Wissensallmende – wieviel Raub ist erlaubt?

Rezension eines Attac-Buches

Streifzüge 34/2005

KOLUMNE Immaterial World

von Stefan Meretz

Ein Autoren-Trio hat ein Büchlein vorgelegt, in dem die Arbeitsergebnisse der Attac-AG „Wissensallmende“ (BRD) zusammengetragen werden. 1 Ziel der Schrift ist es, bislang getrennt behandelte Themen aus dem breiten Feld des so genannten „geistigen Eigentums“ zusammenzuführen. Gleich zu Beginn stellen die Autoren klar, dass es sich beim „geistigen Eigentum“ um einen „Kampfbegriff der Befürworter der Ausweitung geistiger Monopole“ (9) handelt, und verwenden in der Folge den treffenden Begriff der „geistigen Monopolrechte“. 2

Der positive Gegenbegriff ist die „Wissensallmende“, womit der „gemeinsame Schatz frei verfügbaren Wissens (Texte, Photos, Computer-Code oder Saatgut)“ (10) gemeint ist. „Allmende“ ist eine mittelalterliche Form des Gemeineigentums, das in der Durchsetzungsphase des Kapitalismus mehr oder weniger gewaltförmig abgeschafft und privatisiert wurde. Diese Analogie verweist darauf, dass die Autoren die gegenwärtige Phase des Kapitalismus als zweite historische „Enteignungswelle“ ansehen – nur gehe es jetzt um das kumulierte Wissen der Menschheit.

Mit Hilfe der Biotechnologie werden Gencodes von Pflanzen, Tieren und Menschen entschlüsselt, die die Basis für neue Produkte bilden. Gentechnisch produzierte Güter wie Arzneimittel, Saatgut, Lebensmittel, Zusatzstoffe etc. werden in naher Zukunft traditionell hergestellte Produkte in ihrer ökonomischen Bedeutung ablösen. Patent- und Sortenschutzrechte garantieren zeitlich befristete Nutzungsmonopole. Die noch nicht kapitalisierten Bereiche der Natur werden der Verwertungslogik unterworfen.

Die Folgen sind gravierend: „96% der angemeldeten Patente entfallen … auf die OECD-Länder… Durch die Zahlungen von Lizenzgebühren für Patente entstehen hohe Nettotransfers aus den Ländern des Südens in den Norden…“ (20). Dazu kommen die Werttransfers aufgrund der Monopolpreise, die für patentgeschützte Produkte gezahlt werden müssen – sofern die Länder dazu überhaupt in der Lage sind. Das Beispiel patentierter AIDS-Medikamente zeigt, dass Patente täglich das Leben von Menschen kosten.

Im Bereich des Saatguts wurde das Sortenschutzrecht aufgerüstet, so dass es in seiner Wirkung Patenten gleichkommt. Genmanipuliertes Saatgut wird nun nicht mehr im klassischen Sinne „verkauft“, sondern ein Lizenzvertrag regelt die eingeschränkten „Nutzungsrechte“. Dazu gehört häufig das Verbot der Nutzung der Ernte zur Wiederaussaat. In einem spektakulären Verfahren wurden der Firma Monsanto sogar Kontrollrechte an durch Windverwehung ausgesätem Genraps auf fremden Feldern zugesprochen. Mehr noch: Dem betroffenen Bauern wurde die Wiederaussaat der eigenen Ernte verboten, da diese mit patentiertem Genraps vermischt sei.

Im Internet sorgt die digitale Form für die Entwicklung von vielfältigen Anwendungen. Als globale Kopiermaschine überträgt das Internet alles, was sich digitalisieren lässt: Musik, Filme, Software, Landkarten etc. Bei den traditionellen Rundfunkmedien sind die Rollen von Sender und Empfänger klar festgelegt. Bei neuen internetbasierten Kommunikationsformen wie Peer-to-Peer, bei denen die NutzerInnen direkt miteinander kommunizieren und Inhalte austauschen, ist diese eindeutige Zuweisung und damit die Kontrolle nicht vorhanden. Mit der Freien Software hat sich zudem eine neue Produktionsweise entwickelt, die jenseits der Warenform nützliche Produkte entwickelt und zur Verfügung stellt.

Ein verschärftes Urheberrecht, Softwarepatente und hardwarebasierte Kontrollmechanismen (DRM3) sollen die entglittene Kontrolle über die Inhalte und entgangene Profite wieder zurückbringen. Eine massive Klagewelle gegen so genannte „Raubkopierer“ soll, begleitet von einer breiten Propagandakampagne, die NutzerInnen zur Räson bringen. Mit der neuen Windows-Version („Longhorn“) erscheint 2006 ein DRM-fähiges Betriebssystem, mit dem die volle Kontrolle des individuellen PCs möglich werden soll.

Theoretisch argumentieren die Autoren aus zwei (verwandten) Perspektiven. Der neoklassischen Theorie wird versucht nachzuweisen, dass die proklamierten Ziele nicht erreicht werden können. Ein Restriktionsregime wird dennoch für legitim gehalten: „Die meisten geistigen Monopolrechte haben massive Nachteile, die nur zu rechtfertigen sind, wenn ihnen entsprechende Vorteile gegenüberstehen.“ (72)

In einer zweiten Argumentationslinie wird die globale Etablierung geistiger Eigentumsrechte als Versuch großer Konzerne verstanden, „rentenartige Einkommen einzustreichen“ (77). Begleitet werde diese „Enteignungsökonomie“ von einer Welle der Privatisierungen öffentlicher Infrastrukturen: „Aber auch Raubkriege … sind Teil der gegenwärtig ablaufenden Enteignungswelle. “

Als Alternative schlagen die Autoren eine „Kulturflatrate“ (Abgabe auf Internetanschlüsse und Hardware) oder am besten gleich eine „Kultursteuer“ vor. Staatliche Umverteilung soll die Einkommen der „Kreativen“ sichern. Dass der Vormarsch geistiger Monopolrechte genau Ausdruck der Verwertungskrise ist, die auch die staatlichen Umverteilungsmöglichkeiten zunehmend reduziert, wird jedoch ausgeblendet.

Das Buch gibt einen sehr guten Überblick über das breite Themenfeld der geistigen Monopolrechte. Trotz der Klarheit in den beschreibenden Passagen können sich die Autoren nicht zur Forderung nach Abschaffung aller geistigen Monopolrechte durchringen. Stattdessen sollen diese in „sinnvolle Schranken“ verwiesen werden um „wieder eine Balance zwischen den Interessen der ProduzentInnen und der KonsumentInnen“ (81) zu finden. Einer „falschen“ (neoliberalen) Politik müsse eine „richtige“ (staatsbasierte) entgegengesetzt werden um die Verwerfungen zu beseitigen. Obwohl ansatzweise richtig analysiert, wird damit nicht begriffen, dass es sich um einen objektiven Prozess des zerfallenden Kapitalismus handelt, der im Zerfall sein destruktives Potenzial entfaltet.


Anmerkungen

1 Bödeker, S. ; Moldenhauer, O. ; Rubbel, B. , Wissensallmende. Gegen die Privatisierung des Wissens der Welt durch „geistige Eigentumsrechte“, Hamburg, die Seitenangaben im Text beziehen sich auf das Buch. Online: http://www.attac.de/wissensallmende/basistext

2 Vgl. Meretz, S. , Geistiges Eigentum. Rechtsfetisch sui generis, in: Streifzüge 31/2004, S. 19.

3 Vgl. Meretz, S. , Digital Restriction Management, in: Streifzüge 33/2004, S. 28.