Grundeinkommen – Bedingung der Möglichkeit von Bildung?
Streifzüge 38/2006
von Erich Ribolits
Viele Befürworter eines Grundeinkommens betonen, dass ihre Forderung keineswegs bloß als Krisenmaßnahme zur Milderung der aktuellen Situation zu verstehen sei, in der eine anwachsende Zahl von Menschen keine Chance mehr hat, sich durch den Verkauf ihrer Arbeitskraft einen adäquaten Lebensstandard zu sichern. Über die unmittelbaren Auswirkungen als Sozialleistung hinaus, die ein Minimum an finanziellen Möglichkeiten für jede und jeden – unabhängig davon, ob und in welchem Grad er/sie ins System der Arbeitskraftverwertung eingebunden ist – gewährleisten soll, soll das Grundeinkommen auch Motor für grundsätzliche kulturelle Veränderungen sein. Es soll den gesellschaftlichen Freiraum dafür schaffen, dass sich Menschen von jenem Korsett befreien können, in das ihr Denken durch die Arbeitsgesellschaft gezwängt ist. Dem Grundeinkommen wird damit zugesprochen, ein Gegenkonzept zu den Entfremdungsbedingungen des politisch-ökonomischen Systems darzustellen, in dem das Leben nahezu völlig von den Prämissen des Kaufens und Verkaufens bestimmt ist.
Wenn durch die Einführung eines Grundeinkommens tatsächlich der Entfremdung entgegengearbeitet wird – jenem Phänomen, das die kapitalistische Gesellschaft einerseits charakterisiert und andererseits in ihrem Weiterbestand sichert -, dann stellt das Grundeinkommen quasi eine „Bedingung der Möglichkeit“ von (emanzipatorischer) Bildung dar. Ziel von Bildungsbemühungen, die nicht schon selbst durch das Verwertungssystem korrumpiert sind, ist es ja, Menschen zu animieren, die Bedingungen des gesellschaftlichen Lebens dahingehend zu hinterfragen, ob und inwieweit durch sie das aktuell mögliche Maß an Entfaltungsmöglichkeiten für alle verwirklicht wird. Bildung kann als jener lebenslange Prozess umschrieben werden, in dem Menschen sich selbst mit ihren Bedürfnissen als humane Wesen in Relation zu den gesellschaftlichen Bedingungen setzen und dadurch jenes Selbstbewusstsein erwerben, das ihnen ermöglicht, das nicht entfremdete „gute“ Leben auch tatsächlich einzufordern, also soziale Bedingungen anzustreben, in denen die Kluft zwischen Bedürfnissen und Möglichkeiten geschlossen wird.
Um zu überprüfen, ob emanzipatorische Bildung und die Forderung nach einem bedingungslosen Grundeinkommen tatsächlich in derart engem Konnex stehen, soll im Folgenden zum einen in aller Kürze der Bildungsbegriff in seiner Genese und aktuellen Ausprägung und zum anderen die emanzipatorische Potenz des Grundeinkommenskonzepts hinterfragt sowie die beiden Konzepte zueinander in Beziehung gesetzt werden. Um Missverständnissen vorzubeugen möchte ich allerdings klarstellen, dass es mir im gegenständlichen Text nur um die Klärung dieser Frage geht; ob die Forderung nach einem Grundeinkommen darüber hinaus mehr als bloßer Reflex auf die akute Notlage aller jener sein kann, deren Arbeitskraft heute nicht mehr gebraucht wird, will und kann der Text nicht beantworten.
Der moderne Bildungsbegriff ist untrennbar mit der Entstehung der bürgerlichen Gesellschaft verbunden – jener gesellschaftlichen Ordnung, in der an die Stelle der aus dem Gottesgnadentum abgeleiteten Vormachtstellung des Adels ein System trat, in dem der Besitz an Waren und die „Tüchtigkeit“ beim Warentausch zur Grundlage von Macht wurde. Der Bildungsbegriff etablierte sich in den deutschen Ländern ab der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts als ein Ausdruck, mit dem die bürgerliche Klasse ihren besonderen Wert und ihre spezifische moralische Integrität legitimierte und sich von ihren Feudalherrn abgrenzte. Als Ausdruck des Anspruchs, die Geschichte nicht länger als mythisch verhängtes Schicksal, sondern als gestaltbar zu begreifen, trug der Bildungsbegriff in der Phase seines Entstehens einen äußerst progressiven Akzent in sich. Er war gewissermaßen die Fortsetzung des politischen Kampfes des Bürgertums mit pädagogischen Mitteln. Entstanden als Parole im Kampf um gesellschaftliche Emanzipation, birgt er aber bis heute durchaus noch politischen Zündstoff in sich.
Revolutionärer Charakter von Bildung wurde neutralisiert
Der Vorstellung von der „Freisetzung der Vernunft“ – also der Befähigung zum Entwickeln systemsprengender Utopien, die über die gesellschaftlichen Strukturen und entsprechenden Werte, Normen und Verhaltensweisen, hinausweisen – wurde ihr emanzipatorischer Gehalt allerdings bald wieder genommen. Im Zuge der Etablierung der bürgerlichen Gesellschaft wurde der revolutionäre Charakter von Bildung umgehend wieder neutralisiert. Wesentlich dafür war ihre Aufspaltung in Berufsbildung – dem „blinden“ Erwerben verwertbarer Qualifikationen – und in Allgemeinbildung – der abgehobenen Beschäftigung mit dem Wahren, Guten und Schönen. Als berufliche Qualifizierung wurde sie vollständig der Verwertungsprämisse unterworfen und als Allgemeinbildung wurde sie ihr völlig entrückt. Auf der einen Seite Zurichtung, um als Arbeitskraft überleben zu können, und auf der anderen Seite Aneignung schöngeistig-zweckfreien Wissens und kultivierten Verhaltens, unter strikter Vermeidung einer Bezugnahme auf die gesellschaftliche Realität. Entstanden als Instrument des Widerstandes wurde Bildung damit selbst zur systemstabilisierenden Größe.
Die bürgerliche (Allgemein? )Bildungsvorstellung des nur seiner individuellen Veredelung verpflichteten Menschen ist nämlich nicht bloß politisch abstinent, letztlich hintertreibt sie jedweden Anspruch von Bildung als gesellschaftstransformierende Kraft. Indem sie konsequent ausblendet, dass der Majorität der Gesellschaftsmitglieder die zur Beschäftigung mit dem Wahren, Guten und Schönen notwendige materielle und intellektuelle Grundlage systematisch vorenthalten wird, liefert sie einer Minderheit die Legitimation dafür, ihr Mehr an Wissen als prestigeträchtige Dekoration vor sich hertragen zu können und sich der Frage nach den Konsequenzen dieses Wissens überhaupt nicht mehr zu stellen. Indem der gesellschaftliche Skandal einer nicht an die Kandare der Verwertung genommenen Bildung nur für wenige auf Kosten der Unbildung für die Mehrheit nicht selbst zum Thema von Bildung gemacht, sondern systematisch ausgeblendet wird, gerät das, was zwar weiterhin Bildung heißt, zur bloßen Legitimation bürgerlicher Vormachtstellung und wirkt letztlich entmündigend.
Erst in den 1960er Jahren wurde der politische Anspruch der Bildungsidee wieder verstärkt eingefordert. Von einer Reihe namhafter Vertreter der Bildungswissenschaft wurde die zur pädagogischen Pathosformel geronnene Phrase vom mündigen Menschen in die gesellschaftspolitische Pflicht genommen und der gebildete Mensch als jemand definiert, der gesellschaftliche Domestizierung radikal hinterfragt und im Bewusstsein seiner potentiellen Freiheit deren gesellschaftliche Umsetzung einfordert. Bildung zielt in diesem Sinn auf den Menschen, der sich nicht mit der individuellen Veredelung seiner selbst – unbeschadet von gesellschaftlichen Rahmenbedingungen – begnügt, sondern sich dem allumfassenden Verwertungsdiktat der bürgerlichen Gesellschaft selbstbewusst entgegenstellt.
Dieses Aufflackern des an Emanzipation und (politischer) Mündigkeit orientierten Bildungsbegriffs war allerdings bloß ein vorübergehendes Phänomen. Heute ist Bildung sowohl in ihrer theoretischen Rezeption als auch in ihrer praktischen Umsetzung weitgehend dem Status quo untergeordnet; sie gilt fast ausschließlich als eine Funktion ökonomischer Prozesse. Verstanden wird darunter ein Lernen, das den Einzelnen für ökonomische Prozesse brauchbar macht und ihn befähigt seine Konkurrenten kraft besonderer Verwertbarkeit auszustechen. Sie soll helfen für seine Arbeitskraft einen hohen Marktwert zu erzielen und der Attraktivität des jeweiligen Wirtschaftsstandortes zuzuarbeiten. Von einer Bildung, die an der Würde des Menschen orientiert ist und ihn in die Lage versetzt, über den Tellerrand des Status quo hinauszublicken und Bedingungen des Lebens einzufordern, die das jeweils mögliche Höchstmaß an Freiheit für alle ermöglichen, ist kaum mehr je die Rede.
Bildung gilt heute als ein Element des allgemeinen Kampfes jede/r gegen jede/n – eines Kampfes, in dem der Erfolg des einen nur zu haben ist, um den Preis der Niederlage des anderen. Der Erfolg in diesem zum Wettbewerb schöngeredeten Krieg mit ökonomischen Mitteln bemisst sich einzig und allein an der Zahl der aus dem Feld geschlagenen Konkurrent/innen. In diesem Konkurrenzkampf kommt es überhaupt nicht darauf an, was jemand macht, sondern nur darauf, wie gut sich das, was er macht, als Ware am Markt verkaufen lässt. Und im Gegensatz zur weit verbreiteten Vorstellung setzen sich dabei auch nicht die Besten durch, sondern die Skrupellosesten, nämlich jene, die die „Künste der Marktbeeinflussung“ am kaltblütigsten einzusetzen bereit sind.
Aufbauend auf diese kurze Revue der Bildungsgeschichte ließe sich also durchaus der Schluss ziehen, dass die Forderung nach einer materiellen Grundsicherung für alle einen engen Konnex zu emanzipatorischen Bildungsvorstellungen hat. Zum einen – so könnte man meinen – wird damit der unerbittliche und allgegenwärtige Zwang, die eigene Haut zum Arbeitsmarkt tragen zu müssen, gemildert und damit ein gewisses Maß an gesellschaftlicher Freiheit verwirklicht. Zum anderen suggeriert die Idee, dass dadurch auch das Lernen zumindest zum Teil wieder von seiner Anbindung an die Verwertbarkeitsprämisse befreit würde; es bestünde quasi die Chance, die gewonnene Freiheit dafür zu nützen, Lernen zumindest fallweise wieder unter dem Anspruch einer Bildung stattfinden zu lassen, die zur Transformation der gesellschaftlichen Zustände in Richtung von mehr Humanität beiträgt.
Sich mit der kapitalistischen Verwertungsprämisse arrangieren?
Wie schon eingangs erwähnt, verbinden in diesem Sinn viele Befürworter mit dem Grundeinkommen auch die Hoffnung, dass seine Einführung nachhaltige Veränderungen des politisch-ökonomischen Systems initiieren würde. Auf das Grundeinkommen gestützt – so die Erwartung – könnten sich Subkulturen eines Lebens jenseits der Verwertung in Arbeit und Konsum entwickeln; Enklaven und Keimzellen des guten Lebens, aus denen heraus es gelingen könnte, die aktuellen gesellschaftlichen Prämissen zu konterkarieren und letztendlich zu kippen. Diese Vorstellung wird von einer, m. E. äußerst hinterfragenswerten Annahme getragen: dass es möglich sei, die Welt mit dem Geld derer zu verändern, die daran interessiert sind, dass sie so wie bisher weiterfunktioniert.
Die Forderung nach einem Grundeinkommen fußt letztendlich auf der Hoffnung, sich mit der kapitalistischen Verwertungsprämisse arrangieren zu können. Die Grundeinkommensbefürworter nehmen zwar zur Kenntnis, dass dem Kapitalismus seine Verwertungspotenz für menschliche Arbeitskraft derzeit in rasch anwachsendem Maß abhanden kommt und es deshalb heute ziemlich sinnlos ist, um neue Arbeitsplätze zu betteln. Allerdings wird von ihnen die weit verbreitete Illusion der ewig weitergehenden Verwertung menschlicher Arbeitskraft durch die Vorstellung ersetzt, dass der Kapitalismus ja auch noch recht gut auf seinem zweiten Verwertungsbein – der Verwertung der Menschen als Konsumenten – weiter durch die Welt humpeln könne. Das Geld dafür müsste man den potenziellen Konsument/innen nur zustecken, indem man es vorher vom vorgeblich im Überfluss vorhandenen Reichtum abgezweigt hat.
In dieser Argumentation werden zwei Reichtumsdimensionen kapitalistischer Gesellschaften vermengt, die tatsächlich in keiner direkten Beziehung stehen – der Überfluss an Gebrauchswerten und der Reichtum an Geld. Während der Gebrauchswertreichtum dem historischen Stand der Produktivkraftentwicklung geschuldet ist, steht und fällt der Überfluss an Geldvermögen – von dem die Befürworter des Grundeinkommens gerne etwas abzweigen möchten – mit dem auf der Verwertung von allem und jedem/jeder beruhenden ökonomischen System. Das vorhandene Geldvermögen ist nicht ein Korrelat des Reichtums an Gebrauchswerten, sondern bloß eines der aktuellen Verwertungssituation. Wird diese allerdings unterlaufen – indem zum Beispiel Menschen, deren Arbeitskraft unverwertbar geworden ist, qua Grundeinkommen ermöglicht wird, trotzdem am sachlichen Reichtum mitzunaschen -, verflüchtigt sich der Geldreichtum in einer ähnlichen Form, wie im Märchen die Goldstücke beim Verlassen des magischen Raums zu wertlosen Rossknödeln werden.
Somit kann die Grundeinkommensforderung gar nicht quer zum geltenden politisch-ökonomischen Status quo stehen. Sie befindet sich in einem geradezu fatalen Konsens mit jener Ökonomie, deren Grundprämisse die Verwandlung von Geld in mehr Geld ist – ja sie setzt sogar deren prinzipielles „gutes“ Weiterfunktionieren voraus. Denn jenes Geld, mit dem das geforderte Grundeinkommen finanziert werden soll, könnte ja nur hereinkommen, indem von den Löhnen und Profiten, die in gelingenden Verwertungsprozessen lukriert werden, ein wenig abgezweigt würde. Die Befürworter eines Grundeinkommens gehen somit – meist wohl ohne sich dessen bewusst zu sein und auch im Widerspruch zu ihrer ansonsten vielfach durchaus kapitalismuskritischen Haltung – vom Sieg des jeweils „eigenen“ Landes im globalen Krieg der Märkte aus. Nur ein Erfolg im Standortwettbewerb könnte die finanzielle Grundlage dafür schaffen, die anwachsende Schar der hierzulande nicht mehr verwertbaren Esser in einer Form durchzufüttern, die in akzeptabler Relation zum allgemeinen Lebensstandard stünde.
In der Grundeinkommensforderung wird ausgeblendet, dass das Bereitstellen von Waren im Kapitalismus niemals der „unschuldigen“ Befriedigung der Bedürfnisse von Menschen dient, sondern immer nur als Nebeneffekt des Profit Machens möglich ist. Dieser Tatsache entsprechend schlagen aber die Bedürfnisse von Menschen, deren Arbeitskraft nicht mehr gebraucht wird, stets Profit mindernd zu Buche und müssen deshalb auf ein Minimum herabgedrückt werden. Aus diesem Grund ist übrigens auch zu befürchten, dass die Forderung nach einer finanziellen Basissicherung – genau weil sie letztendlich auf der klammheimlichen Akzeptanz des auf der Verwertung von allem und jedem/jeder aufbauenden Systems beruht – letztendlich zum Vehikel für die Umwandlung aller bisherigen Sozialtransfers in eine Armenversorgung werden könnte.
Unter Kuratel des bürgerlichen Denkkorsetts
Wer für ein Grundeinkommen eintritt, hat sich notgedrungen – ob bewusst oder unbewusst – gedanklich schon unter Kuratel des auf Ware und Verwertung beruhenden bürgerlichen Systems begeben – seine Forderung ergibt nur Sinn innerhalb der entsprechenden Logik. Emanzipation kann dagegen nur das tendenzielle Durchbrechen der Verwertungslogik bedeuten. Sie lässt sich nicht erreichen, indem durch ein klammheimliches Profitieren am Verwertungssystem ein Freiraum zu seiner Überwindung imaginiert wird. Man kann ein System schwerlich gleichzeitig ausnützen und abschaffen wollen. Für eine Bildung, die mit dem Anspruch des radikalen Hinterfragens aller Einschränkungen des Denkens auftritt, stellt das Grundeinkommen somit sicher keine besonders förderliche Basis dar.
Die pädagogische Provinz ist nicht der Ort wo Emanzipation stattfindet, sie ist der Platz individueller Nabelschau und Kultivierung unter Ausblendung der gesellschaftlichen Realitäten. Der Aufschrei des Widerstandes gegen die entwürdigenden Bedingungen einer Gesellschaft, in der nur zählt, was profitabel verwertbar ist, und in der nur existieren kann, wer Geld aus Verwertungsprozessen lukriert, bricht sich nicht dort Bahn, wo geglaubt wird, dass sich das gute Leben im schlechten verwirklichen ließe. Bildungsarbeit, die Menschen dazu ermächtigen will, die Gesellschaft im Sinne ihrer Bedürfnisse ändern zu können, muss an den von ihnen erlebten Widersprüchen in der Gesellschaft ansetzen und zu ihrer kritischen Reflexion animieren. Indem Menschen pädagogisch genau dort „abgeholt“ werden, wo sie von der Inhumanität des Status quo hautnah betroffen sind, entfaltet sich – vielleicht – die systemsprengende Kraft von Bildung, sicher jedoch nicht dadurch, dass sie glauben gemacht werden, es wäre möglich, sich in irgendwelchen Fluchtnischen kuschelig einzurichten.
Bildung ist das Synonym für den Prozess zunehmender Bewusstwerdung der Tatsache, dass die gesellschaftliche Verfasstheit nicht Ausfluss unbeeinflussbarer transzendenter Kräfte ist, sondern von Menschen gemacht und somit durch Menschen auch veränderbar ist. Dazu braucht es Mut in zweifacher Hinsicht: zum einen, um sich mit der schmerzhaften Erfahrung der durch die gesellschaftlichen Bedingungen verursachten Entfremdung tatsächlich zu konfrontieren, sie in ihrer Tragweite also wirklich wahrzunehmen und zum anderen, um die resultierende Empörung über das domestizierte Leben nicht in ohnmächtiger Wut versanden zu lassen, sondern sie zum Ausgangspunkt von Lernprozessen und darauf aufbauenden Veränderungsschritten zu machen. Diesen Mut zum Denken zu fördern, ist die Aufgabe von Lehrenden, sofern ihnen Bildung tatsächlich ein Anliegen ist – unabhängig davon, ob sie in Schulen, Universitäten oder Einrichtungen der Erwachsenenbildung wirken.
Diese Aufgabe bewegt sich aber auf einer ganz anderen Ebene als das Vertrösten auf Inseln des unverzweckten Lebens mitten im Meer der allumfassenden Verwertung. Ein bedingungsloses Grundeinkommen mag eine aktuell sinnvolle Sozialleistung sein; für jene anwachsende Zahl an Menschen, die derzeit aus dem Arbeitskraftverwertungssystem herausfallen, wäre es – sofern es eben nicht bloß eine Armenversorgung darstellt – materiell und auch psychisch zu einem gewissen Grad entlastend. Es würde für sie zumindest einen erbärmlichen Rest an Würde sichern, die Grundeinkommensforderung ist aus humanitärer Sichtweise dementsprechend durchaus zu unterstützen. In ihr besondere emanzipatorische Potenz oder einen Konnex zu einer Bildung zu sehen, deren Ziel es ist, Menschen zu selbstbewussten Gestaltern ihres Daseins zu machen, wäre allerdings zu weit gegriffen.
Letztendlich verlässt die Grundeinkommensforderung nicht das durch die Prämissen der bürgerlichen Gesellschaft vorgegebene Denkkorsett. Sie korreliert im Grunde genommen mit dem, was in der bürgerlichen Gesellschaft von Bildung übrig blieb – mit der Vorstellung individueller Kultivierung. Mit einem Grundeinkommen mag man die Hoffnung verbinden, dass es dem Einzelnen dadurch möglich werden könnte, sich von gesellschaftlichen Zwängen ein wenig frei zu spielen, zugleich würde es aber bewirken, dass er – genau deshalb – umso mehr an der Aufrechterhaltung der entmündigenden gesellschaftlichen Bedingungen interessiert sein muss. Die Forderung nach einem Grundeinkommen paralysiert somit in letzter Konsequenz den Anspruch, den Zustand der Entfremdung generell zu beseitigen und Menschen zu befähigen, Formen des Zusammenlebens zu kreieren, die nicht vom Diktat der Verwertung bestimmt sind. Indem sie die Brosamen des Verwertungsprozesses einfordert, der ja genau den Zustand der allgemeinen Entfremdung zur Grundlage hat, ist die Grundeinkommensforderung letztendlich in einer ähnlichen Form entmündigend, wie es die bürgerliche Bildungsrezeption ist.