Sakralbau des Kapitals
Streifzüge 37/2006
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von Maria Wölflingseder
Der Potsdamer Platz stellte in den „goldenen“ Zwanziger Jahren die geistige und kulturelle Mitte Berlins dar, das Herz der damals pulsierenden vier Millionen Metropole. Im Zweiten Weltkrieg wurden 80 Prozent der Häuser zerstört, dann verlief die Mauer quer über das ehemalige Zentrum. Nach der Wiedervereinigung befand sich auf dem Gebiet des ehemaligen Todesstreifens eine „Gstätten“, also BrachlandNun, 80 Jahre später, wurde aus dem ehemaligen geistigen und kulturellen Zentrum eins des Kapitals – das „größte Dienstleistungszentrum Deutschlands“, erbaut von Debis, einer Tochterfirma von Daimler-Chrysler. 70.000 Menschen pilgern täglich zum Wallfahrtsort des Kapitals. Für die 200 LKWs, die täglich aufkreuzen, wurde ein eigenes unterirdisches Straßennetz gebaut. Das Debis-Gebäude überragt alle anderen bei weitem. Seine Innenarchitektur erinnert frappant an einen christlichen Sakralbau mit Haupt- und Nebenschiff; der Blick wird himmelhoch geleitet, dem Licht entgegen. Was aber haben wir vom totalitären Gott Kapital zu erwarten? „Diese Göttlichkeit ist im doppelten Sinne , heruntergekommen‘: auf den Boden der Tatsachen, damit aber auch aufs platte Realitätsprinzip. Der Markt verheißt nichts als sich selbst. Sein , höchstes Gut‘ ist die Hochkonjunktur. So armselig er sich einerseits gegen die so genannten Hochreligionen ausnimmt, so sehr überstrahlt er sie andererseits. Die Art, wie der Markt die Welt anzuschauen lehrt, lagert sich allen anderen Weltanschauugen vor.“ (Christoph Türcke)