Gewerkschaftlicher Schluckauf
Böse Bemerkungen zur sommerlichen Krötenkampagne der Arbeiterkammer
von Franz Schandl
Jede Existenz schreit nach ihrer Berechtigung. Was also naheliegender als sich durch eine Kampagne in Erinnerung zu rufen. Die Arbeiterkammer probierte es mit der Aktion „Die Krot schluck ich nicht!“ und wendet sich dabei gegen „Sparen am falschen Platz“. Hier soll nun weniger der ebenso fragwürdige Inhalt der Kampagne, als vielmehr seine psychologische Seite beleuchtet werden.
Nicht „Wir wollen keine Loser sein!“ lautet die Botschaft (die auch wirklich eine wäre!), sondern lediglich „Lasst uns Loser leben“. Wir haben eh schon so viele Kröten geschluckt, jetzt woll ma nimmer. – Na bravo! Solch Credo ist freilich erbärmlich, weil demoralisierend. Wer möchte schon zu dieser Net-Krot-Schlucker-Partie gehören. Nicht einmal die dazu gehören, wollen dazu gehören. Gewerkschaften und Arbeiterkammern dürfen sich nicht wundern, dass derlei Inszenierung auch bei den eigenen Leuten oft Gähnen verursacht, aber kaum jemanden hinter dem Ofen hervorlockt. Schlimmstenfalls dient jene sogar als Sprungbrett zum Ressentiment. Die Postings auf der AK-Website sind nicht ermutigend, sondern vielfach nichts anderes als abgeladene Wut. „Maßlose Managergehälter“ sind es, was am meisten entsetzt. Nur was wäre, wenn dem nicht so wäre? Wenn die maßvoll wären? Wäre da das Maß nicht voll? Wäre da was anders? Würde man dann wieder gerne Kröten schlucken? – Da ist kein Aufbruch, nirgends!
Zu vermitteln, dass man bisher eh brav Kröten geschluckt hat, aber jetzt nicht mehr so recht will, gleicht einer Kapitulationserklärung mit dem Ersuchen doch am Leben gelassen zu werden. Das ist nicht mehr als gewerkschaftlicher Schluckauf. Das Auftreten ist in keiner Weise offensiv und selbstbewusst, sondern lediglich mitleidsheischend. Es stachelt nicht auf, es wiegelt ab. Es ist wahrlich die unfreiwillige Selbstbezichtigung des Duckmäusertums. Kein selbstsicherer Aufruf, sondern ein matter Zwischenruf.
In unserem Haushalt trudeln viele Zeitungen ein und liegen viele Zeitschriften rum. Die größte Chance nicht gelesen, ja nicht einmal angeschaut zu werden, haben die Blätter der Gewerkschaft und die Aussendungen der Arbeiterkammer. Meist ist das eine dünne Suppe. Da ist weder Schärfe noch Würze noch Ambition. Die Kampagne fühlt sich jedenfalls an wie eingeschlafene Füße. Der geöffnete Mund mit der nicht zu schluckenden Kröte ist einfach abstoßend. Zweifellos, jeder Tierschutzinitiative in Hinterglemm wirkt heute mobilisierungsfähiger als dieser Arbeiterstillstand.
Wer diese Kampagne geplant hat, kann es nicht gut mit den ArbeiterInnen und Angestellten meinen und wer sie angeleiert und toleriert hat, ist zweifellos nicht ganz bei Trost. Aber wahrscheinlich ist es wirklich so, dass den passionierten Sozialpartnern jedes Gespür für Auseinandersetzungen abhanden gekommen ist, sodass, wenn man dann doch schießt, es meist nur noch ein Schuss ins eigene Knie ist. Der Eindruck, der entsteht, ist: Vor denen muss sich niemand fürchten, denn die fürchten sich schon selbst zu Tode. Was möglicherweise auch stimmt.
Freilich hat das auch damit zu tun, dass die maßgeblichen Funktionäre gehirngewaschen davon ausgehen, dass die Marktwirtschaft das einzige funktionstüchtige System ist, und gäbe es ausreichend Umverteilung und Gerechtigkeit, die Welt schon in Ordnung wäre. Wären da nicht einige böse Kapitalisten, wäre der Kapitalismus eh ganz gut. Zweifellos, dieses Denken ist beschränkt, aber maßgeblich.
Schon Benya und Verzetnitsch strapazierten da oftmals die Kuh, die man zu füttern habe, auf dass kräftig Milch fließe. Indes die Kuh ist krank und bissig. Ihr Bauch mag zwar groß sein, aber meist ist es ein Blähbauch, vollgestopft mit fiktivem Kapital, dem regelmäßig die Luft ausgeht. Beim Melken solcher Tiere wird sich der Erfolg auch in Zukunft in engen Grenzen halten.
Doch solche Überlegungen sind ganz fern. Krampfhaft verkündet man ein „Weiter so!“, nur ein bissl anders eben. Dass bezahlt und gespart werden muss, erscheint in dieser ehernen Logik als Naturgesetz akzeptiert zu sein: Nur die Richtigen sollen zahlen und sparen, nicht die Falschen. Indes, die Reichen sind im Kapitalismus per definitionem die Bezahlten und nicht die Bezahler. Kein demokratischer Beschluss kann dieses ökonomische Gesetz aufheben. Die Leistung der Kapitalbesitzer besteht darin, die Leistungen anderer sich anzueignen und zu akkumulieren. Das ist zweifellos unschön, aber so funktioniert diese Wirtschaft, wenngleich auch immer schlechter.
Wenn eins anderes will, muss eins anderes wollen. Den Kapitalismus abzuschaffen, ist schwierig, aber möglich, die Reichen zur Kasse zu bitten, das ist Sisyphos. Natürlich kann man sie auch da und dort zwacken und soll es von mir aus auch tun, aber letztlich sind das Erdnüsse. Fein hingegen wäre es, man käme auf den naheliegenden Gedanken, dass doch gar keine Kröten geschluckt werden sollen. Aber warum einfach, wenn es kompliziert auch geht. Oder auch nicht.