Die Uni kriegt die Krise
von 180 Grad für einen neuen Realismus
Dass sich die Finanzkrise mittlerweile als handfeste Wirtschaftskrise geoutet hat, lehrt jeder allmorgendliche Blick in die Zeitung. Die Wachstumsprognosen werden derzeit im Monatstakt nach unten korrigiert, ein negatives Wirtschaftswachstum von drei Prozent wird derzeit für wahrscheinlich gehalten. Viele Firmen haben Absatzprobleme, der Druck auf dem Arbeitsmarkt dürfte demnächst merklich steigen.
Auch Unis direkt betroffen
Doch nicht erst nach dem Ende des Studiums werden wir mit den Auswirkungen der strudelnden kapitalistischen Ökonomie konfrontiert werdenSo hat die Kreditanstalt für Wiederaufbau (kurz: KfW), die für die Vergabe von Krediten für Studiengebühren zuständig ist, bereits am 01.10. ihren Zinssatz von 5,1% auf 7% erhöht1. Die KfW war durch die Finanzkrise in Bedrängnis geraten und muss nun zusehen, dass sie sich refinanziert. Die Privatisierung der Studienfinanzierung wendet sich nun gegen diejenigen, denen sie angeblich nutzen sollte. Die Wirtschaftskrise hat also durchaus Einfluss auf die Situation von Studierenden.
Dies gilt auch für die Bereiche, in denen eine vom Staat unabhängige Finanzierung angestrebt wird. Von der US-amerikanischen Elite-Universität Harvard etwa war unlängst zu lesen, dass sie in den letzten vier Monaten etwa acht Milliarden Dollar ihres Stiftungsvermögens verloren hat. Auch ihre Partner-Uni Cambridge erwartet, dass sie im nächsten Jahr deutlich weniger Spendengelder erhalten wird. Die Universität von Georgia in Athen, GA. musste auf Grund der Krise ca. 400 Abonnements wissenschaftlicher Zeitungen abbestellen. In Ithaca, NY verhängte die Cornell Universität einen Baustopp und stellt nur noch unter Vorbehalt neue Mitarbeiter*Innen ein. 2
In Göttingen ist davon bislang wenig zu merken. Aber die Grenzen des Modells „Stiftungsuniversität“3 Ebenso wie die Grenzen des Modells „Nach der Uni in den Job“ demnächst noch deutlicher werden sollten, als es bislang schon der Fall war. Wurde bisher von einer „Generation Praktikum“4 geredet, so stellt sich bald noch mehr als bislang die Frage, ob die gebeutelten Unternehmen überhaupt noch ehemalige Praktikant*Innen in ein festes Arbeitsverhältnis übernehmen werden. Ob wir wollen oder nicht: Die Lohnarbeit wird abgeschafft – zumindest in der Form der Abschaffung des Lohnes.
Die Krise wird Studierende also an und nach der Uni treffen. Wer sich aber nicht dem blinden Wüten ökonomischer Prozesse ausliefern will, die*der muss verstehen, was da gerade passiert. Widerstand gegen die anstehenden Verschlechterungen braucht eine fundierte Analyse der Situation. Diese können wir hier sicherlich nicht in vollem Umfang liefern, aber einige Spotlights wollen wir doch werfen.
Die Mär vom „gierigen“ Finanzkapital
Zunächst ist festzustellen, dass es sich bei der Krise um kein neues Phänomen handelt. Krisen sind nichts neues im Kapitalismus, sie sind geradezu typisch für ihn. Die Weltwirtschaftskrise in den 20ern, die sogenannte Ölkrise in den 70ern, die Asien- und die Mexikokrise in den 90ern, das Platzen der New Economy, jetzt die Immobilienkrise und deren Folgen sprechen ihre eigene Sprache. Dass die Konjunkturkurve immer wie eine Sinuskurve schwankt, lehrt uns selbst die hiesige VWL. Aber schon die obige Aufzählung macht klar, dass in den letzten Jahren die Zahl der Krisen zugenommen hat, dass der zeitliche Abstand zwischen ihnen zunehmend schwindet und ihre Auswirkungen stärker werden. Zum ersten Mal seit langer Zeit zeigt sich die Krise nicht nur in einzelnen Weltregionen oder Branchen, sondern muss als umfassende Weltwirtschaftskrise beschrieben werden.
Insofern erscheint es auch als etwas naiv, die Schuld alleine bei „gierigen Managern“, bei über das ‚brave Deutschland‘ herfallenden „Heuschrecken“, bei der „anglo-amerikanischen Kultur“ oder gleich beim internationalen Finanzkapital auszumachen. Ganz im Gegenteil zu der landläufigen Auffassung, dass das Gezocke auf den Finanzmärkten beständig Firmen ruiniert, der an sich wunderbar funktionierenden Verwertung innerhalb der sogenannten Realwirtschaft im Wege stünde, und jetzt sogar für all die Krisenerscheinungen des Kapitalismus verantwortlich sei, spielte das „Finanzkapital“ immer schon eine tragende Rolle für eine funktionierende Kapitalverwertung: Zunächst einmal ermöglicht der Finanzüberbau überhaupt erst kaptalintensive Produktion. Kaum ein einzelner Unternehmer5 könnte genug Kapital aufbringen, um mit der Produktion loszulegen – Kredite oder Kapitalisierung von Aktien etc. sind hier die entsprechende Abhilfe. Je größer die finanziellen Vorauskosten der Unternehmen sind, die mit wachsenden technischen Möglichkeiten notwendigerweise steigen, desto wichtiger wird die Finanzsphäre für den unmittelbaren Produktionsprozess.
Zum zweiten sorgen die Finanzmärkte für eine adäquate Konkurrenz unter den verschiedenen Kapitalien. Erst hier wird sichergestellt, dass das Geldkapital auch dort hinfließt, wo es am ertragreichsten eingesetzt werden kann. Das Finanzkapital ist also letztlich der Garant „rationalen“ Wirtschaftens auf dem Markt. Wer sich einen funktionierenden Kapitalismus mit entsprechendem „Wachstum“ wünscht, der kommt um die Finanzmärkte nicht herum!
Halten wir also fest: Finanzmärkte sind immer schon integraler Bestandteil des Kapitalismus. Ihnen jedoch das „produktive“ Kapital als geläutertes Opfer von „gierigen Spekulant*innen“ gegenüber zu stellen ist schlichtweg falsch. Wem die Profite auf dem Finanzmarkt nicht ganz geheuer sind, kommt um eine Kritik an der kapitalistischen Produktion und deren Profitzwang insgesamt nicht herum. Denn bei dem ganze Prozess dreht es sich ja genau darum, aus einem Euro zwei zu machen – Gewinn und Profit eben. Wozu sollte man denn sonst im Kapitalismus etwas herstellen? Menschliche Bedürfnisse sind da eher nebensächlich oder vielmehr: Mittel zum Zweck.
Eine handfeste Wirtschaftskrise
Längere Phasen eines selbsttragenden ökonomischen Wachstums sind schon etwas her, das Wirtschaftswunder der 60er und 70er Jahre ist längst verpufft und das bisschen Wachstum, was seitdem verblieben ist, kann hauptsächlich auf eine Aufblähung von Staatshaushalten und Finanzblasen zurückgeführt werden.
Die aktuelle Krise hat also einen konkreten Ursprung: Das Ende des Fordismus6 am Anfang der 70er Jahre. Der in Deutschland als „Wirtschaftswunder“ bekanntgewordene Aufschwung kam hier an sein Ende. Es lohnte sich nicht mehr, die Produktion noch weiter auszudehnen, denn nach dem riesigen Sprung der Produktivität mit der mikroelektronischen Revolution konnten nun unglaublich viele neue Waren produziert werden, ohne dass gleichzeitig neue Arbeitskräfte benötigt worden wären. Ganz im Gegenteil wurde durch die zunehmende Technisierung der Produktion immer mehr menschliche Arbeit überflüssig. Da die kapitalistisch anerkannte Reichtumsproduktion nun aber einmal auf Arbeit beruht, wurde dies zum Problem für den Kapitalismus. Mit dem Platzen der Immobilienblase ist das nun vorbei. Die Verlagerung der Investitionen in die Finanzsphäre ist also eine Folge der stockenden Verwertung in der Produktion – und gleichzeitig ein Ausgleich dafür: Das Kapital, das nicht genug ertragreiche Anlagemöglichkeiten in der Produktion fand, schuf sich eben simulierte Profite im Finanzsektor. Diese konnten zwar keine reale Verwertung mehr abbilden, aber letztlich den Sturz in die offensichtliche Krise aufschieben.
Daher sah es an den Börsen und in den Bilanzen noch lange Zeit gut aus. Aktienkurse stiegen, Währungsspekulation und der Handel mit Finanzderivaten blühte und möbelte die Unternehmensbilanzen auf. Zeitgleich wurde durch das Strecken von Kreditketten zusätzliche Kaufkraft geschaffen, mit der dann in weiten Teilen der vermeintliche Boom in Indien und China finanziert wurde. So wird seit vielen Jahren ein weiter Teil des US-Konsums aus Krediten finanziert. Sei es über Kreditkarten (das Platzen der Kreditkartenblase steht laut Medienberichten gerade bevor), sei es über Kredite aus China, die dann zum Konsum (in China) genutzt werden können, worauf die entsprechenden Gewinne als neue Kredite in die USA zurückfließen können.
Hier wird deutlich, dass ökonomischen Entwicklungen in der Realwirtschaft und im Finanzüberbau in einem speziellen Verhältnis zueinander stehen, aber dennoch die Kurse an den Börsen nicht einfach abbilden, wie es um die Verwertung in den Unternehmen gerade steht. Nach dem Kriseneinbruch im Spätsommer 2008 kommt es sogar in volkswirtschaftlichen Vorlesungen in Göttingen vor, diese beiden Sphären fein säuberlich voneinander zu trennen. Plötzlich sind die Preise der Aktien nicht mehr das Ergebnis von aufeinandertreffender Nachfrage und Angebot auf unterschiedlichen Gütermärkten, sondern Ausdruck von zwei unterschiedlichen ökonomischen Sphären. Mit der Rede von der Realwirtschaft7 wird deutlich, dass es nicht ausreicht, ökonomische Prozesse über sich verändernde Preisbildung am Markt zu analysieren. Gesellschaftlich anerkannte Wert-Schöpfung ist zu unterscheiden von der bloßen Preisbildung. Wenn eine Aktie an der Börse ihren Wert verdoppelt, dann muss das nicht zwangsläufig auf eine Verdoppelung des realen Unternehmenswertes zurückgehen. Weder muss sich die Produktion verdoppelt haben noch der Wert der Maschinen erhöht haben. Dass via Aktienmarkt einfach höhere Summen in Bilanzen auftauchen ist nicht ausreichend für einen funktionierenden Kapitalismus. Dieser beruht vielmehr – und das wird derzeit wieder mehr als deutlich – auf der Verausgabung von Arbeit zur Vermehrung von Kapital.
Fassen wir also nochmal zusammen: Nachdem in den 70ern das sogenannte „Wirtschaftswunder“ zusammengebrochen ist, konnte kein auf dieser Basis funktionierendes kapitalistisches Regulationsmodell installiert werden. Das war auch kein Wunder, denn nach dem riesigen Sprung der Produktivität mit der mikroelektronischen Revolution konnten nun unglaublich viele neue Waren produziert werden, ohne das gleichzeitig neue Arbeitskräfte benötigen worden wären. Ganz im Gegenteil wurde durch die zunehmend technisierte Produktion immer mehr Arbeit überflüssig. Da die kapitalistisch anerkannte Reichtumsproduktion nun aber einmal auf Arbeit beruht, wurde dies zum Problem für den Kapitalismus8.
Überfluss und Mangel
Die Lage ist geradezu paradox. Einerseits gibt es durch technische Errungenschaften immer größere Reichtumspotentiale. Es können immer mehr nützliche Dinge in immer weniger Zeit hergestellt werden. Andererseits gelten im Kapitalismus aber nicht der Reichtum an nützlichen Gegenständen und guten Lebensbedingungen als wesentlicher Bezugspunkt der Ökonomie. Wenn sich gute Lebensbedingungen trotzdem mal ergeben, dann fallen sie nur als Abfallsprodukt des Selbstzwecks, aus einem Euro zwei zu machen, ab. Die technisch-stofflichen Möglichkeiten dieser Gesellschaft haben mittlerweile ein Niveau erreicht, das ein gutes Leben für alle ermöglichen könnte. Gleichzeitig lassen sie sich aber nicht in der einzig gültigen Reichtumsform ausdrücken. Gesellschaftlich zählt nämlich nur der ökonomische Wert. Dieser ist letztlich nichts anderes als Ausdruck der geleisteten Arbeitszeit. Und die schwindet im Gegensatz zur steigenden Anzahl nützlicher Dinge eben dahin. Hätten wir nicht diesen ollen Kapitalismus, wäre es eigentlich nur wünschenswert, dass es weniger zu tun gibt. So wird es zu einer Bedrohung für die Menschen.
Wer die Krise also überwinden will, sollte dabei besser nicht auf den Kapitalismus hoffen. Vielmehr muss es jetzt, mehr noch als schon bislang, darum gehen, politische Forderungen ohne Rücksicht auf ökonomische Rationalität zu stellen. Ein schönes Leben für alle ist zu ermöglichen. Und zwar umstandslos. Wenn das nicht mit dem Kapitalismus geht, dann eben ohne ihn. Besonders toll war der ohnehin nie.
Anmerkungen
1 Aktionsbündnis gegen Studiengebühren: KfW erhöht Zinssatz bei Studienkrediten http://www.abs-bund.de/presse/3804/
2 Elite-Uni Harvard verzockt Milliarden an der Börse https://www.welt.de/finanzen/article2826698/Elite-Uni-Harvard-verzockt-Milliarden-an-der-Boerse.html
3 Stiftungshochschulen bzw. Stiftungsuniversitäten sind Hochschulen oder Universitäten, die durch eine öffentlich-rechtliche oder eine private Stiftung getragen werden. Göttingen ist seit dem Jahr 2003 Stiftungsuniversität. Damit erhofften sich die Entscheidungsträger*Innen eine stärkere Anbindung der Wirtschaft an die Universität.
4 vgl. Ernst Lohoff: Virtualisierung der Ware Arbeitskraft. Kleine Politische Ökonomie des Praktikumsbooms.
5 Auch wenn klar und bekannt ist, dass nicht nur Männer Unternehmen leiten, so soll doch nicht unterschlagen werden, dass die Mehrheit dieser Positionen von ihnen besetzt ist.
6 Als Fordismus bezeichnet man eine nach dem Ersten Weltkrieg etablierte Form der Warenproduktion. Der Fordismus basiert auf stark standardisierter Massenproduktion und -konsumtion von Waren, die mit Hilfe hoch spezialisierter Maschinen, Fließbandfertigung, dem Taylorismus, auf massiv gesteigertem Produktivitätsniveau hergestellt wurden. Die Produktivitätssteigerung ermöglichte relativ höhere Löhne und Arbeitszeitverkürzung, die die entsprechende Nachfrage und die nötige „Freizeit“ für die massenproduzierten Waren ermöglichten.
vgl. https://de.wikipedia.org/wiki/Fordismus
7 Nach wie vor ist der Begriff der Realwirtschaft innerhalb konservativer Kreise aber umstritten. Zur „fundierten“ Kritik aus neoklassicher Sicht siehe: Dirk Friedrich: Verwirrung: Realwirtschaft und Finanzwirtschaft. http://www.ef-magazin.de/2008/10/25/760-verwirrung-realwirtschaft-und-finanzwirtschaft
8 vlg. Money makes the world go round? Reflektion über kapitalistischen Reichtum. http://www.bb-goettingen.de/187