Abgeräumt wie ein Christbaum
Trotz verheerender Wahlniederlage konnte die ÖVP ein fulminantes Verhandlungsergebnis einfahren.
von Franz Schandl
Nun hat er also doch gewonnen, der Wolfgang Schüssel. Und das auch noch haushoch. Bei den Wahlen vernichtend geschlagen, hat er diese Scharte via Verhandlung mehr als wettgemacht. Und Schüssel wird auch weitermachen, und zwar als Fraktionsführer des ÖVP-Parlamentsklubs. Nachfolger als ÖVP-Chef soll der neue Vizekanzler und Finanzminister Wilhelm Molterer werden.
Bei der Präsentation des Koalitionsübereinkommens zwischen SPÖ und ÖVP hatte Schüssel sichtlich Schwierigkeiten, sein Schmunzeln zu unterdrücken. Die Christlichsozialen mussten sich kräftig zurückhalten, nicht in triumphalistisches Geheul auszubrechen: denn den Gusenbauer, so der Tenor, den habe man wirklich abgeräumt wie einen Christbaum. Bei der Ratifizierung des Regierungsprogramms gab es in der Volkspartei keine einzige Gegenstimme. Man hat sich nicht nur inhaltlich durchgesetzt, sondern sich auch bei der Ressortvergabe das Außen-, das Innen- und das Finanzministerium gesichert. Der scheidende Finanzminister, Karl-Heinz Grasser, spricht aus, was Sache ist: „Die Wende von 2000 wird fortgesetzt. “
Apropos Grasser: Der einzige Punkt, wo Schüssel gescheitert ist, war die Inthronisierung des parteilosen KHG als Vizekanzler. Der Jet-Set-Minister war einigen christlichsozialen Granden dann doch zu viel. Gusenbauer hätte zweifellos auch jenen als seinen Vize geschluckt, ebenso wie er einen seiner übelsten Gegenspieler, den ÖVP-Generalsekretär Lopatka als Aufpasser im Bundeskanzleramt akzeptiert hat. Der ist nun Staatssekretär. Alfred Gusenbauer ist zwar immer mit SPÖ-Positionen in die Gespräche reingegangen, aber stets mit ÖVP-Beschlüssen wieder rausgekommen. Dafür darf er den Bundeskanzler machen.
Nachdem die SPÖ im November die Gunst der Stunde nicht zu einem Minderheitenkabinett nutzte, war sie Wolfgang Schüssel, der nichts mehr zu verlieren hatte , ziemlich hilflos ausgeliefert. Bestenfalls war ein lauer Kompromiss zu erwarten. Das allergrößte Problem besteht jetzt allerdings darin, dass sich weder Partei noch Wählerschaft im Resultat wiederfinden. Die gute Stimmung ist dahin. Zwar könnte man heute wissen, dass das mit Wahlversprechen so eine Sache ist, aber derart offensichtlich auf zentrale Forderungen zu verzichten, gleicht einem freiwilligen Striptease. Bei den vorgegebenen Knackpunkten, Studiengebühren und Eurofighter, hat die SPÖ auf voller Linie kapituliert. Dass Josef Cap, der Fraktionsführer der SPÖ im Parlamentsclub, nun Nachverhandlungen vorgeschlagen hat – was die Gegenseite prompt ablehnte -, zeigt, wie die Gespräche gelaufen sind. Dümmer hätte man sich nicht anstellen können.
Das Verhandlungsergebnis ist nicht nur eine schwere politische Niederlage, sondern eine mentale Katastrophe. Das wahre Fiasko liegt in der Performance. Am meisten ärgert wohl die öffentliche Demütigung, die der SPÖ-Vorsitzende seiner Partei zugefügt hat oder zufügen hat lassen. Der Unmut ist groß, auch in der Parteispitze, und an der Partei- und Funktionärsbasis stehen Austritte auf der Tagesordnung. Der dem rechten Parteiflügel der SPÖ zugehörige Hannes Androsch nennt die Parteienübereinkunft schlicht „skandalös“: „Das ist ja eine ÖVP-Regierung mit einem SPÖ-Kanzler darunter“, sagte Kreiskys langjähriger Finanzminister. Er forderte daher offen dazu auf, im Parteivorstand dem Koalitionsabkommen nicht zuzustimmen. Ein Viertel ist dem auch nachgekommen. Die Front der Ablehner ist jedenfalls nicht nur in der unzufriedenen Parteijugend zu suchen, sie umfasst wichtige Landesorganisationen bis hin zum mitgliederstarken Pensionistenverband.
Das vorliegende Regierungsprogramm selbst entschuldigt nichts. Es ist eines der altbekannten und neumodernen Phrasen, da ist etwa die Rede von „nachhaltiger Landwirtschaft“, „effizienterem Gesundheitssystem“ u. v. m. Da wird korrigiert, optimiert und vor allem valuiert. Beabsichtigt ist die Einsetzung zahlreicher Expertenkommissionen. Konkret hingegen sind nur diverse Belastungen betreffend Steuer oder Krankenversicherungsbeiträge. Wenn Josef Cap von „dicken roten Markierungen“ spricht, dann denkt man eher an die Blutspuren sozialdemokratischer Verhandler. Der Vertrag ist inzwischen auch schon Gegenstand erster Zerwürfnisse der Koalitionspartner.
Als Beobachter wird eins den Verdacht nicht los, es sei Alfred Gusenbauer zuletzt einzig und allein um den Kanzler gegangen. Hauptsache, er hat seine Bestallungsurkunde in der Hand. „Ich kann jetzt das tun, was ich immer wollte“, verkündet er in einer Mischung aus Anmaßung und Selbstüberschätzung. Das macht nicht unbedingt sympathisch. Vielleicht wird er auf seine alten Tage einmal erzählen, dass er in diesen verhängnisvollen Wochen bereit gewesen wäre, alles hinzunehmen, um Schüssel aus dem Kanzleramt zu bugsieren. Der ÖVP-Obmann hätte zweifellos noch Monate weiter verhandelt.
Hat sich Schüssel ins Regierungsamt getrickst, so ist der SP-Chef dort nach diversen Stürzen regelrecht reingestolpert. Dementsprechend bekleckert und blessiert sieht er aus. Die Angelobung geriet nicht zum Volksfest, sondern zum handfesten Krawall, Farbbeutel flogen, Eier wurden geworfen, und immer wieder ein altbekannter Ruf skandiert: „Wer hat uns verraten? – Sozialdemokraten! “ Zum Amtsantritt konnte der neue Kanzler nur unter Polizeischutz seine Wohnung verlassen. Ob Gusenbauer sich von alledem erholen kann, ist keineswegs sicher.