Europa wird deutscher
Deutsche Bundeskanzlerin diktiert kleineren Partnern Regeln für die Krisenbewältigung im Euro-Raum
von Tomasz Konicz
Der EU-Krisengipfel vom Donnerstag kann als »historisch« gelten. Die kompromißlose Haltung der deutschen Regierung in der Frage etwaiger Hilfsmaßnahmen für das vom Staatsbankrott bedrohte Griechenland markiere eine »Zeitenwende«, jubelte Die Welt. Jetzt wehe in Europa »ein neuer Wind«, verkündete das Springer-Blatt. Die »politischen Spielregeln in Europa« seien verändert, konstatierte die Frankfurter Allgemeine Zeitung (FAZ) am Freitag. Berlin setzte sich mit seiner Griechenland-Politik durch, die laut Handelsblatt »extrem strenge Bedingungen für Finanzhilfen« vorsieht.
Griechenland soll im Notfall vor allem durch eine »substantielle Finanzierung« seitens des Internationalen Währungsfonds (IWF) gestützt werden. Gegen die Beteiligung des IWF hatten die meisten Staaten der Euro-Zone und auch der Chef der Europäischen Zentralbank (EZB), Jean-Claude Trichet, erbitterten Widerstand geleistet. Die EZB fürchtet schlicht, daß der IWF sich in ihre – lockere und von Berlin mit Mißtrauen beäugte – Geldpolitik einmischen könnte. Zudem würde dessen Einbeziehung »der langfristigen Glaubwürdigkeit der europäischen ökonomischen und monetären Union« schweren Schaden zufügen, hieß es bei der Wirtschaftsnachrichtenagentur Market Watch.
Neben IWF-Krediten sollen im Fall der Fälle weitere Mittel im Rahmen »bilateraler Kredite« nach Athen fließen. Die Hilfsmaßnahmen wurden als eine Ultima ratio festgeschrieben, die erst bei einer akut drohenden Zahlungsunfähigkeit greifen sollen. Deutschland hat sich ein Vetorecht gesichert, da jeder Beschluß zur Unterstützung einstimmig von der Euro-Gruppe nach einer Beurteilung der EZB gefaßt werden muß. Schließlich sorgte Berlin auch dafür, daß etwaige Notkredite an Griechenland zu den für Griechenland marktüblichen, hohen Zinsen vergeben werden, um so »kein Subventionselement« zu schaffen, wie es die FAZ formulierte. Diese Regelungen sollen generell bei künftigen Krisen im Euro-Raum angewandet werden. »Ein guter Europäer ist nicht unbedingt der, der schnell hilft«, hatte Merkel in einer Regierungserklärung kurz vor dem EU-Gipfel verkündet.
Um die Refinanzierung der griechischen Staatsschulden zu erleichtern, hat die EZB eine Ausnahmeregelung verlängert, die es Geschäftsbanken weiterhin erlaubt, griechische Staatsanleihen (die inzwischen eine schlechte Bewertung durch Ratingagenturen haben) als Sicherheiten bei der Aufnahme neuer Zentralbankkredite zu hinterlegen. Dadurch können die Geschäftsbanken auch in Zukunft am »Spread«, also der Zinsdifferenz zwischen ihren hochverzinsten Griechenland-Obligationen und kurzfristigen Krediten der Notenbank, verdienen, die zu einem Prozent verzinst werden. Diese Spekulationsprofite trugen maßgeblich dazu bei, daß die EU-Banken seit 2008 ihre Griechenland-Portfolios um 45 Prozent erhöhten.
Deutschlands Vorgehen traf auf eine nahezu einhellige Kritik in der Europäischen Union. »Das größte EU-Land darf seine Innenpolitik nicht zur europäischen Politik machen«, mahnte Luxemburgs Außenminister in Anspielung auf die Wahlen in Nordrhein-Westfalen. »Es gibt keine Stabilität ohne Solidarität«, betonte EU-Kommissionschef José Manuel Barroso. Klartext über die neue Europapolitik Berlins spricht man in den Medien der angelsächsischen Konkurrenz: »Die Debatte in Deutschland über Griechenland vergiftet die Atmosphäre und erschafft antieuropäische Gefühle«, beklagte Belgiens Expremier Guy Verhofstadt gegenüber der Times
Die New York Times (NYT) wurde noch deutlicher. Die Griechenland-Krise sei eine »Gelegenheit«, die es Berlin ermögliche, sein nationales Interesse in der EU stärker zur Geltung zu bringen. Hierzu zählte auch die von Merkel geforderte Änderung des Vertrages von Lissabon, die es ermöglichen soll, bankrotte Staaten auszuschließen. Die von Berlin angemahnten Verschärfungen der Kriterien des Euro-Stabilitätspaktes würden von mehreren EU-Ländern als Instrumente wahrgenommen, die ihre »Chancen auf ökonomisches Wachstum« beschneiden würden. Deutschland scheine bestrebt, das europäische Regelwerk so zu modifizieren »wie es seiner eigenen Wirtschaft am besten paßt«. Berlin kombiniere »eine neue Stufe ökonomischer Dominanz in der EU« mit unilateralem Vorgehen in der Energiepolitik und »seiner speziellen Beziehung zu Rußland« bei einer schwankenden Rolle in der »atlantischen Allianz«, bemerkte das Blatt.
Dabei ist die Dominanz innerhalb der Euro-Zone bereits erdrückend. Der Chefökonom des DGB, Dierk Hirschel, gibt den BRD-Exportüberschuß innerhalb der Währungsunion mit 100 Milliarden Euro an, was einer Verfünffachung innerhalb der vergangenen zwölf Jahre entspreche. Diese Überschüsse entsprechen den Defiziten Frankreichs und der Südeuropäer, die auch von deutschen Banken finanziert werden. Allein der Pleitekandidat Griechenland steht bekanntlich bei Ackermann und Co. mit 43 Milliarden US-Dollar in der Kreide. Gegenüber diesen Summen ist der Nettobeitrag Deutschlands an den EU-Finanzen Brüssels von 8,8 Milliarden Euro 2009 verschwindend gering.
Gegenüber dem Wall Street Journal (WSJ) erinnerte der Direktor des Londoner Thinktanks »Center for European Reform«, Charles Grant, an Helmut Kohls Versprechen, wonach es künftig »ein europäisches Deutschland und kein deutsches Europa« geben werde. Die Zeiten ändern sich.
Auch in Warschau herrscht Unbehagen: »Die Deutschen spielen in der Union so hart wie nie zuvor«, bemerkte die führende polnische Tageszeitung Gazeta Wyborcza, da der Vertrag von Lissabon die BRD mit einer neuen Machtfülle ausgestattet habe und »Angela Merkel ihre Ellenbogen einzusetzen weiß«.
»Woher der »neue Wind« in der EU weht, machte Frankreichs Präsident Nicolas Sarkozy in einer privaten Bemerkung deutlich, die Le Monde zugespielt wurde: »Sie haben sich nicht geändert«, zitierte die New York Times am Wochenende mit Verweis auf die französische Zeitung.
aus: Junge Welt, 27.03.2010