„Typisch und unerträglich“: Albrecht Müller. Vom Unverständnis eines Unverständlichen
von Andreas Exner
Albrecht Müller echauffiert sich [*]. Der Herr versteht die Welt nicht mehr. Postwachstum, das gefällt ihm nicht. Wachstum, das sei doch gut. Oder eigentlich unwichtig. Oder besser wichtig. Dort eben, wo man’s braucht. Ist das verständlich? Tatsächlich ist nicht die radikale Kritik des Kapitalwachstums unverständlich. Das ist vielmehr Albrecht Müller.
Man glaubt es ja kaum. Doch gibt es selbst heute noch Themen, die Menschen rege machen. Als Aufreger fungiert, seltsam genug, der Begriff des Postwachstums. Der ist ja nicht gerade sexy. Kommunismus, das fetzt schon eher. Sexy genug ist Postwachstum aber für Albrecht Müller. In drei holprigen Beiträgen mit ebensolchen Titeln setzt sich das “Mitglied des Verkehrsausschusses des Deutschen Bundestages”, wie Müller angibt, “für meine Fraktion” – vermutlich SPD, Grüne oder Linkspartei – mit dem vergleichsweise aalglatten Begriff des Postwachstums auseinander.
Das Oeuvre umfasst momentan, Stand 27.5.2011, (1) “Wachstumswahn, Wachstumszwang, Wachstumskritik, Postwachstumsgesellschaft, etc. – seltsame Begriffe und eine vergleichsweise irrelevante und in die Irre leitende Debatte“, (2) “Nachtrag zur Kritik der Wachstumskritik: eine irrationale Debatte und attac auf einem unverständlichen Weg“, und (3) “Nachtrag Nr. 2 zur Wachstumsdebatte”
Müllers Argument erschöpft sich in der Feststellung, dass es sich bei den “Wachstumskritikern” um eine “Glaubensgemeinschaft” handele. Diese virtuose Denkfigur weiß Müller in demgegenüber beinahe linkischen Aufzählungen zusammenhangloser Sätze zu veranschaulichen, etwa von 31 punktierten Zitaten aus Texten, die seiner Meinung nach wachstumskritisch sind. Daneben erinnern ihn die “Wachstumskritiker” irgendwie an 1968.
Das hat was für sich. Und ist vermutlich der Kern seiner bürokratischen Kritik der Wachstumskritik. Die 1968er einte die Ablehnung dessen, was Müller bundestagsreif für ganz tollen Fortschritt hält: Arbeitsplätze, Bildung, Politikmachen, schöne kleine Verbesserungen und ansonsten brav sein. Müller weiß sich in seinem Grausen vor der Rebellion in grantiger Eintracht mit Rechtsaußen Sarkozy, der die 1968er für die Übel dieser Tage vors Gericht der jüngeren Geschichte zerren wollte. Geht’s noch?
Wie toll Fortschritt á la Müller ist, ist sattsam bekannt: Psychische Erkrankungen nehmen zu; wer sich nicht ans Kapital verkauft, vulgo: einer geregelten Beschäftigung im nationalen Arbeitshaus nachgeht, soll büßen; die ganze Gesellschaft ist durchdrungen von Stillhalten, Kuschen, Disziplin, Kontrolle, Hierarchie und einer kleinkariert-aggressiven Sortierung der Menschen nach Bildungsniveau, Geschlecht, Hautfarbe, Kultur, Hobbies, Einkommen, gefakten oder ehrlich echten Titeln und der – hierzulande im Moment meist auf das Ökonomische beschränkten – Totschlagkompetenz in der allgegenwärtigen Konkurrenz; Peak Oil untergräbt das tödliche Energiefundament der Infrastrukturen und bedroht die Versorgung mit Nahrungsmitteln; der Klimawandel wird Millionen vertreiben und droht ganze Regionen unfruchtbar zu machen; der Notfallsplan des Kapitals angesichts der Mehrfachkrise ist, Millionen von Menschen im Zuge des globalen Land Grab Schritt für Schritt zu enteignen und Flächen für den Müllerschen Wohlstand im globalen Norden freizuschießen und einzuzäunen. Das alles ruht auf den Grundlagen der famosen Bewältigung der ersten großen kapitalistischen Krise in den 1930er Jahren, die mit Massenmord und unvorstellbarem Elend einherging.
Hab ich was vergessen?
Ich denke, man kann die Debatte kurz machen.
Albrecht Müller findet das unverständlich, was seinen Horizont überschreitet: dass Leute diese beschissene Gesellschaft ganz einfach nicht wollen. Die Wachstumskritik – ich spreche jedenfalls für mich – ist dazu nur ein Vehikel. Leute wie Müller, so scheint’s, geben dazu auch einen gewissen Anlass. Alles andere ist in Büchern und Artikeln nachzulesen. First we take the growth of capital, then we take the capital of growth.