Der alpine Größenwahn
von Franz Schandl
Skisport ist in Österreich nicht nur eine, sondern die nationale Angelegenheit. Das hat vor allem mit dem Werden dieses Staates nach 1945 zu tun. Die Selbstbestätigung nationaler Existenz erfolgte jedenfalls nicht auf Schlachtfeldern oder durch internationale Verträge, sondern auf Schipisten. Toni Sailer, Karl Schranz, Franz Klammer, Hermann Maier – das sind wir! Und diese Kette darf nicht reißen, sie braucht Nachwuchs, nur er erhält den Mythos am Leben. Dieser vermag nur zu bestehen, wenn er sich immerwährend wiederholt. Stellen sich die programmierten Triumphe nicht ein, beginnt die Identität zu kränkeln.
„Im Sportler kann man sich selbst lieben, falls er gewinnt“, heißt es in Elfriede Jelineks Sportstück. Daher verfällt man auch schnell in Depression, bleiben die Erfolge aus. Als wir bei den ersten beiden Bewerben leer ausgingen, ja sogar in den Abfahrtsläufen am Wochenende nichts herausschaute, wurde die Fahne bereits auf Halbmast gesetzt. Dass Österreich bei der Herrenabfahrt nun schon im fünften Großereignis hintereinander die Medaille verpasste, konnte man nur noch als Fiasko wahrnehmen.
Erwartet wird also eine serielle Heldenproduktion. Die ist allerdings in letzter Zeit etwas ins Stocken geraten, auch wenn Ausnahmekönner wie das österreichische Slalom-As Marcel Hirscher davon ablenken. Nicht nur aufgrund der ständigen Verletzungsgefahr ist es nicht angenehm, in der Haut der Athleten zu stecken. Vor allem sind sie „verdammt zum Siegen“, man verlangt „bedingungslose Bereitschaft“. Gelegentlich wehren sie sich, meinen sogar, sie seien keine Maschinen, wohl wissend, dass sie diese partout zu sein haben.
Nationale Schneekriege
Unter dem allmächtigen Präsidenten des Österreichischen Skiverbands (ÖSV), Peter Schröcksnadel, ziehen die Truppen jeden Winter in den Schneekrieg, den sie einfach gewinnen müssen. So erklärt sich auch die überbordende Aufregung, die anderswo niemand nachvollziehen kann. Ökonomisch aufgerüstet bis zum letzten Zacken, will man sich keine Blöße geben. Der Skizirkus ist fest in österreichischer Hand, keine anderes Land durfte in den letzten Jahrzehnten so viele Siege heimfahren, so viele Medaillen sammeln und so viele Weltmeisterschaften ausrichten wie die Alpenrepublik. Schladming etwa war erst 1982 an der Reihe, zwischendurch machte man 1991 in Saalbach und 2003 in St. Anton Station.
Der alpine Größenwahn ist das stabilste Fundament des Glaubens an Österreich. Das Land ist zweifellos schwer abhängig. Was haben wir denn sonst noch? Der alpine Größenwahn mag ein psychischer Defekt sein, aber da so viele ihn haben, fallen eher jene auf, die von ihm nicht befallen sind. Dieser Patriotismus, obwohl ein industrielles Produkt, mimt die Unschuld vom Lande. Während es inzwischen verpönt ist, sich aggressiv zum Nationalismus zu bekennen, findet dieser im rot-weiß-roten Almauftrieb seine ideale und zeitgemäße Hardcore-Transformation. Flaggen und Uniformen, Kriegsbemalung und Werbespots, alles passt zusammen. Spitzensportler werden als Pinups hergerichtet und ausgestellt. Frauen wie Männer. Da wird das Land ganz selig und sexy, da penetrieren wir die ganze Welt…
SKI GEIL!, titelte die Boulevardzeitung Österreich auf ihrem Cover. Ein Spruch, der an Referenzen nicht arm ist. Wo der Nationalismus blüht und die Helden gezüchtet werden, tritt auch der Maskulinismus aus diversen Gliedern. Resistent gegen alle Sexismsudebatten, überraschte etwa eine Eventfirma in der Gösser Fan-Arena von Schladming mit Parolen wie „Zeig der Zilli deinen Willi“, angesagt sei „Schnecken Tschecken“ und „Hennen Scannen“. Da sage noch jemand, das sei nicht pointiert. Ohne Frage, derlei Reklamebrains passen ausgezeichnet in ein Kondom. Die chauvinistisch geprägte wie sexistisch aufgeheizte Stimmung wird in solchen Sprüchen aber nicht falsch wiedergegeben. Keineswegs. Auch wenn die PR-Leute nun betonen, sie führen viele Veranstaltungen mit ähnlichen Slogans durch, ohne dass sich jemand aufregt, ist das sicher wahr. Unter der dünnen Kruste der Korrektheit ticken die meisten Leute, insbesondere die männlich gepolten so.
Standort Musikantenstadl
Die Politik steht in solchen Tagen ganz im Schatten des Sports. Politiker dürfen bei den Events zwar mitnaschen, zu sagen haben sie aber nichts. Zu sorgen haben sie jedoch für die finanzielle und infrastrukturelle Ausstattung. Auch in Schladming stammt der Großteil des Budgets aus öffentlichen Töpfen. Darüber hinaus hat die Politik diverse Steuererleichterungen für Wintersportler zu erlassen. Das tut sie auch, alles andere wäre sowieso unmöglich. Kein Privileg, das man den Skiathleten nicht gönnt. Der ältere Herr mit dem Sitour-Häuberl, der Herr Reichsschneeverweser, hat des Winters immer alles fest im Griff. Die Sportler, die Funktionäre, die Veranstalter, das Money und die Politik. Dem Wiener Bürgermeister ließ ÖSV-Präsident Peter Schröcksnadel erst kürzlich ausrichten, dass nicht Olympische Sommerspiele, sondern Winterspiele gefordert seien. Mal schauen, wie der Zuruf wirkt.
Nicht auszuschließen ist, dass Schladming, dem kleinen Ort im Ennstal, nach dem Mega-Event die Mega-Pleite droht. Was stellt etwa die 4500-Seelengemeinde mit einer Tiefgarage für 4000 Autos an? Oder mit einem überdimensionierten Kongresszentrum? Ganz zufällig weigern sich die umliegenden Gemeinden im Zuge der steirischen Gemeindezusammenlegung mit Schladming zu fusionieren. Man fürchtet wohl monetäres Ungemach.
Der Fremdenverkehr, der in seiner Dimensionierung nur noch als industrielle Überforderung ganzer Alpentäler wahrgenommen werden kann, ist allerdings die entscheidende wirtschaftliche Grundlage dieser Regionen. Ohne ihn wären sie ein Armenhaus, und da sind sie lieber ein Tollhaus. Sie werfen sich dem Tourismus regelrecht an den Hals, koste es, was es wolle. Nutten und Zuhälter gibt es nicht nur im ältesten Gewerbe der Welt, das sowieso nur der Prototyp aller anderen Sparten ist. Ökonomisch stellen Sportler und Funktionäre eine Sondereinheit des Standorts dar. Sie sind PR-Recken, die zu spuren haben. Wer ausschert, bekommt die Disziplinierung umgehend zu spüren. Denn es geht um was.
Bei den aufwendigen Inszenierungen geht es erstens um die Wirtschaft, zweitens um die Nation, drittens um die Promis, viertens um das Spektakel, und fünftens um die Athleten. Der Sport, der durchaus seine ästhetischen Reize hat, ist Mittel zum Zweck. Im Leistungssport zählt nicht primär der sportliche Wettbewerb, sondern die kommerzielle Konkurrenz. Man muss die Auftritte der Sportler, der Funktionäre und der Promis nur genauer betrachten, wenn sie als wandelnde Litfasssäulen Position beziehen.
Wenn der Terminator und der Herminator, also Arnold Schwarzenegger und Hermann Maier, auftreten, dann erscheinen die beiden wie fleischgewordene Grobiane aus einem schlechten Comic. Deren Fans sind Claquere, denen man so ziemlich alles vorsetzen und antun kann. Aber die Ösis brauchen solche Heroes, sie sind das Spiegelbild ihrer Gemüter. Fan-Arena und VIP-Zelt verhalten sich wie Mob und Snob. Ihr Band ist die Flagge und ihr Medium das Geld: werden die einen abkassiert, kassieren die anderen ab. Sind die einen die Blöden, verdienen sich die anderen blöd. Blöd ist beides.
Bei der Eröffnungszeremonie glich das Land einmal mehr einem riesigen Musikantenstadl. Dem Wolfgang Ambros, heute nur noch ein Retrowrack des heruntergekommenen Austropops, wäre, glaubhaften Gerüchten zufolge, bei seinem Auftritt übrigens ein ziemlicher Fauxpas passiert. Beinahe hätte er seinen „Schifoan“-Hymnus mit der zweiten Nummer aus seinem besten Album „Es lebe der Zentralfriedhof“ (1975) verwechselt:
Wem heit ned schlecht is
Des konn ka Guada sein
Wer no ned gspiebn hot
Trinkt no a Glaserl Wein.
„Der scheißt si heit nix“, hätte da wohl dann der berühmteste aller Cokommentatoren, Armin Assinger, ausgerufen. Wahrlich, besser treffen hätte es der Wolferl gar nicht können.