Ökonomisierung der Bildung & Krise
von Petra Ziegler
in: Jenseits von Humboldt, Plattform MASSENUNI (Hg.)
Die Kritik an einer fortschreitenden Ökonomisierung der Bildung – wenngleich oftmals fälschlich im Gegensatz zu einem vorgeblich hehren, reinen Bildungsidyll vergangener Tage – bildet einen der zentralen Gegenstände der aktuellen Proteste. Eine Darstellung der Entwicklung der letzten Jahrzehnte darf an dieser Stelle knapp ausfallen.
Seit den 1980er, verstärkt noch seit den 1990er Jahren zwang eine Reihe marktorientierter Offensiven den Bildungsbereich, wie auch andere öffentliche Sektoren, einerseits in betriebswirtschaftliche Strukturen, andererseits (und in Folge) wurden die Sektoren zunehmend für private Anbieter geöffnet.
Dieser Prozess wurde auf verschiedenen Ebenen mittels unterschiedlicher Akteure weltweit vorangetrieben. Für die Länder des Südens, ebenso für die osteuropäischen Staaten nach 1989, waren dabei die Vergabekriterien und Auflagen des Internationalen Währungsfonds und der Weltbank von entscheidender Bedeutung. So war die Erteilung von Krediten an die Umsetzung der sog. Structural Adjustment Programs (Strukturanpassungsprogramme) gebunden, mit deren Hilfe die verschuldeten Länder genug Devisen erwirtschaften sollten, um eine Rückzahlung der Kredite zu gewährleisten. Die marktförmige Umgestaltung, bis hin zur Privatisierung öffentlicher Dienstleistungen waren und sind wesentlicher Kern dieser Programme.
Das GATS-Abkommen der Welthandelsorganisation über den weltweiten Handel mit Dienstleistungen beförderte den Prozess auf europäischer Ebene, ebenso die EU-Binnenmarktpolitik. Zwar verfügt die EU im Bildungsbereich über keine direkten Kompetenzen, doch hat sie über eine Reihe „koordinierender Maßnahmen“ zumindest mittelbaren Einfluss auf die diesbezügliche Politik der Mitgliedsländer.
Wissen ist zu einer, wenn nicht der Hauptproduktivkraft unserer Zeit geworden – das spiegelt schon das allgegenwärtige Schlagwort von der Wissensgesellschaft. Ebenso die Rede vom Wissen als wichtigster Ressource, vom Wissen als „Europas wichtigstem Kapital“. Das EU-Weißbuch zur allgemeinen und beruflichen Bildung „Lehren und Lernen – Auf dem Weg zur kognitiven Gesellschaft“ aus dem Jahr 1995, spricht gar von den „Humanressourcen“ als „größtem Trumpf der Union“. Erinnert sei ebenso an die zu Beginn des Jahrtausends beschlossene „Lissabon-Strategie“, mit der die Europäische Union durch umfassende Reformen bis 2010 zum „wettbewerbsfähigsten und dynamischsten wissensbasierten Wirtschaftsraum der Welt“ werden sollte.
Die Union soll demnach – so wohl die Phantasie – die Rolle eines globalen Kopfarbeiters übernehmen, während andere Regionen, mittel- wie langfristig, ihrer Aufgabe als „verlängerter Werkbank“ nachkommen dürfen.
Damit die so gesetzten Erwartungen erfüllt werden, muss „Wissen“ freilich erst verwertungstauglich abgepackt und auf messbare Leistungsgrößen zugeschnitten werden. Entsprechend fordert das genannte Weißbuch eine „Anpassung an die Entwicklung der Wirtschaft und des Arbeitsmarktes“ und eine entsprechende „optimale Anpassung der Systeme der allgemeinen und beruflichen Bildung“. In jüngster Zeit wurden mehrere Dutzend verschiedener Indikatoren zur Messung der Qualitätsentwicklung im Bildungsbereich (vom Umgang mit SchulabbrecherInnen bis zum „lebenslangen Lernen“) festgelegt, die optimale Vergleichbarkeit und in Folge Verwertbarkeit sicherstellen sollen.
Bildung insgesamt (keinesfalls nur „Ausbildung“) und universitäre Bildung im Besonderen standen freilich immer schon im Dienste kapitalistischer Verwertungsinteressen. So ist auch deren aktuell in die Kritik geratene „Ökonomisierung“ primär vor dem Hintergrund der kapitalistischen Form der Krisenverarbeitung zu lesen. Die Krise des globalisierten Kapitalismus gibt dabei nicht erst seit dem jüngsten Crash den (auch finanziellen) Rahmen vor.
Bereits mit dem Ende der langen Aufschwungsphase der Nachkriegszeit, getragen von expandierender Massenproduktion und Massenkonsum der fordistischen Ära, war der Verwertungsprozess des Kapitals ins Stocken geraten. Spätestens seit dem Rückgang des Wachstums in den westlichen Industriestaaten in den 70er Jahren des vergangenen Jahrhunderts ist das überschüssige Kapital auf der Suche nach lukrativen Investitions- und Anlagemöglichkeiten.
Neben der steten Eroberung neuer Absatzmärkte und dem immer massiveren Ausweichen auf die Finanzmärkte fiel das suchende Auge dabei auf eine Reihe gewinnversprechender Bereiche des öffentlichen Sektors – etwa Altersvorsorge, aber auch: Bahn, Post, Wasserversorgung… und eben Teile des Bildungsbereichs.
Von Interesse sind dabei jeweils die Filetstückerl, die kurzfristige wirtschaftliche Verwertbarkeit und/oder entsprechend zahlungskräftige Nachfrage versprechen, immerhin wird der weltweite Bildungsmarkt auf gut 2.000 Mrd. US-$ jährlich geschätzt. Der „Rest“ – und das betrifft den größeren Teil der heutigen Massenuniversitäten und der Studierenden – sieht und sah sich bereits in der Vergangenheit mit dem Sparzwang der öffentlichen Kassen konfrontiert. Daran hat sich nach den jüngsten Rettungspaketen für die maroden Finanzinstitute und der damit einhergehenden explodierenden staatlichen Neuverschuldung nichts zum Besseren gewandelt. Die Hoffnung auf eine Ausweitung des finanziellen Spielraums im weiteren Krisenverlauf darf als illusorisch bezeichnet werden.
Dieser Text entstand im Rahmen des Workshops „Vom Uniprotest zur Solidarischen Ökonomie der Bildung“ an der Universität Wien, Audimax, 15.11.2009