Im Takt des Geldes
Einleitung zur Buchpräsentation 20.4.06 in Wien
von Eske Bockelmann
Es war einmal eine Zeit, die war Körper. Es läßt sich sagen, seit wann sie es nicht mehr ist; und was ihr den Körper benahm.
Mit jener Unbewegtheit im rasenden Tempo, die uns heute als Zeit umgibt und durchdringt, hat es seinen Anfang nicht erst in den achtziger oder neunziger Jahren des letzten Jahrhunderts genommen, sondern damals, als die Zeit ihren Körper verliert: zu Beginn der europäischen Neuzeit. Damals erst beginnt die Zeit im Takt zu schlagen; denn ihren Taktschlag gibt es nicht, wie man wohl glauben möchte, seit Menschengedenken, nicht seit Anbeginn des Kosmos, nicht seit dem ersten großen Beat des Urknalls, sondern – eine höchst wundersame Tatsache, höchst wundersam und dennoch Tatsache – es gibt ihn nicht früher als seit dem Übergang zum 17. Jahrhundert. Noch in Mittelalter und Renaissance war Zeit nur als Maßeinheit einer gegebenen Bewegung oder eines gegebenen Vorgangs begreiflich und denkbar. Sie verlief nicht für sich, nicht absolut und homogen. Nur gebunden an Bewegung, nur als Bewegung war Zeit, ob nun die Bewegung der Sonne am Himmel oder, wie in der Musik und ihrem Rhythmus, ein Vorgang auch buchstäblich am menschlichen Körper. Rhythmus baute sich selbst aus Zeitkörpern auf, aus Bausteinen von Zeit – und es ergab sich eine durchaus andere Art von Rhythmus als die uns geläufige, als der Taktrhythmus. Als dieser aufkommt, in den Jahrzehnten um 1600, nimmt er der Zeit ihren Körper und dem Rhythmus seine Bausteine. Er vermag es, weil nun etwas anderes an deren Stelle wirkt.
In den europäischen Gesellschaften entwickeln die Menschen damals, ob sie wollen oder nicht, eine reflexhaft unwillkürliche Leistung des Denkens und der Wahrnehmung – und zwar entwickeln sie diese reflexhafte Leistung, ohne etwas davon zu erahnen, im täglichen Umgang mit Geld! Am Geld bekommen die Menschen etwas zu leisten, was ihnen in Fleisch und Blut übergeht. Selbst die rhythmische Empfindung wird ihnen durch jenen Reflex bestimmt, den sie aufbringen müssen, um mit Geld umzugehen, und den sie aufbringen, indem sie dies tun. Das den Menschen Fremdeste und Äußerlichste, sie haben es damit auf eine verteufelt ursprüngliche Weise bereits in sich zu tragen, ja mehr noch, von sich aus unwillkürlich aufzubieten, aktiv, und ob sie wollen oder nicht, auf die Welt zu legen, die sie umgibt. Das abstrakteste Soziale, der gesellschaftliche Vermittler Geld, ist, bevor es noch jemand als solches reflektieren würde, bereits in den natürlich-konkretesten Empfindungen der Einzelnen tätig, ist immer „schon allhier“, ein Apriori auch der Reflexion.
Es ist diese selbe Leistung, die auch erzwingt, dass Zeit wahrgenommen wird als „die absolute, stetige, homogene und unendliche Zeit Isaac Newtons“. Wie aber kann es dazu kommen? Und wozu führt es sonst?