Verbündete Gegner
Rußland und China kooperieren immer enger. Neben gemeinsamen strategischen Interessen gibt es weiter Konkurrenz zwischen beiden Großmächten
von Tomasz Konicz
Rußlands Präsident Dmitri Medwedew und der chinesische Staatschef Hu Jintao scheinen sich wirklich sehr zu mögen. Dreimal kamen beide Spitzenpolitiker dieser um eine strategische Allianz bemühten Großmächte allein im Juni zusammen. Im Anschluss an den Doppelgipfel von Jekaterinburg vom 15. bis 16. Juni, bei dem neben einer Tagung der Schanghaier Organisation für Zusammenarbeit (SCO) das erste Treffen der BRIC-Staaten (Brasilien, Rußland, Indien und China) stattfand, machte Hu seinem Amtskollegen während einer bis zum 18. Juni dauernden Moskau-Visite die Aufwartung.
Das spektakulärste Ergebnis dieses Gipfelmarathons bildete die in Jekatarienburg von BRIC-Staaten formulierte Absicht, den US-Dollar als Weltleitwährung mittelfristig abzulösen. Die Teilnehmer kamen überein, in ihrem multilateralen Handel den Dollar schrittweise aufzugeben, ihre Devisenreserven durch wechselseitigen Währungsaufkauf weniger dollarlastig zu machen und auf die Errichtung eines »diversifizierten Weltfinanzsystems« hinzuarbeiten. Hierzu gehört beispielsweise der von BRIC propagierte Aufkauf von Anleihen des Internationalen Währungsfonds (IWF), die auf den Sonderziehungsrechten (Special Drawing Rights SDR) des Fonds beruhen – und nicht auf US-Dollar lauten sollen. Bei den SDR handelt es sich um eine künstliche, IWF-interne, Verrechnungseinheit.
Diese Herausforderung gegen den US-Hegemonieanspruch wurde maßgeblich von Peking und Moskau betrieben. Man habe sich darauf geeinigt, durch weitere Schritte, wie »die Anpassung bestehender Verträge und Gesetze«, die Abhängigkeit vom Dollar zu verringern, erklärte Medwedew im Anschluss an Gespräche mit Hu am 17. Juni: »Die Ausweitung der Nutzung der nationalen Währungen in bilateralen Vereinbarungen ist eine wichtige Aufgabe« russischer Politik. Es werde sicherlich »ein paar Jahre dauern«, bis beide Staaten die ersten Verträge auf ihre Währungen umstellen, erläuterte die Chefökonomin der Moskauer Citigroup-Dependance, Elina Ribakowa, gegenüber der Nachrichtenagentur Bloomberg. Doch hätten diese Ankündigungen eine »enorme symbolische Wirkung«, da in »zehn oder 20 Jahren der Handel zwischen China und Rußland signifikant steigen« werde.
Tatsächlich fehlte es auch bei dieser Visite des chinesischen Präsidenten nicht an weiteren bilateraler Vereinbarungen. Ein Abkommen im Umfang von drei Milliarden US-Dollar gilt dem Ausbau der Zusammenarbeit in der Leichtindustrie, dem Hochtechnologie- und dem Energiebereich. Insbesondere der russische Energieexport ins Reich der Mitte soll auf eine neue Stufe gehoben werden. Vizeregierungschef Igor Setschin, der zugleich als Vorstandsvorsitzender des Mineralölkonzerns Rosneft tätig ist, sprach sich für langfristige Liefervereinbarungen mit China aus. Diese sollten auf Basis des Rubel abgewickelt werden. Setschin bescheinigte dem Vorhaben eine »strategische Bedeutung« für Rußland. Nach seinen Berechnungen werden die russischen Exporte nach China in den nächsten 20 Jahren einen Umfang von umgerechnet 100 Milliarden US-Dollar erreichen.
Im Rahmen dieser langfristigen Energiepartnerschaft kreditiert die chinesische Entwicklungsbank den russischen Energiesektor mit 25 Milliarden Dollar. Damit sollen die russischen staatlichen Energiekonzerne in die Lage versetzt werden, ihre Infrastruktur auf die Bedürfnisse des Abnehmers einzustellen. Der Abschluß und Ausbau der ESPO-Leitung (Eastern Siberia – Pacific Ocean Oil Pipeline), die russisches Erdöl nach Fernost befördern wird, soll unter anderem mit diesen Finanzmitteln beschleunigt werden.
Eine langsame »Ostverschiebung« der Schwerpunktsetzung russischer Wirtschaftspolitik ist unübersehbar. Symptomatisch für diese derzeit stattfindende Gravitationsverschiebung im kapitalistischen Weltsystem ist auch eine Bekanntmachung des russischen Wirtschaftsministeriums, derzufolge China im ersten Quartal 2009 Deutschland als wichtigsten Handelspartner abgelöst hat.
Doch es ist nicht alles eitel Sonnenschein zwischen Moskau und Peking. Beide betreiben Großmachtpolitik, bei der sie sich des öfteren ins Gehege kommen. Grundsätzliche Probleme bereiten Rußland die ökonomischen Ungleichgewichte, die sich bei der Partnerschaft mit China herausgebildet haben. Die russischen Exporte bestehen größtenteils aus Rohstoffen, Energieträgern und bestenfalls Halbfabrikaten. Einzig der Rüstungssektor ist derzeit international konkurrenzfähig. China exportiert hingegen zumeist Konsumgüter oder andere, technisch hochentwickelte Produkte, auf den russischen Markt. Mit dem im Gefolge der Weltwirtschaftskrise eingetretenen –womöglich nur kurzfristigen – Fall der Rohstoffpreise droht das russische Handelsdefizit mit China weiter zu wachsen. Allein in 2008 belief sich das auf umgerechnet 13,5 Milliarden US-Dollar.
Auch kämpfen beider Staaten um die Kontrolle der Energieträger Zentralasiens. Diese spielen im geopolitischen Konzept des Energieimperiums – wie es vom derzeitigen russischen Ministerpräsidenten Wladimir Putin maßgeblich entworfen wurde und betrieben wird – eine maßgebliche Rolle. Rußland strebt die Kontrolle über deren Lagerstätten, die Transitwege und Absatzmärkte an. Doch gerade diese Position mach Peking dem Kreml streitig. Seit Anfang 2006 befördert eine Pipeline Rohöl aus Kasachstan ins westliche China. Das russische Transportmonopol auf turkmenisches Erdgas droht ebenfalls zu fallen, da Peking kurz davor steht, den Bau einer entsprechende Pipeline abzuschließen. »Auf globaler Ebene fallen die Interessen von Peking und Moskau in der Regel zusammen, aber auf regionaler Ebene werden beide Länder immer offensichtlicher zu Konkurrenten«, konstatierte jüngst die halbamtliche russische Nachrichtenagentur RIA-Nowosti.
aus: “Junge Welt”, 29.06.2009