Benzin im Löschwagen
Mit synthetischem Geld gegen den Wertverfall: Nirgends wird die Symbiose zwischen Kapital und Staat so augenfällig wie bei der »Krisenbekämpfung«
von Tomasz Konicz
Der Euro setzte auch Anfang Juni seine Talfahrt fort. Die schwindsüchtige Einheitswährung sackte auf ein neues Vierjahrestief von 1,21 Euro gegenüber dem US-Dollar ab. Zugleich läuft bei den europäischen Regierungen die Suche nach den Krisenverursachern auf Hochtouren. In Berlin glaubt man, den Schuldigen gefunden zu haben: Den Spekulanten. Am vergangenen Mittwoch brachte das Bundeskabinett ein »Anti-Spekulationsgesetz« auf den parlamentarischen Weg. Damit sollen Leerverkäufe deutscher Aktien und europäischer Staatsanleihen – bei denen unter hohem Risiko auf fallende Kurse gewettet wird – verboten werden (jW berichtete). Auch die niederländische Finanzaufsicht will die »Spekulationsgeschäfte« durch eine »unabhängige Untersuchung« genau beleuchten lassen. Frankreich wiederum, dem eine Herabstufung seiner Kreditwürdigkeit durch US-Ratingagenturen droht, möchte lieber eine eigene europäische Agentur dieser Art gründen – und vermutlich deren Chef stellen.
Jeder weitere Krisenschub läßt Politiker nach strengerer Finanzmarktregulierung rufen. Bei näherem Hinschauen entpuppen sich Diese Versuche als Potemkinsche Dörfer, allenfalls zur Beruhigung der Öffentlichkeit gedacht. Nach Einschätzung der Frankfurter Allgemeinen Zeitung (FAZ) vom 19. Mai handelt es sich bei der deutschen Initiative um ein »Leerverkaufsverbot, das fast nichts verbietet«. Diese Art von Geschäften wird hauptsächlich in den Vereinigten Staaten abgewickelt. Außerdem seien die deutschen »Marktmacher« – also Großbanken – von dem Verbot ausgenommen.
Auch der Ermittlungseifer des niederländischen Finanzministers Jan Keers de Jager scheint bereits vor Aufnahme seiner Untersuchung der Euro-Spekulationsgeschäfte zu erlahmen. Man werde hierbei »jeden Stein umdrehen«, tönte er am vergangenen Sonnabend und zweifelte zugleich, »ob dies überhaupt möglich sein wird«.
Das Zögern der Regierenden bei der Eindämmung der Spekulation ist nur konsequent. Schließlich haben sie nach Ausbruch der Finanzkrise ihr Möglichstes getan, um die verheerenden ökonomischen Auswirkungen der geplatzten US-Immobilienblase durch eine beschleunigte erneute spekulative Blasenbildung auf den Weltfinanzmärkten zu mindern. Rund fünf Billionen (5000 Milliarden) US-Dollar sollen bislang alle derartigen Stabilisierungsprogramme und Rettungsaktionen weltweit gekostet haben. Sie werden den Steuerzahlern der jeweiligen Staaten ins Schuldenbuch geschrieben. Zumeist wurden Verluste aus Geschäften rund um den US-Immobilienmarkt »sozialisiert«, indem faule Hypothekenverbriefungen aufgekauft, Anteile an bedrängten Banken übernommen oder bankrotte Finanzhäuser verstaatlicht wurden. Zudem gingen viele Notenbanken zum Gelddrucken über, indem sie Staatsanleihen oder Schrottpapiere von den Banken übernahmen.
Die so von ihrem Giftmüll befreiten Finanzinstitute wurden durch eine historisch beispiellose Geldschwemme – bei der die Leitzinsen nahe null Prozent belassen werden – zu einer Fortführung der Zockerei geradezu genötigt. Bildlich gesprochen hatte die Feuerwehr hier allerdings Benzin im Löschwagen. Denn die Folge der »Rettung« war, daß sich eine neue, dritte große Spekulationsblase innerhalb einer Dekade aufblähte. Nur in einem steigenden Finanzmarkt konnten sie die Verluste aus der letzten geplatzten Finanzblase ausgleichen. Der US-Steuerzahler durfte sich im Gegenzug zwar Ende 2009 über die Rückzahlungen der staatlichen Hilfen freuen, durch die US-Investmentbanken vor dem Bankrott gerettet werden mußten. Doch im Grunde wurden mit den Maßnahmen nur die Folgen des Immobiliencrashs hinausgeschoben – bis auch diese Blase platzen wird.
Diese nach dem Dot-Com-Debakel im Jahr 2000 und der 2007 zusammengebrochenen Immobilienspekulation dritte Aublähung des spekulativen Kapitals in diesem Jahrhundert, wäre ohne die massiven staatlichen Konjunkturprogramme nicht möglich gewesen. Global wurden umgerechnet etwa drei Billionen US-Dollar verpulvert, um den Schein einer wirtschaftlichen Erholung aufrechtzuerhalten. Der diente nicht zuletzt der Legitimierung der erneuten Spekulation. Die wurde an den Börsenkursen offenbar und hatte nichts mit realem Wachstum zu tun. Dank der Geldflut der Notenbanken, den Konjunkturprogrammen und medial verbreiteter Aufschwungpropaganda konnten die in historisch einmaligem Tempo steigenden Aktienindizes als Vorwegnahme einer kommenden konjunkturellen Erholung gedeutet werden.
Die nun tatsächlich gegen den Euro geführten Spekulationen deuten darauf hin, daß Staaten an die Grenze ihrer finanziellen Möglichkeiten bei der Aufrechterhaltung dieser Art von Defizitkonjunktur stoßen. Spekulanten sind gewissermaßen die Aasgeier des Kapitalismus – sie können nur dort satt werden, wo es ökonomische Leichen gibt. Wenn also Finanzmarktakteure durch spekulative Angriffe die Staaten der Euro-Zone nötigen, strikte »Sparprogramme« durchzusetzen, dann wetten sie auch gegen ihre eigene Existenzgrundlage. Im Gefolge der »Sparmaßnahmen« wird eine Rezession einsetzen, die jene durch Konjunkturprogramme erzeugte Illusion einer globalen Wirtschaftserholung hinwegfegen wird. Sobald der staatliche Finanzkahlschlag eine wirtschaftliche Vollbremsung verursacht hat, wird auch die heiße Luft aus den globalen Aktienmärkten entweichen. Die Folge wird ein weiterer Finanzkrach sein. Dann werden – wegen dieser Krisensymbiose zwischen Finanzkapital und Staat – auch die meisten Industrieländer mit einem drohenden Staatsbankrott konfrontiert sein.
aus: Freitag, 5. Juni 2010