Pressefreiheit oder Mediendiktatur?

Brief aus Cordoba, 29. Dezember 2009

von Dora de la Vega

Freiheit ist das Wunderwort, das in einem Atemzug in Verbindung mit Demokratie ausgesprochen wird. Dass es dabei um die Freiheit der Unternehmen geht, wird penibel verschwiegen. So hört man oft, dass in Lateinamerika die „Pressefreiheit“ gefährdet sei, vor allem in Venezuela, Bolivien, Ecuador, Nicaragua und neuerdings auch in Argentinien. Wächter der Pressefreiheit wie die Interamerican Press Association[1] zeigen sich in X-Mal reproduzierten Erklärungen äußerst besorgt, und die Medien der Welt sorgen dafür, dass die gesellschaftlichen Prozesse, die sich in diesen lateinamerikanischen Ländern entwickeln, aus der Sicht der Medienbaronen des Kontinents dargestellt werden.

Was die Herrschenden „Pressefreiheit“ nennen ist die Freiheit der Medienkonzerne: Pressefreiheit um den Löwenanteil der Presse zu ergattern; Pressefreiheit, um mit ihrem Marktglauben zu missionieren; Pressefreiheit, um ihre eigenen Interessen in den Nachrichten zu propagieren; Pressefreiheit, um die Verblödung der Massen mit ihren eindimensionalen Entertainments in universalisierten Formaten noch weiter voranzutreiben. Man sollte die Sache per Namen nennen, es geht um die Freiheit der Unternehmen.

Dass der Kampf um die Medien keine Angelegenheit eines einzigen lateinamerikanischen Landes ist, sollte spätesten nach der großen Pressekampagne gegen Chavez bekannt sein, als vor zwei Jahre der Sendevertrag eines privaten Senders zugungsten der “Poder popular“[2] nicht verlängert wurde. Obwohl die Entscheidung nicht aus einem Alleingang des venezolanischen Präsidenten getroffen wurde, sondern die Folge eines Kampfes der in vielen Dekaden mühsam organisierten Basisarbeit, die nun die o.g. Poder Popular bilden, entfesselten die Medienkonzerne des Kontinents eine große Kampagne dagegen.

Auch in Ecuador steht zur Zeit ein neues Mediengesetz auf der Tagesordnung. Präsident Rafael Correa prangert ebenfalls die Medienunternehmer an, weil sie wie anderswo in Lateinamerika im Dienste des status quo der gesellschaftlichen Verhältnisse fungieren.

Die Medienkonzernen Lateinamerikas konnten im Zuge der Privatisierungswelle der 90er Jahre eine bis dahin nie gewesene Konzentration erzielen. Sei es Televisa in Mexico, Cisneros in Venezuela, Visión in Brasil oder Clarin in Argentinien, ihnen allen ist es gelungen, einen gigantischen Anteil der Medienlandschaft an sich zu reißen. Das geschah auf Kosten der kleinen lokalen Zeitungen, Radios und Sender, die nach und nach verschwanden. Diese Konzerne fungieren als Sprachorgane des Kapitals und achten sehr darauf, dass niemand „reinfunkt“.

Dass gerade die sozialen Bewegungen in Lateinamerika immer mehr gegen diese Monopole ihre Stimmen erheben, wird tot geschwiegen. Mit bescheidenen Mitteln versuchen sie ihre Belange zu artikulieren, stoßen aber oft auf eine Gesetzgebung, die sie niemals als Meinungsträger wahrgenommen hat, geschweige denn als solche berücksichtigt.

So in Argentinien, wo das geltende Medien-Gesetz aus Zeiten der Diktatur stammt. Die ersten Initiativen für eine Veränderung dieser Situation stammen aus den 80er-Jahren. Aber erst im August 2004 einigten sich mehr als 300 Gruppen der Zivilgesellschaft (u.a. Gewerkschaften, Menschenrechtsorganisationen, Schauspieler, Regisseure, Vertretern der Ureinwohner) auf ein aus 21 Punkten bestehendes Programm für ein Gesetz zur Demokratisierung der Medien. Dieser Text wurde im ganzen Land in 40 Foren, Seminaren, Workshops, Podiumsdiskussionen debattiert und überarbeitet, bis die Regierung in März ihre Unterstützung bekundete und jenen einige Monate später an den Kongress weiter leitete, nicht zuletzt aus eigenen Interessen, da die Medien Sprachorgane der sich immer stärker formierenden konservativen bis rechten Opposition geworden sind.

Das im Oktober verabschiedete argentinische neue AV-Mediengesetz sieht ein Mediensystem vor, in dem Sendefrequenzen zu gleichen Teilen an Staat, Privatunternehmen und sozialen Bewegungen verteilt werden müssen; die Konzerne haben eine Frist von einem Jahr bekommen, um ihre Radios- und Fernsehfrequenzen auf ein Drittel zu reduzieren. Kein Wunder dass sie sofort nicht nur mit einer Kampagne und empörten Werbespots reagierten, weil ihre „Pressefreiheit bedroht“ sei, sondern die Anwendung des Gesetzes durch Verfassungsbeschwerde zunächst gestoppt haben.

Das argentinische AV-Mediengesetz ist somit zu einer zusätzlichen Machtprobe zwischen Regierung und Opposition geworden. Aber die sozialen Bewegungen denken nicht darauf zu warten, dass die Justiz den gordischen Knoten einer Verfassung löst, die sowohl das Privateigentum in der Tat schützt, als auch angeblich die Meinungsfreiheit.

[1] Für Who is who s. www.sipiapa.org
[2] Vierte Gewalt, die in Venezuela neben dem Exekutiven, Legislativen und Judikativen eingeführt wurde.