Politik der Gedärme
Zu den aktuellen Wahlkämpfen
von Franz Schandl
Nach einigen weniger erfreulichen Wahlgängen möchten die Sozialdemokraten bei den Landtagswahlen ihre Vormachtstellung wieder unter Beweis stellen. Das liegt durchaus im Bereich der Möglichkeit, sowohl in Wien als auch in Graz.
Der 61jährige Wiener Bürgermeister Michael Häupl (SPÖ) kämpft um die absolute Mehrheit in der Hauptstadt. Abgesehen von den Jahren 1934-1945 wird Wien seit 1919 ohne Unterbrechungen sozialdemokratisch regiert. Dass Häupl nicht mehr Bürgermeister werden könnte, ist auszuschließen. Vor einem Jahr hätte zwar noch niemand darauf getippt, dass die SPÖ auch nur annähernd das Resultat von 2005 (49,1 Prozent, aber mehr als die Hälfte der Mandate) wieder wird erreichen können. Jetzt scheint alles in diese Richtung zu laufen. Vielleicht sogar zu sehr. Auch 2005 signalisierten Umfragen der SPÖ weit über 50 Prozent. Das wirkte sich allerdings für die Mobilisierung recht nachteilig aus. Man wird daher nicht müde zu betonen, dass die Absolute alles andere als sicher sei. Man stapelt tief, um ja nicht zu vermitteln, der Sieg sei schon eingefahren.
Es geht also nicht darum, die SPÖ abzulösen, man wünscht lediglich mit ihr koalieren zu dürfen. Schwarze und Grüne balgen regelrecht um Häupls Gunst. „Mag er uns eh?“, fragen sie sich. Die brustschwache Wiener ÖVP plakatiert und inseriert einen äußerst sympathischen und jugendlichen Häupl, wie diesem der Wind durch das Haar bläst. Der Bürgermeister wirkt auf dem Bild fescher und frischer als er ist. Auf jeden Fall erscheinen Schwarze und Grüne nur als Statisten, letztere noch durchgerüttelt von diversen Querelen, Abspaltungen und grünen Gegenkandidaturen in einigen Wiener Bezirken.
Dass Wien ordentlich verwaltet ist, streiten nicht einmal Häupls Gegner ab. Der wird auch nicht müde, hervorzustreichen, dass betreffend die Lebensqualität von Metropolen Wien bei internationalen Rankings ganz vorne liegt. „Wien ist Vorbild“, sagt auch der Kanzler, Werner Faymann, der ja unter Häupl Wohnbaustadtrat in Wien gewesen ist. Die neuesten Errungenschaften sind gut getimet. Eine Woche vor der Wahl, am 2. Oktober wird die U2 nach Donaustadt verlängert, Volksfest, Promiauflauf und Bürgermeister mitinbegriffen. Erst Anfang September wurde die U-Bahn auf einen 24 Stundenbetrieb umgestellt. Eine alte Forderung der ÖVP kommt als Erfolg der SPÖ rüber.
Man gibt sich jovial und sozial. Kürzungen seitens der finanzkräftigen Stadt halten sich in Grenzen. Die SPÖ tritt offiziell gegen die Privatisierung kommunaler Dienstleistungen und des öffentlichen Verkehrs ein und verweist auf die negativen Erfahrungen in Deutschland. Einer genaueren Sichtung hält diese Selbsteinschätzung aber doch nicht so ganz stand. Es sollte nicht vergessen werden, dass die gemeindeeigene und größtes Geldinstitut des Landes, die Bank Austria (vormals Zentralsparkasse) schon im Jahr 2000 billigst abgestoßen wurde und inzwischen in der italienischen UniCredit aufgegangen ist. Ebenso wurden die 220.000 Gemeindewohnungen in die Kapitalgesellschaft „Wiener Wohnen“ ausgelagert, was zur Folge hatte, dass dort die Mietpreise ziemlich angezogen haben. Wohnen in Wien ist sowieso sehr teuer. Die Politik der Ausgliederung in Aktiengesellschaften betrifft ebenso die Wiener Stadtwerke und die Wiener Linien. Es ist also nicht auszuschließen, dass diese Entwicklung nur eine Vorstufe der Privatisierung darstellt.
Michael Häupl, der nun seit 1994 bereits das Amt des Bürgermeisters und Landeshauptmanns innehält, ist ein alter Politfuchs. Die Mischung aus Intellektualität und Hemdsärmeligkeit, die verkauft Häupl glänzend. Sie ist nicht gespielt, sondern gekonnt. So wird Häupl von den Boulevardblättern Krone und Österreich ebenso favorisiert wie von nicht wenigen kritischen Intellektuellen. Er scheint für alle etwas zu haben, und das wirkt authentisch, nicht bloß taktisch. Auf einem Plakat, wo er etwa mit Immigranten posiert, heißt es: „Mir geht’s um klare Regeln fürs Zusammenleben.“ Das ist (wohl absichtlich) als Drohung aber auch als Unterstützung zu verstehen. Der fürsorgliche Mann kann auch mit dem Zaunpfahl winken. Der oberste aller Hausmeister ist der Bürgermeister selbst. Aber diese Art patriarchaler Bevormundung kommt nicht schlecht an.
Die vom FPÖ-Obmann Heinz-Christian Strache erzwungene Zuspitzung hat er aufgegriffen und beweist dabei, dass er über ein großes Arsenal verfügt. Häupl wirkt kämpferisch, ja kampfeslustig in keinem Fall defensiv. Sein Wahlkampf ist ganz auf das Duell zugeschnitten. Strache wird stereotyp als „Loser“ und konsequent als „Hetzer“, bezeichnet. „Ein Islamist missbraucht den Islam für politische Zwecke. Und das macht Strache“, sagt Häupl. Zweifellos, so kann man es auch sehen.
Gerade Wien ist aber für die FPÖ seit Haiders Zeiten stets ein gutes Pflaster gewesen. Straches Wahlkampf konzentriert sich einmal mehr auf das sogenannte Ausländerproblem, das zusehends antimoslemisch aufgeladen wurde. Am stärksten sind die Freiheitlichen in den klassischen Arbeiterbezirken. Wenn der FP-Chef, der auch Wiener Spitzenkandidat ist, in Favoriten unter den Klängen von Carl Orffs „Carmina burana“ die Bühne betritt, spricht er ungeniert von einer „Befreiung in Wien vom roten Diktat und von diesen Gaunern“. Auf Plakaten und Foldern steht: „Unser Geld für unsere Leute“ oder: „Das Kreuz muss bleiben, wo es ist!“ Oder: „Wir schützen freie Frauen. Die SPÖ den Kopftuchzwang“ und schließlich: „Mehr Mut für unser ‚Wiener Blut’“. Möglich wäre auch noch gewesen: „Das Blut der Brut tut uns nicht gut.“
Uff! Es wirkt alles wie eine holprige Persiflage. Indes gilt es aufzupassen, die FPÖ als minderbemittelt und unterbelichtet darzustellen. Das stimmt zwar, aber es bedeutet wenig, weil es den kritischen Blick absolut setzt. Auch wenn man mitleidig lächelt, es ist ja nicht irgendeine Qualität, die die Freiheitlichen reüssieren lässt, sondern die Rohheit der Vorurteile und Ressentiments. Diese können gar nicht ungeschliffen genug sein. Zweifellos ist diese Politik des Stammtisches im Bauch zu Hause, genauer: in den Gedärmen. Und dagegen hilft auch kein Argument. Insofern sind Häupls Tritte in den gegnerischen Magen wahlpolitisch eine durchaus adäquate Antwort, selbst wenn sie das eigene Renommee beschädigen.
Zweifellos wird die FPÖ auch diesmal wieder zulegen können und in Wien als zweitstärkste Kraft durchs Ziel gehen. Doch der ganz große Erfolg wird hier und insbesondere in der Steiermark, wo die Freiheitlichen als zerstrittene Chaotentruppe auftreten, ausbleiben. Die Ausgangssituation in Graz ist freilich ganz anders als in der Bundeshauptstadt. Franz Voves, der erste SP-Landeshauptmann seit 1945, kämpft um seinen Verbleib im Amt. Mit seinem christlichsozialen Gegenkandidaten Hermann Schützenhöfer liefert er sich ein Kopf an Kopfrennen. Zum Zünglein an der Waage könnte ausgerechnet die KPÖ werden. Die Überraschung von 2005 (6,3 Prozent und drittstärkste Kraft) wird sie wohl nicht mehr wiederholen können, doch die Chancen der Kommunisten abermals in den Landtag einzuziehen, sind intakt, gibt es doch in der Steiermark keine Prozenthürde zu überspringen. Schafft die Partei das Grundmandat im Wahlkreis „Graz und Umgebung“, dann ist sie drinnen. In Wien allerdings ist links von der SPÖ nichts Wählbares in Sicht, was Aussicht auf ein Mandat im Gemeinderat hätte.