Zeitgeist: Moving Forward – It’s the system, stupid
Der dritte Zeitgeist-Film schreitet trotz etlicher Unzulänglichkeiten in die richtige Richtung voran
von Tomasz Konicz
Dieser Film stößt an die Grenzen des Mediums. In 161 Minuten ist Regisseur Peter Joseph im dritten Teil seiner Zeitgeist-Filmserie bemüht, den Zuschauer von der Notwendigkeit einer baldigen Überwindung der kapitalistischen Produktionsweise zu überzeugen, sowie eine gangbare Systemalternative zu der bestehenden Gesellschaftsunordnung aufzuzeigen. In knappen drei Stunden wird in Zeitgeist: Moving Forward ein gigantischer thematischer Bogen gespannt, bei dessen wissenschaftlicher Erschließung und Bearbeitung in den vergangen Jahrhunderten Kapitalismuskritiker jeglicher Couleur ganze Bibliotheken an Textmaterial produzierten. Seine Premiere, bei der 340 Aufführungen in über 60 Ländern stattfanden, hatte Zeitgeist: Moving Forward am 15. Januar 2011, was wohl den mit Abstand größten Filmstart eines unabhängigen Projekts in der Kinogeschichte markiert. Der Film ist ab dem 25. Januar frei im Internet, unter anderem auf Youtube, abrufbar.
Die vom US-amerikanischen Regisseur und Aktivisten Peter Joseph seit 2007 produzierten – und auf beständig wachsende Resonanz treffenden – Zeitgeist-Filme gelten innerhalb weiter Teile der Linken immer noch als Paradebeispiele verkürzter Kapitalismuskritik. Dieser Ruf haftet den Filmen von Peter Joseph aufgrund der Verschwörungstheorien an, die in seinem Erstlingswerk Zeitgeist: The Movie Verbreitung fanden.
So führte er darin auch einen Teil der Kriege des 20. Jahrhunderts auf das Wirken einer Verschwörung von Bankern und der amerikanischen Notenbank zurück, die die USA in diese Konflikte genötigt hätten, um hieraus Profit zu schlagen. Letztendlich wurden alle auch im ersten Zeitgeist-Film erschütternd visualisierten Verwerfungen, Widersprüche und Konflikte auf das Treiben einer Gruppe machthungriger Menschen zurückgeführt, während die Struktur und innere Antriebsdynamik des kapitalistischen Systems ausgeblendet blieben.
Mit dieser personifizierten, verkürzten Kritik des Kapitalismus bricht der jüngste Zeitgeist-Film radikal.
In einer Schlüsselszene wird deutlich, dass für die derzeitige allumfassende globale Krise keine „korrupten Regierungen, keine finsteren Konzerne oder Kartelle, keine fehlerhafte menschliche Natur, und keine geheime, versteckte Intrige“ ursächlich verantwortlich sind, sondern die „Grundlagen unseres sozioökonomischen Systems selbst“. Und eben dies macht die faszinierende Radikalität dieses Films aus – er bemüht sich, diese sozioökonomischen Grundlangen zu benennen und die Notwendigkeit ihrer Überwindung darzulegen.
Zeitgeist: Moving Forward ist in seiner fast schon entwaffnend naiven, da eigentlich schlicht logischen Herangehensweise radikaler als alle Kapitalismuskritik, die von Filmemachern wie etwa Michael Moore jemals geäußert wurde. Peter Joseph will seine Kritik tatsächlich an der Wurzel des Systems ansetzen und greift dabei die Grundlagen des Kapitalismus frontal an: Geld, Markt, Warenproduktion und Finanzkapital.
Der Film zieht in den ersten drei Kapiteln thematisch immer größere Kreise, vom Individuum über die Gesellschaft bis hin zum Planeten. Der erste Teil des Films, der sich mit dem ideologischen Konstrukt einer „menschlichen Natur“ auseinandersetzt, kann als der gelungenste betrachtet werden. Hier zerlegen mehrere Wissenschaftler die weitverbreiteten Mythen eines genetischen Determinismus als Ursache von Charaktereigenschaften oder kriminellem Verhalten, wie auch die Idee einer in unserer genetischen Disposition gründenden menschlichen Natur. Der ideologische Charakter dieses genetischen Determinismus als ein „Weg zu sagen, wie die Dinge sind, ohne die Art und Weise zu gefährden, wie die Dinge sind“, wird deutlich benannt. Am Fallbeispiel der Disposition zu Suchterkrankungen – die als eine Reaktion auf traumatische Kindheitserlebnisse interpretiert werden – wird dargelegt, wie das Individuum seit der frühen Kindheit im Wechselspiel mit seiner Umgebung geformt wird und wie gesamtgesellschaftliche soziale und ökonomische Faktoren bis in die intimsten zwischenmenschlichen Beziehungen hineinwirken. „Die elterliche Erfahrung, wie einfach oder wie hart das Leben ist, wird an die Kinder weitergegeben. … Das frühe Leben ist ein Vorgeschmack auf die Welt, in der du leben wirst.“ Eine „menschliche Natur“ als solche gebe es nicht, es mache nur Sinn, von der „menschlichen Natur“ in Zusammenhang mit menschlichen Bedürfnissen zu sprechen. „Unsere Natur besteht darin, nicht von der Natur eingeschränkt zu sein“, die Menschen werden durch ihre Gesellschaft geformt, wie es der Neuro- und Verhaltensbiologe Robert Sapolsky formulierte.
Diese individuelle Perspektive, die Rückkopplung auf die menschlichen Bedürfnisse, wird auch bei der Auseinandersetzung mit der „sozialen Pathologie“ beibehalten, unter der unsere Gesellschaft subsumiert wird. Beeindruckend sind auch alle Filmsequenzen, bei denen der beständig zunehmende Konkurrenzkampf – das ewige Rattenrennen, bei dem jeder gegen jeden antritt – mit den gesundheitlichen Folgen für breite Bevölkerungskreise konfrontiert wird. Die Genese des kapitalistischen Menschenbildes, das den Menschen als des Menschen Wolf ansieht, wird vom Kopf auf die Füße gestellt, indem diese Ideologie auf die Herrschafts- und Ausbeutungsstrukturen im Kapitalismus zurückgeführt wird.
Die folgenden Kapitel, die sich mit den verheerenden gesellschaftlichen und ökologischen Auswirkungen des kapitalistischen Marktsystems auseinandersetzen, kranken hingegen an einem fehlenden Kapitalbegriff. Dies soll nicht heißen, dass es in der zweiten Filmhälfte keine interessanten, wirklich an den Wurzeln der kapitalistischen Misere ansetzenden Passagen gäbe, doch fehlt diesen – teilweise sich selbst widersprechenden – Ausführungen der gemeinsame Nenner, der die disparat geschilderten Phänomene in Zusammenhang bringen würde. Der Film schildert den Konsum- und Wachstumszwang, die daraus resultierende Verschwendung ökologischer Ressourcen, die zunehmende soziale Ausdifferenzierung, die seit Dekaden schwelende Krise der Arbeitsgesellschaft und auch die globale Verschuldungsdynamik – doch gerade die gemeinsame Grundlage dieser Phänomene in dem krisenhaften Prozess der Kapitalakkumulation, der an innere und äußere Schranken stößt, wird nicht explizit benannt. Peter Joseph schafft es durchaus, gewisse Momente des Prozesses der Kapitalverwertung, bei dem ja das Kapital beständig seine Form von Geld über Waren zu mehr Geld (G-W-G) wechselt, zu erfassen. Doch eben diesen Verwertungsprozess selbst – denn nur aus dieser sich selbst zum Zweck dienenden Bewegung der uferlosen Akkumulation heraus ist Kapital zu verstehen – haben die Macher von Zeitgeist: Moving Forward bei aller Radikalität nicht erfasst. Stattdessen wird im Film verkürzt über „Geldsequenzen“ fabuliert, denen die Marktsubjekte hinterherliefen.
Hieraus resultieren dann die ernsthaften Mängel, die dieses monumentale Werk aufweist. Etwa wenn Geld einfach mit Schulden gleichgesetzt wird und diesem im Endeffekt kein Wert als solcher beigemessen wird – was ja aus rein naturalistischer Perspektive stimmen mag , aber die gesellschaftliche Funktion des Geldes als allgemeines Wertäquivalent nicht berücksichtigt. Generell sind die Abschnitte des Films, die sich mit dem Finanzsystem auseinandersetzen, misslungen, sie führen den Zuschauer in die Irre. Das ist umso bedauerlicher, da der Film ansonsten in vielen Punkten eine bislang von diesem Medium nicht gekannte Radikalität durchhält, die sich auch beim Entwurf der gesellschaftlichen Alternative zum Kapitalismus manifestiert.
Unter dem Titel „Globale ressourcenbasierte Wirtschaft“ wird in einigen logischen Schritten ein Gegenmodell entworfen, bei dem die nachhaltige Förderung, Distribution und Verarbeitung der global vorhandenen Ressourcen in Übereinstimmung mit den grundlegenden menschlichen Bedürfnissen geschildert wird, die unter Zuhilfenahme fortgeschrittenster Informationstechnik und Automatisierung in höchster Effizienz und Ressourcenschonung bewerkstelligt werden soll. Markt, Geld, soziale Hierarchien und Privateigentum an Produktionsmitteln sollen hierbei überwunden werden. Der radikale Gedankenschritt, der hier gemacht wird, verliert aber sehr viel von seiner Wirkung, sobald die Argumentation – in objektiv unnötiger Weise – immer mehr in Details geht und die Stadtentwürfe des US-amerikanischen Architekten und Futuristen Jacque Fresco als verbindliche und absolut „logische“ Vorbilder künftiger Urbanität propagiert. Joseph wirbt hier mit dem Anspruch wissenschaftlicher Objektivität für die urbanen Visionen seines Mentors, die vielen Zuschauern ob ihrer Sterilität kalte Schauer über den Rücken jagen dürften. In diesen Passagen driftet der Film in Ideologie ab.
Ebenso problematisch ist die naive Wissenschaftsgläubigkeit der Filmemacher, wie auch der sich um Joseph und Fresco formierenden Zeitgeist-Bewegung, die die Umsetzung der anvisierten sozialen Transformation realisieren soll. Joseph und Fresco sollten sich vielleicht einmal fragen, wieso die von ihnen vergötterte Wissenschaft seit ihrer Etablierung im Gefolge der Durchsetzung der kapitalistischen Wirtschaftsweise zur Zementierung und Optimierung von Ausbeutung und Unterdrückung so überaus erfolgreich eingesetzt werden konnte.
Dennoch schreitet Peter Joseph mit Zeitgeist: Moving Forward in die richtige Richtung voran. Der Film trifft tatsächlich den Zeitgeist, der Kapitalismus verliert gerade den ideologischen Schleier einer naturwüchsigen, natürlichen Gesellschaftsordnung. Mit einer beispiellosen Geschwindigkeit gewinnt dieser dritte Zeitgeist-Film derzeit an Popularität: Allein auf Youtube konnte das Epos bereits nach knapp zwei Wochen gut 2,5 Millionen Zugriffe verzeichnen. Es ist, als ob das allgegenwärtige Hintergrundrauschen der Kulturindustrie – ähnlich der Anfangssequenz des Films – zur Kenntlichkeit geronnen wäre und seine omnipräsente Deutungshoheit über die Realität verlöre. Immer mehr Menschen wachen aus diesem massenmedial induzierten Schlaf auf, in dem sie durch die Kulturindustrie, durch die Gesellschaft des Spektakels gefangen gehalten wurden, um zu erkennen, in welcher kaputten, die elementarsten menschlichen Bedürfnisse negierenden Welt sie leben. Es ist der allumfassende Krisenprozess der kapitalistischen Gesellschaftsformation, wie er eindringlich im vierten Teil des Films dargelegt wurde, der den Kollaps der ideologischen kapitalistischen Matrix ermöglicht. Trotz aller oben dargelegten Mängel besteht das Verdienst dieses Films darin, diesem Prozess des massenhaften Ankommens in der „Wüste des Realen“, in einer vom Prozess der nur noch dem Selbstzweck dienenden Kapitalverwertung verwüsteten Welt, eine ungeheure Dynamisierung verliehen zu haben.
aus: www.hintergrund.de, 09.02.2011