Währung unter Beschuss
Herabstufung in Phase scheinbarer Erholung: Torpediert US-Ratingagentur Standard & Poor’s Formierung eines deutsch dominierten Europa?
von Tomasz Konicz
Die Ratingagentur Standard & Poor’s (S&P) hat es wieder getan: Am Freitag verloren Frankreich und Österreich die Spitzenbewertung für ihre Bonität. Sieben weiteren Euro-Länder mussten erneut schlechtere Noten für ihrer Kreditwürdigkeit hinnehmen. Mit dabei Portugal, Spanien und Italien sowie Malta, Zypern und die Neumitglieder Slowenien und Slowakei. Im gemeinsamen Währungsraum haben nur noch Deutschland, Finnland, die Niederlande und Luxemburg die S&P-Bestnote »AAA« (»Triple A«).
Nicht nur von der EU-Kommission kam scharfe Kritik. Währungskommissar Olli Rehn sprach von einer »abwegigen Entscheidung«, deren Timing »nicht zufällig« gewählt worden sei, da Europa gerade »an allen Fronten entschieden handelt, um auf die Krise zu antworten«. Österreichs Notenbankchef Ewald Nowotny sprach von einer »politischen Aktion«, die dazu beitragen könnte, die zuletzt in der EU verzeichnete »positive Entwicklung« zu »stören«. Auch BRD-Wirtschaftsminister Philipp Rösler (FDP) vermutete eine gezielte »Attacke«, die »sehr eigene Zwecke« verfolge. Tatsächlich sehen die USA ein deutsch dominiertes Europa als wachsende Bedrohung ihrer ohnehin schwindenden Hegemonie. US-Thinktanks und -Medien warnen inzwischen in alarmistischen Tönen vor dem Dominanzstreben Berlins in der EU. (siehe jW vom 13. Januar).
Gelassen reagierte Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU). Sie habe diese »Entscheidung zur Kenntnis genommen«. Diese sei nicht überraschend gekommen, so Merkel unter Verweis auf entsprechende Ankündigungen von S&P Anfang Dezember. Nun gelte es, den »Fiskalpakt schnell umzusetzen«, der beim EU-Treffen Mitte Dezember beschlossen worden war. Dabei gibt S&P die Enttäuschung über genau diese Gipfelergebnisse als Begründung für die Zurückstufung der Kreditwürdigkeit an.
Die von Berlin favorisierte Diagnose der Krisenursachen »mangelnde budgetäre Disziplin in den Peripheriestaaten der Euro-Zone« nannte S&P »einseitig«, da die »steigenden außenwirtschaftlichen Ungleichgewichte« im gesamten Währungsgebiet unberücksichtigt geblieben seien. S&P hält die BRD-Handelsüberschüsse für eine Ursache der Krise. Zugleich warnt die Ratingagentur vor einer einseitigen Sparstrategie, die zu »fallender Binnennachfrage« und »erodierenden Steuereinnahmen« führe.
Die Empfehlungen der Ratingagentur – die zuvor Staaten wegen mangelnden »Sparwillens« herabgestuft hatte – stimmen mit der von Washington und London favorisierten Krisenpolitik überein. Die US-Regierung forderte bei mehreren Gelegenheiten weitere Konjunkturmaßnahmen, um drohende Wirtschaftseinbrüche zu verhindern. Zudem verlangte sie, die von Berlin bis jetzt verhinderte Einführung von Euro-Bonds und massive Aufkäufe von Staatsanleihen durch die Europäische Zentralbank (EZB). S&P spricht ebenfalls von der Notwendigkeit einer »größeren Zusammenlegung fiskaler Ressourcen« zur Krisenbekämpfung. Anglo-amerikanische Leitmedien kommentierten die Bonitätsabwertung entsprechend. Diese sollte die Europäer daran erinnern, »dass ihre ökonomische Strategie, die auf Austerität (strenge Ausgabendisziplin) für alle basiert, einfach nicht funktioniert«, erklärte die New York Times in einem Leitartikel. Die BBC formulierte prägnant: »S&P stuft europäische Austerität herab.«
Noch vor wenigen Tagen schien eine Stabilisierung der Euro-Zone möglich. Die jüngsten Auktionen von Staatsanleihen in Spanien und Italien gelangen zu deutlich gesunkenen Zinsen für diese Kredite. Bekanntlich hatte die BRD-Regierung inflationstreibende Geldvermehrung über Staatsanleiheaufkäufen durch die EZB bis zur Durchsetzung seiner Forderungen auf dem letzten Euro-Gipfel blockiert. Danach wurde dann doch die Notenpresse angeworfen – über Umwege zwar, aber klar erkennbar. Methode: Die EZB gewährte den Banken unbegrenzten Kredit zu einem Zinssatz von einem Prozent. Die Geldhäuser kauften dafür Staatsanleihen der Schuldenländer auf – und entsorgten diese sogleich als »Sicherheit« erneut bei der EZB, kassierten die Zinsdifferenz als Profit, und die Kreditkosten für den Süden der Euro-Zone fielen. Zugleich wuchs die Geldmenge rasch an.
S&P bringt nun diese Stabilisierungsstrategie aus dem Rhythmus: Europa gehen die »Retter« aus, da der für Mitte 2012 geplante Hilfsfonds ESM seine Triple-A-Note kaum wird halten können. Das ganze könnte auch einen Keil zwischen Berlin und Paris treiben. Frankreichs Staatschef Nicolas Sarkozy befindet sich im Wahlkampf ohnehin wegen vermeintlicher Nachgiebigkeit gegenüber Berlin unter Druck. Der Verlust des Topratings verschärft diesen enorm. Das Handelsblatt deutete an, dass es nun »kompliziert« werde zwischen »Deutschland und Frankreich«. Und François Hollande, so heißt der Präsidentschaftskandidat der französischen Sozialisten, will im Fall seines Wahlsieges den Vertrag über die Fiskalunion nicht ratifizieren.
Angesichts der wachsenden Unwägbarkeiten erwog am Sonntag mit Wolfgang Reitzle erstmals ein führender Kapitalvertreter den Ausstieg der BRD aus der Euro-Zone. Wenn es misslinge, die Krisenstaaten zu »disziplinieren«, dürfte ein Ausstieg »nicht zum Tabu erklärt werden«, so der frühere BMW-Manager und jetzige Vorstandschef des DAX-Konzerns Linde gegenüber dem Spiegel. Derartige Forderungen waren bislang nur von Vertretern des »Mittelstandes« und der Fraktion der deutschen Politkaste aus dem publizistischen Umfeld der FAZ und des Springer-Verlags erhoben worden.
Erschienen in “Junge Welt”, 17.01.2012