Keine Option
von Petra Ziegler
Immer noch hat unsereins viel zu verlieren. Zudem den Luxus vielgestalter Zerstreuungen. Freuden für zwischendurch. Immerhin. Auch wenn die Stimmungen schwanken. Himmelhoch wirkt sowieso trügerisch, gedämpfte Melancholie vertrauter. Schaumgebremste Lebendigkeit. Genug um zu überleben. Und genügsam sind wir geworden. Noch können wir uns einrichten, irgendwie durchgfretten, uns widerwillig arrangieren. Um funktionstüchtig zu bleiben blenden wir aus, was die Grenzen des Zumutbaren überschritten hat. Beschäftigt sind wir ohnehin, damit es sich am Monatsende ausgeht, die einen, um den erreichten Standard zu halten, die anderen. Bedrängt vom endlos Unerledigten, ergeben wir uns in unsere geschäftige Untätigkeit. Darüber vergehen die Tage. Jahrelang.
Nicht wenige versenken sich in ihre Arbeit, durchaus nicht die Dümmsten. Das macht Sinn für sie, sagen sie, und eins hat wenig Grund, sie dafür zu belächeln. Neid will da freilich auch nicht aufkommen, eher schon bleibt eins ratlos (zurück). Individueller Rückzug als Variante – die Beteiligung gering halten – stößt rasch an Grenzen, äußere wie eigene. Und mitunter hat derlei mehr Kasteiendes denn Befreiendes. Einzelne, auch solche in Gruppen, werden von ihren je eigenen Ansprüchen recht umfassend beansprucht.
Anderswo ist die Not längst existenziell. Anderswo kommt näher. Was sich von Europas Peripherie heranfrisst, Griechenland, Portugal, Spanien und Teile Italiens erreicht hat, hätten wir Wohlstandsgewöhnten vor nicht allzulanger Zeit noch in ein vergangenes Jahrhundert datiert oder, streng entwicklungsgläubig, in irgendeiner „dritten“ Welt verortet.
Rundum wird hingenommen. Die massenmediale Dauererregung um diverse Affären nervt und rangiert beinahe unterschiedslos neben dem jüngsten IPCC-Bericht zum Klimawandel (der wie seine Vorgänger nach drei Tagen kaum mehr jemanden zu kratzen scheint, jedes Länderspieldebakel sorgt für längere Debatten). Die Bildschirme führen uns unbeschreibliche Szenen aus den Textilfabriken, Tantalminen, Kakaoplantagen, Slums, Dürregebieten, Schlachthöfen und anderen Ausgeburten dieser Welt direkt vor Augen. Dazwischen Millionen auf der Flucht, Zehntausende, die ersaufen, eine unüberschaubare Anzahl in aussichtslosem Elend und immer wieder Krieg.
Das Unerhörte / ist alltäglich geworden.
Und schlägt doch auf den Magen. Unwohlsein wird hierzulande – und damit befindet sich Österreich allenfalls im guten Mittelfeld – Richtung rechts kanalisiert. Mittelständische Abstiegsängste münden verstärkt in Ressentiments, gegen sozial Deklassierte insgesamt und solche mit augenfälligem Hintergrund im Besonderen. Die lebenden Verfallserscheinungen der krisenkapitalistischen Gegenwart stören die Fassade, machen unschöne Flecken, verderben am Ende noch die Konsumlaune. Die Obrigkeit reagiert denn auch entsprechend: Mit exorbitanten Geldstrafen fürs Betteln etwa, für unangemeldete Straßenkunst oder mit der Kriminalisierung von Wohnungslosen. Sanktionen für unerlaubtes Kampieren im öffentlichen Raum häufen sich, nicht nur in Ungarn droht Obdachlosen neuerdings verpflichtender Arbeitsdienst oder Gefängnis. Arm ist gleich delinquent, zumindest schwer verdächtig, lautet immer unverhohlener die Botschaft. Weg damit! als Konsequenz behördlich exekutierter Verdrängung.
Ohne unsere Scheuklappen wäre das Eingespanntsein in die kapitalistische Selbstzweckmaschinerie nicht zu ertragen. Eins braucht die kleinen, feinen Momente. Vielleicht – wenn wir uns weiter bescheiden? Reduziert auf wunschloses Überleben festzuklammern versuchen an dem, was wir haben? Wie lange wären der immer irrwitzigere Verwertungsdruck und die verschärfte Repression durchzustehen? Was wären wir noch bereit zu opfern? Und wen?