Aus der Hängematte ins Ehrenamt?
Kolumne Dead Men Working
von Maria Wölflingseder
Eine beherzte Initiative der Psychologin Hedwig Presch, an der über 400 Menschen ohne Lohnarbeit beteiligt waren, gewährt einen tiefen Einblick in eine Realität, die von der Öffentlichkeit noch immer weitgehend ausgeblendet wird. Das einjährige Projekt „WÜST – Würde statt Stress: Solidarische Gesundheitsförderung durch kompetente Erwerbsarbeitslose“ wurde Ende Februar erfolgreich abgeschlossen.
Menschen haben es satt, als bemitleidenswert oder gar faul, erfolglos, kurz als Versager gesehen zu werden. Nur weil die fortgeschrittene Rationalisierung, die dem Kapitalismus innewohnt, sie zur Ausschussware am Arbeitsmarkt gemacht hat. Ihr öffentliches „Image“ – dem der Makel Hängematte anhaftet – wollen sie lieber heute als morgen verändert spüren. Zumal alleine schon der Begriff „arbeitslos“ eine Zumutung ist. Sie sind meist genau so viel beschäftigt wie alle anderen auch, nur dass sie nicht dafür bezahlt bekommen. Zusätzlich zum nervenaufreibenden Kurs- und Bewerbungskarussell, das sich immer schneller dreht, je weniger Chancen jemand am Arbeitsmarkt hat, übernehmen sie unbezahlte Betreuungsaufgaben in Familie und Freundeskreis und sind unentlohnt vielfältig tätig.
Wenn sich zeitweilig Inaktivität breit macht, dann weil die Zermürbung nagt: „Das Unerträgliche ist der einschüchternde, beleidigende, unterstellende, beschuldigende, unhöfliche Umgangston, der bei vielen AMS-BeraterInnen Usus ist. Arbeitsuchende fühlen sich wie Schuldige und Bittsteller. Ihre Existenz hängt davon ab, ob sie sich mit größtmöglicher Demut keiner Zumutung widersetzen und alles tun, was von ihnen erwartet wird.“ Was allerdings auch nicht immer vor einer Geldsperre schützt. „Die Arbeitslosigkeit, nein, eher das AMS macht aus mir, einem vormals lebenslustigen und vor Energie strotzenden jungen Mann, ein depressives Häufchen Elend.“
Aber im Projekt WÜST wurde nicht nur nach den belastenden Faktoren der Erwerbsarbeitslosigkeit gefragt, sondern auch nach den positiven, nach den gesund erhaltenden Aspekten. Neben einer ausführlichen Online-Umfrage, an der sich 228 Personen beteiligten, wurden sogenannte „Gesundheitszirkel“ veranstaltet. Letztere sind eine staatlich etablierte Maßnahme der betrieblichen Gesundheitsförderung und werden seit ca. sieben Jahren europaweit in Firmen durchgeführt. Hedwig Presch hatte die Idee, diese Methode auch für Menschen ohne Job zu nutzen und reichte das Projekt WÜST beim Fonds Gesundes Österreich zur Finanzierung ein. Die Umsetzung erfolgte unter Mitwirkung von Erwerbsarbeitsloseninitiativen. – Ausgangspunkt waren folgende drei Fragen: 1. Was erhält mich gesund, was tut mir gut? 2. Was macht mich krank, was belastet mich? 3. Welche Lösungsvorschläge habe ich?
Unter die Lupe genommen wurde auch die Arbeitswelt als solche. Nichts ist ja mehr, wie es lange war. Viele können von ihren Jobs nicht leben (Working Poor), junge gut Ausgebildete finden keine Anstellung (Generation Praktikum), viele haben nur prekäre Jobs, Ältere sind zu alt für den Arbeitsmarkt, aber das Pensionsalter wird erhöht, und die, die einen Job haben, müssen oft 60 bis 80 Stunden arbeiten, trotz scheinheiliger Propagierung einer Work-Life-Balance. – Angesichts dieses gesamtgesellschaftlichen Desasters haben Lohnarbeitslose kein Problem, auch die positiven Auswirkungen von Joblosigkeit darzustellen – ihres Hängematten-Images zum Trotz. Es wurde sogar mit Nachdruck darauf hingewiesen, ob sie nicht vielmehr die „Vorreiter in eine neue Zukunft“ seien? „Könnte es sein, dass die Erwerbsarbeitslosen von heute in ihrem Bewusstsein und in ihrem Leben bereits unterwegs sind auf einem Weg, den Politiker, althergebrachte Arbeitgeber und Institutionen noch gar nicht einmal erahnen?“ – Die genannten Vorteile der Joblosigkeit muten jedenfalls recht zukunftsweisend an: selbstbestimmtes Tun, sich die Zeit selber einteilen, Muße, mehr Zeit für Familie, Freunde und Haustiere, Kunst, Kreativität, spannende Tätigkeiten, Zeit um gesünder zu leben und die Natur zu genießen.
Als besonders belastend wird u.a. die Willkür seitens des AMS erlebt. Für vieles sind keine verbindlichen Regeln erkennbar. Was den einen erlaubt wird (z.B. ein brauchbarer Kurs anstatt des 7. Bewerbungstrainings), wird den anderen verboten. Das reicht bis zur völlig unterschiedlichen Behandlung von Einsprüchen gegen nicht erhaltenes AMS-Geld. Manfred Novak, der wissenschaftliche Leiter des Ludwig Boltzmann Instituts für Menschenrechte, hat unlängst die Willkür bezüglich Entscheide von Asylverfahren kritisiert. Die ebenfalls als Willkür und Menschenunwürdigkeit erlebte Behandlung von Arbeitslosen ist hingegen noch immer kein Thema.
Die Lösungsvorschläge waren breit gestreut: Von Veränderungen unter den gegebenen Strukturen (Verbesserungen am AMS; Grundeinkommen sowie Arbeitszeitverkürzung und Umverteilung; Vernetzung von Lohnarbeitslosen: z.B. Geldleihkreis, Notfallfond, Wohnungstausch, Sportgruppen, Raum für kreatives Schaffen) bis hin zur grundsätzlichen Umgestaltung der gesellschaftlichen Verhältnisse, damit die „Arbeit“ bzw. alle Tätigkeiten einer anderen Logik folgen können.
Vor dem Hintergrund einer aberwitzigen (Arbeits-)Welt, in der kein Geld mehr zu verdienen ist, das Leben aber immer teurer wird, erscheint das 2011 von der Europäischen Union ausgerufene „Jahr des Ehrenamts“ wie Kurpfuscherei, mit der der sterbenskranke Patient Marktwirtschaft geheilt werden soll. Da geht der Fischer (Bundespräsident) mit dem Küberl (Chef der Caritas) Ehrenamtliche angeln. Als Köder wollen sie ein paar Zuckerl auswerfen. Denn „das Ehrenamt ist der Blutkreislauf der Gesellschaft“, so das Staatsoberhaupt. Eine leise Verhöhnung für viele der potentiellen Zielgruppe – PensionistInnen und Lohnarbeitslose –, die selbst kurz vorm (nicht nur finanziellen) Kreislaufkollaps stehen? Das altehrwürdige Ehrenamt in Ehren, aber was hilft’s, den Blutkreislauf, in dem unzählige Blutgerinnsel auf einen Infarkt hinsteuern, notdürftig in Schwung zu erhalten? Auch mit dieser Therapie wird das nix mehr werden.
PS. In Deutschland plant die schwarz-gelbe Koalition gerade in diesem Jahr steuerliche Vorteile für Hartz-IV-Bezieher, die ehrenamtlich tätig sind, zu kürzen. So würde z.B. auch die Tätigkeit als ehrenamtlicher Bürgermeister – einige von ihnen sind gleichzeitig Hartz-IV-Empfänger – noch unattraktiver werden.
Ausführliche Berichte über WÜST:
www.alterskompetenzen.info