“, die auf die Kontrolle der gesamten Wertschöpfungskette von Energieträgern – von dem Öl oder Gasfeld, über das Pipelinenetz, bis zum Gasversorger und Tankstellennetz – setzt, um hierdurch auch machtpolitische Hebel zu gewinnen, würde so ins Leere laufen. Die verstärkten Bemühungen, Russlands Einfluss im osteuropäischen Energiesektor zurückzudrängen (Let’s go East) können als eine strategische Offensive begriffen werden, mittels derer die russische Konkurrenz für diese amerikanischen Energieträger ausgeschaltet werden soll.
Mit dem TTIP könnte Europa seine Abhängigkeit vom russischen Erdgas reduzieren, erklärte Bruce Stokes vom German Marshall Fund of the United States gegenüber der BBC. Mittels der transatlantischen Freihandelszone könnten rechtliche Beschränkungen für Gasexporte ausgehebelt werden, die bislang den Export von amerikanischen Energieträgern von der Zustimmung des US-Energieministeriums abhängig machen.
Das amerikanische Schiefergas oder kanadisches Rohöl, das aus den Ölsandvorkommen in Alberta gewonnen wird, könnte so auch verstärkt in die Eurozone exportiert werden. Hierdurch könnte das amerikanische Handelsdefizit verringert, und die Abhängigkeit vom russischen Gas in Europa reduziert werden, so Stokes:
Es gibt also schwerwiegende geostrategische Gründe für die USA, ihre Verbündeten durch Energieexporte an sich zu binden. Es wird sich zeigen, ob die Exporte hoch genug sein können, um russisches Erdgas gänzlich zu verdrängen, aber es wäre auch ein sehr wichtiges Symbol.
Im März 2014 sicherte Präsident Obama den Europäern bereits Lieferungen von Schiefergas zu. Die Energiefrage müsse einen essenziellen Bestandteil der Verhandlungen über das TTIP bilden, so Obama. Washington will im Zuge der Verhandlungen eine Vereinfachung der Vergabe von Lizenzen über die Lieferung von Flüssiggas in die EU durch US-Konzerne erreichen, die aufgrund der ökologisch desaströsen Fördermethoden in Europa heiß umstritten ist.
Das geopolitische Establishment der Vereinigten Staaten sieht in der forcierten Förderung fossiler Energieträger aus unkonventionellen Lagerstätten gar einen strategischen geopolitischen Umbruch, der die USA zu einer „Energiesupermacht“ verwandeln werde. Neue Fördermethoden, die zuvor als nicht wirtschaftlich galten – horizontale Ölbohrungen und die als Fracking bezeichnete Förderung von Erdgas aus Schiefergesteinsschichten – haben zu einem „dramatischen Anstieg der Energieproduktion“ in den Vereinigten Staaten geführt, jubelte die Zeitschrift Foreign Affairs (FA) im vergangenen März:
Zwischen 2007 und 2012 stieg die Produktion von Schiefergas um mehr als 50 Prozent jährlich, und ihr Anteil an der Gesamtförderung kletterte von fünf Prozent auf 39 Prozent. US-Terminals, die einst für den Import von Flüssiggas in die USA errichtet wurden, werden für den Export amerikanischen Flüssiggases umgerüstet. … Dieser Boom hat auch zur Umkehrung des langfristigen Niedergangs der Ölproduktion in den USA beigetragen, die zwischen 2008 und 2013 um 50 Prozent anstieg. Dank dieser Entwicklungen stehen die Vereinigten Staaten kurz davor, zu einer Energiesupermacht aufzusteigen. Letztes Jahr haben sie Russland als den größten Energieproduzenten überholt, und nächstes Jahr werden sie laut Prognosen der Internationalen Energieagentur Saudi Arabien als den Topproduzenten von Rohöl überflügeln.
Die USA als künftige Energiesupermacht?
Dieser Energieboom werde einen wirtschaftlichen Aufschwung entfachen, der das US-Bruttoinlandsprodukt ab 2020 – dann sollen die USA laut FA zu einem Nettoexporteur von Energie aufsteigen – um zwei bis vier Prozent jährlich zusätzlich ansteigen lassen und rund 1,7 Millionen neue Jobs kreieren werde. Zu den großen Verlierern dieses Booms zählt FA vor allem Schwellenländer wie Iran, Venezuela oder Russland. Die verringerte Abhängigkeit von Energieimporten werde es Washington ebenfalls ermöglichen, seine strategischen Ziele mit einem „größeren Grad an Freiheit“ zu verfolgen – offensichtlich, weil man im Weißen Haus künftig weniger Rücksichten auf die klassischen Energieproduzenten nehmen muss.
Die „geschärften Instrumente“ der US-Geopolitik umfassten nun eine größere Hebelwirkung Washingtons bei Sanktionen, da hierbei eine „diversifizierte Energieversorgung“ unablässig sei, um Preisausschläge auf dem Weltmarkt zu verhindern. Die von Washington initiierten Verhandlungen über die pazifischen und atlantischen Freihandelszonen (Transatlantic Trade and Investment Partnership und Trans-Pacific Partnership) könnten aufgrund der potenziellen US-Energieexporte eher im Sinne der USA gestaltet werden, bemerkte FA.
Im Fall Japans war die Aussicht auf günstige amerikanische Energieträger sogar „ausschlaggebend“ für die Entscheidung Tokios, den Verhandlungen beizutreten. Hierdurch könnte den Vereinigten Staaten gelingen, „ihre Allianzen wieder zu festigen“, indem alliierten Staaten – wie Polen oder der Ukraine – Unterstützung bei der Erschließung ihrer Schiefergasvorkommen angeboten werde. Die neuen technischen Möglichkeiten der Förderung unkonventioneller fossiler Energieträger sollten eng mit der US-Außenpolitik verzahnt werden, so FA. Der Boom der Öl- und Gasförderung könne, in Kombination mit den militärischen, ökonomischen und kulturellen Potenzen, „die globale Führungsrolle der USA in den kommenden Jahren“ festigen.
Dieser von FA erträume, abermalige Aufsteig des Zentrums des kapitalistischen Weltsystems kann sich aber nur auf Kosten der Peripherie vollziehen – also der sogenannten Entwicklungs- und Schwellenländer (An der Schwelle zum neuen Krisenschub). Viele Volkswirtschaften der Semiperipherie sehen sich von einer desaströsen ökonomischen Zangenbewegung erfasst, bei der fallende Energiepreise mit den Folgen des steigenden US-Dollars in Wechselwirkung treten.
Seitdem die US-Notenbank (Fed) die Zinswende ankündigte und damit begann, ihre Aufkaufprogramme für Anleihen und Wertpapiere zu reduzieren, sehen sich die Schwellenländer – die in der Phase der expansiven Geldpolitik der Fed oftmals schuldenfinanzierte Defizitkonjunkturen ausbildeten – mit massiven Kapitalabflüssen konfrontiert. Dies hat Konjunktureinbrüche in den verschuldeten Ländern zufolge, die den Schuldendienst von Staat, Wirtschaft und Verbrauchern erschweren.
Der in der Phase der expansiven US-Geldpolitik (als die Gelddruckerei der Fed anlagesuchendes Kapital rund um den Globus ausschwärmen ließ) akkumulierte Schuldenberg in der Semiperipherie des kapitalistischen Weltsystems ist in der Tat beeindruckend. Das Wall Street Journal zog eine knappe Bilanz:
Unternehmen aus Schwellenländern haben in diesem Jahr bisher Dollar-Anleihen im Wert von 193 Milliarden Dollar begeben. Über die vergangenen fünf Jahre hinweg waren es fast 800 Milliarden Dollar. Die Staaten selbst haben in diesem Jahr Anleihen für 73 Milliarden Dollar emittiert, seit 2005 waren es 500 Milliarden Dollar.
Desaströse Auswirkungen auf Schwellenländer
Da das Kapital nun wieder in die USA fließt, die vor einer Zinswende und einem Energieboom zu stehen scheinen, steigt der Wert des US-Dollars gegenüber den meisten Währungen an. Diese Schulden gewinnen somit permanent an Wert. Viele kriselnde Schwellenländer, denen die Einnahmen aus Rohstoff- und Energieexporten wegbrechen, müssen bei einem steigenden Dollar für ihren Schuldendienst immer größere Beträge ihrer heimischen Währung aufwenden, da sie auf den Weltfinanzmärkten zuvor in der Weltleitwährung verschuldeten.
Die Schuldenfalle schnappt zu: Wegbrechende Einnahmen, lahmende Konjunktur und steigende Schuldenlast treten in Wechselwirkung. Spiegel-Online bemerkte hierzu:
Schwellenländer mit großen außenwirtschaftlichen Defiziten, die bislang vom Import billigen Kapitals profitierten, könnten von der neuen Dollar-Stärke kalt erwischt werden, darunter die Türkei, Südafrika, Peru oder Kolumbien.
Damit drohe den Schwellenländern eine Krisenphase ähnlich derjenigen in den 80er Jahren des 20. Jahrhunderts, als die Hochzinspolitik unter Fed-Chef Paul Volcker die ausufernde US-Inflation eindämmte und zugleich durch die einsetzenden globalen Kapitalzuflüsse in die USA den Dollar in die Höhe katapultierte – sowie die Initialzündung für das explosionsartige Wachstum der Finanzmärkte legte, das charakteristisch ist für den neoliberalen Spätkapitalismus. Zeitgleich durchlebten viele Schwellenländer in den 80ern schwerste wirtschaftliche Verwerfungen, Schuldenkrisen und Staatspleiten.
Droht nun eine ähnliche Konstellation wie in den 1980ern, in der das Zentrum des kapitalistischen Weltsystems die Krisenfolgen (Damals war es die überwundene Phase der Stagflation auf die Peripherie und Semiperipherie abwälzt und sich so sich auf deren Kosten abermals stabilisiert? Kann die US-Strategie aufgehen, die auf die Förderung unkonventioneller fossiler Energieträger setzt und eine weitgehende Exklusion Schwellenländer vermittels Freihandelszonen anstrebt?
Die mit aller Macht forcierte und ökologisch desaströse Verlängerung des fossilen Zeitalters scheint größtenteils auf Wunschdenken zu beruhen. Die New York Times (NYT) veröffentlichte schon Mitte 2011 einen mit großen Aufwand recherchierten Artikel, dessen Autoren ein halbes Jahr Zeit hatten, um den internen Informationsfluss der Branche mit deren öffentlichen Verlautbarungen zu vergleichen.
Hierbei lagen dem Ostküstenblatt Tausende von internen E-Mails und Berichten wie Analysen etlicher in der Branche tätiger Konzerne vor. Im Verlauf ihrer Analyse konstatierte die NYT eine in der Branche dominierende Tendenz, die ökonomischen Potenziale der Fördertechniken wie auch der verfügbaren Lagerstätten maßlos zu übertreiben. Es sei keineswegs sicher, wie viele der gefundenen Schiefergasvorkommen überhaupt rentabel abgebaut werden können.
Teilweise überstiegen die horrenden Erschließungskosten die Gewinne aus der Förderung, so die NYT, die auf Unternehmensdaten von 10 000 Bohrlöchern in den USA zurückgreifen konnte: „Die Daten zeigen, dass es einige sehr aktive Bohrlöcher gibt, die aber oft von weniger produktiven Bohrlöchern umgeben sind“, deren Betriebskosten in einigen Fällen die Einnahmen aus dem Gasverkauf übersteigen.
Zudem geht die Ausbeute bei vielen der erfolgreichen Bohrlöcher sehr viel schneller zurück als anfangs prognostiziert.
Dieses rasche Absinken der Fördermenge erschwere es, langfristig mittels Schiefergasabbau Profite zu erwirtschaften, bemerkte die NYT. „Geld fließt in die Branche“, obwohl „Schiefergas inhärent unprofitabel“ sei, zitierte das Ostküstenblatt aus einer internen E-Mail eines Analysten. Dies erinnere an die „Dot-Com-Blase“ zu Beginn des Jahrhunderts, als Milliardenbeträge in windige Internet-Unternehmen ohne solide Ertragsbasis investiert wurden, die beim Platzen dieser Spekulationsblase im Jahr 2000 reihenweise Pleite gingen.
Katerstimmung im Energierausch
Inzwischen sind Hunderte von Milliarden US-Dollar in diesen Energiesektor geflossen, der nun an seinem eigenen „Erfolg“ zugrunde zu gehen droht. Die sinkenden Preise für Energieträger machen die äußerst kostenaufwendige Förderung unkonventioneller fossiler Energieträger in den USA schlicht unrentabel, bemerkte die Frankfurter Allgemeine Zeitung, die jüngst von einer „Katerstimmung im Energierausch“ in den USA berichtete.
Bohrungen in Schiefergestein seien zehn bis zwanzigmal so teuer wie klassische Vertikalbohrungen, sodass die Förderung aus diesen neu erschlossenen Quellen sich erst ab einem Ölpreis von mehr als 80 Dollar pro Barrel lohne. Zudem muss das Schiefergestein immer wieder kostspielig „nachgefrackt“ werden. Dieser Ölpreis von 80 US-Dollar wurde ab 2008 überschritten, was den Fracking-Boom in den USA initiierte. Doch löste dieser Förderboom einen Preisverfall aus, der die Profitabilität der ganzen Branche infrage stelle:
Dieses Überangebot führte vor wenigen Wochen zum Preisverfall. Inzwischen wird WTI-Öl für weit unter 70 Dollar pro Barrel gehandelt. Hält dieser Abwärtstrend länger an, lohnt sich die Erschließung neuer Schiefergaslagerstätten nicht mehr. Schon jetzt haben die ersten Wildcatter das Fracking in ihren kleineren Claims eingestellt.
Die energetische Grundlage der geopolitischen Strategie der USA steht somit auf tönernen Füßen. Sobald die Fracking-Förderung überhandnimmt – etwa durch die intendierte Erschließung der Vorkommen in Europa – und die Nachfrage nach Energieträgern krisenbedingt weiter abnimmt, würde der ganze neue Sektor schlicht unrentabel. Letztendlich krankt diese Konzeption eines amerikanischen „Energieimperiums“ an der falschen impliziten Vorstellung, die gegenwärtige Systemkrise der kapitalistischen Arbeitsgesellschaft (Die Krise kurz erklärt) könnte durch die Überflutung der Weltmärkte mit fossilen Energieträgern überwunden werden.
aus: Telepolis 1.1.2015