Demos und Populus
Über Spannungen und Entspannungen des Populismus
von Franz Schandl
SUSANNE FRÖLICH-STEFFEN/LARS RENSMANN (Hg. ): Populisten an der Macht. Populistische Regierungsparteien in West- und Osteuropa. Braumüller, Wien 2005, 237 Seiten, 24,90 Euro
Zweifellos, wer vom Populismus spricht, darf von der Demokratie nicht schweigen. Das kann man den Autoren des Sammelbandes auch nicht vorwerfen, problematisch ist allerdings, dass sie den Zusammenhang fast ausschließlich als Differenz gelten lassen. Diskutiert wird das Spannungsverhältnis, nicht jedoch das gemeinsame Bezugsfeld. Der Populismus erscheint weniger als konsequente Äußerungsform der Demokratie, sondern als tendenziell gegen sie gerichtet.
Nicht nur weil Demos und Populus das Gleiche bezeichnen, ist die mehrfach vorgetragene Grundthese, dass Demokratie und Populismus sich widersprechen, äußerst fragwürdig. Die Mobilisierung von Stimmungen und ihre Verwandlung in Stimmen ist doch die der Marktwirtschaft analoge Aufgabe der Politik. Im Populismus wird jene beständig an die Werbeindustrie und deren Praktiken angepasst. Und die Populisten präsentieren sich als mediale Helden. Der Erfolg des Populismus in der Politik läuft parallel zur Systematisierung der Public relations. Seriosität und Diskretion sind in der Arena einer rücksichtslos reklamierenden politischen Auseinandersetzung auf jeden Fall weniger geschäftstüchtig, das heißt Stimmen akkumulierend, als Anmache und Aufdringlichkeit. Es ist davon auszugehen, dass die populistische Zurichtung von Politik sich inzwischen verallgemeinert hat. Nicht nur Populisten agieren populistisch.
Die Herausgeber schreiben selbst: „Der Politikstil nationalpopulistischer Akteure ist entsprechend personalisierend und auf Selbstinszenierung des charismatischen Parteiführers im Spiel mit der Mediendemokratie sowie auf populäre Agendasetting ausgerichtet.“ Aber kann damit nicht jede Politik beschrieben werden? Nach dieser Einschätzung müsste man Politik schlichtweg als populistisch charakterisieren, und vielleicht ist das – auch wenn es die Autoren kaum intendiert haben – gar nicht so falsch. Personalisierung, Inszenierung, Mediatisierung sind das Um und Auf politischer Kommunikation geworden.
Was unterscheidet, ist der Grad der Auffälligkeit und die Selektion der Zugeordneten, aber doch nicht die Form. Wird der populistische Zug lediglich an seinen schärfsten Exponenten demonstriert, fällt die Politik als Ganzes in den Schatten der Unauffälligkeit. Man wird den Verdacht nicht los, dass der Populismus als Folie der Abgrenzung herhalten muss, um das Gegebene besser erscheinen zu lassen und es vor allem als unhinterfragbar anzuerkennen.
Stutzig macht auch die Rede von „liberal-demokratischen Systemen“. Worin besteht der Sinn, das Wort „liberal“ vorne anzukleben? Niemand käme auf den Gedanken, die Demokratie „sozialdemokratisch“ oder „christdemokratisch“ zu benennen. Liberal ist aber eines dieser Flexiwörter, es kann stehen für vieles: für marktwirtschaftlich, offen, tolerant; einmal bezeichnet es eine bestimmte politische Richtung, dann wiederum gleich das politische System der repräsentativen Demokratie. Aber immer schwingt eine positive Assoziation mit. Mit solcher Begrifflichkeit ist der Beliebigkeit freilich Tür und Tor geöffnet, theoretisch ist sie jedenfalls nicht ausgewiesen. Dass sowohl der Liberalismus als auch der Populismus den Markt beschwören (ganz exzessiv z. B. Berlusconi), wird hier nicht als gemeinsame Basis identifiziert. Doch gerade das verbindet sie: pro Arbeit, pro Leistung, pro Konkurrenz, pro Standort, pro Markt, pro Werbung, pro Kulturindustrie.
Es stellt sich wirklich die Frage, ob die Populismus-Forschung nicht falsch läuft, ja sogar zu einer Art Legitimationswissenschaft wird. Dass sie nicht bloß die demagogischen Inhalte kritisiert , sondern sämtliche Motive des Populismus als Ressentiments disqualifiziert. Exemplarisch genannt sei die in den Beiträgen weitgehend affirmative Sicht der Globalisierungsprozesses oder der europäischen Einigung. Doch nur weil es da Vorurteile gibt, ist nicht jeder Einwand und jede Regung einfach darunter zu subsumieren. Diesen Eindruck jedoch vermittelt die Lektüre. Populist dient als Pfui-Wort einer Globalisierungsgemeinde. Für die Modernisierung habe man zu sein. Aber weswegen?
Natürlich ist es richtig, die populistische Angstmache anzuklagen, bloß: Sollen die Leute vielleicht keine Angst haben? Gibt es vor der Angstmache nicht auch bereits eine Angsthabe, die von ersterer in berechnender Absicht instrumentalisiert wird? Angst ist doch nicht einfach als individuelles oder kollektives Manko abzutun, dem man durch positives Denken und flexibles Handeln entgehen kann. Populisten erzeugen nicht die Angst, aber sie schüren sie, benennen Schuldige und versprechen Abhilfe . Die Verängstigungen der Leute werden zumindest angesprochen, wenn auch pervertiert. Aber im Gegensatz zum etablierten Diskurs fühlen sich die Leute wahrgenommen und nicht bloß verachtet. Erzielt werden mentale Erleichterungen, die oft auf blanker Schadenfreude basieren: „Der hat es ihnen aber gezeigt“, „Der hat es ihnen aber reingesagt“. Der Demokrat bietet Verdrängung, der Populist Entladung.
Gerade hier liegen aber auch die aktuellen Schranken des Populismus. An die Regierung gekommen erweist er sich stets als unfähig und hilflos. Durchstarten kann er nicht, also muss er lavieren. Seine Präpotenz erscheint als lächerlich. Das fällt selbst den eigenen Wählern auf und daher auf jenen zurück. Und doch überlebt der Populismus stets den Absturz der Populisten. Auch wenn sich die Typen laufend blamieren, tut dies dem Typus keinen Abbruch. Es kann sogar sein, dass ein und derselbe sein zeitweiliges Ende übersteht und zu einem Comeback ansetzt. Berlusconi ist das gelungen, und Haider gleich mehrmals.
Zweifellos gibt es ein populistisches Bedürfnis, Populismus ist auch mehr als ein politischer Stil. Der Modus der Kulturindustrie ist vielmehr zum Formzwang von Demokratie und Politik geworden. Seine Programmatik lässt sich eher an Fernsehprogrammen ablesen als in politischen Erklärungen nachlesen. Serienhelden dienen als Matrizen für die Parteiführer. Sie sind die zur Nachahmung empfohlenen Vorlagen. Aufgrund seiner Verankerung in den kulturellen Reproduktionen des Alltags darf die Analyse des Populismus nicht auf die Politik verengt, ja nicht einmal auf sie zentriert werden.
„Vorstöße rechtspopulistischer Parteien werden in der Regel allenfalls von Boulevardzeitungen unterstützt“, heißt es in einer Fußnote. Aber das ist so nicht richtig. Es übersieht Wesentliches, weil es lediglich offensichtliche Unterstützung als Förderung gelten lässt. Diese Kulisse muss deutlicher hinterfragt werden. Die faszinierte Berichterstattung über die sogenannten bösen Buben gleicht medialen Events sondergleichen. Da geht es um die Quote. Gerade die Verfolgung, also das Hinterherlaufen erhöht die allseitige Beachtung immens. Sie steigert die Reichweite des Mediums wie die Stimmen des Gejagten. Dieses Verhältnis sollte zumindest als Synkretismus begriffen werden.
Ein impliziter Zusammenhang ist gegeben, auch wenn alle auf Abgrenzung aus sind. Medium und Populismus agieren auf gleicher Basis. Ein investigativer, skandalisierender und eben nicht analytischer Journalismus treibt den Populisten Wähler in Scharen zu. Vor allem die Rolle des Fernsehens oder diverser Zeitgeistmagazine, aber auch der Volks- und Popmusik müsste in diesem Zusammenhang näher beleuchtet werden. Entscheidend ist die Synchronität der Anliegen. Da spielt zusammen, was nur scheinbar nicht zusammengehört. Zu diesem Komplex findet sich im Band allerdings nichts.
So hätte man sich Genese, Entwicklung und Umwidmung bekannter Schlagwörter genauer anschauen können. Der mehrfach inkriminierte Begriff der „Anti-Parteien-Partei“ stammt etwa aus den Anfangstagen der Ökopartei, und zwar von Petra Kelly, der ersten Sprecherin der Grünen. Den basisdemokratischen Versuchen mag man einiges nachsagen, nicht jedoch, dass sie populistisch gewesen wären, in gewisser Hinsicht waren sie antipopulistisch bis zur Selbstbeschädigung. Trotzdem wurden einige Reizwörter dem alternativen Vokabular entwendet und gehören seitdem zum populistischen Arsenal.
Das Buch dürfte auch etwas zu schnell in Druck gegangen zu sein, was sich vor allem an zahlreichen formalen und inhaltlichen Mängeln ausdrückt. Etwa wenn die Herausgeber behaupten, dass die ÖVP 2001 ihre Anhänger aufforderte gegen das FPÖ-Volksbegehren betreffend das tschechische AKW in Temelin zu stimmen. Solcherlei ist unmöglich, hier gibt es nur Unterstützungserklärungen resp. -unterschriften. Da wird offensichtlich ein Volksbegehren mit einer Volksabstimmung verwechselt. Derlei Fehler sind wohl auch Folge eines unter extremen ökonomischen Belastungen stehenden Verlagswesens, dem es schlicht unmöglich ist, sich ein ordentliches Lektorat zu leisten.