Mehr als die ÖVP zulässt, ist für die SPÖ nicht möglich

GROSSE KOALITION IN ÖSTERREICH. Trotz permanenten Scheiterns steht die Regierung Gusenbauer nicht vor dem Aus

von Franz Schandl

Das Klima ist vergiftet und die Stimmung im Keller. Die ÖVP hat ihre überraschende Wahlniederlage noch immer nicht verkraftet und die SPÖ ihren unerwarteten Sieg noch immer nicht verdaut. Sie wollen nicht miteinander, aber sie müssen. Das Problem ist auch gar nicht, dass die Partner dieser großen Koalition inhaltlich so weit auseinander liegen, sondern dass sie sich absolut nicht über den Weg trauen. Zu Recht. Ein Krisengipfel jagt den nächsten, dazwischen häufen sich informelle Gespräche.

Die ÖVP macht auf Verhinderung. Sie ist gegen die verpflichtende Offenlegung von Parteispenden und Nebeneinkünften der Abgeordneten, gegen eingetragene Partnerschaften von Homosexuellen, gegen eine Künstlerversicherung, gegen ein strengeres Tabakgesetz. Wenn es etwa gilt, zwischen der Freiheit der Raucher und dem Schutz der Nichtraucher zu entscheiden, schlagen sich die Konservativen auf die Seite des Gastgewerbes. Die von Gesundheitsministerin Andrea Kdolsky (ÖVP) vorgeschlagenen Nichtraucherzonen in Gaststätten sind Alibi-Aktionen, denn in allen Lokalen unter 75 Quadratmetern beharrt sie auf einer Wahlfreiheit der Wirte. Nicht zu Unrecht betonte unlängst die Vizechefin der Grünen, Eva Glawischnig, dass man als Schwangere in Wien kein rauchfreies Kaffeehaus finde.

Auch die Gesamtschule, die gemeinsame Ausbildung der Zehn- bis Vierzehnjährigen, wie sie in den meisten EU-Ländern üblich ist, wird von den Christkonservativen blockiert. Obwohl eigentlich allen bewusst sein müsste, dass die Wahl eines bestimmten Schultyps mit zehn Jahren viel zu früh angesetzt ist, und Österreich in diversen PISA-Studien ein schlechtes Zeugnis ausgestellt wird, hat sich bis zuletzt in der Schulpolitik fast nichts getan.

Zwar hat man Anfang November einen Kompromiss ausgehandelt, doch das Ergebnis fiel äußerst dürftig aus. Die Kunst- und Unterrichtsministerin Claudia Schmied, das engagierteste Regierungsmitglied der SPÖ, konnte für ihre weitreichenden Reformpläne nur wenig tun. Selbst der Kanzler ließ seine in der Partei kaum verankerte Ministerin im Regen stehen. Das Verhältnis der beiden ist sowieso abgekühlt, seit Schmied dezidiert gegen den Willen des Parteichefs ihre Wunschkandidaten für die Leitung der Staatsoper durchdrückte.

Das Projekt Neue Mittelschule (NMS) droht also bereits vor seiner Einführung zu scheitern. Wenn überhaupt, dann wird es in Zeitlupe bestritten: So soll die NMS lediglich an 30 bis 40 Schulen (von 1.400) ausgetestet werden, sodass einer sozialen Durchmischung weiter Grenzen gesetzt bleiben. Auch künftig werden es Modellschulen gegen die Regelschulen (Gymnasien, Hauptschulen) schwer haben.

Die ÖVP hat sich in wichtigen Verfahrensfragen durchgesetzt. Die letztliche Verfügung, ob eine Neue Mittelschule entsteht, wird dezentralisiert, das heißt, an jedem Standort müssen die Schulpartner (Eltern und Lehrer) autonom entscheiden, und das mit einem Quorum von zwei Dritteln. Allein die örtliche Lehrerschaft – Neuerungen gegenüber skeptisch – kann so mit einem gezielten Veto jedem Vorhaben den Garaus machen.

Bereits im Frühjahr will Alfred Gusenbauer nun das nächste Schulpaket schnüren, dessen Aussichten auch nicht besser sind. „Ziel dieser ÖVP-Strategie ist es, der SPÖ keinen auch nur irgendwie gearteten Erfolg zu vergönnen“, grollt eine SPÖ-eigene Website mit dem bezeichnenden Namen www.njet.at. Das mag richtig sein, nur ist den Sozialdemokraten diesbezüglich nichts eingefallen. Wenn sich der Kanzler dann doch bequemt, ein Ultimatum zu stellen, weiß man bloß, wann das nächste Einknicken ansteht. Das weiß auch die ÖVP und lässt postwendend ausrichten, die SPÖ müsse erst noch das Regieren lernen, sie möge doch ihr Tempo erhöhen. So ungefähr laufen die Stänkereien, und das seit Monaten. Wäre es nicht manchmal lustig, wäre es ziemlich abgeschmackt.

Alfred Gusenbauer flüchtet, so oft und gut er kann, in die Rolle des Staatsmannes, auch wenn Österreich entgegen hartnäckigen Gerüchten auf internationalem Parkett eher zu den Smalltalk-Partnern gehört. Auf Parteienstreit lässt sich der Kanzler kaum ein, allerdings wirkt das eher hilflos, als ob ihm zum bösen Spiel nicht mehr als eine gute Miene einfiele. Eine Richtlinienkompetenz des Regierungschefs fehlt in Österreich, aber nicht nur deswegen hat Gusenbauer die ÖVP weniger im Griff als Merkel die SPD. Aktuell versucht der SP-Chef sich als Kanzler der sozialen Wärme. Das erlauben die guten Budgetdaten, die durch kräftig sprudelnde Steuereinnahmen bedingt sind. Man verspricht das Vorziehen der geplanten Steuerreform und verteilt einige Wohlfahrtszuckerl, andererseits verschärft man trotz sinkender Arbeitslosenzahlen die Zumutbarkeitsbestimmungen.

Die Koalition mag am Ende sein, aber genau an diesem Ende wird sie weitermachen. Neuwahlen sind zu riskant, nicht nur für die SPÖ, deren Umfragedaten nicht allzu günstig scheinen, ebenso für die Volkspartei. Deren Bundesparteiobmann, Vizekanzler Wilhelm Molterer, ist ja auch nicht der geborene Charismatiker, er wirkt eher wie ein volkstümlicher Räuberhauptmann aus der oberösterreichischen Einschicht, dem es reflexhaft um die Besitzstände seiner Klientel geht. Er vermittelt zwar Bauernschläue und Stehvermögen, aber kaum Perspektive. Der strategische Kopf der ÖVP ist noch immer sein Vorgänger. Wolfgang Schüssel, der jetzt Vorsitzender des ÖVP-Parlamentsclubs ist, rächt sich durch gezielte Obstruktion für die Niederlage, die ihm die Wähler im Herbst 2006 bescherten. Er wird diese Rolle auch weiter spielen, es sei denn, ein großkoalitionärer Kraftakt entsorgt ihn auf einen Posten nach Brüssel. Dort will er möglicherweise auch hin. Hoher Repräsentant, das wäre schon was.

„Freitag“, 23. November 2007