Demonetize it!

Streifzüge 51 / 2011
Kolumne IMMATERIAL WORLD

von Andreas Exner

Ein neuer Gedanke durchzieht wie ein virales Mem die Gesellschaft. Er taucht an unerwarteten Stellen auf und pflanzt sich rasch über verschiedene soziale Milieus hinweg fort, so als wäre einfach die Zeit dafür reif. Wer eine Gesellschaft jenseits des Kapitalismus will, muss sie jenseits von Geld, Markt und Staat suchen. Dieser Gedanke wird nicht mehr nur in kleinen randständigen Blättern wie den Streifzügen gedacht, sondern er wird derzeit millionenfach angeschaut – im Film Zeitgeist: Moving Forward. Dieses Phänomen ist wohl der deutlichste Ausdruck davon, dass immer mehr Menschen das zerstörerische Leben unter dem Diktat von Konkurrenz, Management und Staat nicht mehr wollen. Sie suchen keine „Gemeinwohlökonomie“ (Christian Felber) oder sonst eine Reform der Marktwirtschaft, sondern eine Alternative zu ihrem unnötigen Leiden.

Die „Linke“, die traditionell für sich in Anspruch nehmen wollte, eine solche Alternative zu bieten, hat darin gründlich versagt. Man darf dieses Urteil freilich nicht verallgemeinern. Autonome Strömungen außerhalb der Parteien, der Gewerkschaften und Interessenvertretungen haben immer wieder für ein Leben gekämpft, das ihnen die Verrenkungen des Marktes und staatlicher Herrschaft erspart. Doch war ihnen entweder nur ein zeitweiliger, lokaler Erfolg beschieden wie etwa den Diggers in der Hippie-Szene der US-amerikanischen Westküste, oder sie beschränkten sich darauf, kostenlos zu nehmen, was die Kaufhäuser und der Staat ihnen boten wie im Italien der 1970er Jahre. Sie brachten es jedoch nicht dazu, eine klare Alternative zu formulieren, wie ein Leben nach dem Kapitalismus aussehen muss und diese auch umzusetzen.
Die real existierende Zumutung im europäischen Osten hat dafür gesorgt, dass die Begriffe des Kommunismus und des Sozialismus kaum mehr taugen, um diese Alternative und den Weg dorthin zu beschreiben. Umso erstaunlicher, dass etwa die Zeitgeist-Bewegung den ursprünglichen Sinn des Kommunismus wieder aufgreift. Sie trifft sich auf diese Weise mit anderen Strömungen der „Linken“, die den sozialdemokratischen und bolschewistischen Versionen des Kapitalismus, die jene für eine Verbesserung der menschlichen Lebensbedingungen hielten, nicht folgten. So etwa das „Unsichtbare Komitee“, das nüchtern festhält: „Die praktische Abschaffung des Geldes kann nur durch die Ausweitung der Kommunen geschehen.“

„Alle unsere Handlungen müssen uns dabei“, so schreibt eine andere Gruppe 2009 im Zuge der studentischen Proteste in den USA „aus einer ausbleibenden Zukunft“ (so der Titel ihres Komuniquées), „der Vergemeinschaftung näher bringen: das heißt, die Umgestaltung der Gesellschaft entsprechend einer Logik von freiem Geben und Nehmen sowie die sofortige Abschaffung des Lohns, der Wertform, des Zwangs zur Arbeit und des Tausches.“

Noch stärker kommt der Gedanke des freien Lebens in der radikalfeministischen Debatte ans Licht, die eine Geschenkökonomie propagiert. Genevieve Vaughan entwickelt unter diesem Titel eine grundlegende Kritik des Patriarchats, das auf dem Tausch beruht. Tausch ist laut Vaughan nicht nur eine handfeste Praxis, sondern auch eine Art, die Welt und unsere Beziehungen zu denken. So wie der Tausch das Geld zu seinem Maß erhebt, fungiert der Mann als Maß aller Menschen. Eine Alternative, meint Vaughan, muss im Denken beginnen. Dies geschehe, wenn wir erkennen, dass die Tauschlogik wie ein Parasit von der viel grundlegenderen Logik des Geschenks zehrt und diese seinem Herrschaftsanspruch nicht zuletzt im Denken unterwirft. Eine Analyse, die ähnlich von Veronika Bennholdt-Thomsen in „Geld oder Leben“ entwickelt wird.

Bemerkenswert ist an der Geschenkökonomie, wie klar sie nicht nur das Kapital, sondern auch Geld und Tausch ablehnt. Darin trifft sie sich mit einigen Strömungen des Marxismus: von der Wertkritik der Gruppen krisis und Exit über Michael Heinrich, Nadja Rakowitz oder Alfred Fresin bis zu bewegungsnahen Autor_innen wie John Holloway, Harry Cleaver oder Friederike Habermann. Die Geschenkökonomie als ein Ansatz, der Veränderungen nicht nur im Denken bewirken will, scheint eher zu einer gemeinsamen Praxis und einer internationalen Vernetzung anzuregen, als dies bei vielen der marxistischen „Brüder“ der Fall gewesen ist.

Diese einerseits agitatorischen, andererseits theoretischen Ansätze wirken wie Begleiterinnen einer Entwicklung von Bewegungen, die eine praktische Perspektive der Überwindung von Geld und Tausch in unterschiedlichem Ausmaß propagieren. Während die Forderung nach einem bedingungslosen Grundeinkommen dort, wo damit tatsächlich ein freies Leben möglich gemacht werden soll, dies auf eine eher verkorkste Weise ausdrückt, scheint die Debatte um gemeinschaftlich und gleichberechtigt genutzte Ressourcen, so genannte Gemeingüter, mehr zu versprechen. Nicht nur kann ein riesiges Feld von heute existierenden Produktionsweisen verdeutlichen, wie ein Leben abseits von Geld, Tausch und Staat aussieht. Manche wollen auch ganz ausdrücklich, dass die ganze Gesellschaft auf Gemeingütern beruht.

Allerdings geschieht das in einer widersprüchlichen Form. Denn viele Fans der Gemeingüter wollen mit ihrer Hilfe nur Kapitalismus und Marktwirtschaft ergänzen. Häufig schränkt man sie auf natürliche Ressourcen ein, so als gäbe es irgendeinen natürlichen Grund, dass zwar eine Weide, nicht aber ein Stahlwerk ein Gemeingut sein kann. Und schließlich gibt es viele, die glauben, es gäbe einen glatten Übergang in eine bessere Gesellschaft, weil die Konzerne früher oder später einsehen würden, dass sie mit Gemeingütern mehr Geld verdienen könnten und dann, wenn sie bemerkten, dass das nicht so ist, friedlich abzögen.

Kein Gespenst geht um, sondern ein Spross ist sichtbar: der Gedanke, dass ein Leben ohne Geld und Tausch möglich ist und gut. Und ein Tun, das dahin drängt, sich zu erweitern und zu entfalten: in Gemeinschaftsprojekten, in vielen verschiedenen Versuchen, stückweise zum Aufbau einer Perspektive der Demonetarisierung beizutragen. Damit diese verstreuten Versuche, die alle für sich genommen seit einiger Zeit an Kraft gewinnen, noch stärker werden, hat sich das Netzwerk Demonetize it! gegründet. Über die Online-Plattform http://demonetize.it werden Informationen aus unterschiedlichen Projekten zusammengefasst und Aktivitäten koordiniert.

29.4.2011