Me and the Money
Homestory von Franz Schandl
Zwei hingeworfene Zahlen: 2.675,76 die eine, 2.176,04 die andere. Erstere summiert meine an VISA gezahlten Zinsen, zweitere meine an den Kritischen Kreis überwiesenen Mitgliedsbeiträge. Man glaubt es kaum, aber es ist tatsächlich so. Ich habe in den letzten 15 Jahren (1997–2011) „mein“ Kreditkartenunternehmen mehr gesponsert als meine Streifzüge. Ich muss schon ein Verrückter sein. Zweifellos. Auch wenn es nicht Absicht gewesen ist, ist es passiert und passiert noch, obwohl Aussicht besteht, dass heuer erstmals meine Mitgliedsbeiträge die VISA-Zinsen übertrumpfen. Ein Fortschritt. Mühsam erkämpft.
Der Kritiker ist also praktizierender Affirmatiker. Mehr als er das System mit seiner Schreibe schädigen kann, arbeitet er ihm durch Alimentierung zu. Wahrscheinlich ist er da kein Einzel-, sondern der Regelfall. Im gewöhnlichen Leben, diesem existenziellen Einerlei, bin ich ja ein braver Mitmacher: ich arbeite für Geld – wenn auch widerwillig, treibe es ein – wenn auch inkonsequent, mache meine Steuererklärung – wenn auch unlustig, überwache das Konto – wenn auch enttäuscht, überfliege die Angebote – wenn auch oberflächlich; vor allem lasse ich mich von diversen Waren recht einfach verführen – wenn auch dann die Ernüchterung folgt. Man kann mir mehr an, als ich dagegenhalten kann.
Ich und das Geld, das war nie eine Liebesgeschichte. Es flog mir nicht zu und ich rannte ihm nicht nach, wenngleich ich dann doch immer wieder laufen musste und auch gehörig ins Schwitzen geriet, um flüssig zu bleiben. Ich und das Geld, das war immer eine blöde Geschichte. So richtig zu Geld gekommen bin ich nie. Etwas muss ich immer falsch gemacht haben. Vielleicht weiß ich sogar, was, was aber wiederum nicht heißt, dass ich es mit der gehörigen Anstrengung hingekriegt hätte. Nein, zweifellos nicht. Anders als in anderen Dingen vermochte ich in Gelddingen nie rücksichtslos zu sein. Wenn schon Arschloch, dann muss man doch einen driftigen Grund dafür haben, meine ich. Geschäftstüchtigkeit ist keine Tugend.
Herr über meine finanziellen Verhältnisse war ich nie. Außer in den zweieinhalb Jahren (1992–94), als das Ministerium ein Forschungsprojekt bezahlte und ich sozusagen mein eigener Angestellter gewesen bin, war ich meist in Geldnöten. Ich könnte noch mit bizarreren Summen auffahren, etwa mit 3.376,92. So viel zahlte ich alleine zwischen 1997–1999 an Bankzinsen. Euro wohlgemerkt! Vorausgegangen war dem ein mündlich zugesagtes Forschungsprojekt, das sich dann aber nicht bewahrheitete. Ich allerdings hatte bereits so getan, als wäre es fix. Ich war dieser Tage ständig um die 10.000 Euro im Minus. In diese schwindelnden Höhen habe ich mich katapultiert, weil ich „meiner“ Bank von meinem erhofften Projekt erzählte und sie den Überziehungsrahmen bereitwillig ausweitete. Ich glaubte es, sie glaubten es, aber zu schlechter Letzt musste ich allein daran glauben. Nix war fix, aber ich war fertig. Zumindest finanziell.
Leben war in diesen Jahren (Theresa und ich waren erst zusammengezogen und schenkten uns auch noch zwei Kinder) überhaupt nur möglich durch trottelhafte Verwendung der Kreditkarte, d.h. Geld damit direkt beheben, nur 10 Prozent des offenen Betrages pro Monat zurückzahlen. Darüber bin ich noch nicht ganz hinweg. Natürlich hätte ich auch jemanden um Hilfe ersuchen können (was möglich gewesen wäre), aber da regierte dieser falsche Stolz, der lieber anonym Zinsen zahlt, als offen um Unterstützung bittet. Die musste es schließlich aber doch geben, denn sonst würde ich noch immer in diesem hohen Schuldenturm sitzen. So sitze ich immerhin in einem niedrigeren.
Man traut es sich kaum zu schreiben, es ist entblößend, daher soll es auch im Kämmerlein bleiben, niemanden etwas angehen, wie es einem damit geht. Über Geld zu reden ist obszön. Wie ein Geständnis wider Willen. Über Geld spricht man nicht, schon gar nicht über das eigene, von dem man sowieso zu wenig hat wie alle anderen auch. Denn selbst die, die mehr als genug haben, können ja nicht genug kriegen. Es ist unser Auftrag, mehr zu wollen, und ich versuche dem auf meiner bescheidenen Etage nachzukommen.
Ökonomisch bin ich zweifellos ein Versager und werde das aller Voraussicht nach auch bleiben. Ich habe finanziell nichts auf der Kante und werde da auch nichts draufkriegen. Außerdem ist mir die Sparmentalität zuwider. Banken, Versicherungen, gar Fonds oder Aktienmärkte mit Geld zu füttern erscheint mir noch irrer als irgendwelche Gebrauchswerte zu erstehen. Auch wenn ich die Lebenslust nie mit Geldgier substituierte, so erliege ich des Öfteren der Konsumsucht. So lebe ich stets über meine finanziellen Verhältnisse, aber unter meinen persönlichen Möglichkeiten.
Es ist oft knapp, aber es ist noch nie zu knapp geworden. Wir pfeifen meist aus dem vorletzten Loch, gelegentlich aus dem letzten, manchmal spielen wir aber auch in höheren Lagen. (Über die Geldbeziehungen meiner Frau schreibe ich aber nichts, weil da wird es ultra.) So gfretten wir uns durchs Leben und es geht uns im Vergleich damit nicht schlecht. Aber womit wird da verglichen? Die Frage, wie es einem geht, könnte ich mit „gut“ als auch mit „schlecht“ beantworten. Das hängt allein vom Kriterium ab.
Bankrottieren kann ich wiederum auch nicht. Sobald ich ganz abstürze, nehmen sie mir meinen Acker, für den ich Keuschlererbe satte 170 Euro Jahrespacht einhebe, auch noch weg. Verloren wäre dann auch die Zugabe von ein paar hundert Kilo Erdäpfel. Kartoffelnot hat es daher bei uns noch nie gegeben, im Gegenteil: Kartoffeln gibt es ziemlich oft. Was ist schon Geld gegen Kartoffeln?
Geld stiehlt Leben, relativ und absolut. Nicht nur die Zeit, die man durch diverse Geldangelegenheiten verliert, sondern auch die Zeit, die man durch den damit geschaffenen psychischen Stress und der physischen Anstrengung insgesamt an Lebensdauer verlieren muss, weil dies alles am Organismus nicht spurlos vorbeigehen kann. Wir tragen den Schaden. Wenn ich daran denke, wird mir gleich übel, so verdränge ich es. Das ist aber auch keine Lösung. Schon allein damit es mir besser geht, ist der Sturz des Geldsystems unumgänglich.