Seht die Lilien an, wie sie wachsen
Andreas Exner
Das Grundeinkommen ist im Kommen. Bürgermeister Häupl fand es im Wahlkampf noch echt sympathisch, und die Grünen waren schon einmal dafür. Brasilien schließlich hat seine Einführung auf dem Papier beschlossen. Ein Grund zur Freude oder zur Besorgnis?
Stellen sie sich einmal vor, Sie sind bei Armin Assinger zu Gast. Armin kärntnert Ihnen seine Frage ins Gesicht: „Woher stammt folgende Aussage: Wer nicht arbeitet, soll auch nicht essen? Vom Apostel Paulus, aus der sowjetischen Verfassung, aus dem Volksmund oder aber von der FPÖ? “ Vielleicht schielen Sie schon nach dem Joker – und können doch in Wahrheit gar nichts Falsches sagen. Denn richtig sind die Antworten alle vier. Bekanntlich ist der Spruch, dass Brot nur gegen Schweiß zu haben sei, ein Teil der christlichen Schöpfungsmythologie. Doch schon in der Bibel regt sich Widerspruch: „Seht die Lilien an, wie sie wachsen: sie spinnen nicht, sie weben nicht“ – und sind doch gut gekleidet, sagt uns Jesus, wollen wir Matthäus glauben. Die Sowjets waren vom Müßiggang der Lilien weit weniger begeistert. Ihre Dreifaltigkeit bestand aus Arbeit, Hammer, Sichel. Freilich ist das Hohelied der Arbeit kein linkes Monopol. Im Gegenteil: Wo immer wir vom Recht auf Leben sprechen hören, da ist meist die Pflicht zur Arbeit mitgedacht.
Pflicht ohne Erfüllung.
Diese Pflicht auch zu erfüllen fällt heute vielen schwer. Massenarbeitslosigkeit und Prekarisierung sind die nicht mehr gar so neue Normalität. Als in den 1980ern viele von einem „Ende der Arbeitsgesellschaft“ sprachen, bekam auch die alte Idee eines bedingungslosen, das heißt weder an Arbeitsleistung noch -bereitschaft gekoppelten Grundeinkommens (GE) Aufwind. Doch mit dem Siegeszug des Neoliberalismus wurde es wieder ruhiger um das GE. Erst nach dem Scheitern diverser Vollbeschäftigungsrezepte kommt es nun wieder aufs Tapet.
Die Idee ist nach wie vor sehr einfach, und immer noch stößt sie die meisten Menschen vor den Kopf: Geld soll es auch ohne Arbeit geben. Denn Leben – so die Proponenten – sei unbedingtes Menschenrecht. In einer Marktwirtschaft ist Leben aber nur mit Geldeinkommen möglich. Daraus folge: Es gibt ein bedingungsloses, individuelles Recht auf GE. Arbeitslosigkeit, das Phänomen von „Armut trotz Arbeit“, Prekarisierung und die Diskriminierung der unbezahlten „Arbeit“ in Ehrenamt, Haushalt, Beziehungen und im Bereich des „life long learning“ verliehen dieser Forderung weiter Nachdruck. Das GE böte endlich ein sicheres soziales Netz ohne Willkür, Diskriminierung und bürokratische Repression.
Von Niedriglohn bis Sozialismus.
Grundeinkommen müsse die gesellschaftliche Teilhabe aller garantieren – das betonen jene, die es fordern. Doch sei, so hält die GE-Kritik dagegen, damit noch nichts über die gesellschaftlichen Rahmenbedingungen gesagt und auch nicht über die realpolitische Chance einer Umsetzung in der gewünschten Höhe. Dass das GE bloß als eine „monetäre Armensuppe“ realisiert würde, ist eine oft geäußerte Befürchtung. Ein GE könnte den Widerstand gegen weiteren Sozialabbau schwächen, so lautet eine weitere. Zweifellos: Ein GE nach der Devise „zum Sterben zu viel, zum Leben zu wenig“ ist kein Fortschritt. Sind öffentliche Dienste privatisiert, so müsste es zudem zum guten Teil für Bildung, Transport, Wohnung und Gesundheitsdienste ausgegeben werden. Nun ist zwar Legende, dass das GE eine neoliberale Erfindung sei. Allerdings kommt eine ähnliche Forderung tatsächlich auch aus dieser Ecke, meist unter dem Titel „Bürgergeld“ oder „Grundsicherung“. Entsprechend kärglich ausgestaltet und an den Zwang zu „Gemeinwesenarbeit“ gekoppelt, wirkt eine solche „Sozialleistung“ wie eine Subvention von Niedriglöhnen. Wer Bürgergeld erhält, kann und muss es sich ja leisten, extrem gering entlohnte Jobs zu machen. Hier wäre von einer befreienden Wirkung also keine Spur. Für bedeutend höhere Beträge und ein striktes Nein zum Arbeitszwang steht freilich die GE-Debatte, insbesondere ihr linker Flügel – 1.000 Euro pro Monat werden da oft genannt, mitunter im Verein mit Mindestlöhnen, Arbeitszeitverkürzung und dem kostenlosen Angebot von Wohnung, Gesundheitsdiensten, Bildung und von Öffis. Selbst in dieser Höhe wäre nach wie vor ein Anreiz zur Lohnarbeit gegeben, meinen viele. Denn das GE wäre ein Betrag, der bei wachsendem Erwerbseinkommen sukzessive niedriger würde. Es würde zwar formal an alle ausbezahlt, doch profitierten realiter nur die Ärmeren – je nach Zuverdienst.
Schmiermittel der Revolution?
Soll das neoliberale Bürgergeld wie auch so manche rechtsliberale Variante des GE ein ungehemmtes Marktgetriebe schmieren, so bezweckt die linksliberale Mitte mit dem GE, den Kapitalismus zu verschönern. Hingegen will die mehr oder weniger radikale Linke auf diese Weise ein Kuckucksei im Nest des Kapitals platzieren. Es sei im Prinzip genug für alle da, so wird von linker Seite oft betont – doch nicht im Kapitalismus. Dem Gerede vom Mangel und vom Sparzwang sei die Rede von Fülle und von Solidarität entgegenzusetzen. Arbeitslosigkeit sei Frucht der Produktivität, und die sei gut. Doch äußere sie sich im Kapitalismus als eine Plage, weil das Leben an Erwerbsarbeit gekoppelt ist. Das GE würde die Produktivitätsgewinne gerechter verteilen, der technologischen Verdrängung von menschlicher Arbeitskraft den Stachel ziehen und – das ist die „revolutionäre Hoffnung“ – „freie Kooperation“ abseits von „entfremdeter Lohnarbeit“ und Staatsintervention ermöglichen.
Aus feministischer Sicht schließlich soll das GE die Unabhängigkeit von Frauen stärken. Umstritten ist dabei mitunter, ob seine Einführung Frauen nicht „zurück an den Herd“ verbanne: GE-gestützte Frauen mit niedrigem Erwerbseinkommen würden sich tendenziell auf die Haushaltsarbeit konzentrieren, wird eingewandt, während der Anreiz, auf Lohnarbeit zu verzichten, für die besser verdienenden Männer geringer wäre. Dass das GE sexistische Diskriminierung per se beseitige, glaubt auch die Pro-GE-Fraktion nicht, es mache ökonomisch Schwächere aber autonomer, wird betont.
Emanzipation auf Pump?
Angesichts dieses Meinungs-Potpourris scheint das GE selbst politisch beinahe so „neutral“ wie die Forderung nach Löhnen. Entscheidend dürfte weniger die Forderung selber sein, sondern vielmehr, wie das GE formuliert, erkämpft und realisiert wird: Wird es etwa an neoliberale Vorstellungen von „Finanzierbarkeit“ gebunden? Oder nimmt man eine Finanzierung über Staatsverschuldung – die wohl einzig realistische Option – schlicht in Kauf? Zwar ist Verschuldung ein Mega-Tabu der Neoliberalen. Doch tatsächlich ist der Staatskredit die ultima ratio noch jeder Sozial- und Wirtschaftspolitik gewesen. Seine ökonomische Problematik bekümmert die radikale Linke dabei naturgemäß erheblich weniger als jene, die an die Zukunftsfähigkeit des Kapitalismus glauben.