Land Grabbing: Win-Win oder Win-Lose?

von Andreas Exner

Die neue Landnahme von Staaten und Unternehmen des Zentrums und der Semiperipherie in Afrika und anderen Regionen des globalen Südens, das so genannte Land Grabbing, wird von der Weltbank, UN-Organisationen und einigen NGO verteidigt. Die Landnahme sei ein Win-Win für die Investoren ebenso wie für die Bäuerinnen und Bauern oder Viehnomaden, die das Land bereits nutzen – würden Menschenrechte eingehalten, Bodenmärkte etabliert und freiwillige Selbstverpflichtungen erarbeitet.

Daran ist vieles falsch – ausführlich diskutiere ich verschiedene Aspekte in dem Bericht für das Projekt “Save our Surface”. Erstens würden Bodenmärkte die soziale Polarisierung, die Exklusions-Logik und damit den Hunger verschärfen, zweitens endet an den Grenzen des fossilen Energieregimes auch die Perspektive des Aufbaus einer groß angelegten kapitalistischen Industrie. Eine solche Perspektive wäre jedoch mindestens notwendig, um jene Menschen aufzufangen, die durch Mechanisierung der landwirtschaftlichen Produktion ihre Subsistenz- und Einkommensmöglichkeiten verlieren (sofern man eine kapitalistische Industrialisierung überhaupt für erstrebenswert halten will).

Davon abgesehen ist die Realität so weit davon entfernt, dass Menschenrechte eingehalten würden, formelle Bodenmärkte nach westlichem Vorbild und unter breitem Einschluss der bisherigen Nutzerinnen und Nutzer des Landes entstünden oder gar Investoren freiwillige Selbstverpflichtungen erarbeiteten und einhielten, dass die schöne Hoffnung auf Win-Win nur die schlimme Wirklichkeit von Win-Lose vertuscht.

Dennoch tauchen in dieser Debatte immer wieder angebliche best practice-Beispiele auf. Vor allem die Vertragslandwirtschaft gilt vielen als Modell einer gedeihlichen Kooperation von Investoren und Kleinbäuerinnen und -bauern. Vertragslandwirtschaft bedeutet, dass eine Firma Düngemittel, Maschinen und Know How bereitstellt, damit die kleinbäuerlichen Betriebe mit maximaler Produktivität für die Firma arbeiten können. Sie stellen Biomasse für Agrofuels oder Nahrungsmittel für den Export her. Die Firma verpflichtet sich im Gegenzug zur Abnahme der Produkte. Die Bäuerinnen und Bauern produzieren auf Vertrag, ähnlich wie viele Menschen im frühkapitalistischen Verlagswesen in Heimarbeit Textilien herstellten.

Es ist durchaus möglich, dass solche Vertragsbeziehungen vereinzelt oder regionsweise Vorteile für bestimmte Gruppen von Bäuerinnen und Bauern bringen. Das ist weiters nicht verwunderlich. Die cash crop-Produktion im Allgemeinen hat ja schon bislang beileibe nicht alle kleinbäuerlichen Betriebe ins Unglück gestürzt. So berichtet etwa Sarah Berry im Buch „No Condition is Permanent“ von der sozialen Aufwärtsbewegung in bestimmten Schichten Westafrikas seit der Kolonialzeit, die von der Kakaoproduktion für den europäischen Markt profitierten.

In Tanzania sind die Chagga ein solcher Fall erfolgreicher unternehmerischer Bauern. Allerdings ist bei den Chagga nicht nur der Reichtum, sondern auch der Anteil der unterernährten Menschen überproportional hoch. Dieses paradoxe Muster zeigt sich auch in anderen Regionen – ich gehe im Buch “Kämpfe um Land“ darauf ein.

Es spielt hier gerade die Kommerzialisierung mitsamt der Etablierung formeller oder informeller Bodenmärkte (vor dem Hintergrund des modernen Patriarchats) eine entscheidende (negative) Rolle.

Analysiert man nun im Besonderen das Modell der Vertragslandwirtschaft, so zeigen sich folgende Probleme:

1. integriert die Vertragslandwirtschaft zumeist nur die bereits relativ gut gestellten Haushalte (und natürlich nur jene, die über ausreichend Land verfügen). Arme bleiben ausgeschlossen, die soziale Spaltung wird vertieft.

2. steigen mit den steigenden Einnahmen aus der Vertragslandwirtschaft auch die Ausgaben und das Risiko. Hängt der Ertrag eines kleinbäuerlichen Haushalts, der subsistent produziert, vor allem von seinem Arbeitseinsatz und vom Wetter ab, so ist er in der Vertragslandwirtschaft dem Markt für seine Exportprodukte, dem Markt für die Inputs (Dünger etc.) und den Machenschaften der Firma, mit der er in Beziehung steht, ausgeliefert.

Die Produktion von Agrofuels aus Biomasse ist im Rahmen von Vertragslandwirtschaft genauso problematisch wie im Fall von Plantagen. Agrofuels verschärfen die Flächenkonkurrenz zwischen Biomasse und Nahrungsmitteln. Und aufgrund der expandierenden Märkte für Agrofuels werden die Preise von Nahrungsmitteln (Zucker, Stärke, Öl) an den steigenden Preis der fossilen Ressourcen gekoppelt. Auch die Vertragslandwirtinnen haben dabei letztlich das Nachsehen. Denn wenn sie nicht ausreichend für ihre eigene Ernährung produzieren, müssen sie Nahrungsmittel zukaufen, deren Preis jedoch im Zuge der Ausweitung der Agrofuelerzeugung steigt.

Wäre es nicht möglich, dass die Konsumenten von Agrofuels im Norden einen Aufschlag zahlen, damit die Vertragslandwirtinnen im Süden daraus einen Nutzen ziehen? Denkbar wäre das, einzelne Firmen, die gerade das „gute Gewissen“ als ihre Nische nutzen wollen, könnten solche Modelle umsetzen und tun dies auch. Diese Modelle funktionieren, solange die meisten Firmen „unmoralisch“ produzieren lassen. Denn aus der Imagedifferenz zwischen den “Guten und den “Bösen” beziehen die “guten, ethischen Firmen” ja ihren Marktvorteil und damit Gewinn. Grundsätzlich sind “ethische” Modelle jedoch auch nur solange tragfähig, als Peak Oil und andere Krisentendenzen nicht die Nachfrage im Norden einschränken. Die allgemeinen, oben genannten Probleme der Agrofuelproduktion lassen sich damit freilich in keinem Fall beheben.

Unter anderem die Weltbank plädiert für Vertragslandwirtschaft. So ließen sich das politische Risiko offener Enteignung vermeiden und die Kosten der Produktion senken. Während auf Plantagen recht hohe Ausgaben für die Kontrolle der Arbeitskräfte anfallen, erübrigt sich eine externe Überwachung im Fall kleiner Familienbetriebe. Die Abnehmerfirmen können zudem ihr Produktionsrisiko auf die Bäuerinnen und Bauern auslagern.

Strategisch-politisch gibt es mit der Win-Win-Ideologie und der angeblich vorteilhaften Vertragslandwirtschaft noch ein grundsätzliches Problem. Gerade weil die Bäuerinnen und Bauern etwa in Afrika derart auf “Hilfe” von Außen angewiesen scheinen, sind die Kräfteverhältnisse zwischen ihnen und den Investoren derart ungünstig, dass eine solche “Hilfe” im großen Maßstab nicht zu erwarten ist. Denn “Hilfe”, so realistisch sollte man schon sein, gibt es im Kapitalismus nicht – es ist letztlich alles eine Frage der sozialen Kräfteverhältnisse.

Die Vertragslandwirtschaft hat auf diese Kräfteverhältnisse vermutlich sogar eher einen negativen Effekt. Denn die Marktlogik der Zersplitterung der Produzierenden kann die Organisationsfähigkeit und solidarische Kollektivität der Bäuerinnen weiter schwächen (wo sie die Marktwirtschaft nicht schon zerstört hat).

Schließlich ist immer auch der politische Kontext der Win-Win-Debatte und der Hoffnung auf ein faires Modell der Vertragslandwirtschaft im Auge zu behalten. Die Weltbank versucht damit die Kommerzialisierung von Land voranzutreiben und ideologisch zu legitimieren. Best practice-Beispiele haben in diesem Kontext eine sehr problematische Funktion.

Denn keine einzige der Bedingungen des Win-Win als einer systematischen Beziehung zum Nutzen breiter Schichten der ländlichen Bevölkerung ist gegeben – anstelle einer ziemlich zufälligen und von sehr besonderen Bedingungen abhängigen Beziehung zwischen einer einzelnen Firma mit “ethischem” Anstrich und ihren Bäuerinnen und Bauern.

Damit legitimiert die Haltung der Weltbank die Landnahme letztlich. Die Weltbank sagt in etwa: Ja, die steigende Nachfrage nach Land verursacht viele Probleme und Land Grabbing ist nicht okay, aber die grundsätzliche Dynamik der Nachfrage nach Land ist gut, wir müssen sie nur anders regeln. Wie das geht, das zeigen uns die – wenn überhaupt vorhandenen, dann sicherlich sehr seltenen – best practice-Beispiele, meint die Weltbank.

Man setzt also voraus, dass die Dynamik der profitorientierten Nachfrage nach Land grundsätzlich aufrecht erhalten werden muss. Und in der Tat hat die Weltbank seit den 1980er jahren ja auch alles daran gesetzt, dass landwirtschaftliche Flächen heute zu einem Top-Anlageobjekt aufgestiegen sind. Der Fokus auf einzelne gute Beispiele oder solche, die zumindest nicht schwere Misstände aufweisen, ist eine ideologische Strategie – einmal davon abgesehen, dass solche Beispiele, die zumindest ohne schwere Misstände auskommen, kaum existieren. (Ein richtig “gutes” Beispiel ist mir bislang unbekannt.)

Der Blick auf best practices soll von den Strukturen des Kapitalismus ablenken, die verhindern, dass aus Win-Lose ein Win-Win für alle wird.

Win-Win, das wäre Kommunismus.

zuerst erschienen auf: social-innovation.org am 12.11.11