Außergewöhnlich gewöhnlich

von Franz Schandl

Der Triumph des Heldischen im Zeitalter fortschreitender Rationalisierung ist nur vordergründig betrachtet anachronistisch. Auf jeden Fall ist er nicht bloß unübersehbar, er ist unüberblickbar. Ob in Ausstellungen, Sendungen, Filmen, Theaterstücken oder gar in der flächendeckenden Werbung. Man hat den Eindruck, dass das einst Geläufige inzwischen regelrecht läufig geworden ist. Was läuft also ab?

Der Held gibt Halt, der Star gibt Zuversicht, und selbst der Promi stellt etwas dar. So stellen wir uns das zumindest vor. Sie sind alltägliche Erscheinungen wider den Alltag, Mediatoren, um uns aus dem reizlosen Trott zu holen. Analysen, die meinen, hier sei eben etwas Besonderes, das ob seiner Besonderheit von der Allgemeinheit als Besonderes wahrgenommen wird, greifen allerdings zu kurz. Und eigentlich auch daneben, weil sie das Publikum lediglich als reagierende und konsumierende Masse, nicht als aktiven Träger ihrer Selbstzurichtung begreifen.

Im Heldischen konzentriert sich nichts anderes als die Absonderlichkeit des Normalen. Nicht Helden leisten Überdurchschnittliches, sondern die vielen Durchschnittlichen leisten sich Helden. Stars gedeihen auf Projektionen, erst diese lassen jene als solche aufkommen. Helden, Stars und Promis zeugen vorerst nicht von einem Überschuss, sondern von einem Defizit. Es ist der Mangel, der sie groß werden lässt, und es ist der an sich verständliche Wunsch, sich über die Mängel zu erheben. Wenn also von Helden und Stars die Rede ist, was geht da ab? Aber lesen wir den Fragesatz noch einmal, langsam und mit Bedacht. Was geht ab? Es geht tatsächlich etwas ab, zweifellos. Das Abgehende wird kompensiert durch das, was da abgeht. Und zwar, weil es zurückkommt.

Die Suche nach dem Besonderen beschert uns die Präsentation des Gemeinen. Und zwar gleich als Überdosis. Was da abläuft, ist extraordinär: außergewöhnlich gewöhnlich. Grundlage ist eben nicht die enorme Leistung, sondern die normierte Projektion in ihrer schärfsten und zugespitztesten Form. Dass Helden und Stars etwas Besonderes sind, ist ein hartnäckiger Mythos. Nein, dieses Außer-Gewöhnliche meint lediglich das Äußerst-Gewöhnliche. Helden, Stars, Promis sind das Extrem einer Gewöhnlichkeit, das Durchschnittlichste, was der Markt an personifizierten Sinnstiftungen zu bieten hat. Erst zwei sprachlich fragwürdige Superlative lassen erfassen, was sonst kaum auszudrücken ist.

Serien

Nichts falscher als die Behauptung, der Held sei kein Serienprodukt. Der moderne Star wird vielmehr seriell hergestellt. Die Kulturindustrie ist spezialisiert auf die Produktion von Prominenz. Das ist ihre Ware, die sie als Artefakt an allen Förderbändern ausliefert. Ware, Marke und Wert personifizieren sich nirgendwo so stark wie im Star. Das Serielle und der Held sind sich nicht fremd, man braucht da nur an Seriensieger oder Heldenserien denken.

Die Heldendichte wird stets dichter, weil die Konkurrenz immer größer wird. Auch das beharrliche Gerede von den Helden des Alltags zeigt, dass der Star nicht mehr bestimmten Gruppen vorbehalten sein soll. Demokratisierung bedeutet: Jeder kann ein Star sein, jeder vermag sich als Held zu gestalten, jeder kann zum Promi werden. Die fast schon durchgehende Durchlässigkeit vom Fan zum Star hat sich erst in der für die Demokratie typischen Popkultur durchgesetzt. Dreimal durch, und wie! „Ich auch“ ist die goldene Regel, die die Frage nach dem „Was“ glänzend desavouiert. Wenn man schon aufschauen soll, warum soll man nicht auch zu mir aufschauen? Siehe Christine und Richard Lugner. Reality-TV weist ganz eindeutig in diese Richtung.

Das führte dazu, dass die alten Begriffe nicht mehr ausreichen und daher Superhelden und Superstars auf den Plan treten müssen. Und weil selbst die sich abnützen, werden einige Mega und Mania. Starmania verrät als Begriff alles. Ja, es ist eine Manie und Fans neigen zu Tobsucht und Ausschreitung, wenn die Herde zur Horde wird. Fans sind potenzielle Hooligans. Im absoluten Gefühl geht jedes andere Gefühl verloren. Das Spüren ist ein Spuren, im Extremfall ein völliges Aufgehen in eben diesem. Blinde Hingabe bedingt totale Hinnahme.

Abzüge

Das Grundmuster lässt sich so beschreiben: Wir ziehen uns etwas ab, ziehen es jemandem an, um uns dann angezogen zu fühlen. Dieses Verkennen folgt einem kollektiven Gebot, keiner individuellen Veranlassung. Es bestätigt sich, weil es bei den anderen auch so funktioniert. Das kleine Es wird zu einem großen: ES wird gesagt. ES wird gehört. ES wird gesehen. ES wird erzählt. Kurzum: ES wird formiert. Natürlich läuft das im Einzelnen noch um vieles diffiziler und vertrackter ab. Was sich in der Praxis als sagenhafte Selbstverständlichkeit vollzieht, erweist sich der Theorie gegenüber als außerordentlich resistent. Ja, nicht nur als resistent, sondern als gar nicht vorhanden. Wird hier also ein Problem aufgeworfen, wo es gar keines gibt? So ungefähr. Auf jeden Fall wird etwas zu entziffern versucht, was als Rätsel nicht anerkannt ist.

Unnahbarkeit verwechselt sich mit Intimität. Das mag irre erscheinen, aber es ist ein Massenphänomen. Ausgangsbasis ist ein inniger Bezug, der aber nicht eingelöst werden kann, da er einseitig ist und keine direkte Beziehung erlaubt. Jener Bezug ist affektiv, aber nicht effektiv. Derlei Intimität ist wie so vieles ein Phantom: permanent vorhanden, nie realisiert. Denn wie kann ich etwas leben, das zu meinem Leben gehört, aber nicht Bestandteil meines Lebens ist? Doch Entrückung und Versetzung machen dieses unmögliche Leben als Erleben schier möglich. Und wir beherrschen diese Kunst wie im Schlaf.

Es ist eine säkularisierte Andacht. Ihr Kriterium ist die Erbauung, nicht die Erkenntnis. Und dann marschieren prompt die Dämonen der Tugend auf: Demut, Disziplin, Drill, Ängstlichkeit, Hörigkeit, Unterwürfigkeit. Wir haben es mit einem fetischistischen Verhältnis zu tun. Anerkennung erfolgt indirekt. Es geht nicht um Leben, sondern um Erleben und Ausleben, nicht um Ehre, sondern um Verehrung und Ehrfurcht, nicht um Präsenz, sondern um die Präsentation und Repräsentanz. Alles ist irgendwie da und wiederum auch nicht. Diese Selbsterhebung beschreitet ganz verquere Wege. Die Suche nach dem Erhabenen in der Unmittelbarkeit enthebt einem jeder weitergehenden Perspektive. So ist das Prinzip Promi ein integratives Schwungrad, das sich zwar andauernd flotter bewegt, aber doch nicht von der Stelle rührt.

Den Images wird aber deswegen keineswegs Realität zuerkannt, wie der Eingangstext der abgelaufenen „Superstars“-Ausstellung im BA-CA-Kulturforum blauäugig verkündete. Am Star interessiert keine andere Realität, sondern etwas anderes als Realität. Es ist der Schein von etwas Unerschöpftem, zu dem das profane Leben nie kommen kann. Aber man will es jetzt und es ist auch schon da. Das Problem ist nicht, dass man anderes sehen will, das Problem ist, dass man sogleich anderes sieht. Das gibt Kraft. Es ist wie eine Selbstbezauberung. Stars sind für Fans durchaus „gelebte Mythen“ (Roland Barthes).

Prominenz fungiert sodann als Transformator von Energie, indem sie Negatives in Positives, Mangel in Fülle, Niedergeschlagenheit in Hochstimmung verwandelt. Zumutung wird nicht überwunden, aber umgepolt. Da ist im wahrsten Sinne des Wortes etwas umwerfend. Man soll das nicht unterschätzen, es ist von elementarer Wichtigkeit für die Konsolidierung ihrer Träger. Nur so klappt das Aufladen der Subjekte zu Aktivisten ihrer Rollen. In diesen alleine können sie nicht aufgehen, zur Stabilisierung ist etwas vonnöten, das sie über den Alltag erhebt. Oder banaler formuliert: Haltung nimmt nur der an, dem Unterhaltung geboten wird. Der Fan erfüllt mit seinem Aufsehen seine Aufsichtspflicht. Als mündiger Bürger beaufsichtigt er sich selbst. Marktwirtschaft erlaubt abzufahren, auf wen und was man will, sie erlaubt nur nicht, nicht abzufahren.

Die Lenkung dieser Gesellschaft erfolgt implizit durch objektive Bewegungsgesetze des Kapitals, die Ablenkung hingegen ist explizite Aufgabe der Kulturindustrie. Letztere darf nicht als Manipulation aufgefasst werden. Manipulation bedeutete, dass die Leute eigentlich etwas anderes wollen. Das wäre aber unter gegebenen Umständen eine verwegene Unterstellung. Werbung wirkt nicht, weil die Leute getäuscht werden, sondern weil sie getäuscht werden wollen. Sie sind dieser Fiktion regelrecht verfallen. Sie erfüllen die Gebote auch nicht deswegen, weil sie diese als richtig erkennen, sondern weil sie beeindruckt sind. Das ist keine Frage der Entscheidung, sondern eine des Vollzugs. Je schwächer die Reflexion, desto bestimmter die Handlung.

Täuschungen

Auch der von uns beschriebene Austausch ist eine Täuschung. Er qualifiziert sich durch hemmungslose Identifikation, löst sich eben nicht in einer Enttäuschung auf. Jede Idealisierung ist Täuschung am Objekt, behauptete schon Freud. In unserem Fall ist sie chronisch geworden. Heldenkult und Staranbetung haben viel mit Kleinheitswahn, Selbsterniedrigung und Depression zu schaffen. Aber jene wirken doch als zeitweilige Sistierungen davon. Es handelt sich dabei um eine immanent (ab)gewendete Not, also um eine Notwendigkeit. Prominenz gedeiht auf dem Plebiszit der Psychen, die wiederum nichts anderes sind als Verarbeitungen gesellschaftlicher Zwänge.

Täuschung ist um vieles stärker als Enttäuschung. Zehrt die Täuschung von der fiktionalen Potenz der Träger, so offenbart die Enttäuschung eine faktische Impotenz derselben. Enttäuschung bezeugt Verlust und Verlorenheit. Wer will solche Wirklichkeiten schon wahr haben? Die Frage, ob man lieber getäuscht oder enttäuscht werden will, erledigt sich praktisch von selbst. Der Rausch ist der Ernüchterung vorzuziehen. Der ganze Rummel um Stars und Helden ist daher eine große Inszenierung von Selbsttäuschung, an der aber alle teilnehmen, und nicht nur als Statisten, sondern als Sich-Aufführende auf allen Bühnen. Es sind manchmal ganz komplizierte Rollen, die es zu erlernen gilt. Man verwechselt das eigene Leben mit einem großen Erlebnispark, wo es durch Verstellung Gesichter zu wahren gilt. Diese freilich sind Masken, genauer gesagt Charaktermasken.

Wenn permanent Vorstellungen laufen, was können wir uns dann noch zusätzlich vorzustellen? Vermögen wir derlei? Kaum. In gewisser Hinsicht bietet die Kulturindustrie durch ihre Unterhaltung realisierte Utopie an. Auf einem vor unzähligen Trafiken lauernden Werbeständer für die Februar-Ausgabe der Zeitschrift Seitenblicke lesen wir: „Stars. Kaufen. Jetzt. Superstars für daheim.“ Da soll einem die Luft wegbleiben bei dem Gehechel. Und es ist auch der Fall, es hat was Atemloses an sich.

Starke Bilder und somit auch starke Vorbilder sind unumgänglich. Wir leben in Zeiten allmächtiger Bildergebote. Regelrecht umstellt sind wir. Der Matrix kann nicht entflohen werden. Je mehr Bilder, desto verhangener die Welt, desto befangener deren Bewohner. Außen ist innen. Die Bilder, die uns geboten werden, sind gebieterisch. Die Unterwerfung unter ihr Diktat bedarf gar keiner subjektiven Kapitulation. Dass wir uns ergeben, wissen wir gar nicht. Kapitulation hieße ja einen bewussten Akt der Unterwerfung zu setzen. Vor allem rasende Tonbilder beherrschen immer mehr die Szene. Wir können gar nicht erkennen, was uns da auffällt. Wir sind stets beeindruckt, ob wir wollen oder nicht. Und weil nie abgeschaltet wird, sind wir zusehends aufgedreht. Der Reflex hat die Reflexion aufgefressen. Unser Weltbild gleicht einem Abziehbild. Stars und Helden dienen uns als personifizierte Matrizen.

Projektionen

Es gibt mir, weil ich projiziere. Und nicht nur mir, sondern auch mich. Dieser Umweg ist aktuell der direkteste Weg, um sich überhaupt zu begegnen. Fragen wir uns doch ernsthaft: Wenn eine 58jährige Hausfrau in ihrem Promimagazin schmökert, was bringt sie da zum Blühen? Natürlich kann man das verächtlich abtun und die intellektuelle Reaktion weist in diese Richtung. Aber was ist damit gewonnen? Distinktion? Vielleicht auch noch eine, die sich besser wähnt und für sich Unversehrtheit suggeriert? Welch Kitsch! Wer sich zu viel über das Gemeine lustig macht, vergisst leicht die eigene Lächerlichkeit. Analytische Schärfe entpuppt sich dann als praktische Hilflosigkeit und offener Zynismus. Die reine Vorhaltung bringt nicht mehr zustande als die Denunziation. Sie ist auch nicht Gegengift, sondern ein weiteres Aufputschmittel.

Der aufgekratzten Selbstüberschätzung sollte man ein abgeklärtes Statement entgegenschleudern, nämlich die bescheidene wie furchtbare Erkenntnis, dass wir, bevor wir anderes sind, in erster Linie und primär und zumeist angepasst sind, eingebunden in das Betriebssystem, das wir bestätigend betätigen. Wir sind kundige Kunden. Manche sagen nie Nein, aber auch die, die manchmal Nein sagen, sagen fast immer Ja. Anders geht es gar nicht. Nicht nur der Opportunist ist Opportunist. Leben meint Erleben von Gelegenheiten. Das ist zweifellos dürftig.

In Ansätzen wird das begriffen, aber sofort verdrängt. Es ist nämlich spürbar, dass die Freiheit, die da herrscht, eine Losigkeit ist, die uns gerade aufgrund ihrer Nichtungspotenz in Schach hält und nach Sicherheiten gieren lässt. Was denn sonst? Promis als Projektionsakkus sind Futter erster Klasse, sie machen zwar den Bauch nicht voll, aber sie wärmen das Gemüt, manchmal bis zur Entzündung. Wir sind in diesen Momenten des exzessiven Bezugs nicht nüchtern, ohne allerdings zu wissen, dass wir berauscht sind.

Eine zentrale Frage bürgerlicher Subjekte ist auch nicht, ob jemand frei ist (das wird ja vorausgesetzt, ausgesetzt und verdrängt! ), sondern ob etwas los ist. Nichts drückt die Mängel des Lebens so aus wie der gemeine Satz: „Ich will was erleben! “ Im Erleben gerät das Leben zu einem Treiben. Zu einem Vertreiben der Lebenszeit. Warum fragen wir uns in unseren alltäglichen Begegnungen eigentlich, was wir treiben, und nicht was wir wollen; was wir machen und nicht wer wir sind? Niemand soll sich einbilden, das sei Zufall. Das ist der Normalfall. Die Präzision der Sprache verriete uns vieles, wenn wir nur fähig wären, zu hören, was gesprochen wird. Wann wir uns treffen, betreffen wir uns nicht.

Wären die Varianten der Regung (Aufregung, Abregung, Anregung, Erregung) wesentliche Bestandteile des Lebens, müsste ihnen nicht extra nachgejagt werden. Man würde sie schon finden, ohne dass die Suche zur Sucht wird. Denn die Leute sind von der durch die Konkurrenz geprägten Angst beherrscht. Immer glauben sie zu kurz zu kommen. Und anders akzentuiert als sie das meinen, stimmt das auch. Sie leben in Verhältnissen, wo der Großteil ihrer Zeit und Energie in ihre Geschäftsfähigkeit gesteckt werden muss. Das macht sie klein und angepasst oder wie es im Neusprech heißt: flexibel.

Der erste Schrei ist unter solchen Umständen der nach einem Halt. Halt jedoch ist eine statische Größe, Konkurrenz dagegen ein dynamischer Prozess. Wo Halt finden, wenn alles haltlos wird, wenn die Sicherheiten sukzessive wegbrechen? So führt die Krise des Halts nicht zur Infragestellung der diese Krise bedingenden Form, sondern zu einem manischen Suchen und somit zu einem exorbitanten Anstieg der Projektionen. Wo nix mehr fix, gewinnt akkurat die Fixierung an beträchtlicher Relevanz. Mehr als das jeweils Fixierte interessiert uns die Fixierung, also die Resultante, nicht das Resultat. Neben einer Sozialpsychologie der Rollen wäre eine Untersuchung dieses beständigen Hin und Her nötig. Der Kosmos des Abfahrens ist weitgehend unentdeckter Raum.

Anhänglichkeiten

Was wissen wir denn schon von uns? „Über mich weiß ich leider noch nichts, muss warten, bis mein Vorbild auf dem Bildschirm auftaucht“, heißt es in Elfriede Jelineks „Sportstück“. Das virtuelle Auftauchen bewahrt vor dem realen Untergang. Was in diesen Momenten passiert, ist eine Inauguration der Zuseher, ein Aufrichten des Selbst zur Bedeutung, unbedingt notwendig, um Selbstakzeptanz auf die Reihe zu kriegen. Und weil sie das nicht selber an sich vermögen, ranken sie sich hoch an etwas, das doch selbst nur aufgrund vieler gebündelter Einzelprojektionen besteht. Es sind abgeschobene Selbstverachtungen, die an Außenexponaten sich entwickeln, um dann transformiert als Selbstbeachtungen zu ihrem Ausgangspunkt zurückzukehren. Es geht dabei um Instandsetzung und Inachtsetzung.

Diese Gebundenheit folgt keiner reflektierten Bestimmung, sondern einer ängstlichen Anhänglichkeit. Es ist nichts anderes als die autoritäre Haltung, mag diese auch des öfteren die Objekte wechseln. Letztlich steht jene unter einem Bann, den sie aber nicht lösen, sondern dem sie sich ergeben will. Gerade unnahbare Autorität erzeugt, ist sie nur stark genug, Aura. Aura sitzt nicht im Objekt, sondern im Subjekt. Aura ist eine kollektive Halluzination, die nicht vom Gegenstand herrührt, sondern in ihn als gar Ursprüngliches und Echtes hinein- und herausgeheimnisst wird. Dort wie da ist das mystische Leuchten der Widerschein einer Beleuchtung. Und wenn man genau schaut: die eines Scheinwerfers.

Die Projektion ist eine Introjektion, was meint das Hineinlegen des eigenen Erlebens und Fühlens in ein Äußeres. „Ausdruck des Indrucks“, um eine Formulierung Robert Musils zu entwenden. Die Introjektion ist aber in keiner Hinsicht eine Introspektion, sie hat nichts mit reflektierter Innenschau oder kritischer Selbstbeobachtung zu tun. Im Gegenteil, das Subjekt erlebt gerade ob seiner Ahnungslosigkeit ein hohes Maß an Selbstzufriedenheit. Seine Gewissheit fühlt sich in Einklang mit der Welt. Stimmung erzeugt Einstimmung erzeugt Übereinstimmung. Was sich vergnügt, genügt. Es ist ein ins Rasen geratener Ablauf, wo die einzelnen Stufen nur noch analytisch, aber keineswegs mehr formal auseinander gehalten werden können. „Ich fahre auf etwas ab“, heißt auch: „Es fährt mit mir Schlitten“. Wahrlich, was da abgeht – siehe oben -, ist ein massenhaftes „Hineinlegen des eigenen Erlebens. “

Was eine persönliche Vorliebe und ein inniges Verhältnis sein will, ist aber bloß eine funktionelle Blendung. Würde man seinen Promi wöchentlich treffen, wäre er schnell entzaubert. Gerade die reale Distanz ermöglicht auf Seiten des Fans Intimität, da jene den Spielraum der Projektion erweitert. Was könnte daher zweckdienlicher sein als der Tod? Denn was an Helden und Stars stört, ist, dass sie im Körper eines Menschen stecken. Obwohl dieser einmal (im Unterschied etwa zu Göttern) eine Voraussetzung gewesen ist, bleibt er mitnichten eine Bedingung. Im Gegenteil, ist der Held tot, wird er erst wirklich unsterblich.

Geister

Von besonderer Güte ist noch immer der Helden Tod als Heldentod. Das gilt nicht nur für Jesus Christus oder Che Guevara, sondern auch abgeschwächt für Unfallopfer wie Jochen Rindt oder Falco. Falco, so wird uns mehrfach versichert, sei zum richtigen Zeitpunkt gestorben. Das ist nicht falsch. Nachdem der Popstar seine innovative Phase hinter sich gelassen hatte und sich nur noch persiflierte, war der Tod jenes Ereignis, das der Marke wieder Zugkraft am Markt bescherte. Da vermag die Projektionsfläche sich gegen keine Projektion mehr wehren. Wenn der Gebrauchswert Mensch sich verabschiedet hat, kann das Ausschlachten seines Tauschwerts so richtig beginnen.

Ziel der Überhöhung der Toten im Heldengedenken ist die Eternisierung. Sie sollen uns erhalten bleiben. Als Geister. Irgendwelche Toten gehen immer voran. In der Radetzky-Gruft auf dem niederösterreichischen Heldenberg lesen wir: „Nicht wir, die Geschichte, die die Wahrheit an den Tag bringt, bleibt unser Richter und es gibt nichts Erregenderes auf Erden, als ein vorleuchtendes Beispiel zu werden. Des Lebens Höchstes ist die That. “

Leuchtend ist die erregende Tat. Da steckt viel Wahrheit in diesem monströsen Spruch. Ein Rundgang auf dem Heldenberg macht einem das durchaus, nein: nicht bewusst, sondern physiologisch begreifbar. Bloßes Wissen gegen solch gemeines Postulat erweist sich in den meisten Fällen als unterlegen. Heldenberge sind Leichenberge. Sie dienen nicht als Mahnmale, sondern als Denkmale. Sie klagen nicht an, sie fordern auf. Wir sollten uns nicht zu sicher sein, wozu wir nicht alles fähig sein könnten.