Geldlose Gesellschaft – Alternative zum Kapitalismus mit Verfallsdatum?

von Thomas Herzig

Ist die geldlose Gesellschaft letztlich die Befreiung von allen Unzulänglichkeiten des Geldsystems oder bloß eine unerfüllbare Utopie? fragt Leser Thomas Herzig in einem Artikel für die Online-Ausgabe der Tageszeitung „Der Standard“, den wir hier mit Erlaubnis des Autors wiedergeben.

In der Startrek Folge „Die Neutrale Zone“ findet die Besatzung der Enterprise einen eingefrorenen Finanzinvestor aus dem beginnenden 21.Jahrhundert. Nachdem er wiederbelebt wurde, besteht dessen größte Sorge darin, dass er seiner Anwaltskanzlei melden muss, dass er immer noch lebt – als Besitzer seines Portfolios. Denn nach seiner Vermutung müsste sich sein veranlagtes Vermögen innerhalb dreier Jahrhunderte wohl gigantisch vervielfacht haben.

Kundige wissen allerdings, dass die Menschheit im Startrek-Universum ohne Geld lebt. Es herrscht kein materieller Mangel, und jeder arbeitet Zwecks innerer Erfüllung für das Allgemeinwohl.

Ist die geldlose Gesellschaft letztlich die Befreiung von allen Unzulänglichkeiten des Geldsystems oder bloß eine unerfüllbare Utopie?

Zunächst einmal ist die geldlose Gesellschaft gar keine Utopie. Sie hat seit dem Erscheinen des Homo Sapiens vor ca. 160.000 Jahren die meiste Zeit nachhaltig funktioniert.

Was ist Geld nun tatsächlich?

Es ist zB. ein universelles Mittel für den Austausch von Waren und Dienstleistungen. Geld ist aber vor allem auch das wesentliche Antriebsmittel aller wirtschaftlichen Tätigkeit: Jeder Lohnarbeiter muss es „verdienen“ um zu überleben. Er vermietet im Austausch gegen Geld seine Lebenszeit, seinen Körper, seine intellektuellen Fähigkeiten und seine Loyalität.

Andererseits können die Kontrolleure des Geldes bestimmen, welche Waren produziert werden, welche Dienstleistungen erbracht werden, und wer einen Arbeitsplatz und somit Einkommen hat.

Geld ist zum Wertemaßstab für nahezu alles geworden: Zeit, Arbeit, Waren, Unternehmen, Land, sogar Tiere und Pflanzen, und teilweise auch Menschen. Materieller Reichtum ist neben der sexuellen Attraktivität schlichtweg DAS Kriterium nach dem Menschen innerhalb der sozialen Hierarchie eingestuft werden.

Somit ist es heutzutage kaum noch vorstellbar, dass Menschen ohne Geldanreiz zu hohen Leistungen oder überhaupt zu einer nützlichen Tätigkeit zu motivieren wären.

Motivation ohne Geld

Was aber ist es dann, was sämtliche geldfreien Geschöpfe der Natur zu Höchstleistungen antreibt, und es ihnen somit ermöglicht, durch sozialen Zusammenhalt in einer rauen Umgebung zu überleben?

  1. Der eigene Überlebenswille, Nahrung und Unterkunft für sich selbst zu suchen
  2. Die emotionelle Bindung zu den anderen Mitgliedern der sozialen Gemeinschaft. Altruismus ist durchaus eine natürliche Veranlagung, die sogar bis zur Aufopferung führen kann. (Pjotr Kropotkin „Gegenseitige Hilfe in der Tier- und Menschenwelt“)
  3. Die Natur hat ihre Geschöpfe mit Trieben und Gefühlen ausgestattet, welche (überlebens)notwendige Verhaltensweisen mit Lustgewinn verbinden

So empfindet z.B. eine Katze das Mäuse-Fangen nicht als lästige Arbeit oder Pflicht, sondern sie empfindet Lust und Freude daran. Ebenso bereitet freiwilliger Sex Lust, obgleich er mit körperlicher Anstrengung und Proteinverlust verbunden ist.

Wie würden also die Mitglieder einer geldlosen Gesellschaft freiwillig einen ausreichenden Beitrag leisten und gleichzeitig nicht zu viele Konsumgüter für sich selbst beanspruchen?

Wenn sämtliche Konsumgüter für jeden beliebig und ohne Gegenleistung verfügbar wären, würde deren überdurchschnittlicher Besitz auch nicht zum sozialen Prestige beitragen.

Würde jemand einen Palast für sich alleine nutzen wollen, würde er dafür nicht bewundert, sondern eher als „gierig“ missachtet werden. Finanziell bedürftiges Reinigungspersonal wäre in der geldlosen Gesellschaft für solche Luxusbehausungen nicht zu finden. Somit würde tendenziell jeder nur soviel für sich selbst beanspruchen, als er auch selbst erhalten und bewirtschaften kann.

Motivation zur Arbeit

Die Motivation zur Arbeitsleistung wäre, sich an Projekten zu beteiligen, welche im Einklang mit dem eigenen Weltbild etwas Positives für die Gesellschaft und Umwelt bewirken. Der Lohn hierfür bestünde nicht in Geld, sondern in der Zuneigung und Anerkennung der anderen Mitglieder innerhalb der sozialen Gemeinschaft.

Das läuft in der Natur ebenso: Ein besonders erfolgreicher Jäger wird in der Gruppe hohes Ansehen genießen und vielleicht auch überdurchschnittlich viele paarungswillige Weibchen vorfinden, aber er wird stets die Beute mit dem gesamten Rudel teilen.

In einer freien geldlosen Gesellschaft wäre auch der Steuerungseffekt für wirtschaftliche Tätigkeit ganz anders. Nehmen wir als Beispiel zwei optionale Wirtschaftprojekte:

Das eine Projekt wäre ein Spital in Afrika zu bauen; das andere Waffen für einen afrikanischen Diktator zu produzieren.

Ein profitorientierter Investor würde natürlich die Waffenproduktion finanzieren und nicht das Spital, dessen potenzielle Patienten, anders als der Diktator, kaum über nennenswerte Kaufkraft verfügen. Auch fänden sich problemlos Firmen und Arbeiter, welche die Waffen für Geld produzieren.

In einer geldlosen Gesellschaft hingegen müssten freiwillige Mitarbeiter und Lieferanten vom allgemeinen Nutzen des Projekts begeistert werden; und hier würde vermutlich die Entscheidung zu Gunsten des Spitals ausgehen.

Wer macht freiwillig all die unangenehmen Arbeiten?

In unserem heutigen System finden sich genügend Menschen, die aufgrund ihrer finanziellen Situation genötigt sind mühsame, monotone, oder auch unangenehme Arbeiten gegen geringe Entlohnung zu verrichten, und zusätzlich das damit verbundene niedrige soziale Prestige zu erdulden.

Eine geldlose Gesellschaft stünde daher vor folgenden Herausforderungen:

  1. unangenehme Arbeiten durch technischen und organisatorischen Fortschritt weg zu rationalisieren
  2. Anreize zu schaffen, solche Tätigkeiten doch attraktiver zu machen, oder in irgendeiner Weise besonders zu belohnen. Oder auch die Mitglieder der Gesellschaft zeitweise zur Verrichtung dieser Tätigkeiten zu verpflichten, ähnlich wie derzeit junge Männer verpflichtet werden, 8 Monate Militärdienst oder Zivildienst abzuleisten

Mit dem Wegfall des Geldes würden auch eine Menge Arbeiten wegfallen

Sämtliche Jobs in der Finanzbranche und Buchhaltung wären überflüssig. Ebenso wäre Werbung großteils unnötig. Juristen und Exekutive wären sehr stark entlastet, da die meisten Verbrechen und Rechtsstreitigkeiten mit Geld bzw. Eigentumsdelikten in Zusammenhang stehen. Der Aufwand für Handel könnte erheblich reduziert werden, da in der geldlosen Gesellschaft Geschäfte bloß noch Warenverteilungszentren wären.

Eine Industrie, welche nicht das vorrangige Ziel hat, Umsatz, Marktanteile und Gewinne zu erzielen, könnte es sich leisten, weniger aber dafür langlebigere Produkte zu produzieren.

Wenn wir diese Faktoren allesamt mit einbeziehen, so könnte zumindest 50% allen heutigen Arbeitsaufwandes eingespart werden, ohne dass dies eine Minderung des materiellen Lebensstandards zur Folge hätte.

Verteilung knapper Güter ohne Geld

Dies betrifft vor allem: Land, Energie Ressourcen, Rohstoffe, Pflanzen und Tiere

Dies ist ein Problem, dem sich die geldgetriebene Gesellschaft ebenso stellen muss. Ist es besser und gerechter, dass die Kaufkraft entscheidet, wer wie viel bekommt, anstatt nach Verfügbarkeit und Bedarf zu verteilen?

Ist Geld überhaupt ein geeignetes Steuerungsinstrument, um zu sparsamen und sorgsamen Umgang mit knappen Ressourcen zu motivieren? Unser stets steigender Ressourcenverbrauch trotz deren erwiesener Knappheit widerspricht dem.

Eigentum

Das Eigentumsrecht ist, ebenso wie das Geld, eine Erfindung der neueren menschlichen Zivilisation. Es ist klar, dass jemand a priori das Eigentumsrecht an persönlichen Gegenständen hat, die der/die Betreffende selbst hergestellt hat. Aber welchen Beitrag hat irgendein Mensch an der Schaffung der Schätze der Natur gehabt?

Praktisch jeder Quadratmeter der Erdoberfläche mit all seinen darauf befindlichen Pflanzen und Tieren, jeder entdeckte Rohstoff , befindet sich im Eigentum irgendeines Menschen oder einer Rechtsperson. Aber mit welcher Berechtigung?

Wäre es daher nicht sinnvoller, die Schätze der Natur als Allgemeingut verantwortungsbewusst und nachhaltig zu nutzen, anstatt diese als Eigentum zu sehen? Wenn nur einige WENIGE die Eigentumsanrechte an Ressourcen haben, welche ALLE benötigen, so verschaffen die Verpachtung und der Verkauf dieser Ressourcen den Eigentümern Profit. Die anderen sind hingegen gezwungen, für die Eigentümer zu arbeiten, und sind von deren Wohlwollen abhängig.

Das Eigentum an Ressourcen funktioniert daher ähnlich wie das verzinste Geldvermögen. Sowohl die Ressourcen als auch das Geld werden für den Rest der Menschen knapp gehalten. Eine geldlose Gesellschaft müsste daher auch eine (zwar nicht besitzlose, aber) teilweise eigentumslose Gesellschaft sein.

Fazit

Wenn ich die Vision der Geldlosen Gesellschaft der derzeitigen Geldgetrieben Gesellschaft gegenüber stelle, so würde Erstere das Gute und Edle im Menschen ansprechen; anders als das Geld, welches Gier, Neid, Geiz, Egoismus und Misstrauen unter den Menschen erweckt.

Aber es gäbe auch einige große ungelöste Fragen bei der Umsetzung:

  • Wie soll der Übergang bzw. Systemwechsel ablaufen?
  • Muss das geldlose System global eingeführt werden, oder kann es innerhalb kleinerer Regionen autark existieren?
  • Wie viele Menschen soll und kann eine Solidargemeinschaft umfassen?
  • Können wir zB auch mit den Chinesen auf freiwilliger und unentgeltlicher Basis unsere Güter und Dienstleistungen teilen? Oder wird dann Außenhandel betrieben mit einem geldähnlichen Tauschmittel?
  • Inwieweit können Menschen, die bereits in der geldgetriebenen Gesellschaft sozialisiert wurden, umlernen, eigenverantwortlich und freiwillig für das Allgemeinwohl tätig zu sein?
  • Welche System-bewahrenden Widerstände von Personen und Institutionen wären zu erwarten?

Man kann diese Probleme aber auch als Herausforderung sehen: Alle bisherigen bahnbrechenden Erfindungen und Errungenschaften beruhen darauf, dass bis dato unlösbar scheinende Probleme durch neue Erkenntnisse und Denkansätze gelöst wurden. (Leser-Kommentar, Thomas Herzig, derStandard.at, 11.8.2011)

Autor

Thomas Herzig, geboren 1965, arbeitet als Architekt/ Erfinder/ Unternehmer, er ist spezialisiert auf aufblasbare Gebäude, Möbel und Skulpturen.
Web: http://www.pneumocell.com