Unterscheide und herrsche
von Martin Scheuringer
Der gebildete Träger einer Verwaltungsfunktion im demokratischen Staat träumt von sich gern als Erfüller eines großen Auftrags für die Menschen. Gern stellt er sich als Steigerer der Wohlfahrt vor und motiviert sich so zur Arbeit im fortschrittlichen Staatsgefüge. Dabei gerät ihm der Souverän zur zu gestaltenden Masse, die oft renitent und stur gegen seine Ideen lebt. Expertentum und Demokratie gehen schwer zusammen – auf den ersten Blick wär es fein, per Dekret dem Souverän Befehle zu erteilen, um ihm zu helfen.
Denkt er etwas nach, erkennt er die Unvereinbarkeit seiner Haltung mit dem Prinzip der Souveränität. Der sich zur Entwicklungshilfe für verkommene Bürger bekennende Verwalter rechtfertigt sein Denken und Handeln damit, dass die Politik die Demokratie verkommen lasse und er durch Maßnahmen dem Souverän zu einer gebildeten Position im politischen Wirrwarr verhelfen könne. Er ereifert sich dann wie viele seiner Kollegen wie ein Don Quijote im Scheingefecht Verwaltung gegen Politik und schimpft auf die dummen Politiker, die um nichts besser oder gar schlimmer seien als der Wähler. Diesen Kampf kann er nur verlieren, ja, seiner demokratischen Gesinnung folgend muss er sich unterwerfen. Er hat sich den demokratisch legitimierten Organen zu fügen, oft gegen die Ergebnisse seiner Expertise. Souverän und gewählter Herrscher sind aus dieser Perspektive unterschiedslos borniert, wobei gern die Schuld den bevormundenden Herrschenden zugeschrieben wird. Im Traum bevormundet lieber er, der besonnene Staatsdiener, als der populistische Demokrat. Dabei halluziniert er paradiesische Wirkungen seiner Interventionen. Diese Träume halten viele Verwalter am Leben. Manche verlagern sich aufs zynische Konstatieren, oder aufs einfache Schimpfen. All das sind psychische Schonungsmechanismen, um die Unterwerfung zu verkraften.
Träumen, Schimpfen und zynisches Reden nähren sich aus einer spitzfindigen Unterscheidung, die für die warenproduzierende Herrschaftsweise konstitutiv ist: Die Wahrnehmung der Dinge und Handlungen passiert in Form der Ware und verleiht der gemeinschaftlichen Organisation einen Doppelcharakter, sodass sie in reales soziales Handeln (mit Bezug auf Nutzen und Schaden) und ideale Demokratie (mit Bezug auf die soziale reine Verfahrensform) gespalten wird. Die tatsächlichen Handlungen sozialer Organisation sind bloß Träger der Demokratie als leerer Verlaufsform. Demokratie als Form braucht die wirklichen Akte sozialer Organisation nur, um sich in ihnen darzustellen. Das Abstrakte hat Primat über das Konkrete. Mögen die Demokraten noch so menschenverachtend agieren, die Demokratie wird als Prinzip geheiligt. Ganz ähnlich in der Ökonomie: Der Tauschwert braucht den Gebrauchswert, damit das ökonomische Bewusstsein ersteren in zweiteren projizieren kann. Sind das Produkt, seine Produktion und Verteilung auch noch so schlecht, der Tauschwert wird als Errungenschaft für das Wohl der Menschheit gefeiert.
Diese beherrschende Trennung ermöglicht die ideologische Reinigung der Form von aller empirischen Verunreinigung und ermöglicht so die Erhebung der Form zu ewiger Wahrheit, Güte und Schönheit. Gott könnte neidisch werden. Jegliche Kritik der sozialen Wirklichkeit wird auf ein Prinzip außerhalb der reinen Form rückgeführt, das es zu bekämpfen gilt. Die Demokratie entzieht sich als Idee jeglicher Prüfung an der sozialen Wirklichkeit.
Diese Trennung von Inhalt und Form befähigt den Verwalter durchzuhalten, da sie eine Bewertung ein und desselben Objekts als gut und schlecht ermöglicht: schlechte Politik in eigentlich guter Demokratie. So nährt sie Hoffnung. Und der homo oeconomicus ist auf Ertragen und Hoffen konditioniert, betet er doch zu den abstrakten Fetisch en Wert und Demokratie, und wendet sich ab vom sündigen Fleisch der Güter und der Selbstorganisation.
Die herrschende Differenz lenkt sein Denken in normierte Bahn und ist Gift für die synthetische Erkenntnis der sozialen Wirklichkeit: Die katastrophale Beschaffenheit unserer Seelen, Gefühle, Körper und der Umwelt ist verwoben mit den Regeln der sozialen Form.