Fehlbegriffe der Lust
von Franz Schandl
In der Lust mag Gier sein, aber die Lust ist deswegen keine Gier, wie das Synonym doch unverzeihlich nahe legt. Appetitio mit Begierde zu übersetzen, ist jedenfalls nicht treffend. Wäre nicht, was Begierde heißt, mit Sinneslust besser und treffender umschrieben? Ebenso übrigens die Neugierde mit Wissenslust. Weder Sinneslust noch Wissenslust sind Gieren! Aber Gier, man ahnt es schon, passt hervorragend zur Wirtschaft. Denn wenn dort notwendigerweise die „Profitgier“ herrschen will, muss sie doch, leicht verwandelt, alle anderen Bereiche auch dominieren. Reell wie ideell, und die Sprache des Kapitals sagt es uns auch so vor. Gier wird dieser Ideologie zufolge nicht als soziale Konditionierung gesetzt, sondern als natürliche Anlage den Menschen unterschoben. Begierde unterstellt, dass wir das, was wir haben wollen müssen, auch haben wollen.
Verführt ist nur, wem etwas passiert, was eins nicht wollte. Auch Verführung ist ein Fehlbegriff, weil er in klassischer Manier Täter und Opfer, Jäger und Beute nahelegt. Das Spiel der Lüste ist jedoch eines der (wenn auch gelegentlich unterschiedlich akzentuierten) gegenseitigen Lockung. Es hat in den wenigsten Fällen mit Führen und Geführt-Werden zu tun. Was sich hier formuliert, ist maskulinistische Angeberei. Aber eine patriarchale Gesellschaft muss wohl solcher Terminologie huldigen, um bestimmte Vorgänge explizit als Herrschaftsverhältnisse zu indizieren, egal ob und inwieweit sie es sind.
Wenn man Lust hat, ist man dann lüstern oder lustig? – Beide Worte treffen es nicht. Sowohl Lüsternheit als auch Lustigkeit betonen einseitige Akzente, sie sind somit nur partielle Konzentrate der Lust. Lüsternheit ist Übersteigerung der Projektion, in ihr wird die Lust überquantiert und überfrequentiert, also maßlos, taktlos, ruhelos. Lustigkeit hingegen ist ein kondensiertes Alltagssubstrat der Lust. In seiner profanen Tauglichkeit nicht zu verachten.