Die große Illusion – Mega-Blase Weltwirtschaft
von Andreas Exner
Die „Regulierung der Finanzmärkte“ wird zum neuen Mainstream. Der CDU-Politiker Heiner Geißler erklärt, dass „die Marktideologie gescheitert“ sei. Das globalisierungskritische Netzwerk Attac fühlt sich bestätigt. Hat man es doch seit Jahr und Tag gesagt: die „entfesselten“ Finanzmärkte sind instabil. Nun fühlt Attac seine große Stunde gekommen, so scheint’s. Und man bläst zum Halali: „Die Krise ist die direkte Folge der Gier und der Skrupellosigkeit der Banker und Fondsmanager – und vor allem der Tatenlosigkeit der Politik“, tönt Attac Deutschland auf der Titelseite seiner Webpage.
Attac liegt falsch.
Die vermeintliche „Gier“ ist dem Kapitalismus eingebaut. In einer Geldwirtschaft macht Produktion nur Sinn, wenn mehr Geld dabei herauskommt als investiert worden ist. Das erzwingt nicht zuletzt die Konkurrenz – wer keinen Profit macht, kommt darin um. Und weil am Markt niemand vor dem anderen sicher ist, wird der Profit auch nach Kräften maximiert. Ganz abgesehen davon, dass in einer Geldwirtschaft es gar nicht anders sein kann, als dass mehr Geld besser ist als weniger Geld. Attac fuchtelt daher zu Unrecht mit dem moralischen Zeigefinger herum. Mehr Moral hilft keinen Zentimeter weiter, wenn das Problem in der Struktur der Gesellschaft liegt. Skrupellos ist es, nur leben zu können, wenn man sich verkaufen kann. Dass Attac dagegen jemals aufgetreten ist, habe ich noch nicht gehört.
Darüber hinaus ist Spekulation kein Privileg der Finanzmärkte. Vielmehr ist jede wirtschaftliche Tätigkeit im Kapitalismus spekulativ. Kein Produzent kann sicher sein, dass sein Unternehmen auch erfolgreich ist. Das zeigt sich ja immer erst in der Zukunft. Wer keine Kristallkugel hat, muss also spekulieren. Ganz egal, ob ein Betrieb nun Waren produziert oder ein Investmentfonds Unternehmen kauft.
Die „Gier“ der „Wallstreet“ anzuprangern ist aber nicht bloß falsch. Schlimmer noch: Sie grenzt an Heuchelei. Der globale Norden verbraucht bekanntlich ein Vielfaches der Ressourcen des globalen Südens. Wir fressen der Welt buchstäblich die Zukunft weg. Dagegen sind die vermeintlichen Eskapaden von Managern nicht mehr als Peanuts. Die „Heuschrecken“ sind nicht die Manager, sondern wir selbst.
Warum werden dennoch „die Spekulanten“ für die Krise einer Produktionsweise verantwortlich gemacht, für die letztlich alle die „Ursache“ sind, die Konsumenten, Arbeiterinnen und Wähler. Die Antwort scheint mir in zwei Richtungen zu liegen. Erstens ist es immer bequem, „die anderen“ zur Wurzel eines Missstands zu erklären. Weit unbequemer zum Beispiel wäre es, sich für die Hungernden einzusetzen und eine militante Kampagne gegen den individualisierten Massenverkehr zu starten. Unbequem wäre es auch, Arbeitskämpfe zu Kämpfen um die gesellschaftliche Kontrolle der Produktion zu radikalisieren.
Zweitens aber zeigt sich in der projektiven Schuldzuweisung, im Sündenbock-Denken, genau die Ohnmacht und Perspektivlosigkeit, die Attac nach eigener Angabe eigentlich bekämpfen will. Doch anstatt zu versuchen, das eigene Leben in die Hand zu bekommen, ausgehend vom Alltag bis hin zur Organisation der Produktion, stellt Attac Forderungen an „Vater Staat“. Der kann vermeintlich alles regeln, wenn man ihn mit guten Argumenten und gutem Willen überzeugt. Damit hat man sich der Chance, das eigene Leben selbst zu gestalten, schon begeben.
Tatsächlich ist die Krise kein begrenzter Brand an der Wallstreet, den man mit ein paar Löschaktionen und besseren Gesetzen in den Griff bekommen wird. Es zeigt sich vielmehr eine historische Grenze des kapitalistischen Weltsystems. Wir nähern uns dem Zusammenfluss einer Krise des Wachstums und der Beziehung der kapitalistischen Gesellschaft zu ihrer Umwelt, die sich beide seit dem Ende der 1960er Jahre aufgebaut haben.
Der Ölschock 1973 machte erstmals natürliche Grenzen des Wachstums für die breite Masse vorstellbar. Und schon ein paar Jahre vorher hatte die Profitrate der Weltwirtschaft zu fallen begonnen. Die 1970er Jahre waren deshalb ein Jahrzehnt schwachen Wirtschaftswachstums und zunehmender sozialer Auseinandersetzungen. Umso mehr, als eine ganze Generation die Arbeit und das Geldverdienen satt hatte und gegen Bosse, Politik und Normen rebellierte.
Erst die neoliberale Politik von Thatcher und Reagan setzte einen wirksamen Gegenschlag. Sozialabbau, Reallohnsenkungen, eine Verschärfung von Arbeitsdichte und Arbeitszwang – ganz allgemein eine zunehmende Kontrolle der Lohnabhängigen durch Staat und Kapital – ließen die Profitraten wieder steigen. Während der globale Norden sein Konsummodell fortschrieb, trieb er allerdings auch die Ausbeutung der natürlichen Ressourcen und die Vermüllung des Planeten massiv voran. Als in den 1990er Jahren dann die Tigerstaaten sowie Indien und China die Bühne der Weltwirtschaft betraten, nahm der Druck auf die Produktionsgrundlagen weiter zu.
Die steigenden Rohstoffpreise, die Teuerung bei Lebensmitteln und Energie zeigen ebenso wie der Klimawandel: Die kapitalistische Produktionsweise erreicht ihre Grenzen.
Das schlägt sich bereits in der Wirtschaft nieder. So haben viele Unternehmen schon vor dem vollen Ausmaß der Finanzkrise, das sich nun schrittweise zeigt, Gewinnwarnungen ausgegeben – und zwar aufgrund der steigenden Rohstoffpreise. Die Provimi-Gruppe etwa, einer der weltweiten Führer im Futtermittelsektor, vermeldete 2007 um 15 % geringere Profite als im Vorjahr. Der Grund: Teuerung bei Rohstoffen. Ebenso der Autobauer Toyota. Business Standard schließlich berichtet, dass die Profite der indischen Wirtschaft nicht zuletzt unter hohen Rohstoffpreisen leiden. Die Liste solcher Meldungen ist lang.
Die Steigerung der Inputkosten schlägt sich auch auf die Erdölbranche nieder, die ohnehin eine der kapitalintensivsten Branchen der Weltwirtschaft ist. So werden etwa Erdölbohrungen teurer. Ein aktueller Bericht der International Herald Tribune sieht darin eine der Ursachen für die Stagnation der Erdölförderung in Nicht-OPEC-Staaten. Das ist plausibel, denn die großen Ölfelder der Welt sind bereits alt und immer schwerer auszubeuten. Reserven neu zu erschließen wird immer aufwendiger und bei steigenden Energie- und Materialkosten wird der Energy Return on Energy Invested (EROI), das Verhältnis zwischen energetischem Aufwand und Ertrag, immer schlechter werden.
Für die Lohnabhängigen steigen die Lebenshaltungskosten. Sollten sie als Reaktion darauf höhere Löhne durchsetzen, so würde das die Profite nur noch stärker unter Druck bringen und die Rezession – falls das dann überhaupt noch möglich ist – verschärfen. Das ist fürs Erste aber ohnehin sehr unwahrscheinlich, denn in einer Rezession steigt die Arbeitslosigkeit und die Bereitschaft zu Arbeitskämpfen sinkt – was sich mit Fortdauer der Krise allerdings durchaus ändern kann.
Der Finanzblase geht vor den Augen der Welt die Luft aus. Doch beteiligen sich all jene, die wie Attac den Ernst der Lage verkennen und billige Rezepte verkaufen wollen, an der Bildung einer neuen Blase, die mindestens genauso gefährlich ist: der Illusion der „Regulierung“. Diese Blase freilich wird viel rascher als die Immobilienblase platzen, wenn das wahre Ausmaß der Krise erst einmal schlagend wird. Dann aber ist wertvolle Zeit bereits vertan.
Es ist unangenehm, aber wahr. Angesichts der Ressourcenverknappung und des Klimawandels ist die Weltwirtschaft bereits im Ganzen eine „Blasen-Ökonomie“; eine monströse Wette auf eine Zukunft, die nicht mehr kommen wird. Diese Realität gilt es zu erkennen. Und die Konsequen daraus zu ziehen: Wir müssen selbst Auswege suchen, die tragfähig sind. Die Politik wird dabei schwerlich helfen.