Gnade statt Recht (2005)
Deserteure warten weiterhin auf Rehabilitierung
von Franz Schandl
Die Republik Österreich demonstriert einmal mehr, was man mit so einem Gedenkjahr alles anstellen kann. Konjunktur hat vor allem ein amtlich betriebener Antifaschismus, der freilich mit den einstigen Auseinandersetzungen wenig zu tun hat. Das alles nimmt ziemlich schräge Züge an und geht auch auf Kosten der Wahrheit. Die Kommunisten etwa, die bedeutendste Kraft des antinazistischen Kampfes werden puncto Widerstand weitgehend totgeschwiegen oder, wenn es hoch herkommt, taxativ an letzter Stelle gereiht. Schön langsam gewinnt man hierzulande überhaupt den Eindruck, dass der antifaschistische Widerstand primär eine Sache der christlichsozialen Austrofaschisten gewesen sei. Mit Krukenkreuz gegen Hakenkreuz.
Doch dieser „antifaschistische Spuk“ findet seine patriotischen Grenzen im Materiellen. Unsere Nazis gehen nämlich noch immer jenen vor, die sich der Wehrmacht entzogen und widersetzt haben. So erhalten SSler ganz selbstverständlich Rente für die Jahre des Mordens, während man sie jenen tapferen Männern, die sich der Mordmaschine verweigerten, vorenthält. Das von der Haider-FPÖ geführte Sozialministerium drückt dies in einer parlamentarischen Anfragebeantwortung so aus: „Zeiten einer wegen Desertion verhängten Haft in Gefängnissen, Werhmachtsstraf- oder Konzentrationslagern können grundsätzlich nicht als Ersatzzeiten in der österreichischen Pensionsversicherung angerechnet werden.“ Desertion sei eben ein strafbares Delikt, da sind sich Drittes Reich und Zweite Republik einig.
Nicht Recht gestand man den Deserteuren und Wehrmachtsverweigerern zu, sondern bloß Gnade. Die sogenannte „Befreiungsamnestie“ von 1946 sah nur von einer Bestrafung ab, als Schuldige galten sie weiterhin und wurden in der Bevölkerung auch als solche angesehen. Geächtet blieben sie auch in der Demokratie. Ihr Verstoß gegen die Volksgemeinschaft wurde ihnen auch weiterhin als Verrat ausgelegt. Sollen froh sein, dass sie leben, früher hätte man das „Gesindel“ sowieso aufgehängt, erschossen, geköpft oder (welch Glück für sie) nur ins Lager überstellt. Wie sagte doch der selige Adolf: „An der Front kann man sterben, als Deserteur muss man sterben. “
Auch bei Entschädigungszahlungen gehen diese Widerstandskämpfer „zweiter“ Klasse meist leer aus. So lehnte der 1995 eingerichtete Österreichische Nationalfonds die allermeisten diesbezüglichen Ansuchen ab. Man wünscht zu wissen, ob wirklich politische Motive der Fahnenflucht zugrunde lagen. Doch wie soll das schlüssig bewiesen werden? Durch die Bestätigung eines Offiziers der Wehrmacht? Auch wenn manche lediglich ihre Haut retten wollten, ist dies in keiner Hinsicht ehrenrührig. Für sie alle spricht: Sie haben andere nicht geopfert und sie wollten sich nicht opfern. Dafür haben sie einiges riskiert. Das ist doch schon mal eine solide Grundlage für einen Menschen.
Aber seien wir sicher, jetzt wird es anders. Knapp bevor die letzten Wehrmachtsdeserteure verstorben sind, werden Präsident oder Kanzler den dann über Achtzigjährigen ihre Aufwartung machen und alles in Ordnung bringen. Das tut nicht mehr weh, belastet keine Staatskassen und lässt die Repräsentanten der Republik in einem guten Licht erscheinen. Vor allem vor ausländischen Kameras. War da was? – Aber geh! Missverständnisse seien das gewesen. Schwamm drüber! Vergessen wir es! Aussöhnung auf gut Österreichisch heißt, dass, erst wenn diese Söhne nicht mehr sind und sich nicht mehr wehren können, der Bann gegen sie aufgehoben wird und belobigende Worte sich ihrer bemächtigen. Und in die Annalen werden die einst Geächteten als Hochverehrte eingehen. So will es die Tradition.
21. Februar 2005