Geld ist tückisch
von Andreas Exner
Fast alle diskutieren es, in Deutschland mindestens. Die meisten sind dagegen. Die dafür sind, werden mehr. Das muss nicht gut sein.
Deutsche Grüne können lernen. Nachdem sie Hartz IV verbrochen haben, kommt nun Reue über sie. Ein gewaltig schlechtes Gewissen muss da auf manch einer ökologisch-sozial Bewegten lasten. Erst im Frühjahr hieß es deshalb, gar nicht mal so überraschend, die grüne Basis hieße es willkommen: Ein bedingungsloses Grundeinkommen. Weniger begeistert war davon die grüne Führung. Nun sickert durch, die Grünen würden ernsthaft ein „Teilgrundeinkommen“ diskutieren, „in einer ersten Stufe“, so die Formulierung. Der Lack ist davon schneller ab als einer schauen kann. Das „Teilgrundeinkommen“ wäre, rein finanziell betrachtet, Hartz IV (ALG II-Regelsatz 345 Euro) plus 75 Euro. Der Unterschied: bedingungslos soll es sein. Dazu käme dann noch ein Wohnkostenzuschuss. Für den hätte eins allerdings wie eh und je beim Staat zu betteln.
Während sich der grüne Humanismus – solange er in Opposition ist, wohlgemerkt – immerhin noch in satte 75 Euro umsetzt, und dafür sogar die staatlichen Arbeitsschnüffler aus dem Verkehr ziehen will, kommt einem bei anderen Ideen regelrechtes Grausen. Da gibt es etwa den CDU-Politiker Dieter Althaus, seines Zeichens Ministerpräsident von Thüringen, der nicht nur auf seiner Website für ein „solidarisches Bürgergeld“ eintritt, eine bedingungslose Geldleistung, die er nicht mehr an Bedarfsprüfungen binden will. Die Sache hat leider mehr als einen Haken. Während Teile der Grünen die finanzielle Notlage der ALG II-Abhängigen zumindest verbessern wollen, wenn auch nur geringfügig, so würde Althaus diese noch verschlechtern. Dazu passt ins Bild, dass das Hungergeld á la Althaus „Arbeit schaffen“ und „Anreize schaffen“ soll. Anreize wozu? Natürlich um Arbeit aufzunehmen. Im Gegenzug möchte Althaus das Gesundheitssystem und den Arbeitsmarkt weiter liberalisieren.
„Und genau dafür wird das Existenzgeld-Programm ein Vehikel sein, nämlich als Instrument staatlicher Kostenreduktion und als Elendsversion der Sozialtransfers, die an die Stelle der kollabierenden Sozialversicherungen tritt. In diesem Sinne hat der Vordenker des Neoliberalismus, Milton Friedman, das Konzept des Grundeinkommens ursprünglich entworfen, bevor eine abgerüstete Linke es als vermeintlichen Rettungsanker entdeckte. Und mit diesem Inhalt wird es auch Wirklichkeit werden – oder gar nicht.“ Ja, wir sind immer noch beim Thema, Existenzgeld war bei den bundesdeutschen Linksradikalen der in den 1990ern übliche Name für das Grundeinkommen. Das Zitat stammt aus dem „Manifest gegen die Arbeit“ der Gruppe Krisis aus dem Jahr 1999. Wird diese Voraussage, keine zehn Jahre später, Wirklichkeit?
Noch gibt es nirgendwo auf der Welt ein Grundeinkommen (außer in Alaska, und dort ist es sehr niedrig) – eine bedingungslose Geldleistung also, die weder an Arbeitsleistung noch an Arbeitsbereitschaft gebunden wird, die an alle Menschen ausbezahlt wird, die sich dauerhaft in einem bestimmten Gebiet (einer Stadt, einem Land oder Staat) aufhalten, und die nicht nur die Existenz sichert und über der Armutsgefährdungsgrenze liegt (das wären in Österreich z. B. zumindest 900 Euro monatlich), sondern gesellschaftliche Teilhabe ermöglicht. In gewisser Weise ist es sogar ausgeschlossen, so könnte man argumentieren, dass die Krisis Recht behielte – selbst wenn Dieter Althaus morgen freie Hand erhielte, „die fleißigen Menschen im Land“ (Website Althaus) mit seinem „solidarischen Bürgergeld“ zu beglücken.
Denn was ein Grundeinkommen sein soll, ein Instrument, um Teilhabe zu ermöglichen, das kann ein kollektives Hungergeld, wie Milton Friedman das vorschlug und wie Althaus es vertritt, niemals sein. Ein bedingungsloses Grundeinkommen, das diesen Namen auch verdient, war, ganz im Gegenteil, eine Forderung der Linken. Der Sozialist Erich Fromm trat dafür schon in den sechziger Jahren ein, und auch Martin Luther King hielt es für „den einfachsten Ansatz, um die Armut direkt abzuschaffen“. Nicht zuletzt vertrat der Ökonom und spätere Nobelpreisträger James Tobin die Idee. Tobin hat durch die nach ihm benannte Tobin-Steuer, für die Attac bekannt geworden ist, einige Prominenz erlangt. Er war beileibe kein Neoliberaler.
Wo also liegt der Hund begraben? Ist die Idee, das Einkommen von der Arbeit zu entkoppeln, von vornherein verrückt? Ist nicht vielmehr die Vollbeschäftigung unsere Rettung?
Kein Zweifel. Arbeit ist oft ein kleineres Übel als Arbeitslosigkeit. Doch die Welt der Arbeit ist, wer weiß das nicht, eine Welt der Unfreiheit, des Zwangs. Im klassischen „Betrieb“ führt „der Vorgesetzte“ das Regiment. Substanzielle Mitbestimmung gibt es nicht. Fünfzig Jahre Sozialpartnerschaft und dreißig Jahre Vollbeschäftigungspolitik haben daran nichts geändert. Doch sind die sozialpartnerschaftlichen Festungen mittlerweile ohnehin recht dünn gesät. Insgesamt zersplittern sich die Arbeitsverhältnisse immer mehr, Tätigkeiten werden ausgelagert, Betriebe neu organisiert. Typisch für den neoliberalen Kapitalismus ist das „Start up“, das kleine, dynamische Büro oder die Projektwerkstatt. Den Chef duzen dort alle. Als Angestellter hat man sich schon selbst genügend an der Kandare. Im Extremfall schrumpft das moderne, flexible, effiziente Büro eben auf die Ich-AG. Dann ist eins zwar völlig „frei“ und „selbstverantwortlich“, steht dafür aber umso härter unter der Knute von Konkurrenz und Markt. Warum gerade dort, in der Welt der Arbeit, unser Glück und Segen liegen sollen, ist also schwer einzusehen.
Doch selbst wenn man just dies wollte, Arbeit für alle – es ist pure Illusion. Im Kapitalismus ist Vollbeschäftigung die Ausnahme. Bei einem hohen Beschäftigungsgrad steigen im Schnitt die Löhne. Die Profite sinken im Gegenzug. Damit lässt das Wirtschaftswachstum nach, und die Betriebe setzen Beschäftigte auf die Straße. Steigt die Arbeitslosigkeit, so können die Unternehmen die Löhne drücken, weil die Leute um ihre Arbeitsplätze fürchten und am Arbeitsmarkt stärker konkurrieren. Verändert sich die Verteilung zugunsten der Profite, zieht in der Regel auch das Wirtschaftswachstum wieder an. Im günstigsten Fall steigt dann die Beschäftigung und der Zyklus beginnt von vorn. Das muss allerdings nicht immer sein. Und gegenwärtig ist das auch nicht mehr so. Denn das kapitalistische Wachstum stößt immer mehr an seine Grenzen.
Vollbeschäftigung ist also keine Option. Ein Grundeinkommen hätte demgegenüber immerhin den Vorteil, den Arbeitszwang zu lockern. Es würde die Verhandlungsposition der Lohnabhängigen verbessern und könnte die ökonomische Abhängigkeit von Frauen mildern, die wie eh und je für Tätigkeiten zuständig gemacht werden, die nicht-marktgängig sind und deshalb unbezahlt bleiben. Es würde schließlich die zunehmende soziale Spaltung schwächen, wenn es über Steuern auf hohe Einkommen, Kapitalgewinne und Vermögen finanziert würde. Schließlich würde es auch den sozialen Spielraum für einen ökologischen Umbau schaffen. Erst wenn das Einkommen nicht mehr an Arbeitsplätzen hängt, können Dreckbranchen wirkungsvoll reduziert werden. Ein Grundeinkommen böte soziale Sicherheit für alle – die Grundlage einer friedliebenden, kreativen und lebendigen Gesellschaft.
Hat das „Manifest gegen die Arbeit“ also Unrecht? Ist das Grundeinkommen nicht doch der Schlüssel für ein besseres Leben?
Die schlechte Nachricht kommt zum Schluss. Wer auf ein Grundeinkommen setzt, braucht Wirtschaftswachstum. Nur eine wachsende Wirtschaft wirft genügend Geld ab. Genau das aber stranguliert uns nicht nur ökologisch, sondern ist auch ökonomisch gesehen eine äußerst prekäre Strategie. Denn der Kapitalismus ist ohne Krisen und ohne Katastrophen nicht zu haben. Gefragt ist also nicht mehr Geld, sondern ein Leben, das sich von Geld und Lohnarbeit befreit. Mehr als eine Debatte darüber kann das Grundeinkommen nicht initiieren. Letztlich muss diese über sich selbst hinaus führen. Sonst sind wohl die Grünen schneller. Oder Althaus.
Abgedruckt in: Organisation für Eine solidarische Welt: „Bedingungsloses Grundeinkommen“, Rundbrief Eine Welt, Ausgabe 143, Oktober 2007, S. 3-5.