Schulung, eine Schimäre

AUGUSTIN Nr. 168, Oktober 2/05

von Maria Wölflingseder

Über die hilflosen Konzepte der „Weiterbildung für Arbeitslose“

Während arbeitslosen AkademikerInnen bei der Jobsuche ihre „Überqualifikation“ zumVerhängnis wird, schwören die staatstragenden Kräfte inklusive Arbeiterkammer und Van der Bellen auf der „Weiterbildung“ als Schlüssel für das Tor zurück ins Berufsleben. Die Pädagogin und Autorin Maria Wölflingseder versucht im Folgenden die These zu begründen, dass AMS-Schulungen und VHS-Erwachsenenbildung Illusionsveranstaltungen sind.

War es nicht ein uralter Menschheitstraum weniger arbeiten zu müssen? Um endlich Zeit zu haben für’s „eigentliche Leben“? Heute ist es endlich so weit aufgrund der enorm gestiegenen Arbeitsproduktivität. Aber gerade in ihrem Absterben entpuppt sich die Arbeit als totalitäre Macht, die keinen Gott neben sich duldet. Vom Papst bis zur Weltbank, von den Gewerkschaften bis zu den Parteien aller Couleur, bis hin zu vermeintlich gesellschaftskritischen Medien und Personen, sie alle kennen nur eine Parole: Arbeit, Arbeit, Arbeit! Die in Deutschland lebende österreichische Bestsellerautorin Eva Menasse macht an vorderster Front – u. a. gemeinsam mit den schreibenden, preisgekrönten Newcomern Juli Zeh und Feridun Zaimoglu – Wahlwerbung für Gerhard Schröder. Aber nicht etwa wie früher, als SchriftstellerInnen das linke Gewissen verkörperten. Eva Menasse (er)kennt da gar nix: sie geißelt die Massenarbeitslosigkeit als eine von den Medien erfundene „Parallelwelt“ und ihr Kollege Michael Kumpfmüller begründet sein Wahlengagement für die SPD mit der „gefräßigen Gesellschaft“, vor der man den Staat schützen müsse. – Und das in einem Land, in dem mit Hartz IV den Menschen massenhaft ihre Lebensgrundlage entzogen wird.

In Österreich halten viele die Grünen für eine kritische Kraft. Aber Ihrem Chef Alexander van der Bellen fällt zum Thema Arbeitslosigkeit nichts anderes ein als die üblichen Platitüden: höheres Wirtschaftswachstum; ein ernst zu nehmendes Weiterbildungsprogramm für die wachsende Gruppe der arbeitslosen 50- bis 60-Jährigen; und bei den Niedriglohn-Jobs müssen die Einkommen steigen, ohne dass Unternehmen(! ) mehr zahlen. Auch der Schwerpunkt zum Thema Arbeit in der grünen Zeitschrift „planet“, kann einen an der Existenz jeglicher Kritikfähigkeit zweifeln lassen? Von fundierter Gesellschaftsanalyse auch hier kein Sterbenswörtchen.

Schon die Fragestellung in manchen Artikeln sagt mehr über die Autoren als fanatische Anhänger der totalitären Religion Arbeit aus als über das Wesen der Arbeitslosigkeit. In der Stadtzeitung „Falter“ wird auf zwei Seiten erörtert, wer denn Schuld habe, dass in Wien mehr Menschen ohne Job seien als im übrigen Österreich. Ob das der Bürgermeister und seine Regierung zu verantworten haben? Dieses im wörtlichen Sinn kleinkarierte Denken verfehlt ihren Gegenstand – die Gesellschaftsanalyse – trotz himmelschreiender Verhältnisse meilenweit!

Die Forderungen der Arbeiterkammer nach mehr AMS-Angestellten und mehr Weiterbildung für Arbeitslose, die alle anderen gebetsmühlenartig wiederholen, können nur auf krassen Realitätsverlust schließen lassen. Erstens werden allzu viele arbeitslose AkademikerInnen als überqualifiziert abgelehnt, zweitens wie soll Weiterbildung Arbeitsplätze schaffen – außer für die Lehrenden? Aber in Wirklichkeit geht es wohl nur darum, die Menschen aus der Statistik draußen und in einem Kurs zwangsuntergebracht zu haben.

In der Krise wird Bildung zum „schnell verfügbaren Sinnersatz“

Die Erfolgsstory der allerorts geforderten Bildung sehen die Münchner Pädagogikprofessoren Karlheinz Geißler und Frank Michael Orthey in ihrer Tradition von Aufklärung und Emanzipation. Sie ist sakrosankt, ähnlich wie Gerechtigkeit oder Liebe. Im „schulheft“ mit dem Titel „Pädagogisierung – Die Kunst, Menschen mittels Lernen immer dümmer zu machen“ schreiben sie, Bildung sei in der Krise besonders attraktiv. Sie wird zum „schnell verfügbaren Sinnersatz“. Wenn der reale Erfolg – z. B. eine Jobchance – immer dürftiger wird, gerät Bildung immer mehr zum Selbstzweck. Klar, es gibt immer wieder jemanden den eine Schulung „gerettet“ hat, genauso wie immer wieder ein Lottosechser jemanden vor dem sicheren Ruin bewahrt. Deshalb „glauben“ alle an die Bildung und an das Glücksspiel.

Gesellschaftliche Probleme werden damit aber nicht gelöst, sondern der Einzelne wird für sein Glück oder Unglück selbst verantwortlich gemacht. Bildung ist ein „lebenslänglicher Standardausweg“. Die Vorstellung, die Zukunft werde durch Bildung besser und gestaltbar, lenkt von der Gegenwart und ihren Problemen ab. Das Defizit steht im Mittelpunkt: Wenn der Erfolg trotz Bildung ausbleibt, habe ich falsch oder das Falsche gelernt. Zurück an den Start!

Geißler analysiert treffend: Erwachsenenbildung, insbesondere die Institution Volkshochschule, stellt heute ein „Arrangement für personale Innenausstattung“ dar; „sie dient als Orientierungsmedium innerhalb der Vielzahl von Lebensstilen und Wertvorstellungen“, denen die Menschen oft nicht gewachsen sind. Die VHS wird immer mehr zur „zentralen, relativ unverbindlichen Bindung in einem weitgehend bindungslosen Lebenskonzept“. Die VHS klärt nicht über die Realität auf, sondern produziert Realität, die vom Schein lebt. Denn die Glücksversprechen werden in einer Marktgesellschaft (speziell in einer kapitalistischen) nicht erfüllt, da ja an den Versprechungen verdient wird und nicht an der Erfüllung dieser Versprechungen. Für Geißler ist Erwachsenenbildung neben dem Fernsehen „die größte Illusionsveranstaltung in unserer Republik“.

Und sein etwas beiläufiger Satz: „Ach ja, vielleicht lernen wir ja nur, weil wir nicht aufhören können zu arbeiten“, trifft jedoch einen Zentralnerv des Bildungsterrors. Das immer größer werdende Heer der Arbeitslosen erhofft sich nämlich von Kursen und Umschulungen nicht nur eine Jobchance, sondern all die Aus- und Weiterbildungen dienen oft schlicht ihrer Existenzberechtigung. Diese wird ja Arbeitslosen als nicht vollwertige Mitglieder der Gesellschaft abgesprochen. Es geht bei der immerzu geforderten Weiterbildung also nicht darum, sich anzueignen, was einen interessiert, nicht darum, sich in das zu vertiefen, was einen in den Bann zieht, sondern erstens um pure Nützlichkeit im Sinne der verrückten Logik der Warenwelt: ich soll das lernen, was mir angeblich beruflichen Erfolg bringt; zweitens sollen die massenhaften teuren Bildungsangebote dazu dienen, die Wirtschaft ankurbeln und drittens geht es um eine „Beschäftigung“ für Arbeitslose, um die Fortsetzung der sinnlosen Lohnarbeitstretmühle mit anderen Mitteln. Geißler bringt es auf den Punkt: „Das lebenslange Lernen ist eine Form, das Leben zu umgehen.“

Geld hat doch wenig Heiz- und Nährwert!

Reichtum existiert in der modernen kapitalistischen Gesellschaft immer doppelt: als sinnlich-stofflicher Reichtum (Nahrung, Häuser, Kleidung etc. ) und als Geldreichtum. Der sinnlich-stoffliche Reichtum hat aber keine eigene Existenzberechtigung, sondern nur eine als abstrakter Geldreichtum, also, wenn er zur Ware wird. In der kapitalistische Gesellschaft wäre es überhaupt kein Problem genug Güter für alle bereitzustellen, es ist nur ein Problem sie immerzu in Geld, in Ware, in Wert zu verwandeln. Die allgemeine Finanzierungskrise ist also keine Erfindung übel wollender Herrschender. Sie ist die logische Folge der Entkoppelung der Reichtumsproduktion von der Arbeit. Das heißt, es könnten problemlos alle Menschen auf der Erde gut versorgt werden, ohne dass alle 40 Stunden hackeln müssten. Die Menschen verdienen dann zwar weniger oder kein Geld, aber es ist alles in Hülle und Fülle vorhanden. Also steht das Geld bzw. Nicht-Geld nur mehr als Hindernis zwischen den Menschen und ihrer Versorgung! Deshalb klafft das, was für die Wirtschaft gut ist und das, was für die Menschen gut ist immer weiter auseinander! Jedoch wird stets versucht uns das Gegenteil einzubläuen. Früher war Realitätsverlust ein klinisches Symptom, heute ist er zum Sozialisationsziel aufgestiegen. Ganz „positiv denkend“ folgen heute alle der Arbeitssekte.

Die mörderische Warenlogik, der Zwang, dass alles erst zur Ware werden und gekauft werden muss, bevor es genossen werden darf, ist totalitär geworden. Der Wert ist kein krudes wirtschaftliches Ding, sondern totale gesellschaftliche Form: auch Subjekt- und Denkform. Die Forderung, die Politik müsse wieder mehr Verantwortung übernehmen, zeugt von wenig Kenntnis über das Wesen des Kapitalismus. Was soll denn Politik heute ausrichten? Politik und mit ihr Demokratie sind Hand in Hand mit dem Kapital groß geworden. Sie sind eisern aneinander gekettet. Demokratie, Marktwirtschaft und (Menschen-)Rechte sind nur Wurmfortsätze des Kapitalismus. „Politik ist die Kunst, die Leute daran zu hindern, sich um das zu kümmern, was sie angeht“, schrieb Paul Valery. Das moderne demokratische Bewusstsein ist Ausdruck des warenförmigen Denkens, das seine eigenen Schranken nicht einmal mehr erkennen kann und sich deshalb jede Lösung der sozialen Probleme nur auf der Basis von Arbeit und Geld im Rahmen von Wirtschaftswachstum vorstellen kann. Für die meisten Menschen ist eine selbstbestimmte Produktion und Verteilung von Gütern ohne Tausch und ohne Zwang undenkbar. Woher rührt bloß die panische Angst, über die todbringende Logik des kapitalistischen Systems hinauszudenken? Wir sind doch alle so political correct, aber die wahnsinnigen Auswirkungen des Kapitalismus nehmen wir einfach hin. Die Forderung kann heute nur noch heißen: Angriff auf die Herrschaft der heutigen Form von Arbeit und Ökonomie.


Literatur:

Manifest gegen die Arbeit, hg. von der Krisis, erhältlich bei der Zeitschrift „Streifzüge“, 3,50 Euro, auch online verfügbar: www.streifzuege.org

schulheft Nr. 116/2004, Innsbruck: Pädagogisierung – Die Kunst, Menschen mittels Lernen immer dümmer zu machen, hg. von Erich Ribolits und Johannes Zuber.

Maria Wölflingseder: „Je mehr Magenschmerzen, desto süßer lächeln sie“, in: Dead Men Working. Gebrauchsanweisungen zur Arbeits- und Sozialkritik in Zeiten kapitalistischen Amoklaufs hg. von Ernst Lohoff, Norbert Trenkle, Karl-Heinz Lewed, Maria Wölflingseder, Münster 2004.