Globalisierungskritik und Standortwettbewerb
Über die Notwendigkeit einer dissidenten Perspektive
von Michael Katzmayr
Der Standortwettbewerb erfährt auch hierzulande seit den 1990er Jahren eine ständige Verschärfung. Soziale Kälte breitet sich aus – Arbeitslosigkeit, Prekarisierung, Steuerungerechtigkeiten und Rückbau sozialer Sicherungssysteme im Schatten der Unfinanzierbarkeit von Sozialsystemen prägen unseren Alltag. Sozialstaatliche Errungenschaften werden mit Hinweis auf die Erhaltung der nationalen Wettbewerbsfähigkeit in Frage gestellt.
Allerdings regt sich Widerstand – globalisierungskritische Bewegungen vom linken bis zum rechten politischen Rand sowie PolitikerInnen aller Parteien liefern (zum Teil populistische) Konzepte, wie mit dieser Krise umzugehen sei. Betrachtet man die globalisierungskritische Literatur, so zeigt sich, dass Phänomene wie der Standortwettbewerb meist als zu lösendes Problem angesehen werden, während grundlegende Verhältnisse (insbesondere der dem Kapitalismus inhärente Zwang zu Gewinnmaximierung und Wachstum) nur wenig Berücksichtigung finden. Als Ergebnis dieser schwachen theoretischen Fundierung werden Forderungen (Steuergerechtigkeit, höhere Sozial- und Umweltstandards, Kapitalverkehrskontrollen etc. ) an die Politik gestellt, die bei näherer Betrachtung etwas kurz gegriffen sind und bestenfalls eine oberflächliche Modernisierung des Kapitalismus leisten können. Systemimmanent betrachtet gibt es nämlich gute Gründe, warum Staaten scheinbar willfährig und gegen den Willen ihrer BürgerInnen unverschämten Forderungen von Konzernen und deren Lobbies nachgeben, sind sie doch auf Investitionen und Wirtschaftswachstum angewiesen. Die Angst vor Arbeitslosigkeit hat noch jeden Standort in die Knie gezwungen.
Angesichts dessen werden Hinweise für eine mögliche strategische Positionierung der globalisierungskritischen Bewegung am Ende dieses Aufsatzes skizziert. Zuvor wird jedoch auf einige Wirkungsmechanismen des Kapitalismus näher eingegangen, da daran die Kritik anzuknüpfen hat.
Wer macht den Standortwettbewerb?
Im globalisierungskritischen Diskurs wird oft die Meinung vertreten, dass Globalisierung, Standortwettbewerb und Neoliberalismus von Interessensgruppen inszeniert wurden, um eine Trendwende im bislang sozialverträglichen Wirtschaftsgeschehen herbeizuführen. Jerry Mander, Herausgeber des Kompendiums Schwarzbuch Globalisierung, verstieg sich sogar zur Behauptung, dass unsere Gesellschaft bewusst auf diesen Weg geführt worden sei, die Globalisierung wird gar als Idee der westlichen Länder bezeichnet, ja sie „wird von Wirtschaftswissenschaftern und Konzernen geplant und von unterwürfigen Regierungen unterstützt“ (Mander 2002: 20). Solche moralisierenden Vereinfachungen, denen auch GlobalisierungskritikerInnen häufig aufsitzen, werden den historisch-strukturellen Entwicklungen im Zuge der Globalisierung jedoch nicht gerecht.
Zwar ist es unbestritten, dass neoliberale Ökonomen – die so genannten Chicago Boys und die Mont-Pélerin-Gesellschaft rund um Friedrich August von Hayek – wesentliche Konzepte für die neoliberale Wende lieferten. Allerdings darf ihre Gestaltungsmacht und die der StaatenlenkerInnen nicht überschätzt werden: nach dem Scheitern von Fordismus und Keynesianismus war es nicht mehr möglich, diese Wirtschaftspolitik fortzuführen. Der Neoliberalismus bot sich als Alternative an, die Ideen der Mont-Pélerin-Gesellschaft lieferten dazu den theoretischen und strategischen Hintergrund. Die politischen Handlungsspielräume waren allerdings begrenzt, hatte doch das Kapital die nationalen Grenzen gesprengt (vgl. Kurz 2003: 742f; zur historischen Entwicklung auch Katzmayr 2006).
Die Suche nach der Adresse der Macht: von den Zwängen der Konkurrenz …
Inwieweit diese Entwicklungen zwangsläufig sind, ist eine umstrittene, aber wichtige Frage, wird dadurch ja der Erfolg einer systemimmanenten Strategie gegen den Standortwettbewerb bestimmt. Oft wird auf unmoralisches Handeln von Konzerneliten und maßlose Gewinnsucht von AktionärInnen hingewiesen, korrupten BürokratInnen die Schuld gegeben oder demokratie- und umweltvergessenen PolitikerInnen. In diesem Falle könnte die diskursive Bekämpfung dieser Personen im Rahmen der liberalen Demokratie die Zumutungen des Neoliberalismus beseitigen. Die sozialen Verhältnisse stellen sich in dieser Sichtweise lediglich als Folge politischer Fehlentscheidungen dar: es müsste nur die richtige Regierungskonstellation gewählt werden, diese würde dann entsprechende Gesetze erlassen und somit Steuer-, Sozial- und Umweltdumping ein Ende bereiten.
Durch diese Auffassung wird suggeriert, die Globalisierungskritik habe konkrete AnsprechpartnerInnen, die letztlich im Staat zu finden seien. Dem widerspricht Michael Heinrich (2005a: 31): „Ganz grundlegend ist der Staat [… ] auf einen einigermaßen prosperierenden Kapitalismus angewiesen, denn nur dann fließen ausreichend Steuern und halten sich die Sozialausgaben in Grenzen. Insofern muss jede Regierung, ganz egal welche Vorstellungen die einzelnen Politiker und Politikerinnen haben, sich darum kümmern, dass die Kapitalakkumulation, also die Vermehrung von Kapital, gelingt. Daher auch die immer wieder kehrende Erfahrung, dass eine linke Partei, wenn sie nach langen Jahren der Opposition einmal an die Regierung gekommen ist, nach einer kurzen Phase alternativer Ansätze doch wieder zu einer vor allem an den Interessen des Kapitals orientierten Politik zurückkehrt und sich vielleicht noch in der Kulturpolitik von der vorherigen Regierung unterscheidet, nicht aber in der Wirtschafts- und Sozialpolitik“.
Dies spricht nicht unbedingt gegen Wahlen oder Demokratie im Kapitalismus, verweist aber auf die engen Grenzen politischer Möglichkeiten. Zwar lässt sich staatliche Politik nicht völlig auf die Umsetzung von Notwendigkeiten der kapitalistischen Ökonomie reduzieren, sie trägt jedoch vorwiegend dem kapitalistischen Gesamtinteresse Rechnung. Dieses ist – systemimmanent betrachtet – gleichzeitig auch das Interesse der im Kapitalismus lebenden unterprivilegierten und armen Menschen. Kritik wird daher von Gewerkschaften und ArbeiterInnenkammern zumeist nicht an der Förderung von Standortqualität und Profitmaximierung laut, sondern daran, dass diese Förderung nicht genügend Erfolg bringe und dadurch fehlende Investitionen und somit Arbeitslosigkeit erfolgen (vgl. auch Heinrich 2005b: 213ff. ).
Traditionelle Strategien der ArbeitnehmerInnenbewegung scheitern nicht zuletzt daran, dass der Kapitalismus nicht nur geographisch weite Teile des Erdballs, sondern auch die Lebenswelten und Rationalitäten der Menschen kolonisiert hat. Robert Misik (2003: 89f. ) illustriert dies folgendermaßen: „Wenn beispielsweise ein Stahlarbeiter in einen Pensionsfonds einzahlt, dieser dessen Beiträge an einen Investitionsfonds weiterreicht, welcher wiederum Anteile an seinem Stahlwerk kauft und zur Erhöhung der Rentabilität in der Folge Arbeitsplatzabbau oktroyiert, dann ist es im materiellen Interesse dieses Stahlarbeiters in seiner Rolle als künftiger Rentner, sich selbst zu entlassen [… ] Was, wenn unser Stahlarbeiter sich mit anderen Stahlarbeitern zusammentäte, die ihrerseits Anteile an besagtem Rentenfonds halten, und mit diesen gemeinsam den Kapitalverwaltern auftragen würde, das Renditeprinzip nicht mehr allzu streng im Auge zu haben? Er würde auch nicht froh, sondern nur eine rasante Dynamik der Kapitalvernichtung in Gang setzen: Sein Stahlwerk wäre, würde es nicht zu Rationalisierungen gezwungen, in der kapitalistischen Konkurrenz bald hoffnungslos unterlegen, sein Arbeitsplatz wäre hochgradig gefährdet, und seine Ersparnisse wären schnell nur mehr die Hälfte wert – bestenfalls. Wir sehen also, das Kapitalverhältnis unterwirft alle seinem stummen Zwang.“ Alle, die Geld in Fonds, Sparbüchern etc. veranlagen, verhalten sich, was diese Veranlagung angeht, bewusst oder unbewusst kapitalistisch. Michael Heinrich (2005b: 186) verdeutlicht: „Alle, auch diejenigen, die vom Kapitalismus profitieren, sind Teil eines großen Räderwerks. Der Kapitalismus erweist sich als eine anonyme Maschine, die keinen Maschinenmeister kennt, der diese Maschine mit seinem Willen lenkt und dem man für die von dieser Maschine angerichteten Zerstörungen verantwortlich machen könnte.“
Auch abseits der Fondsproblematik lässt sich zeigen, dass die Gier von AktionärInnen (obwohl es diese zweifellos auch gibt) nicht für die gegenwärtige Krise verantwortlich ist. Führt ein Unternehmen neue Maschinen, Anlagen, Verfahren etc. ein, die zwar in der Anschaffung teurer sind, aber eine billige Produktion erlauben, dann müssen konkurrierende Unternehmen ebenfalls entsprechend investieren, um konkurrenzfähig zu bleiben – und zwar bei Strafe sonstigen Untergangs, unabhängig moralischer Vorbehalte. Zur Investition wird zusätzliches Kapital benötigt, ebenso zur Erschließung neuer Märkte. Unternehmen haben daher nach maximalem Profit zu trachten, um in der Konkurrenz mithalten zu können. Ob also AktionärInnen oder UnternehmerInnen gierig und maßlos sind oder nicht, mag zwar nicht völlig unerheblich sein, ist aber angesichts der Zwangsgesetze der Konkurrenz doch nur eine sekundäre Frage (vgl. Heinrich 2005a: 27ff. ).
Derselbe Mechanismus gilt auch für die Deregulierung von Umwelt-, Sozial- und Wirtschaftsgesetzen, die sich als Produktionskosten an den Standorten niederschlagen. Da der Staat auf eine funktionierende Kapitalverwertung angewiesen ist, die Möglichkeit einer Binnenmarktorientierung aber mit dem Scheitern des Fordismus endete, ist er dem Sachzwang der internationalen Konkurrenz unterworfen. Der Standortwettbewerb ist die Fortsetzung der innerstaatlichen Konkurrenz auf globaler Ebene
… über die Systemtheorie Niklas Luhmanns …
Ein soziologisches Erklärungsmodell, die Systemtheorie Niklas Luhmanns, kommt zu ähnlichen Befunden und verdeutlicht die Grenzen und Möglichkeiten gesellschaftlichen Handelns und Einflussnehmens. Im folgenden Exkurs soll diese Theorie kurz referiert werden (vgl. Luhmann 1985; zum Einstieg auch Treibel 1997: 23ff. ).
Diesem Erklärungsansatz zufolge sind moderne Gesellschaften wie unsere funktional differenziert, d. h. , es handelt sich nicht mehr um eine hierarchische Gliederung wie in der Vormoderne. Die Ausdifferenzierung in an Funktionen orientierte Teilsysteme (Wirtschaft, Recht, Politik, Wissenschaft, Bildung etc. ) macht die Gesellschaft komplexer, erlaubt ihr aber, mit der hohen Komplexität der Umwelt (natürliche Umwelt oder soziale Umwelten der Teilsysteme) fertig zu werden – deren Komplexität kann dann für das System reduziert werden. Das hat allerdings Auswirkungen darauf, wie in der Gesellschaft kommuniziert werden kann: In einem völlig ausdifferenzierten System operiert etwa die Wirtschaft nur mehr mit dem so genannten binären Systemcode „zahlen“ und „nicht zahlen“, unter Ausschluss anderer Zustände wie „zukunftsfähig“ oder „unmoralisch“. Das Rechtssystem operiert mit „recht“ und „unrecht“ im juristischen Sinn, nicht etwa mit „gerecht“ und „ungerecht“. Nur über die jeweils richtigen Codes kann das System in Resonanz versetzt werden – d. h. , folgenreiche Kommunikation mit einer Bearbeitung des Kommunikationsanliegens kann stattfinden. Die Anwendung dieser Codes wird durch so genannte Programme geregelt – im Wirtschaftssystem sind das Preise, im Rechtssystem Gesetze etc. Die Teilsysteme bestehen nebeneinander, nehmen unterschiedliche Aufgaben war und haben völlig unterschiedliche Systemcodes und Programme – dennoch bedingen sie einander: „Es genügt, daran zu erinnern, daß Kernkraftwerke nur deshalb wirtschaftlich eingeführt werden konnten, weil es politisch erreichbar war, eine rechtliche Haftungsbeschränkung für Unfallschäden vorzusehen. Und trotzdem kommuniziert das Rechtssystem ausschließlich unter dem eigenen Code und weist wirtschaftliche und politische Argumente, die sich nicht juristisch formulieren lassen, ab.“ (Luhmann 1985: 26, Hervorhebung im Original). Werden Teilsysteme undifferenziert angesprochen, (etwa moralische Forderungen an die Wirtschaft gestellt), so kann dies nur als Rauschen wahrgenommen werden, unter Umständen erfolgt eine Destabilisierung des Systems mit ungewissem Ausgang (ebenda, 29ff. ).
Was heißt das nun für Kritik am Standortwettbewerb, wenn etwa Konzerne veranlasst werden sollen, ökologisch vorteilhafter zu produzieren und menschenwürdige Löhne zu zahlen? Das Teilsystem Wirtschaft ist – wie alle funktionalen Teilsysteme – der moralischen Argumentation nicht zugänglich; es ist so gesehen nicht unmoralisch, sondern amoralisch. Es geht in der Systemtheorie nicht um moralisch gutes oder schlechtes Handeln, sondern um Übersetzungsprobleme. Appelle an Moral und Einsicht sind deshalb relativ wirkungslos. Wenn der Schlüssel für z. B. ökologische Probleme in der Sprache der Preise gesehen wird, so kann das Teilsystem Wirtschaft nur dann auf Umweltprobleme angemessen reagieren, wenn diese Probleme in Preise und Kosten ausgedrückt werden können – sonst nicht. Wenn jedoch die Übersetzung ökologischer Probleme in Preise und Kosten gelingt (die Möglichkeit dieser Programmierung ist jedoch die entscheidende Frage), ist dafür Resonanz im Teilsystem Wirtschaft garantiert (vgl. Luhmann 1990: 122f. ).
Hier beißt sich die Katze allerdings in den Schwanz: die Setzung der Preise nach sozialen und ökologischen Gesichtspunkten ist eben – wie die oben geschilderte Systemlogik des Kapitalismus nahe legt – nicht einfach so politisch machbar. Politische und rechtliche Vorgaben müssen mit der wirtschaftlichen Standortqualität im globalen Wettbewerb konform gehen, sonst sind sie nicht durchsetzbar. Die Systemtheorie selbst bleibt bei der Möglichkeit politischer Vorgaben für Preise pessimistisch (vgl. Luhmann 1990: 113f. ). Die Systemtheorie beschreibt nur die Funktionsweise der Gesellschaft, sie kann und will für ihre Verbesserung keine konkreten Hilfestellungen geben – außer, sich mit dem Bestehenden abzufinden: „Irgendwie müssen wir lernen, mit der Gesellschaft zurechtzukommen. Eine andere ist nicht in Sicht.“ (Luhmann 1985: 22).
Währenddessen steigt der Leidensdruck im globalen Wettlauf nach unten. Die Politik wird mit Wünschen überfrachtet, die systemimmanent unrealisierbar sind; die Folge ist hilfloser Populismus und politische Ablenkungsmanöver aller Parteien, was wiederum zu Politikverdrossenheit und letztlich hilflosen Protest- und Denkzettelwahlen führt.
… zur Analyse von Konzepten
Mit diesem system- und kapitalismustheoretischen Hintergrund können nun Konzepte gegen den Standortwettbewerb analysiert werden. Als Beispiel soll die Idee zum „globalen Standortschutzabkommen“ herangezogen werden: „Keine Steuerbefreiungen, Steuervergünstigungen oder Subventionen für Direktinvestoren; stattdessen wird eine einheitliche Konzernbesteuerung eingeführt [… ] Gewinne müssen zu einem Großteil vor Ort re-investiert werden, um einen nachhaltigen ökonomischen Entwicklungseffekt im Gastland sicherzustellen [… ] Wäre solch ein Standortschutzabkommen in Kraft, wäre – nur zum Beispiel – Semperit nicht aus Österreich abgesiedelt“ (Felber 2003: 162).
Aus systemtheoretischer Sicht stellt sich hier die Frage nach der Kommunizierbarkeit solcher Konzepte, ist doch in funktional ausdifferenzierten Gesellschaften eine bewusste Gestaltung nach allgemein vernünftigen Gesichtspunkten eben nicht einfach so möglich. Um diese Forderung umzusetzen, ist ja nicht nur die politische Einigung zu erzielen, sondern es muss auch die Rentabilität (gemessen am betriebswirtschaftlichen Planungshorizont) für den jeweiligen Standort gegeben sein; erst dann können entsprechende juristische Schritte gesetzt werden. Gibt es Zweifel an der Rentabilität, so wird die Forderung an das Wirtschaftssystem lediglich als Rauschen wahrgenommen; wird die Maßnahme dem System aufgezwungen – dies ist möglich, aber in ausdifferenzierten Systemen unwahrscheinlich – so ist eine Destabilisierung des Gesellschaftssystems zu erwarten. In der Realität wären dies z. B. steigende Arbeitslosigkeit jetzt noch bevorzugter Standorte, Wachstumsrückgänge bis hin zu ausgewachsenen Wirtschaftskrisen mit all den politischen und sozialen Folgen.
Weiters: Staaten bzw. Standorte sind auf Investitionen und Wirtschaftswachstum angewiesen. So bedauerten die österreichische Gewerkschaft und alle Figuren des öffentlichen Lebens das Abwandern des Reifenwerkes Semperit zutiefst und konnten damit in den Medien und Diskussionszirkeln aller Couleur mit dem Kampf gegen den Neoliberalismus reüssieren. Die Fragwürdigkeit dieser Haltung wird allerdings dann so richtig deutlich, wenn man bedenkt, dass sich heimische Gewerkschaften oder Arbeiterkammern noch nie beschwerten, wenn sich ein Konzern am Standort angesiedelt hatte, weil er anderswo abgesiedelt ist. In so einem Fall wird vielmehr die gute Standortqualität hervorgekehrt, die einer partnerschaftlichen Anstrengung der Gewerkschaften und der WirtschaftsvertreterInnen geschuldet sei. Wie es mit der Arbeitslosigkeit und der Finanzierbarkeit der von der Abwanderung des Kapitals betroffenen Sozialsysteme aussieht, steht auf einem anderen, gänzlich unbeachteten Blatt. Die Parole „Weltumspannend Arbeiten“ bleibt eine Worthülse, die Gewerkschaften und Arbeiterkammern treiben den Standortwettbewerb vielmehr mit voran. Letztlich macht das Abwandern heimischer Betriebe GewerkschaftsvertreterInnen und PolitikerInnen aller Farben anderswo (wo sich diese Betriebe dann ansiedeln) glücklich. Im großen Bild freilich gehen aufgrund des Anstiegs der Arbeitsproduktivität die Nachfrage nach Arbeitskräften und auch die Wertschöpfung insgesamt zurück und die Standorte raufen sich mit zunehmender Intensität um die immer weniger werdenden Möglichkeiten zur Kapitalverwertung.
Das Problem sind also nicht so sehr Deregulierungen, die ein Abwandern von Betrieben ermöglichen, sondern die unbedingte Abhängigkeit von Standorten und Gemeinwesen (und zwar aller) von Investitionen und Arbeitsplätzen. So lange ein „gutes Leben“ nur als Nebeneffekt einer gelungenen Kapitalverwertung möglich ist, und diese Kapitalverwertung aufgrund systemimmanenter Rationalitäten immer schwieriger wird, stranden die mit viel moralischem Tamtam vorgetragenen oberflächlichen Verbesserungsvorschläge in den theoretischen Untiefen der gegenwärtig vorherrschenden Globalisierungskritik.
Fazit: was tun gegen den Standortwettbewerb?
Forderungen nach einem „Standortschutzabkommen“, um die langfristige Bindung und Verflechtung der Investoren mit der jeweils lokalen Wirtschaft sicherzustellen, fehlt die grundsätzliche Kritik an der Abhängigkeit der Gemeinwesen von Kapitalinvestitionen – die Tatsache, dass ohne Investoren absolut nichts geht, stört scheinbar nicht weiter. Wenn beklagt wird, dass transnationale Konzerne Wettbewerbsvorteile gegenüber Klein- und mittelständischen Unternehmen durch internationale Steuerakrobatik erzielen, so muss schon auch hinzugefügt werden, dass die Suche nach Wettbewerbsvorteilen und deren Realisierung (auch auf staatlicher Ebene) im Konkurrenzzwang des Kapitalismus begründet liegt und nicht etwa in fehlenden Standortschutzabkommen. Der Wahlspruch der zeitgeistigen Globalisierungskritik, „Die Welt ist keine Ware! „, bezöge sich deshalb – würde er ernst genommen – auf die Welt und die Ware, nicht darauf, ob die Welt von Kleinunternehmen, Konzernen oder Staatsbetrieben zur Ware gemacht wird.
In einer systemtheoretischen Perspektive zeigt sich die Schwierigkeit, Gesellschaften gezielt zu beeinflussen, um den Kapitalismus bzw. den Standortwettbewerb zu bändigen. Moralische Argumente sind vom Wirtschaftssystem nicht interpretierbar – es sei denn, sie sind unter den gegenwärtigen Rahmenbedingungen wirtschaftlich rentabel. Wird dennoch die Politik mit moralischen Forderungen an die Wirtschaft überfrachtet, so ist Politikversagen und schließlich Legitimationsverlust institutionalisierter Politik die (bereits beobachtbare) Folge. Die Systemtheorie erklärt, warum globalisierungskritische Forderungen trotz ihrer augenscheinlichen Vernünftigkeit oft scheitern.
Die Globalisierungskritik reagiert darauf, indem sie ihre Forderungen zunehmend nur mehr innerhalb des wirtschaftspolitischen Möglichkeitsraumes, wie ihn die Systemtheorie vorgibt, stellt. Allerdings sind so auch nur oberflächliche Maßnahmen zur Behübschung der schlimmsten Auswüchse des Standortwettbewerbs möglich. Es stehen dann nur Zustände innerhalb des kapitalistischen Gesamtzusammenhangs zur Disposition, die Grundlagen des Systems selbst bleiben ausgeklammert. Weiters: Der Idee, dass Staaten durch Reformen – etwa Wahlen – eine Politik gegen den Standortwettbewerb aufgezwungen werden kann, steht die oben dargelegte strukturelle Kritik am Staat gegenüber. Der bürgerliche Staat, selbst in seiner Ausformung als Wohlfahrtsstaat, dient weitgehend der Aufrechterhaltung kapitalistischer Verhältnisse, also der anonymen, d. h. nicht personengebundenen, Sicherung von Macht und Herrschaft. In dieser Lesart kann der Staat nicht als Bollwerk gegen Neoliberalismus und Standortwettbewerb begriffen werden. Diesen Sachverhalt herauszustellen wäre eine wichtige Aufgabe kritisch-intellektueller Interventionen einer ernstzunehmenden Globalisierungskritik (vgl. Brand/Wissen 2005: 251f. ).
Angesichts der zwangsläufigen Begrenztheit systemimmanenter Handlungsspielräume ist verstärkt die Systemüberwindung selbst zu fordern. Was aber tun, wenn die Systemlogik des Kapitalismus durch demokratische Wahlen nicht veränderbar ist, andererseits eine Abwahl des Kapitalismus (abseits linkspopulistischer Betrügereien) nicht zur Wahl gestellt werden kann, da Staaten, so wie sie sich jetzt konstituieren, auf eine gelingende Kapitalverwertung angewiesen sind? Wird Kritik am Kapitalismus per se laut, so ist diese von einem ausdifferenzierten System nicht interpretierbar, kann also nicht auf Resonanz hoffen. Es besteht vielmehr die Möglichkeit, dass komplexe Systeme jenseits der Grenze ihrer Resonanzfähigkeit zu nicht intendierten Verhaltensformen neigen und sich destabilisieren. Dieses Problem ist unumgänglich, ihm kann nur sinnvoll begegnet werden, indem scheinbar „unrealistische“ (systemexmanente) Forderungen realistisch sein müssen: Staat und Politik sind nicht mit unerfüllbaren Erwartungshaltungen und Ansprüchen zu konfrontieren, Personalisierungen sind zu vermeiden; dies verhindert dann auch gefährliche politische Übersprungshandlungen, etwa Sündenbockdiskurse, Nationalismus, Populismus etc.
Gefragt ist hier eine kluge „dissidente Perspektive“. Daran knüpft sich die Hoffnung, dass Auseinandersetzungen und Protestaktionen dann Erfolg haben werden, wenn sie in einem geistigen Klima jenseits der scheinbaren Selbstverständlichkeiten des Kapitalismus stattfinden. Kapitalakkumulation, Profit, Macht, Herrschaft, Ware und Geld müssen grundsätzlich hinterfragt werden, um neue Denk- und Verhaltensmöglichkeiten zu eröffnen. Eine reine „Verteilung der Beute aus dem Akkumulationsprozess“, also eine reine Orientierung an der Verbesserung von Zuständen innerhalb des Kapitalismus, kann nicht der Bewegung letzter Akt sein (vgl. dazu Werlhof 1999: 175f. ).
Systemüberwindung und Reformismus müssen dabei kein Widerspruch sein. Reformistische, systemimmanente Aktivitäten sind sinnvoll, wenn sie zu einer Verbesserung der Lebensbedingungen im Hier und Jetzt beitragen. Oftmals führt eine reine Rhetorik der Systemüberwindung zu Zynismus und Gleichgültigkeit angesichts jetzigen Elends. Gefragt ist eine dissidente Doppelstrategie: der Kampf um systemimmanente Verbesserungen – in Fragen der Besteuerung, Daseinsvorsorge, Bildungspolitik und insbesondere internationalen Wirtschaftspolitik – muss mit einer systemüberwindenden Perspektive einhergehen.
Konkret heißt das, dass zwar schon die Forderung nach einer einheitlichen Konzernbesteuerung gestellt werden kann; doch ist sie sinnvoll ohne gleichzeitige Kritik an der kapitalistischen Produktionslogik, die den Konzernen letztlich den Handlungsrahmen vorgibt? Gegen die Forderung nach ortsüblichen Mindestlöhnen ist wenig einzuwenden; allerdings ist es angesichts der strukturellen Arbeitslosigkeit nicht ein Gebot der Stunde, für eine bedingungslose Grundsicherung für alle einzutreten? Natürlich müssen die Zeiten, in denen alle Standorte bei der unerbittlichen Konkurrenz verlieren, abgeschafft werden; aber geht das, ohne den Kapitalismus an sich zu kritisieren? Solche Fragen muß (sich) die Globalisierungskritik stellen – es sei denn, sie gibt sich mit ihrer Rolle als kapitalistischer Verschönerungsverein zufrieden.
Zitierte Literatur
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Felber, Christian (2003): „Alternativen zu Freihandel und WTO“, in: ATTAC Österreich (Hg. ): Die geheimen Spielregeln des Welthandels. WTO-GATS-TRIPS-MAI, Wien: Promedia, 158-171
Heinrich, Michael (2005a): „Krise der Arbeitsgesellschaft – Krise des Kapitalismus? „, in: Exner, Andreas/Sauer, Judith/Lichtblau, Pia/Hangel, Nora/Schweiger, Veronika/Schneider, Stefan (Hg. ): Losarbeiten – Arbeitslos? Globalisierungskritik und die Krise der Arbeitsgesellschaft, Münster: Unrast, 25-31
Heinrich, Michael (2005b): Kritik der politischen Ökonomie. Eine Einführung, 3. Aufl. , Stuttgart: Schmetterling Verlag
Katzmayr, Michael (2006): „Der Standortwettbewerb in wirtschaftsgeschichtlicher Betrachtung „, in: ATTAC (Hg): Zwischen Konkurrenz und Kooperation. Analysen und Alternativen zum Standortwettbewerb, Wien: Madelbaum, in Druck
Kurz, Robert (2003): Schwarzbuch Kapitalismus. Ein Abgesang auf die Marktwirtschaft, 3. Aufl. , Frankfurt am Main: Ulstein
Luhmann, Niklas (1985): Kann die moderne Gesellschaft sich auf ökologische Gefährdungen einstellen? , Opladen: Westdeutscher Verlag
Luhmann, Niklas (1990): Ökologische Kommunikation. Kann die moderne Gesellschaft sich auf ökologische Gefährdungen einstellen? , 3. Aufl. , Opladen: Westdeutscher Verlag Mander, Jerry (2002): „Gegen die steigende Flut“, in: Mander, Jerry/Goldsmith, Edward (Hg. ): Schwarzbuch Globalisierung. Eine fatale Entwicklung mit vielen Verlierern und wenigen Gewinnern, 2. Aufl. , München: Riemann, 9-30
Misik, Robert (2003): Marx für Eilige, Berlin: Aufbau Taschenbuch Verlag Treibel, Anette (1997): Einführung in soziologische Theorien der Gegenwart, 4. Aufl. , Opladen: Leske + Budrich
Werlhof, Claudia von (1999): „MAInopoly: Aus Spiel wird Ernst. Drei Thesen zur Politischen Ökonomie der „Globalisierung““, in: Mies, Maria/Werlhof, Claudia von (Hg. ): Lizenz zum Plündern. Das Multilaterale Abkommen über Investitionen „MAI“. Globalisierung der Konzernherrschaft – und was wir dagegen tun können, 3. Aufl. , Hamburg: Rotbuch-Verlag, 132-176