Die Pantoffelhelden der Arbeit
Kolumne Dead Men Working
von Maria Wölflingseder
Was ist eigentlich mehr Arbeit, eine Arbeit zu haben oder keine? Was kostet mehr Energie und Substanz? – Meist macht es mehr Arbeit, und es ist viel nervenaufreibender ohne Arbeit zu sein. Weil du ohne nicht ganz richtig bist. Weil du in einem unmöglichen Zustand gefangen bist, in dem du unmöglich über die Runden kommen kannst. Die Arbeit bist du los, aber ohne Beschäftigung bist du mitnichten. Keine Hitzewelle bringt dich so ins Schwitzen wie das Jobsuchen. Und sei es nur ein kleines Mini-Jobberl, das du suchst, mit dem du 374 Euro zum Arbeitslosengeld dazuverdienen darfst. Jedes Mal ist es von neuem unfassbar: Du sitzt stundenlang, tagelang, wochenlang vorm PC, suchst nach Anzeigen, bewirbst dich, aber die Reaktionen sind gleich null. Je älter, je gebildeter, oder welche „Mängel“ auch immer du aufweist, desto ungefragter bist du. Genau so gut könntest du gegen die Wand reden, schreiben und telefonieren. Warum ist noch niemand auf die Idee gekommen, diese Unmengen an Nicht-Arbeit abzuschreiben? Negativ-Steuer – warum nicht auch Negativ-Arbeit? Schadet dieses massenhaft mutwillig vergeudete Tun nicht uns allen? Wozu soll dieses vorsätzliche Zerstören ungeheuren Potentials dienen? – Du meinst, die Arbeit selbst sei erst recht eine Verschwendung? Ein beispielloses Zerstören von menschlichen und ökologischen Ressourcen? – Ja, was könnte in dieser Zeit, mit dieser Energie nicht alles an Notwendigem und Vergnüglichem vollbracht werden? Schreiben und Schrauben, Komponieren und Kompostieren, Kichern und Kochen, Malen und Melken, Backen und Palavern, Schmusen und Schmieden und so weiter und so fort. Aber so darf es nicht sein.
Stattdessen gerät unter dem Joch der Arbeit alles unter immensen Druck, unter Zeit- und Gelddruck, unter Zeit-ist-Geld-Druck. Trotzdem betteln landauf, landab selbst die kritischen Geister um Arbeit, um „richtige Arbeit“, die „fair bezahlt“ ist, für die man einen „gerechten Lohn“ bekommt. Nicht einmal die Gewissheit, dass die Menge an zu verteilender Arbeit ständig kleiner wird, weil die Produktivität enorm gestiegen ist, und auch nicht die knallharte Realität der unzumutbaren Arbeitsbedingungen veranlasst die Leut’ zum Hinschauen, zum Denken, zum Erkennen. Erkennen, dass die „Rechnung“ auch innerhalb einer „echten Demokratie“, innerhalb „eines gezähmten Kapitalismus“ nie und nimmer aufgehen kann. Allein schon aus dem höchst simplen Grund, weil das an grenzenloses Wachstum gebunden wäre. Dieses Wachstum aber hat uns jetzt schon in den ökologischen und sozialen Ruin getrieben. Ganz schön vernichtend diese richtige Arbeit.
Auch nicht die immer abstruser werdenden Vorschläge der Politik, z.B. das Pensionsalter immer weiter in die Höhe zu schrauben – obwohl 45-Jährige kaum mehr einen Job bekommen –, lösen einen Aufschrei aus. – Noch viel gruseliger ist’s aber, wie hoffärtig manche (vor 30 Jahren ach so linke) Wissenschaftler die vermeintliche theoretische Fundierung übernehmen. Kaum wagst du es wieder einmal, den bei der österreichischen kritischen Intelligenzija so beliebten Ö1-Radiosender aufzudrehen, traust du deinen Ohren nicht. Wenn es da um Politisches und Soziales geht, schlägt das meist schwer auf den Magen. In einer vierteiligen Radiokolleg-Reihe (11.–14. Juli 2011) ging es um das „aktive Altern“. Der Titel der ersten Sendung lautete: „Wie man schon vor der Pension entdeckt, was man wirklich will“. Die zweite Sendung allerdings war nicht viel mehr als eine politische Belangsendung, in der Bernd Marin – Executive Director des Europäischen Zentrums für Wohlfahrtspolitik und Sozialforschung – mit seinen gewohnt zynischen Aussagen über den untragbaren Zustand im Pensionssystem das Sagen hatte. Wie kein anderer – nicht einmal die Politiker selbst – versprüht der Exekutor vom Dienst regelmäßig auf Ö1 und im Standard sein Gift gegen die Pensionisten – offenbar, um das Geld vor ihnen zu retten. Sekundiert wurde er in dieser Sendereihe vom Altersforscher, dem Soziologen Franz Kolland: Dieser ereiferte sich über die Wichtigkeit von Arbeit auch für die Alten und begründete das mit Marie Jahoda (die an der großen Untersuchung über die Arbeitslosen von Marienthal in den 1930er Jahren mitgewirkt hat): „In der Arbeit gehe es ja nicht nur um Brot- und Lohnerwerb, sondern vor allem auch um Strukturierung, Anerkennung und soziale Beziehungen.“ – Ja, genau das ist ja das Verquere, dass Anerkennung und Beziehungen an die Arbeit gebunden sind anstatt an des Menschen Dasein selbst.
Nichtsdestotrotz tun sich die G’studierten die schlimmsten Verrenkungen an, um das Lied von der Arbeit nicht verstummen und das Leid der Arbeit nicht enden zu lassen. Noch einer, der ins Horn der unerlässlichen biologischen Bedürfnisbefriedigung trompetet: „… aber auch die Bedürfnisse nach Abwechslung und nach orientierungs- und/oder handlungsrelevanten Informationen werden insbesondere im Arbeitsleben befriedigt… Das Bedürfnis nach emotionaler Zuwendung (Liebe, Freundschaft, aktiv/passiv) lässt Freundschaften und Beziehungen auf dem Arbeitsplatz entstehen und das Bedürfnis nach spontaner Hilfe der Menschen hat schon manch einen Arbeitskollegen bei der Erledigung einer mehr oder minder schweren Aufgabe gerettet. Das Bedürfnis nach subjektiver Sicherheit/Gewissheit verlangt nach einem sicheren Arbeitsplatz, während unser Streben nach Autonomie (Autonomiebedürfnis) die selbständige Aufgabenerledigung als Jobenrichment erfahren lässt. … Das Bedürfnis nach (Austausch-)Gerechtigkeit lässt Betriebsräte und Gewerkschaften entstehen und sorgt dafür, dass wir eine gewisse Gleichbehandlung auf dem Arbeitsplatz als selbstverständlich betrachten.“ – Das schreibt kein treuer Staatsdiener im Auftrag des Arbeitsamtes, sondern Michael Klassen, der Leiter des Studiums Soziale Arbeit (FH) am Management Center Innsbruck, in seinem Beitrag „Arbeiten um zu leben? Leben um zu arbeiten?“ im Buch „Land der Hämmer zukunftsreich? Von Arbeit und Arbeitslosigkeit“ (2006), herausgegeben vom Salzburger universitären Verein „unicum:mensch“ – initiiert vom Universitätsprofessor Clemens Sedmak –, der sich „um einen Brückenschlag zwischen Universität und humanitärer Praxis bemüht“.
Vergeht einem da nicht jegliche Lust auf freudiges Wirken und Werken, Schöpfen und Schaffen, Formen und Fertigen, Schauen und Bauen, Hegen und Pflegen, Flanieren und Phantasieren?