Die „Große Transformation“ zur „Großen Kooperation“

Commons, Markt, Kapital und Staat

von Andreas Exner

Die Potenziale der Commons-Debatte…

Im Commons-Ansatz deutet sich zur Zeit, neben der Solidarischen Ökonomie, am stärksten die Richtung einer Überwindung der kapitalistischen Produktionsweise an. Dies aus mehreren Gründen. Zuerst einmal dreht sich die Commons-Debatte im Kern um soziale Praxen abseits von Kapital, Marktbeziehungen und staatlicher Herrschaft. Dies wird in allen Veröffentlichungen zum Thema betont, so etwa bei Helfrich/Haas (2009, 251), die festhalten, Commons seien „das unsichtbare Dritte: jenseits von Markt und Staat“ und weiter präzisieren: „Sie ersetzen, wie der Ökonom Yochai Benkler schreibt, die zentralen Institutionen der Marktwirtschaft (Vertrag, Eigentum und Hierarchien) durch ein System, in dem niemand auf Grund der Eigentumsverhältnisse andere am Produzieren hindert.“ (a.a.O., 254).

Häufig wird in dieser Perspektive kritisch auf Garret Hardins Artikel „The tragedy of the commons“ Bezug genommen, der 1968 argumentierte, dass eine Ressource, die sich nicht in Privateigentum befinde, unausweichlich übernutzt wird. Hardin plädierte deshalb für Privateigentum anstelle von Gemeineigentum.

Damit bereitete Hardin die heute dominante ideologische Linie theoretisch vor, wonach natürliche Ressourcen zu parzellieren und Nutzungsrechte handelbar zu machen sind. Die praktische Konsequenz kann man freilich nicht nur im Emissionshandel oder bei der Konstitution handelbarer Fischereirechte studieren. Ganz allgemein fügt Hardins Argument in den neoliberalen Diskurs, wonach die Privatisierung von Ressourcen jedweder Art, und sei es das globale Wissen, Voraussetzung für ein gutes Leben aller sei.

Hardins Fehler ist leicht erkennbar: Tatsächlich behandelte er in seinem vielzitierten Aufsatz nicht ein Gemeingut, sondern eine Open Access-Ressource, deren Nutzung keinerlei Regelung unterliegt. Damit ignorierte er, dass Gemeingüter – worauf man in der Debatte häufig hinweist – niemals isoliert betrachtet werden können, sondern sie erst eine darauf bezogene Gemeinschaft konstituiert. Die Nutzung von Gemeingütern ist immer reguliert, die Mitglieder der korrespondierenden Gemeinschaft verhalten sich nicht entsprechend dem nutzenmaximierenden homo oeconomicus der neoklassischen Wirtschaftstheorie.

Nicht nur das markt- und staatskritische Moment der Commons-Debatte hat das Potenzial emanzipative Veränderungen zu bestärken und neu zu orientieren. Darüberhinaus bezieht sie sich organisch auf ein breites Spektrum widerständiger Bewegungen. In ihr liegt deshalb auch die Möglichkeit eines neuen Paradigmas für eine „Bewegung der Bewegungen“. Anders als jeder markt- und staatsförmige Zugang mit seiner Botschaft des „one size fits for all“, was in der abstrakten Qualität von ökonomischem Wert und staatlichem Recht wurzelt, wird bei den Commons die konkrete qualitative Vielfalt der stofflichen Realität ins Zentrum gerückt – und mit ihr die vielfältigen qualitativen Anforderungen an deren Verwaltung.

Wasser, Land, Kulturpflanzen, das globale Wissen und so weiter – all diese Ressourcen weisen Spezifika auf, denen nur jeweils bestimmte Prozesse der Vergemeinschaftung adäquat sein können. Dabei ist freilich wichtig zu beachten, dass die stofflich-konkrete Qualität einzelner Ressourcen selbst keineswegs eine einzige Art der Regulierung ihrer Nutzung und Entwicklung vorherbestimmt. So erfolgt zum Beispiel die gemeinschaftliche Verwaltung einer Wasser-Ressource in den peruanischen Anden auf andere Weise als sich die Organisation einer Wasser-Genossenschaft in Mitteleuropa darstellt.

…und ihre Problematik

Damit wären die Potenziale der Commons-Debatte grob bezeichnet. Ihre Problematik freilich liegt in zwei Punkten, die ich mit der Tendenz zur Naturalisierung und einem unzureichenden Verständnis des Verhältnisses von Commons, Kapital, Markt und Staat benennen möchte.

Üblicherweise wird von Commons mit Bezug auf natürliche Ressourcen sowie im Bereich der digitalen Güter gesprochen. Darüberhinaus nimmt der Aspekt so genannter kultureller Werte relativ breiten Raum ein, was sich aus der – richtigen – Feststellung ergibt, dass von Gemeingütern ohne eine Gemeinschaft, die sich entsprechend bestimmter kultureller Normen strukturiert zu sprechen keinen Sinn macht. Das zeigt zweierlei: Erstens werden Commons dem Begriff nach naturalisiert, so als würden sich gewisse Güter „von Haus aus“ für das Gemeineigentum eignen, andere jedoch nicht. Zweitens werden Commons dort eher wahrgenommen, wo sie für das Kapital funktional sein können. Dies muss nicht so vertreten werden, ergibt sich aber aus der Struktur der Debatte.

So halten Helfrich/Haas (2009, 256) – beispielhaft für viele andere – fest: „Gemeingüter bezeichnen eine bestimmte Qualität der Beziehung zwischen Gut bzw. Ressource und einer Gruppe von Menschen. Sie sind ererbt oder kollektiv entwickelt und über Generationen weitergegeben. Gemeingüter werden zuerst einmal vorgefunden, müssen aber gepflegt, erhalten, geschützt und vermehrt werden.“

Unter den konkreten Beispielen finden wir ausschließlich natürliche Ressourcen sowie Wissens- und Kulturgüter. Dem Commons-Verständnis von Helfrich/Haas folgend ergibt sich freilich keine Einschränkung auf natürliche oder digitale Ressourcen. Vielmehr wäre jedwede Ressource, die menschliche Praxis nutzt, einzubeziehen, allen voran die Maschinerie der industriellen Produktion und dafür nötige Infrastrukturen. Diese sind Resultat der jahrhundertelangen Anstrengungen früherer Generationen, in diesem Sinn also ererbt und an uns weitergegeben. Sie werden kollektiv entwickelt, ja, ohne die Kooperation auf großer Stufenleiter sind sie weder in Bewegung zu setzen noch gebrauchsfähig zu erhalten.

Damit ist ein zentraler Widerspruch in der vorherrschenden Commons-Debatte benannt. Zwar richtet sie den Blick auf den kollektiven Charakter, die reelle Vergesellschaftung der Produktion und ihrer Grundlagen. Allerdings unterschlägt sie – entgegen ihrem eigenen Anspruch – zugleich ein weites Feld menschlicher Praxis. Solcherart hat die Commons-Debatte eine liberale Tendenz, die sich auf den Erhalt von Markt, Kapital und Staat ausrichtet. Dies wird mitunter auch explizit so ausgesprochen: Es sei notwendig, die Commons neu zu erfinden, um die kapitalistische Produktionsweise zu sichern, „if we don’t, capitalism itself will collapse“ (Thompson 1998, 226). Es besteht somit durchaus die Gefahr zu suggerieren, „dass die Commons nur die ‘zweitbeste’ Lösung sind, nämlich wenn Marktversagen eintritt und dass sich wesentlich der Staat um ihre Bereitstellung bzw. ihren Schutz zu kümmern habe“ (Brand 2009, 242).

Tatsächlich sind Commons in einem widersprüchlichen Verhältnis zum Kapital zu sehen. Während die Enteignung der Gemeingüter, allen voran der Allmenden, eine historische Voraussetzung des Kapitalverhältnisses, das heißt der Lohnarbeit darstellen (Marx, „Das Kapital“, Bd. 1), beruht selbiges doch im selben Maße auf der fortgesetzten Herstellung seiner Produktionsbedingungen in Form von Gemeingütern und mit diesen verkoppelten Formen von Gemeinschaftlichkeit, die nicht nach der Logik des Kapitals und seiner Verwertung funktionieren.

Dazu zählen kulturelle Werte. Sie erst leiten Individuen, die Privateigentum und autoritäre Hierarchien respektieren und sie ermöglichen, dass soziale Fähigkeiten im Rahmen der Erziehung gelehrt und erlernt werden. Nur die gemeingüterbasierten Werte und Praxen erlauben es auch, dass sich die in der kapitalistischen Produktionsweise über alle historischen Maßstäbe hinaus entwickelte Fähigkeit zur Kooperation entfalten und bestehen kann.

Dazu zählen weiters auch alle Tätigkeiten in der Haushaltssphäre. Sie stellen ein Commoning auf einer Mikroebene dar, ohne das die kapitalistische Produktionsweise weder Arbeitskräfte noch Absatzmärkte vorfände. Selbstverständlich gehört auch der große Bereich des Ehrenamts und anderer unbezahlter Tätigkeiten, die gesellschaftlichen Zusammenhalt über die Widersprüche des Kapital hinweg generieren, dazu. Nicht zuletzt erlaubt erst der Raum der gemeingüterbasierten Praxen, vor allem der den biologischen Frauen zugewiesene Haushalt, die Konkurrenz des Marktes physisch wie psychisch auszuhalten.

Widerständige Commons als Umschlagpunkte

Davon abzuheben ist ein anderer Begriff der Commons und ein anderer Typ des Commonings, der sich auf Praxen des Widerstands gegen Markt und Kapital bezieht. Tatsächlich setzen Gemeinschaften, wie sie sich heute konstitutieren, reelle Gemeingüter dort ins Werk, wo es etwas gegen Privateigentum, Markt und Verwertung zu verteidigen gilt (siehe z.B. Diegues 1998) – ob dies in selber Weise auch für historische Gemeingüter, die sich gegen herrschaftliche Aneignung positionierten, gilt, sei hier einmal dahingestellt. Ein daraus abgeleiteter Begriff des Gemeinguts wäre also kein abstrakt-allgemeines analytisches Konstrukt, das von der Sprache bis zu den Genen überall „Commons“ erblickt und dabei stehen bleibt, sondern Begriff für eine wirkliche Bewegung mit emanzipatorischer Potenz.

Der springende Punkt in einer solchen Bewegung ist, das Kapital praktisch anzugreifen und eine alternative Organisationsform menschlicher Tätigkeit und gesellschaftlichen Lebens auf den Weg zu bringen. In dieser Perspektive wäre nicht der weite Bereich der statisch-abstrakt (und schlechtestenfalls naturalisierend) gefassten Gemeingüter bloß zu beschreiben, sondern es wären vielmehr dynamisch-konkrete Umschlagpunkte anzugeben, ab denen das Kapital Gemeingüter nicht mehr als seine Lebenssphäre benutzen und vernutzen kann, sondern umgekehrt das Commoning selbst das Kapital zur Disposition stellt.

Die vielfältigen Widerstandsformen gegen den imperialistischen Anspruch von Markt, Kapital und Staat, die in gemeingüterbasierten Zusammenhängen wurzeln, verhelfen Markt, Kapital und Staat paradoxerweise erst zur Dauerhaftigkeit. Die Arbeitskraft wäre längst durch das Kapital zerstört worden, hätte die Arbeiter_innenbewegung nicht in Selbstverteidigung soziale Regulierungen errungen. Der Markt funktioniert nicht ohne ein Mindestmaß an ethischen Werten, die er unmöglich aus sich selbst heraus erzeugen kann. Staatliche Disziplinierung sitzt sozialen Fähigkeiten und Dispositionen auf, die wesentlich in der Familie hergestellt werden. Selbst eine Schulklasse als eine herrschaftlich formierte Gemeinschaft weist Aspekte des Commoning auf.

Die kapitalistische Produktionsweise existiert immer in einem Zusammenhang mit solchen nicht-kapitalistischen Charakters: solchen, die aus vor-kapitalistischen Epochen überkommen sind (manche Arten von Gemeingütern); solchen, die sich gegen das Kapital entwickelt haben (zum Beispiel manche Typen von Genossenschaften); und solchen, die erst mit dem Kapital zusammen entstanden sind und strukturell von ihm abhängen (etwa der moderne Haushalt oder die einfache Warenproduktion von freiberuflich Tätigen und kleinen Unternehmen).

Es geht nicht allein darum, dies analytisch festzuhalten, sondern wesentlich um die Umschlagpunkte kollektiven, auf Gemeingüter bezogenen und solche generierenden Widerstands, die das Verhältnis zwischen der kapitalistischen und den nicht-kapitalistischen Produktionsweisen verschieben können (und den Charakter der nicht-kapitalistischen, dem Kapital untergeordneten Produktionsweisen verändern). Eine Zurückdrängung der kapitalistischen Produktionsweise aber bedeutet letztlich ihre Überwindung – wären Markt und Kapital nicht aus innerer Logik heraus auf Expansion und fortgesetzte Enteignung von Gemeingütern ausgerichtet, so bestünde kein Erfordnis, sich dagegen zu positionieren.

In diesem Sinn hält Massimo de Angelis richtig fest: „We need to decouple from the mechanism of capital’s self-preservation, from the mechanism of homeostasis through which capital derives ist oxygen, and ground the reproduction of our livelihoods on a different terrain. This process of decoupling and constitution coincides with the problematisation of the outside. In a word, we must ask again and again how do we (re)produce, sustain and extend an outside to capital’s value practices” (de Angelis 2007, 226). Und er führt noch deutlicher aus: „…capital generates itself through enclosures, while subjects in struggle generate themselves through commons. Hence ‘revolution’ is not struggling for commons, but through commons, not for dignity, but through dignity“ (a.a.O., 239).

Solche Umschlagpunkte sind einerseits schon in der Konstitution der „Commons des emanzipativen Typs“, der „widerstandsgenerierten Gemeingüter“ zu verorten, andererseits aber in der Art der Ressourcen selbst, die zum Gemeingut werden sollen oder als ein solches wahrgenommen werden. Genau hier wird die große Leerstelle der bisherigen Commons-Debatte relevant: die Frage der Produktionsmittel und gesellschaftlichen Infrastukturen.

Der Nutzen einer Verknüpfung der Commons-Debatte mit dem Diskurs der Solidarischen Ökonomie könnte darin liegen, diese Leerstelle aufzufüllen. Der Fokus auf Aneignung der Produktionsmittel in selbstverwalteten Strukturen, wie er in der Solidarischen Ökonomie entwickelt wird, richtet die Aufmerksamkeit nämlich auf den in der Commons-Debatte unterbelichteten Punkt. Auf der anderen Seite kann die Commons-Debatte der Solidarischen Ökonomie dabei helfen, den Blick auf Voraussetzungen und Funktionsweisen von „Gemeinschaft“ zu richten. Dazu hat die Erforschung der Commons einen reichen Pool an Erkenntnissen produziert.

Märkte sind Anti-Commons

Die Commons-Forschung zeigt, dass Märkte für die Entwicklung der Gemeingüter nicht nur strukturell, sondern auch auf der Ebene der Handlungsmotivationen dysfunktional sind (siehe Vatn 2007 und dort zitierte Literatur). Sie positioniert Institutionen, verstanden als Normen- und Aushandlungssysteme, als ein Gegenprinzip zur Vergesellschaftung über den abstrakten ökonomischen Wert, den Markt. Davon ausgehend erweist sich das Studium der konkreten sozialen Praxen und formell oder informell institutionalisierten Regulierungsweisen als sehr ergiebig, um Ansatzpunkte für eine Wiederbelebung, Neukonstitution und Erweiterung von Commons auszumachen.

Dessen ungeachtet wird jedoch in der Commons-Debatte vielfach darauf bestanden, dass Märkte auch in einer gemeingüterbasierten Gesellschaft existieren müssten, ja, dass sie selbst als ein Gemeingut reguliert werden könnten. Einerseits wird so der Markt kritisiert, auf der anderen Seite aber gerade in seiner Funktion der Herstellung eines übergreifenden gesellschaftlichen Zusammenhangs im Äquivalententausch affirmiert. Diesem Widerspruch wird häufig mit dem Verweis auf die Arbeiten von Karl Polanyi begegnet. Polanyi, so das Argument, hätte gezeigt, dass Märkte eine Grundkonstante menschlichen Lebens darstellten. Daraus folge, dass die soziale Einbettung des Marktes darüber entscheide, welchen Charakters er ist. Eine Fundamentalkritik am Markt, die sich in der Commons-Debatte ja durchaus andeutet, wäre also der falsche Schluss. Man müsse zwischen dem Markt-als-Ort und dem Markt-als-abstrakter Raum unterscheiden. Während letzterer zu überwinden sei, würden Märkte als konkrete Orte von Tauschhandlungen auch in einer gemeingüterbasierten Gesellschaft eine wichtige Rolle spielen müssen.

Der unkritische Verweis auf Polanyi führt dazu, dass einige Unzulänglichkeiten seiner Studien in die Gemeingüter-Debatte Einzug halten. (Ob Polanyi Märkte tatsächlich als überhistorische Konstanten ansieht, sei einmal dahingestellt.) Zentral ist in Polanyis Denken die Idee, dass sich Märkte in der kapitalistischen Produktionsweise aus der Gesellschaft entbettet hätten. Damit übersieht er, dass zwar die liberale Ideologie von einer autonomen Funktionslogik „des Marktes“ ausgeht, der demnach quasi in einem luftleeren, asozialen Raum verortet wäre, seine Existenz tatsächlich aber immer politisch und sozial konstituiert ist. Auch wird damit unterstellt, dass es so etwas wie eine überhistorische ökonomische Logik gäbe, die einmal in soziale Zusammenhänge eingebettet, das andere Mal entbettet sei.

Betrachten wir konkret einen sozialen Zusammenhang, der aus heutiger Sicht einem Markt zu entsprechen scheint, die griechische Agora. Eine genauere Analyse ergibt, dass, was marktwirtschaftlich formiertem Denken auf den ersten Blick als „Fleisch vom eignen Fleische“ erscheinen mag, eine wesentlich davon unterschiedene Beziehungsform darstellt. So hält Alfred Bürgin fest: „Da die Polis sich aus Häusern zusammensetzte, existierte eine Gesamtvorstellung von ‘Wirtschaft’, die (abstrakte) Vorstellung: ‘die Wirtschaft’, nicht. Hingegen besaß man genaue Vorstellungen und reiche Erfahrung in vielen Teilbereichen des Wirtschaftens: in der Landwirtschaft, dem Oikos, in der Finanzverwaltung der Polis usw. Hierbei konnten Vorstellungen, Anweisungen und Lehren durchaus entwickelt werden und als Lehrgegenstand auftauchen; sie alle hätten indessen nur einen begrenzen Inhalt aufweisen, konkrete Teilbereiche abdecken, nie aber wirtschaftliche Zusammenhänge oder Gesamtzusammenhänge darstellen können“ (Bürgin 1996, 41f.).

In Abhebung von der Marktwirtschaft, die erst mit dem Kapitalverhältnis entsteht, lässt sich folglich sagen: „Die freie Käuflichkeit und Kombinierbarkeit aller Produktionsfaktoren ist Grundbedingung einer Marktwirtschaft. Dies war aber in der Antike nicht der Fall: Sklavenarbeit und die Arbeit politisch Unberechtigter herrschten vor. Boden war das Monopol der Bürger. Existieren wie im 5. und 4. Jahrhundert in Attika Märkte, zirkuliert Geld, bestehen Handel und Gewerbe, so müssen diese Erscheinungen im Rahmen der gesamten attischen Wirtschaft und Gesellschaft gesehen und gedeutet werden; hier helfen Begriffe und Vorstellungsweisen, die am Markt der Neuzeit gebildet und vom Markt der Neuzeit her entwickelt wurden, nicht weiter und führen in die Irre“ (a.a.O., 44f.).

Die Märkte des Mittelalters würden wiederum eine eigene Analyse erfordern, die ihre Unterschiede sowohl zur griechischen Agora als auch zum Markt im Rahmen des entwickelten Kapitalverhältnisses deutlich machen könnte. Dazu ist hier nicht der Platz.

Jedenfalls zeigt die parzielle und widersprüchliche Kritik des Marktes im Commons- wie auch im Solidarökonomie-Diskurs ein übergreifendes Problem: eine grundsätzlich andere Form der Vergesellschaftung jenseits von Markt und Staat nicht denken zu können und damit den Umschlagspunkt von einer Gesellschaft des Kapitals zu einer der Gemeingüter zu verfehlen. Beherrschbarkeit und Funktionalisierung der nicht-kapitalistischen, gemeingüterbasierten Produktionsweisen (was ihre parzielle Deformierung impliziert) beruht wesentlich darauf, dass der gesellschaftliche Gesamtzusammenhang sich eben nicht als „Gemeingut“, sondern in Waren- und Rechtsform herstellt.

Die Gemeingüter bleiben deshalb fragmentiert und in subalterner Position, während Kapital und Staat den ökonomisch bzw. politisch genannten Zusammenhang der Gesellschaft bilden, der die Commons-Fragmente in Beziehung und ins Verhältnis setzt. Dabei wurzeln Kapital wie Staat in den nicht direkt ihrem Herrschaftsbereich untergeordneten gesellschaftlichen Bereichen, dem, was die Commons-Debatte untersucht und was auch mit dem Begriff der Zivilgesellschaft als eines herrschaftlich strukturierten Terrains der Auseinandersetzung bezeichnet werden kann, das mit Kapital wie Staat in einer integralen Beziehung steht.

Das fehlende Verständnis für die strukturellen Differenzen, die Formunterschiede zwischen Gemeingütern und Märkten, verführt auch dazu, akzidentelle Merkmale für wesentlich zu halten. So ist entgegen manchen anderslautenden Positionen zu betonen, dass nicht die Kollektivität des Besitzes das wesentliche Kriterium des Gemeinguts darstellen kann. Eine kapitalistische Aktiengesellschaft – um nur ein Beispiel zu nennen – steht in kollektivem Besitz, jedoch in Form von Kapital. Dementsprechend hält Vatn fest: „Despite the difference in naming, both private and common property regimes involve several agents. As common property is property for a group of co-owners, the corporation is normally also owned by a multitude of agents. The difference lies in the relationships between co-owners and the way they can trade the property. … Co-owners of a common property are not free to sell any part of the common resource…” (Vatn 2007, 625).

Es ist also der gesellschaftliche Konnex, die Form des gesellschaftlichen Stoffwechsels und das ihm entsprechende Eigentumsregime, was den Unterschied ausmacht. Während er im Fall der Aktiengesellschaft im Privateigentum besteht, das heißt in der Veräußerungsmöglichkeit, der Gleichsetzung eines Unternehmensteils mit allen anderen „Wertgegenständen“ als abstrakter Wert und damit einhergehender Akkumulation desselben, besteht er im Fall der Commons jedoch in der Nicht-Handelbarkeit, dem Charakter eines Nicht-Werts, eines nicht-marktförmigen Gutes, eines Nicht-Veräußerbaren.

Meta-Commons statt Staat

Während Commons zumindest in einem ersten Schritt zumeist als ein nicht nur dem Markt, sondern auch dem Staat entgegengesetztes Vergesellschaftungsprinzip verstanden werden, wird doch in aller Regel von einem friedlichen Zusammenwirken staatlicher und gemeingüterbasierter Zusammenhänge ausgegangen.

Hier wird nicht nur übersehen, dass Staat und Kapital in einer engen strukturellen (und nicht allein personellen) Beziehung stehen und die Verteidigung der Gemeingüter gegen das Kapital unter Anrufung der vermeintlichen „Schutzmacht Staat“ schon allein deshalb fragwürdig ist. Schwerer wiegt vielleicht, dass die sozialen Aspekte des Staates als Ergebnis friedfertiger Überzeugung oder aufgeklärter Eliten missverstanden zu werden drohen – womit man die reelle Bedeutung des Commonings entgegen dem eigenen Anspruch, Commons als eigenständige soziale Realität erkennen zu wollen, übersieht.

Tatsächlich muss man die sozialen Leistungen des Staates als Ergebnis militanter, selbst schon gemeingüterbasierter Auseinandersetzungen (insbesondere der Arbeiter_innenbewegung) begreifen, die dazu führten, Gemeingüter in die staatlichen Apparate quasi einzulagern, namentlich die sozialen Sicherungssysteme. Darüberhinaus hat der Staat aus vormodernen Epochen überkommene Gemeingüter mitunter kodifiziert und ihnen damit eine gewisse Stabilität verschafft – als Beispiele wären (in Österreich) das allgemeine Wegerecht im Wald zu nennen (gesetzlich festgeschrieben erst in den 1970er Jahren) oder das Recht, Früchte und Pilze zu ernten.

Der Staat, soviel lässt sich strategisch sagen, soll nur dann überwunden werden, wenn bewahrenswerte soziale Leistungen und Funktionen aus seinen Apparaten gelöst und durch gemeingüterbasierte Gemeinschaftlichkeit reproduziert werden können. Und der Staat kann auch nur dann überwunden werden, wenn das Kapitalverhältnis effektiv angegriffen und als Organisationsweise gesellschaftlicher Produktion ersetzt wird.

Dazu ist freilich mehr vonnöten als die bisherige Debatte um Commons und Solidarische Ökonomie, wenngleich sich dort die notwendigen und unverzichtbaren Ausgangspunkte und Erfahrungen finden, an die anzuknüpfen ist. Es ist dazu nämlich vor allem erfordert, auf einer Ebene von „Meta-Commons“ zu denken und Ausschau zu halten nach Punkten, wo sich solche Strukturen etablieren oder etablieren könnten.

Am fortgeschrittensten scheint in dieser Hinsicht der Fragenkreis der Freien Software, der weltweite Kooperation aus den praktischen Erfahrungen der Wissensproduktion heraus als Thema auf die Agenda setzt. Die dort entwickelte Perspektive ließe den Spagat zwischen dem recht engen, zivilgesellschaftlichen Lokalismus zum Beispiel in Landfragen einerseits und einem staatsaffirmativen Globalismus in Hinblick auf Atmosphäre, Meeresnutzung etc. andererseits, der die Debatte um die natürlichen Gemeingüter seltsam aufspreizt, vielleicht schließen. Dann nämlich, wenn deutlich würde, dass es nicht nur um ein Supplement zu Markt und Kapital geht, werden Commons als emanzipatorische Perspektive diskutiert, sondern dass es tatsächlich ein neues, komplexes Muster gesellschaftlicher Integration herzustellen gilt: ohne abstrakten ökonomischen Wert und seinem rechtlichen Ausdruck, dem Privateigentum.

Der „Großen Transformation“ zur kapitalistischen Produktionsweise, so könnte man Karl Polanyi paraphrasieren, muss eine ebenso Große Transformation zur „Großen Kooperation“ (Arild Vatn) hin folgen. Auf diesem Weg sind die Gemeingüter erstens als ein Feld der Auseinandersetzung, zweitens als Voraussetzung und drittens das Ergebnis von Auseinandersetzungen gegen Markt, Staat und Kapital zu begreifen.

Alles andere droht diese Strukturen – die auf Gemeingüter angewiesen sind, sie aber zugleich deformieren und zerstören – lediglich zu reproduzieren. Diese Aussicht gewinnt gerade an den historischen Grenzen der kapitalistischen Produktionsweise eine düstere Qualität. Denn es ist nicht gesagt, dass Gemeingüter auf längere Sicht nicht der Angelpunkt einer neuen, nicht-kapitalistischen Herrschaftsweise werden könnten. Um die Potenziale der Gemeingüter-Debatte wirksam werden zu lassen, ist eine Kritik, die an die Wurzel geht und ihr Ergebnis nicht scheut, die notwendige Begleiterin.

Ursprünglich veröffentlicht auf: http://www.social-innovation.org

Literatur:

de Angelis, M. (2007): The Beginning of History. Value Struggles and Global Capital. Pluto Press.

Brand, U.: Das Zusammenwirken von Bewegungen. Commons als kritisch-emanzipatorische Weltsicht und strategische Perspektive, in: Helfrich, S. und Heinrich-Böll-Stiftung (Hg., 2009): Wem gehört die Welt? Zur Wiederentdeckung der Gemeingüter. oekom-Verlag

Bürgin, A. (1996): Zur Soziogenese der Politischen Ökonomie. Wirtschaftsgeschichtliche und dogmenhistorische Betrachtungen. Metropolis-Verlag

Diegues, A.C.: Social Movements and the Remaking of the Commons in the Brazilian Amazon, in: Goldman, M. (Hg., 1998): Privatizing Nature. Political Struggles for the Global Commons. Rutgers University Press

Helfrich, S.; Haas, J.: Statt eines Nachworts: Gemeingüter – Eine große Erzählung, in: Helfrich, S. und Heinrich-Böll-Stiftung (Hg., 2009): Wem gehört die Welt? Zur Wiederentdeckung der Gemeingüter. oekom-Verlag

Thompson, M.: Style and Scale: Two Sources of Institutional Inappropriateness, in: Goldman, M. (Hg., 1998): Privatizing Nature. Political Struggles for the Global Commons. Rutgers University Press

Vatn, A.: Resource regimes and cooperation. Land Use Policy 24 (2007): 624-632