Arbeit
KOLUMNE Immaterial World
von Stefan Meretz
Wenn alle gegen die Arbeit reden, soll hier für die Arbeit das Wort ergriffen werden. Nein, falsch, die Arbeit kann nicht belobigt werden, denn in einer abstrakten Redeweise kann man nicht für oder gegen die Arbeit sprechen bzw. schreiben. Wir kommen also auch hier nicht um die Mühe des Begriffs herum, die kolumnengemäß kurz ausfallen muss.
Ausgangspunkt ist die schlichte Tatsache, dass Menschen ihre Lebensbedingungen nicht einfach vorfinden, sondern aktiv herstellen. Das Herstellen bezieht sich auf alle Lebensbedingungen, also nicht nur auf die materiellen, sondern auch auf die sozialen. Der Aspekt der Herstellung der materiellen Lebensbedingungen wird traditionell mit dem Begriff der „Arbeit“ verbunden. Mit dieser terminologischen Abstraktion wird jedoch ein bedeutender Teil der produktiven menschlichen Lebenstätigkeiten abgeschnitten und in ein unsichtbares Reich verbannt. Versuche, diese Tätigkeiten durch Einbeziehung in das „Arbeits-Reich“ – als Beziehungsarbeit, Hausarbeit, affektive Arbeit etc. – wieder sichtbar zu machen, sind weitgehend gescheitert. Die Gründe dafür sind in der Theoriebildung zu finden.
Überlegungen von Karl Marx und sich auf ihn beziehende Ansätze lassen sich in drei Phasen einteilen. Zunächst war Arbeit für Marx identisch mit Entfremdung, mit einer Umkehrung von Mittel und Zweck: Anstatt das „produktive Leben“, das „Gattungsleben“ (Ökonomisch-philosophische Manuskripte, 516) als Selbstzweck zu verwirklichen, gerät Arbeit bloß zum Mittel für einen fremden Zweck und ist nur „Diener des Lohns“ (ebd., 520). Alle Tätigkeit des Gattungslebens ist Produktion, Schöpfung der Lebensbedingungen, während entfremdete Arbeit als Ursache des Privateigentums bestimmt wird.
Mit der „Kritik der politischen Ökonomie“ unterscheidet Marx in der nächsten Phase dann Gattungs- und Formbestimmung: Die nützliche Arbeit ist „eine von allen Gesellschaftsformen unabhängige Existenzbedingung des Menschen, ewige Naturnotwendigkeit, um den Stoffwechsel zwischen Mensch und Natur, also das menschliche Leben zu vermitteln“ (Kapital I, 57); die gesellschaftliche Form warenproduzierender Arbeit zeigt sich als Verhältnis von konkreter „besonderer zweckbestimmter“ und abstrakter „gleicher menschlicher“ Arbeit (ebd., 61). Diese Fassung wirft bis heute diskutierte Probleme auf, nur zwei seien genannt.
Erstens: Die überhistorische Fassung von „nützlicher Arbeit“ und der historisch-spezifische Formaspekt der „konkreten Arbeit“ (die als solche keine eigenständige Existenz hat) werden in eins gesetzt. Marx tut dies selbst, indem er „konkreter nützlicher Arbeit“ (ebd.) die ewige Fähigkeit zuschreibt, „Bildnerin von Gebrauchswerten“ (ebd., 57) zu sein. Dies hat viele Interpretationen dazu verleitet, die „konkrete Arbeit“ nicht als unselbständiges Moment der warenproduzierenden Arbeit anzusehen, sondern als verselbständigte, neutrale Entität, die es von der Lohnform zu befreien gelte. Dabei rückt aus dem Blick, dass die besondere Zweckbestimmung der konkreten Arbeit die Realisierung des Tauschwerts ist, was auch die sinnlich-konkrete Gestalt der Waren bestimmt.
Zweitens: Zwar unterscheidet Marx – wie unvollkommen auch immer – Gattungs- und Formbestimmung, doch indem er dies mit der „Abstraktion der Kategorie ‚Arbeit‘, ‚Arbeit überhaupt‘, Arbeit sans phrase“ (Grundrisse, 38) tut, geraten all jene Tätigkeiten des „Gattungslebens“ aus dem Blick, die er vorher noch ganz allgemein als „produktives Leben“ gefasst hat. Marx weiß, dass es die „Verhältnisse (sind), die diese einfache Abstraktion erzeugen“, mit der der „Ausgangspunkt der modernen Ökonomie erst praktisch wahr“ (ebd.) geworden ist, befestigt damit aber theoretisch die reale Abspaltung und Entwichtigung der Sphäre der Nicht-Arbeit.
Als dritte Phase kann die wertkritische Rekonstruktion des Marxschen Ansatzes gelten, insbesondere durch Moishe Postone (Zeit, Arbeit und gesellschaftliche Herrschaft). Er unterscheidet eindeutig überhistorische Gattungsbestimmung und historisch-spezifische Form der Arbeit. Erstere meint die produktiven Tätigkeiten im allgemeinen Sinne, die in nichtkapitalistischen Gesellschaften „ihre Bedeutung aus den gesellschaftlichen Beziehungen (erlangen), in deren Kontext sie stehen“ (ebd., 233). Im Gegensatz dazu stellt die kapitalistische Arbeit selbst die gesellschaftliche Vermittlung her und verleiht dieser ihre uniforme Bedeutung („was sich rechnet, das zählt“). Beide Aspekte überlagern sich im Kapitalismus, wobei die formspezifische Arbeit dominant ist.
Doch auch Postone rutscht entgegen erklärter Absicht am Ende wieder in eine universalisierende Redeweise von der „Arbeit“, wenn er die Gattungsdimension benennt. Dadurch entsteht der Eindruck einer Aufteilung in eine „gute konkrete“ Arbeit an der Gattung und eine „schlechte abstrakte“ Arbeit am Kapital. So kann er als Alternative zur gesellschaftlichen Vermittlung durch warenförmige Arbeit nur eine intensivierte „politische öffentliche Sphäre“ (ebd., 543) denken.
Wie der junge Marx wusste, ist das „produktive Leben“ insgesamt als Quelle der Schöpfung der gesellschaftlichen Lebensbedingungen zu begreifen. Während die Abstraktion „Arbeit“ immer eine „Nicht-Arbeit“ von sich abstößt und damit implizit behauptet, nur „Arbeit“ würde die Lebensbedingungen herstellen, schließt der Begriff der produktiven Lebenstätigkeit alle gesellschaftlichen Tätigkeiten ein, die die Voraussetzungen menschlich-gesellschaftlichen Lebens schaffen.
Nun könnte man einwenden, dass genau diese transhistorisch-allgemein verstandene produktive Lebenstätigkeit gemeint sei, wenn man von „Arbeit“ schlechthin rede. Das wäre denkbar, allerdings nur dann, wenn man „Arbeit als produktive Lebenstätigkeit“ von „warenproduzierender Arbeit“ unterscheidet und dabei nicht in den Fehler verfällt, eine Dimension der doppelt bestimmten Arbeit mit einer transhistorischen Bestimmung zu verwechseln.
Da scheint es mir doch einfacher, begrifflich „produktive Lebenstätigkeit“ von „Arbeit“ abzuheben und deutlich zu machen, dass Emanzipation voraussetzt, dass die Sphärenspaltung in Arbeit und Nicht-Arbeit aufgehoben wird. Dies wären Verhältnisse, in denen individuelle, besondere Menschen ihre Besonderheit als gesellschaftlich Allgemeines so zur Geltung bringen, dass dies nicht auf Kosten anderer geht, sondern alle anderen einschließt.