Skandal, Symbol, Stimmung
Der österreichische Wahlkampfauftakt steht ganz im Zeichen allseitiger Skandalisierung
„Freitag“ 04.08.06
von Franz Schandl
In Österreich haben sich alle vier Parlamentsparteien, ÖVP, SPÖ, Haiders BZÖ und die Grünen darauf geeinigt, die Nationalratswahlen auf den 1. Oktober vorzuverlegen. SPÖ und Grüne forderten dies schon lange, das BZÖ hat wenig Geld zum Wahlkämpfen und der ÖVP kommt der frühe Termin aufgrund des den Sozialdemokraten zugerechneten ÖGB-BAWAG-Desasters gerade recht. Außerdem haben alle miteinander Interesse, der lästigen Kleinkonkurrenz (Liste des Europa-Abgeordneten Hans-Peter Martin, KPÖ) die Kandidatur zu erschweren. Schließlich müssen die jetzt in der Urlaubszeit ihre Unterstützungserklärungen sammeln. Und das ist um vieles aufwendiger als in Deutschland, in Österreich hat man diese Unterschrift nämlich auf dem zuständigen Gemeindeamt oder am Magistrat zu leisten. Eine nicht zu unterschätzende Hürde, die in der Vergangenheit manches Vorhaben bereits im Vorfeld scheitern ließ. Vor allem das Medienprodukt Hans-Peter Martin dürfte sich schwer tun, die nötigen 2600 Unterstützungserklärungen zusammenzukratzen. Das wiederum würde die SPÖ aufatmen lassen, ist doch davon auszugehen, dass ihr Ex-Abgeordneter vor allem in ihren Revieren wildern kann. Aber auch FPÖ und BZÖ sollte das freuen.
Im Aufwind spürt sich die christlichkonservative Regierungspartei. Seit kurzem liegt die ÖVP in allen Meinungsumfragen wieder vor der SPÖ. Passiert nichts Gröberes, wird Wolfgang Schüssel im Herbst als Erster über die Ziellinie gehen. Das zweite Mal wäre er so Nutznießer auswärtiger Fehler. Selbst wenn es sich mit dem orangenen „Bündnis Zukunft Österreich“ (BZÖ) nicht mehr für eine Koalition ausgehen wird, stehen mit Grünen und SPÖ andere Partner zur Verfügung. Das ist dann – so sieht Schüssel es – nur noch eine Frage geschickter Verhandlung. Und wer der geschickteste Verhandler ist, ist bekannt, nämlich der Kanzler höchstpersönlich. So ist es nicht auszuschließen, dass der Mann, der sich als Dritter ins Kanzleramt trickste, sich dort aufgrund der Schwächen, Missgeschicke und Affären seiner Gegner weitere vier Jahre wird halten können. Auf solch ein Szenario hätte im Jahr 2000 niemand einen Groschen gewettet.
Vordergründig könnte man meinen, der große Verlierer sei die nun in FPÖ und BZÖ gespaltene Haiderpartei. Sie stehen bei den aktuellen Konfrontationen im Schatten, erregen nicht mehr wie früher rege Aufmerksamkeit, so sehr die beiden Spitzenkandidaten Hans-Christian Strache (FPÖ) und der zu Haider zurückgekehrte Peter Westenthaler (BZÖ) einander in einem ungustiösen Anti-Ausländerwahlkampf auch zu übertreffen suchen. Es ist aber gar nicht ausgeschlossen, dass das ehemalige Dritte Lager getrennt marschierend mehr Mandate erzielt als die FPÖ im November 2002 erreichte. Vor allem Jörg Haider rechnet sich gegenwärtig als Erfolg an, dass er ein weiteres Mal die nun Jahrzehnte ausständige Umsetzung des Staatsvertrags von 1955 verhindert hat. Die Aufstellung zweisprachiger Ortstafeln in Südkärnten ist noch immer nicht entsprechend der Verfassung geregelt. In Kärntens Bevölkerung hat der Landeshauptmann damit sicher gepunktet: Im treudeutschen Abwehrkampf wurden die Ansprüche der slowenisch sprechenden Minderheit abgewehrt.
Rot-Grün dürfte die nötige Mehrheit abermals verfehlen. Zwar ist fast nirgendwo mehr die Rede vom „rot-grünen Chaos“, und auch die stupide Frage, ob die Grünen regierungsfähig sind, hat sich inzwischen erledigt. Die sind inzwischen zu allem fähig. In Oberösterreich gibt es auf Landesebene seit drei Jahren eine schwarz-grüne Koalition. Über die sicher als drittstärkste Kraft aus den Nationalratswahlen hervorgehende Ökopartei schreibt etwa der Chefredakteur der konservativen „Presse“: „Dass sie programmatisch gebraucht werden, glauben sie mittlerweile wohl nicht einmal mehr selber. Aber sie sind irgendwie nett. Immerhin.“ Die Grünen erscheinen als die sich reproduzierende Langeweile. Sie regen weder auf noch an, aber sie legen zu.
Die Chancen der SPÖ dürften nach dem ÖGB-BAWAG-Skandal endgültig dahin sein. Noch dazu ist der nicht überstanden, vielmehr ist hier mit neuerlichen Tiefschlägen zu rechnen, etwa wenn parallel zum Wahlkampf die ersten Vorerhebungen der Staatsanwaltschaft gegen ehemalige Banker und Gewerkschaftsspitzen anlaufen. Das Thema wird kaum aus den Schlagzeilen verschwinden. Auch die medial eingeforderte und schließlich vollzogene Distanzierung Gusenbauers vom maroden ÖGB – so dürfen Gewerkschaftsspitzen über die SPÖ-Liste nicht mehr in den Nationalrat! – hat den Sozialdemokraten schlussendlich nicht gut getan. Das Verhältnis Partei-Gewerkschaft hat sich nachhaltig abgekühlt. Aber auch maßgebliche SP-Politiker kritisierten öffentlich Gusenbauers Vorgangsweise. Wenn der Parteivorsitzende zusehends auf „starker Mann“ macht, lässt man ihn bloß mangels personeller Alternativen gewähren. Die beschworene „Jetzt erst recht! „-Stimmung will nicht und nicht aufkommen. Erobert Gusenbauer nicht das Kanzleramt, steht der Posten des Parteiobmanns zur Disposition.
Viel im Köcher hat die SPÖ nicht. Die Partei, der alle Felle davon zu schwimmen drohen, versucht es nun selbst mit Skandalisierung. Der jüngste Angriff auf den Finanzminister zeugt eher von Panik als von Kalkül. Karl-Heinz Grasser (einst Haiders Ziehsohn, jetzt Schüssels Glücksbringer) konnte nämlich überführt werden, dass er mit Wolfgang Flöttl jun. , jenem Spekulanten, der maßgeblich am Niedergang der BAWAG beteiligt gewesen ist, auf der Adria urlaubte. Nachdem die Geschichte zuerst als „frei erfunden“ und als „Schwachsinn“ abgetan wurde, bestätigte sie auch der Finanzminister. Ja, er sei auf der Yacht des Multimillionärs Julius Meinl V. eingeladen gewesen, auch Flöttl habe er dort getroffen, aber der sei nur zwei Tage mitgefahren; ja, er habe auch mit ihm gesprochen, aber das sei lediglich Small talk gewesen….
Inzwischen entzündet sich freilich eine sommerliche Debatte, wer wann wo mit irgendwelchen „Unpersonen“ auf Partys, Vernissagen oder Segelbooten verkehrte. Und da werden die Sozis eher blöd aus der Wäsche schauen, ist doch gerade der überdimensionale BAWAG-Skandal eindeutig in ihrer Reichshälfte zu verorten und primär Personal aus ihren Reihen involviert. Solch Schüsse können also auch nach hinten los gehen. Noch dazu, wo der Minister zu jener Sorte gehört, die ein starkes Immunsystem gegen Affären entwickelt haben. Karl-Heinz Grasser lässt zwar gleich Rudolf Scharping kein Fettnäpfchen aus, aber er ist doch um vieles eloquenter und fescher als dieser, sozusagen ein toller Hecht. Zweifellos ist Grasser ein Potpourri aus Unerträglichkeit, Peinlichkeit und Windigkeit, aber eines mit anziehender und nicht abstoßender Wirkung. Man werfe einen Blick in die Zeitgeistmagazine und Boulevardblätter.
Während der smarte Grasser noch immer als Liebling der Schwiegermütter erscheint, gilt etwa der gestresste Gusenbauer als ungemütlicher Hausfrauenschreck. Selbstverständlich könnte man jetzt fragen, ob diese Eindrücke tatsächlich so entscheidend sind. Für die gesellschaftliche Entwicklung wohl kaum, für das konkrete Wahlverhalten hingegen sehr wohl. Die Konkurrenz der Eindrücke hat die Konkurrenz der Interessen abgelöst. Die Eindrücke sind Beeindruckungen. Sie werden in den Wählern seriell reproduziert, nicht von ihnen autonom entwickelt.
Die Kriterien der Wahlentscheidung haben sich extrem verschoben. Wahlen werden immer weniger von sozialen Zugehörigkeiten oder weltanschaulichen Haltungen bestimmt als von unmittelbaren Stimmungen dominiert. Die Aufgabe politischer Reklame besteht vorzüglich darin, die Wahlbevölkerung in entsprechende Gemütslagen zu versetzen. Symbolik und Theatralik, Inszenierung und Skandalisierung sind die entscheidenden Schubkräfte. Auffällig ist auch die beginnende Verlagerung der Wahlwerbung ins Internet. Ob damit das Zeitalter der Politspams eingeläutet wird, bleibt abzuwarten. Die Zielgruppe der Internet-User wird jedenfalls größer.
Um Inhalte geht es kaum, da gibt es trotz Theaterdonner nur wenig Differenzen. Wenn man sich etwa den „Österreich-Vertrag für Arbeit und Wachstum“ der SPÖ vornimmt, dann demonstriert schon der Titel, dass zentrale Kategorien bloß in affirmativer Absicht verwendet werden. Ansonsten prägt Dirty Campaigning das Wahlspektakel. Wem können wir was anhängen? Wahlkämpfe sind Werbeschlachten, Fairness-Abkommen leere Kilometer.
Und die Wähler? Manche geilen sich daran auf, andere fallen darauf rein, aber immer mehr fühlen sich einfach nur noch angeekelt. Inzwischen geht man davon aus, dass dies der schmutzigste Wahlkampf der letzten fünfzig Jahre werden wird. Vielleicht sollte man sich damit trösten, dass es gleichzeitig der sauberste der nächsten fünfzig Jahre gewesen sein wird.