Heftiger Kater
Aufschwung an den Finanzmärkten nach Euro-Rettungspaket währte nur einen Tag. »Sparprogramme« könnten gigantische Überproduktionskrise auslösen
von Tomasz Konicz
„Gib mir eine Billion Dollar, und ich schmeiss’ dir eine Höllenparty“ – so kommentierte der bekannte US-Finanzanalyst Barry Ritholtz das globale Kursfeuerwerk, das am vergangenen Montag nach Bekanntgabe des gigantischen „Rettungspakets“ der Europäischen Union abgebrannt wurde. Doch der Kater nach solch einer Liquiditätsorgie ist gewiss. Während am Montag die Notierungen auf den Finanzmärkten global um drei bis fünf Prozent zulegten, machte sich schon am Dienstag eine gewisse Ernüchterung breit, bei der viele Indizes erneut Verluste hinnehmen mussten. Die „Börsenparty“ sei schon wieder vorbei, konstatierte beispielsweise die Neue Zürcher Zeitung. Das Handelsblatt wiederum sprach unter Verweis auf eine Blitzumfrage auf dem Parkett von einem „Strohfeuer“, das durch die Stabilisierungsbemühungen Brüssels auf den globalen Finanzmärkten entfacht wurde.
Dabei hatte Brüssel nun wahrlich geklotzt und nicht gekleckert: Das 750 Milliarden Euro umfassende Programm sieht vor allem die Errichtung einer gigantischen Zweckgesellschaft vor, die bis zu 440 Milliarden Euro an Garantien für bilaterale Kredite an Staaten bündeln soll, denen Zahlungsunfähigkeit droht. 60 Milliarden Euro wiederum stellt Brüssel direkt aus dem EU-Haushalt zu Verfügung. Hinzu kommen noch die vom Internationalen Währungsfonds (IWF) bereitgestellten 250 Milliarden Euro. Überdies wird die Europäische Zentralbank (EZB) dazu übergehen, die Staatsanleihen europäischer Länder aufzukaufen – unklar ist bis jetzt nur, in welchem Ausmaß dies geschehen wird.
Die Logik hinter diesem Maßnahmenbündel erläuterte die New York Times (NYT) am 10. Mai, als sie von einer Art positivem „Schockeffekt“ sprach, den Brüssel auf den Finanzmärkten auszulösen versuche. Die enormen Dimensionen sollten eine ähnliche Dynamik auslösen wie „das 700-Milliarden-Paket der Regierung der Vereinigten Staaten, das zur Rettung ihrer eigenen Finanzinstitutionen in 2008“ aufgelegt wurde. Dabei haben die USA mit dieser Politik sogar einen gewissen Erfolg erzielt. Konnte doch durch die große Geldflut die „Kernschmelze“ des Systems – also ein unkontrollierter Zusammenbruch der Aktienmärkten – verhindert werden. „Letztendlich wirkte die zusätzliche Liquidität wie Raketentreibstoff“, der die Finanzmärkte zu einer weiteren Hausse beflügelte, kommentierte Ritholtz das US-Programm.
Mit dem drohenden Zusammenbruch der Euro-Zone konfrontiert, kopiert Brüssel tatsächlich nahezu alle – zuvor oftmals verpönten – Krisenmaßnahmen, wie sie im angelsächsischen Raum angewendet wurden. Auch die Vereinigten Staaten und Großbritannien haben beispielsweise massiv eigene Staatsanleihen durch ihre Notenbanken aufkaufen lassen. Deutsche Leitmedien wie die Frankfurter Allgemeine Zeitung (FAZ) sprechen bereits von einer „Amerikanisierung der Geldpolitik“, die zu einem Glaubwürdigkeitsverlust der EZB führen und die Stabilität des Euro untergraben werde.
Damit könnte die FAZ recht behalten. Das Kernelement des europäischen Stabilisierungspakets, die Zweckgesellschaft für Garantien im Umfang von 440 Milliarden Euro, sieht nur eine Verlagerung der Verschuldungsdynamik von der staatlichen auf die europäische Ebene vor. Hierbei verpflichten sich die Mitgliedsstaaten der EU, für die Kredite zu garantieren, die künftig zur Rettung einzelner Volkswirtschaften auf den freien Kapitalmärkten aufgenommen werden müssen. Gegenüber der NYT bezweifelten bereits etliche Finanzmarktakteure, dass es „weise“ sei, die Schuldenkrise Europas durch weitere Verschuldung lösen zu wollen.
Dabei ist besagter Krach nun wahrlich kein rein europäisches Problem: Die Staatsschulden der Euro-Zone werden inzwischen auf rund sieben Billionen Euro geschätzt, jedoch stehen die USA gegenwärtig mit circa 13 Billionen US-Dollar in der Kreide. Von einer Dämpfung der Verschuldungsdynamik kann jedenfalls auch dort keine Rede sein. Auch Washington verstaatlicht die Verluste aus der Defizitkonjunktur.
Der Versuch, nun mittels „Sparprogrammen“ und einer restriktiven Geldpolitik den Teufelskreis zu durchbrechen, kann nur in einem wirtschaftlichen Crash und Verelendung breiter Bevölkerungsschichten enden. Erste Erfahrungen wurden mit dieser Krisenvariante in Europa bereits gemacht. Als Versuchskaninchen diente Lettland, das im Gegenzug für ein Rettungspaket im Umfang von 7,5 Milliarden Euro ein rabiates Kürzungsprogramm realisieren musste, welches die Wirtschaftsleistung innerhalb eines Jahres um rekordverdächtige 18 Prozentpunkte abstürzen ließ und den Lebensstandard der Bevölkerung beträchtlich absenkte.
Längst handelt es sich nicht mehr um eine „Schulden“- oder „Finanz“- sondern um eine Systemkrise. Ohne Verschuldung kann das kapitalistische System – das gerade an seiner Produktivkraftentwicklung zu ersticken droht – sich nicht mehr reproduzieren. Sobald die kreditgenerierte – staatliche oder private – Nachfrage wegbricht, setzt unverzüglich eine gigantische Überproduktionskrise ein. Die nun immer lauteren Rufe nach rigidem Abbau der Sozialhaushalte kommen somit einer Aufforderung zum ökonomischen Suizid gleich. Allerdings hält die kapitalistische Systemlogik noch einen anderen »Lösungsweg« bereit: Entwertung der Staatsschulden – Inflation. Für die Masse der Menschen bedeutet dies die Wahl zwischen Pest und Cholera.
aus: “Junge Welt”, 12.05.2010