Abendland in Christenhand?
Mobilmachung für Kirchtürme und Schweinebraten
von Franz Schandl
So recht auf Touren kommt niemand: die Politik nicht, die Medien nicht, das Publikum nicht. Der EU-Wahlkampf gleicht einem kollektiven Ermattungsprogramm, wo alle Beteiligten und erst recht die Unbeteiligten froh sind, wenn der 7. Juni den langweiligen Inszenierungen ein Ende macht. Viele werden dem Urnengang aus Desinteresse fern bleiben. Die stärkste Partei dürften die Nichtwähler bilden. Es ist ihnen nicht zu verübeln.
„An Europa kommt niemand vorbei“, plakatiert die Volkspartei. Ohne Frage, nur ist diese Aussage nichts anderes als das Eingeständnis einer Zwangslage und dessen Absegnung. Wozu dann wählen, ist die Frage. Wenn der ÖVP-Spitzenkandidat Ernst Strasser, ein ehemaliger Innenminister, sich vom Kapitalismus a la Wall Street abgrenzt, gegen Neoliberalismus wie Sozialismus wettert, die „ökosoziale Marktwirtschaft“ lobpreist und verkündet: „Wir wissen, wie es funktioniert“, ist Flucht angesagt, falls man nicht bereits eingeschlafen ist. Würden die beiden Listenersten Strasser und Karas nicht gelegentlich darüber streiten, ob man mit der Türkei nun Beitrittsverhandlungen führen soll oder nicht, wären die Konservativen wohl gar nicht aufgefallen. Aber da sind sie noch besser dran als die Sozialdemokraten, deren wahlwerbendes „A-Team“ (Eigendefinition) es nicht einmal bis zum Gezänk geschafft hat. Dass die Koalitionsparteien verlieren werden, ist vorgegeben.
Die (negativen) Höhepunkte setzt Heinz Christian Strache. „Die FPÖ ist die einzige Partei, die den EU-Beitritt der Türkei und Israels ohne Wenn und Aber ablehnt“, heißt es in einer großflächigen Anzeige in der Kronen Zeitung, dem größten Boulevardblatt des Landes. Dass der EU-Beitritt Israels überhaupt nicht auf der Tagesordnung steht, stört nicht. Was stört, sind Moslems und Juden. So gelingt es en passant Antiislamismus als auch Antisemitismus in einem Aufwaschen zu bedienen. Es wird stets mehr signalisiert als gesagt wird.
Aber das Ziel ist erreicht. Alle reden von Strache. Die Gazetten sind voll und die Sendungen gehen über, selbst „das Ausland“ ist beunruhigt. Doch aufgepasst: Abstoßung funktioniert als Anziehung. Die offizielle Erregung ist etwas, das die Leute weniger gegen die FPÖ aufbringt, als für zusätzliche Aufmerksamkeit sorgt. Vor allem, wenn der gesellschaftliche Mainstream sich pflichtbewusst empört. Was er tut, oft zu Recht, allerdings ohne irgendwelche stichhaltigen Erklärungen dazu anzubieten, warum denn die populistische Provokation so prächtig gedeiht. Er kann sich das auch gar nicht leisten, denn dann müsste er offen über sich selbst sprechen. So jedoch werden die Folgen für die Folgen verantwortlich gemacht.
Das ist schon etwas eigenartig, wenn man bedenkt, dass das Arsenal der politischen Mitte auch jenes der Rechten ist. In den Leitwerten, also den Bekenntnissen zu Privateigentum, Eigeninitiative, Arbeit, Leistung, Konkurrenz, Standort, Marktwirtschaft, da gibt es keine Differenz. Was unterscheidet, ist die rabiate Konsequenz, mit der Strache (wie einst Haider) manches lautstark einfordert. Die FPÖ kann deswegen die anderen vor sich hertreiben, weil die anderen nicht viel anderes vertreten. Zumindest wenn wir uns deren Praxis genauer anschauen und nicht auf politisch-korrekte Proklamationen hereinfallen.
Vergessen wir insbesondere nicht, dass es europäische Demokraten sind, die an den Südküsten des Kontinents Menschen im Meer versenken lassen. Dass in zahllosen Punkten gerade die etablierte Politik die rechten Forderungen umsetzt. Ganz ohne populistisches Getöse. Die FPÖ und ähnlich positionierte Gruppierungen dienen dabei auch als Projektionsflächen, um von den obligaten Grausamkeiten abzulenken. Man will sich partout nicht in seinem Konzentrat erkennen. Mit diesen Knaben habe man aber schon gar nichts zu tun. Wir doch nicht.
Das ist freilich Schein. Gerade in Österreich, wo die ÖVP mit Haider koalierte und auch die Sozialdemokraten den Freiheitlichen Avancen machen, zuletzt wieder durch die Landeshauptleute in der Steiermark und Salzburg. Da mag der Kanzler den FP-Chef auch „Hassprediger“ nennen – der Cordon sanitaire, den es nicht gibt, der ist eine Veranstaltung für das Ausland, wo es ihn ebenfalls nicht gibt. Betonen die Etablierten ihre Distanz zu den Schmuddelkindern, so betonen die Freiheitlichen umgekehrt ihre Nähe zu jenen. Mit diesem Verweis auf eine implizite Intimität liegen sie auch richtig und die Wähler spüren das.
Inzwischen ist die FPÖ katholisch geworden. „Die europäischen Rechtsordnungen fußen auf einem christlichen Grundwertekonsens“, hieß es bereits im Parteiprogramm von 1998. Indes, Rechtsstaat und Aufklärung waren auch gegen die reaktionäre Macht von Religion und Kirche gereichtet. Die heutige Kosexistenz und Kohabitation sind Resultate dieser Auseinandersetzung und nicht deren Voraussetzung. Es hat sich arrangiert, was ursprünglich nicht zusammen gehörte. Der traditionelle Deutschnationalismus hingegen war immer antiklerikal gewesen. Mit den Pfaffen hatte er nichts am Hut. Und auch jetzt geht es weniger um eine Annäherung als um das Abrufen bestimmter Codes. Wenn Strache mit einem Kruzifix bei einer antiislamischen Kundgebung auftritt, dann ist das in erster Linie nicht der kaltschnäuzige Gebrauch von Symbolen, sondern ein theatralische Inszenierung, die ihn ins Fernsehen bringt. Kirchturm und Schweinebraten verleihen sich im Slogan „Abendland in Christenhand“ höhere Weihen. Worum es geht, ist offensichtlich: um eine noch strammere Ausgrenzungspolitik. Denn schuld sind sowieso die Ausländer: ob Kriminelle aus Rumänien oder Korrupte aus Brüssel, der Feind hat stets Name und Anschrift.
Es ist jedenfalls nicht auszuschließen, dass die FPÖ im Erstwählersegment zur stärksten Partei aufsteigt. Ob das schon als Rechtruck bezeichnet werden soll, darf allerdings bezweifelt werden. Es ist wohl wirklich weniger eine Stimme für etwas, als gegen etwas. Dem Auftreten nach erscheint Strache als der Attraktivere, als einer, der zumindest noch etwas sagt und etwas will, als einer, der immerhin für etwas steht, nicht nur umfällt. Natürlich kann man einwenden, dass dies alles sehr kurz gedacht ist. Tatsache aber ist, dass viele Wähler, vor allem auch junge, auf dieses Niveau hin formatiert worden sind. Verwunderlich ist eher, dass man sich jetzt über deren Frustration oder ihre Einstellung wundert. Keine politische Bildung wird dagegen viel ausrichten, solange die Verhältnisse bleiben, wie sie sind.
Poltern Freiheitliche gegen Brüssel, so verschreiben sich Grüne neuerdings ganz einer unkritischen EU-Euphorie. Die blanke Affirmation wird gegen das dumpfe Ressentiment den Kürzeren ziehen, weil sie nicht einmal den Zauber einer Perspektive bieten kann. Die Ökopartei wird zu den Verlierern dieses Urnengangs gehören, auch aufgrund eines verpatzten Wahlkampfs. Linke Alternativen sind nicht in Sicht, sieht man von der „links“populistische Drachentötervariante in Person des Hans Peter Martin ab. Der Bestsellerautor („Die Globalisierungsfalle“, 1996) und Europaabgeordnete möchte laut Eigenaussage lästig sein. Das beherrscht er am besten, zweifellos. Sein Metier ist die Aufdeckung, auch wenn er gelegentlich selbst der Unregelmäßigkeiten bezichtigt wird. Mit dem dritten Platz, den er vor fünf Jahren überraschend erreichte, wird es aber nichts werden. Trotz des Abdrucks seinen neuen Buchs „Die Europafalle“ als doppelseitige Serie in der Kronen Zeitung, deren Favorit Martin auch diesmal ist.
aus: der Freitag, 5. Juni 2009