Commons – Gemeingüter
Streifzüge 45/2009
KOLUMNE Immaterial World
von Stefan Meretz
Ein neuer alter Begriff ist dabei, den politischen Diskurs zu erobern: Die Commons kommen. Erst jüngst wurde vom Weltsozialforum ein „Manifest zur Wiederaneignung der Gemeingüter“ verabschiedet. Gemeingüter werden als strategische Widerstandsperspektive entdeckt. Warum aber ist das so, sind Gemeingüter nicht bloß eine vorkapitalistische Eigentumsform, die nur noch in Resten überlebt hat? Weit gefehlt.
Zunächst einmal ist es richtig, dass vor der Durchsetzung des kapitalistischen Privateigentums gemeinschaftliche Besitzverhältnisse vorherrschten. Hierbei ist es wichtig, zwischen Besitz und Eigentum zu unterscheiden. Besitz beschreibt ein konkretes Nutzungsverhältnis, während Eigentum ein abstraktes Rechtsverhältnis in Bezug auf ein Gut festlegt. In meinem Besitz ist das, was ich nutze; nutze ich es nicht mehr, ist es nicht mehr in meinem Besitz. Das Eigentum hingegen ist nicht an die Nutzung, den Besitz, gebunden, und kann folglich auch übertragen, also verkauft werden. Der Eigentümer einer Wohnung kann diese verkaufen, ohne je einen Fuß in sie gesetzt zu haben. Das ist dem Besitzer, dem Mieter, nicht möglich, obwohl er sie tagtäglich durchschreitet.
Das konkrete Nutzungsverhältnis des Besitzes unterscheidet sich also vom abstrakten Rechtsverhältnis des Eigentums, obwohl beide Begriffe meist synonym verwendet werden. Besitz ist ein soziales Verhältnis von Personen und Sachen. Besitz kennt folglich nur die konkret-sinnliche soziale Regulation der Nutzung, jedoch keine abstrakte. Historisch waren die meisten Commons Besitz. Mit Commons jedoch war kein Kapitalismus zu machen.
Die Commons mussten in Eigentum umgewandelt werden. Die „Schließung der Commons“ (enclosure of the commons) war ein blutiger Prozess, Marx beschreibt ihn ausführlich im „Kapital“ im Abschnitt über die „sogenannte ursprüngliche Akkumulation“. Die Nutzerinnen und Nutzer der Wälder und Felder wurden von ihrem Besitz vertrieben, sie wurden vom Zugriff auf Ressourcen ausgeschlossen und mussten fortan ihre Arbeitskraft verkaufen, da sie nichts anderes mehr hatten.
Dieser Prozess der Vereigentümlichung von Besitz wurde damit gerechtfertigt, dass nur der Ausschluss von der Nutzung eine wirtschaftliche Tätigkeit möglich macht, denn Wirtschaft sei im Kern der Umgang mit knappen Gütern. Würden die Güter nicht knapp gehalten, hätten also alle Zugriff, dann käme es zur Übernutzung der Güter, und am Ende würden alle leer ausgehen. Dieser Zusammenhang ist als „Tragik der Commons“ (Garrett Hardin) in die Geschichte eingegangen. Sie basiert auf einer Verwechslung von „Niemandsland“ (Ressourcen im unregulierten freien Zugriff) und Commons.
Zur Übernutzung von Gütern kommt es nur, wenn sie unreguliert erfolgt. Die historischen Commons jedoch basierten auf Besitz und schlossen eine soziale Regulation der Nutzung der Güter mit ein. Existierten solche Regulationen nicht, dann wurden die Güter oftmals nicht als Commons, sondern wie Raubgüter behandelt. So brachte der antike Holzraubbau der Römer den Waldbestand rund um das Mittelmeer weitgehend zum Verschwinden.
Die fehlende soziale Regulation kann jedoch auch das Gegenteil bewirken. Zur Unternutzung kann es kommen, wenn es keine Commoners gibt, die sich um ihre Commons kümmern können, weil sie davon ausgeschlossen wurden. Ein Beispiel für die „Tragik der Anti-Commons“ sind Patente, die eingereicht wurden, um Konkurrenten am Einsatz von Forschungsergebnissen zu hindern. Ganz generell fallen alle wegen mangelnder Verwertung brachliegenden Ressourcen in privater, exkludierender Verfügung unter „Anti-Commons“.
Weil soziale Regulation von Gütern dem Selbstzweck des Kapitalismus – der Verwertung von Wert – entgegensteht, mussten die historischen Commons zerschlagen werden. Gleichzeitig jedoch mussten sie in jenen Bereichen erhalten bleiben, in welche die Warenform noch nicht vorgedrungen war. Teilweise trat hier der Staat als Regulator auf, teilweise war es Angelegenheit der „Zivilgesellschaft“, sich um die unverwertbaren Angelegenheiten des alltäglichen Lebens zu kümmern. Die neoliberale Privatisierungswelle hatte das Ziel, auch mit diesen Resten Schluss zu machen.
Commons können daher heute in ganz unterschiedlichen Rechtsformen erscheinen. Zwei Kurzschlüsse sind dringend zu vermeiden: Commons sind öffentliche (staatliche) Güter, und Commons sind freie Güter. Beides kann so sein, meistens treffen beide Eigenschaften jedoch nicht zu. Richtig dagegen ist: Commons sind immer auch Besitz, selbst wenn sie Eigentum sind. Commons und Commoning, Gemeingüter und ihre soziale Nutzung, gehören zusammen.
So sind etwa freie Kulturgüter wie Freie Software gemäß Rechtsform Eigentum des Urhebers. Dieser hat jedoch per Lizenz alle Nutzungsrechte an die Allgemeinheit übertragen, so dass ein Ausschluss von der Nutzung ausgeschlossen ist. Nicht-stoffliche Commons unterliegen in der Regel einem freien Zugriff, bei stofflichen Commons gibt es hingegen klare Nutzungsregeln. Ziel ist in allen Fällen, die Commons zu schützen und sie den künftigen Generationen besser und reicher zu übergeben.
Die soziale Bindung der Commons und die abstrakte, über menschliche Bedürfnisse hinweggehende Verwertungslogik des Kapitalismus sind unvereinbar. Commons und Kapitalismus sind in einen globalen Kampf eingetreten. Wo konkrete soziale Nutzungsweisen von Gütern gesichert werden können, kann der Kapitalismus sich nicht ausbreiten. Wo es jedoch gelingt, die sozialen Strukturen zu zerstören, hat der Kapitalismus freies Feld und hinterlässt nicht selten nach „getaner Arbeit“ verbrannte Erde.
Mit den freien Software- und Kulturbewegungen sind Commons produzierende Bewegungen auf den Plan getreten. Sie können und sollten sich strategisch mit den Commons bewahrenden Bewegungen in den Bereichen von Saatgut, Wasser, Boden, Ernährung, Biodiversität, Klima, indigene Lebensweisen usw. verbinden, denn beide Strömungen verbindet das gleiche Ziel: die Commons jenseits von Markt und Staat zu erhalten, auszubauen und neu aufzubauen.
Der Commons-Begriff hat die Potenz, zu einer langfristigen Konvergenz der sonst sehr heterogenen Bewegungen zu führen. Eine Bewegung zur Wiederaneignung der Commons stellt die Machtfrage von unten, aus den konkreten sozialen Prozessen und Kämpfen um ein gutes Leben.