Das Billigste ist gerade gut genug
Textauszug aus „Die Arbeitslosenpolizei“ von Christine Werner Recherche/Prosa, Cartoons von Carina Klammer,
Arovell-Verlag, Gosau/Wien, 2009
Private Kursanbieter schießen wie Pilze aus dem Boden. Der Mensch ohne Arbeit ist zwar gesellschaftlich unten durch, für Fortbildung aber jedenfalls qualifiziert, und „Fortbildungsmaßnahme“ ist ein brauchbarer Begriff für Qualifizierer. Das Arbeitsmarktservice bezahlt jene, die sich als Ausbildner ausgeben und erkauft sich somit die Legitimation, selbst Ausbildner zu sein. Bei etwaigen Pannen kann die Verantwortung immer noch auf die Privaten „Bildungseinrichtungen“ geschoben werden. So geben sich die Privaten als AMS-Außenstelle aus, und das AMS tut so, als hätte es Ahnung vom Qualifizieren. Für die Privatwirtschaft ist also auch beim AMS Geld zu holen. Im Einzelnen mehr Geld, als ein Erwerbsloser monatlich erhält. Wie also kann dem AMS glaubhaft Qualität aufgeschwatzt werden? Was tun, um als neuer Selbständiger vom Heer der Erwerbslosen leben zu können? Für Projekthaie kein Problem. Man erstelle ein Luftblasenkonzept in schwülstigem Deutsch, entwickle Ideen, die geplante Verschärfungen für Erwerbslose sogar noch übertreffen und formuliere auf mindestens 2 Seiten, warum ausgerechnet dieses Projekt eine Maßnahme zur Arbeitsplatzfindung sei. Beliebt sind Angebote in großen Häusern mit dutzenden Parallelkursen. Denn lieber verrechnet das AMS mit einem Großen als mit mehreren Kleinen. Am Einfachsten wäre es sicherlich, Erwerbslose in Fabriksschubhaft zu nehmen, aber, verdammt, man muss die Mindeststandards einhalten. Phantasie ist gefragt, eine „Schulung“ schnell erdacht. Das wird irgendwie vollbracht. Mit angelernten Kräften oder Personen aus Berufssparten fern jeglicher Schulungstätigkeit (die selbstverständlich fürs Schulen geschult werden) lässt sich ein hervorragendes TrainerInnen-Team mit zwei oder drei VorzeigeakademikerInnen aus dem Boden stampfen. Und je mehr Disziplinierungsmaßnahmen für Erwerbslose im Konzept, desto höher die Chance, aufkosten der Schwächsten den Lebensunterhalt zu verdienen. Das Angebot soll billig sein. Im Notfall pfercht man mehr als zehn Leute in eine 20m 2 kleine Kammer ohne Fenster und wirbt groß mit „EDV-Räume im Institut“. Pro Mensch mindestens 1 m2 plus Tischfläche – andere unterbieten ist das Programm. Nach erfolgreichem Abschluss werden den privaten Geschäftemachern Räumlichkeiten, Infrastruktur, Gehälter, und alle sonstigen Nebenkosten finanziert. Die KursteilnehmerInnen müssen ihre Ansprüche zurückschrauben. Wenn das EDV-System nicht gerade wegen Totalabsturz gestört ist, reicht es aber zum Surfen. Man kann sich im Internet die Zeit vertreiben, anstatt in Internetbörsen nach freien Stellen zu suchen. Ein paar Vormittage pro Woche soll jede Gruppe in die meist kleine Kammer, wo es keine Sauerstoffgeräte gibt. Ein Coach bevorzugt natürlich mehr Licht und frischere Luft, also haben die Erwerbslosen, die skurriler Weise „Kunden“ genannt werden, einmal niemanden, der ihnen über die Schulter schaut. Interessant, wie fade es so manchem hier wird. Man vertreibt sich halt so die Zeit. Auch Sexseiten erfreuen sich großer Beliebtheit. Viel mehr als ein Surfvergnügen gibt so ein Kurscomputer ja nicht her. Das AMS kann schließlich den Unterschied zwischen EDV-Angebot und –Witz nicht unterscheiden. Gerechter Weise muss eingeräumt werden, dass zumindest ein primitives Schreibprogamm vorhanden ist. Es wäre einmal eine wirklich kostensparende Idee, KursteilnehmerInnen zur Kontrolle der Kurseinrichtungen heranzuziehen. Sie alle haben auf ihrem Gebiet Erfahrung genug und wüssten recht gut, was ihnen weiterhelfen würde und erst recht, in welchem Bereich eine Fortbildung nützlich wäre – so ein Verdacht wird ja ab und zu auch von vernünftigen AMS-Angestellten geäußert. Man darf sich bloß nicht zu viel Vernunft oder gar Menschlichkeit erwarten. Auf die Frage, warum ausgerechnet diese oder jene Kursmaßnahme verpflichtend sei, gibt es oft haarsträubende Antworten. Von „SIE haben dieses Kursangebot anzunehmen, da unser Budget in eben dieses geflossen ist!“ bis hin zu „Sagen Sie doch gleich, dass Sie vom Staat bezahlt werden wollen, ohne etwas zu leisten!“ ist beinahe alles möglich. Lassen Sie sich, bitteschön, so fortbilden, sofort bilden, von Ihren Vorstellung wegbilden, damit Sie endlich so ticken wie ein Esel oder ein Schaf. Dann besteht keine Gefahr mehr, dass jemand Ihren Verstand beleidigen kann.
Die Wirtschaft ist auch nicht mehr das, was sie noch immer glaubt, zu sein. Da. verlangt sie immer noch mehr Menschen und vor allem höchste Qualifikation auf jedem Gebiet und macht die auf Museumscomputer Geschulten für Leistungssteigerung unbrauchbar. Andererseits: wer in Abstellkammern, in windigen Gängen und an sonstigen vom Arbeitsinspektorat verbotenen Orten gelernt hat, wie eine Sardine neben anderen Sardinen auszuharren, freut sich schließlich über minimale Bewegungsfreiheit. Saß ein Erwerbsloser also ein paar Wochen oder Monate direkt neben einem Ozon ausstoßender Kopierer, ist er Absolvent eines erfolgreichen Trainings. Er oder sie werden künftig dankbar sein, wieder unbeschwert durchatmen zu dürfen.
Nur kein Aufstand
Broschüren der Arbeitslosenvereinigungen liegen im Kurs nicht auf, auch werden keine ReferentInnen aus den Reihen der organisierten Erwerbslosen für politische Entscheidungen herangezogen. Niemand vertritt Erwerbslose im Parlament. Warum auch. Schließlich ist die Scham des Menschen ohne bezahlte Arbeit ein sicheres Kapital, das Zinsen in Sachen Stillhalten trägt. Also weg mit diversen Lehr- und Lernmethoden, her mit disziplinierender Beschäftigungstherapie. Frontalverbildung ist Programm. Was sich „Erwachsenenbildung“ (für Jobuntüchtige) nennt, darf sich so manches aus dem Finger saugen. Der sogenannte Lehrstoff besteht ohnehin nur aus Ab- und Anrissen fettgedruckter Überschriften. Was dem Hänschen einmal mit Freude am Lernen beigebracht worden war (sollte er Glück gehabt haben), kann der Hans vergessen. Ebenso die Hänsin. Den Erwerbslosen wird hauptsächlich die Rute ins Fenster gestellt, und diese ist nur selten als Wünschelrute verkleidet. Wer sich nicht parieren lassen will, werde keinen Eingang auf seinem Konto finden. Diese erfundene Regel lässt sich beliebig variieren. Damit bestätigt sich das Bildungsdefizit auf gespenstische Weise.
Wer hat die Macht, und wer kaum was macht
Als wären die aus der Arbeit Gefallenen nie im Leben wo pünktlich erschienen, werden ihnen gleich von Beginn weg die Leviten gelesen. Damit sie wissen, wo sie gelandet sind. Wie gern würde man diese gesellschaftlichen Nichtsnutze einer Gehirnwäsche unterziehen, indes bleibt es nur beim Glauben so manche/r TrainerIn, im Manipulieren erfolgreich zu sein. Andere gänzlich umzudrehen, dazu gehört etwas mehr als geboten wird. Nicht einmal die Fähigkeit, jemanden von etwas zu überzeugen, ist ausgeprägt. Es wird meist getan, was im Kurs verlangt wird. Lustlos, aber immerhin fügen sich die meisten ein. Besser nirgends anecken. Man ist eben aneinander gekettet, und das heißt nicht, dass man einander vertraut oder gar glaubt. So haben Erwerbslose einmal Glück, weil die ganze Bemühung, sie gefügig zu machen, an der Unterdurchschnittlichkeit vieler TrainerInnen, aber auch am gegenseitigen Desinteresse scheitert. Wem die Erwerbslosen ganz egal sind, wer sie gar nicht für sich gewinnen, sie nur umdrehen will, um sie für ein paar Stunden ruhig zu stellen, kann nicht wirklich viel anrichten. Was nicht heißt, dass kein Schaden angerichtet wird. TrainerInnen mit sadistischer Neigung oder krankhaftem Geltungsdrang geben sich nicht mit Phrasen und matten Disziplinierungstricks zufrieden. Sie schaffen es, ihre „Opfer“ so lange zu reizen, bis etwas geschieht und haben sichtlich auch noch Spaß dabei. Die überwiegende Zahl der TrainerInnen ist aber hauptsächlich überfordert. Wenn sie nicht mehr weiter wissen klammern sie sich ans Autoritäre oder holen Hilfe herbei. Da sind sie wochenlang, manchmal sogar monatelang, viele Stunden täglich, auf oft engem Raum aneinandergekettet. Vom Gruppenkoller bis zum Amoklauf ist alles drin. Was immer der Grund von Auseinandersetzungen war – wenn es zum Äußersten kommt, putzt sich das Kurspersonal am Erwerbslosen ab. Methoden zur Verdrehung gibt es genügend, es darf nur die Hierarchie nicht in Frage gestellt werden. Ungeachtet dessen, ob einem emotionalem Ausbruch womöglich wochenlange Demütigungen vorausgegangen sind oder man hätte erkennen können, dass jemand psychologische Hilfe braucht (nicht selten der Trainer, die Trainerin selbst). Oft tummelt sich in Kursinstituten vom Supervisor bis zum Sozialarbeiter alles Mögliche an angeblichem Fachpersonal. Vielleicht gelingt es ja einmal nachzuweisen, welche Aufgabe diesen Menschen zufällt, ausgenommen am 1. Kurstag eine Vorstellrunde zu drehen und von da an nur mehr als Türschild in Erscheinung zu treten.
Dass sich erwachsene Menschen, nur weil sie erwerbslos sind, kaum wehren, geschweige denn gemeinsam Respekt einfordern, dass auch ihr gesündester Zorn meist schneller verebbt als er an die Oberfläche kann, liegt schlicht am Überlebenwollen, und Überleben heißt, das Leben bezahlen zu können. Dafür lassen sich viele diskriminieren, im Wissen, dass auch der Zwangskurs einmal ein Ende hat. Der Umgang mit den Schwächsten der Gesellschaft ist zwar armselig, aber wo keine Kontrolle, da noch viel armseliger. Für die Regierung ist es leicht, mit dem Strom zu schwimmen, um wieder und wieder zu behaupten, dem WählerInnenwillen entsprochen zu haben, sogenannte Arbeitsscheue an die Kandare zu nehmen. Die werktätige Bevölkerung soll in der Genugtuung unterstützt werden, dass es keine Gnade mit jenen gibt, die angeblich nichts leisten und sicher nichts einbringen. Ombudsstelle für Übergriffe gegen Erwerbslose ist das Salzamt. Also wird ein kleiner AMS-Angestellter oder Trainer kaum Konsequenzen wegen Machtmissbrauchs befürchten müssen. Es sei denn, ein Geschädigter zeigt konsequent Übergriffe auf oder ist sogar bereit, in die Öffentlichkeit zu gehen. Damit ist nicht zu rechnen. Erwerbslose fühlen sich meist an den Rand der Gesellschaft gedrängt und wollen sich so rasch als möglich wieder in diese eingliedern, also anonym bleiben. Diese Öffentlichkeitsscheu ist ein Bonus für jene, die gegenüber Erwerbslosen Grenzen überschreiten. Was hat diese Gesellschaft aus uns gemacht, dass „Erwerbslos-Sein“ das selbe bedeutet, wie keinen Namen haben? Dass trotz der ungünstigen Vorhersage, es werde jede und jeder durchschnittlich mindestens einmal aus seinem Erwerbsleben fallen, dass dieses „Fallen“ immer noch als eigenes Versagen gilt? Wer gibt der Schlange vor dem AMS, den Wartenden im AMS, den angeblich zu Trainierenden, den 100 x Abgewiesenen und klein Gemachten ihr Selbstvertrauen wieder?