Die Abschaffung der Arbeit
von Bob Black (1985) (aus dem Amerikanischen übersetzt von Daniel Kulla, erschienen bei Werner Pieper & The Grüne Kraft, Löhrbach 2003)
Erscheinungsort der Übersetzung: ,
zum amerikanischen Originaltext
Niemand sollte jemals arbeiten.
Arbeit ist die Ursache nahezu allen Elends in der Welt. Fast jedes erdenkliche Übel geht aufs Arbeiten oder auf eine fürs Arbeiten eingerichtete Welt zurück. Um das Leiden zu beenden, müssen wir aufhören zu arbeiten.
Das bedeutet nicht, daß wir aufhören sollten, Dinge zu tun. Vielmehr sollten wir eine neue Lebensweise schaffen, der das Spielen zugrundeliegt; sozusagen eine spielerische Revolution. Unter Spielen verstehe ich dabei ebenso Feierlichkeiten, Kreativität, Geselligkeit, commensality und vielleicht sogar Kunst. Spielen umfaßt mehr als bloßes Kinderspiel, so wertvoll das auch sein mag. Ich fordere ein kollektives Abenteuer allgemeiner Freude in freiem und gegenseitigem Überschwang. Spielen hat nichts Passives an sich. Ohne Zweifel brauchen wir alle viel mehr Zeit fürs Faulsein und Herumlungern als gegenwärtig, unabhängig vom Einkommen oder der Beschäftigung, doch wenn wir uns erst von der beschäftigungsbasierten Verausgabung unserer Kräfte erholt haben werden, werden beinahe alle von uns wieder tätig werden wollen. Oblomowismus1 und Stachanowismus2 sind zwei Seiten derselben entwerteten Münze.
Spielerisches Leben ist völlig unkompatibel zur bestehenden Wirklichkeit. Das sagt alles über die „Wirklichkeit“, das Schwerkraftloch, das dem Wenigen im Leben, das es noch vom bloßen Überleben unterscheidet, die Lebenskraft absaugt. Seltsamerweise – oder vielleicht auch nicht – sind alle alten Ideologien konservativ, weil sie an die Arbeit glauben. Manche von ihnen, wie der Marxismus oder die meisten Spielarten des Anarchismus, glauben an die Arbeit umso inbrünstiger, als sie an so wenig anderes glauben.
Die Liberalen fordern ein Ende der Diskriminierung auf dem Arbeitsmarkt. Ich fordere ein Ende des Arbeitsmarktes. Die Konservativen unterstützen das Recht auf Arbeit. Mit Karl Marx‘ eigensinnigem Schwiegersohn Paul Lafargue unterstütze ich das „Recht auf Faulheit“. So wie die Surrealisten – abgesehen davon, daß ich es ernst meine – fordere ich volle Arbeitslosigkeit. Die Trotzkisten agitieren für die permanente Revolution. Ich agitiere für permanentes Feiern. Aber wenn alle Ideologen die Arbeit verteidigen, was sie ja tun, und das nicht nur, weil sie andere dazu bringen wollen, ihren Teil mitzumachen, geben sie es doch ungern zu. Sie führen endlose Debatten über Löhne, Arbeitsstunden, Arbeitsbedingungen, Ausbeutung, Produktivität und Gewinnchancen. Sie reden gern über alles – außer über die Arbeit selbst. Diese Experten, die sich anbieten, uns das Denken abzunehmen, teilen selten ihre Erkenntnisse über die Arbeit mit uns, trotz der Bedeutung für unser aller Leben. Untereinander streiten sie sich ein bißchen über die Einzelheiten. Gewerkschaften und Vorstände stimmen darin überein, daß wir unsere Lebenszeit fürs Überleben verkaufen sollen, wenngleich sie über den Preis verhandeln. Marxisten wollen, daß wir von Bürokraten geleitet werden. Die Freiheitlichen wollen, daß wir von Unternehmern geführt werden. Vom feministischen Standpunkt ist die Form der Leitung egal, solange die Bosse Frauen sind. All diese Ideologen haben ernste Differenzen über die Verteilung der Macht. Genauso klar ist, daß sie der Macht als solcher nicht widersprechen und daß sie uns alle am Arbeiten halten wollen.
Sie mögen sich fragen, ob ich nur scherze oder es ernst meine. Ich tue beides. Spielerisch sein heißt nicht lächerlich sein. Spielen ist nicht notwendigerweise oberflächlich, obwohl Oberflächlichkeit keineswegs gleich Trivialität ist: wir sollten Oberflächlichkeit öfter ernst nehmen. Ich möchte, daß das Leben ein Spiel ist – aber ein Spiel mit hohen Einsätzen. Ich möchte um dauerhafte Einsätze spielen.
Das Gegenteil von Arbeit ist nicht nur Faulheit. Kindlich und kindisch ist nicht dasselbe. So sehr ich die Lust der Trägheit schätze, ist sie doch wohl am lohnendsten, wenn sie anderen Genuß und Zeitvertreib unterbricht. Genausowenig werbe ich für das gelenkte und zeitlich festgelegte Notventil namens „Freizeit“; nichts läge mir ferner. Freizeit ist Nicht-Arbeit zum Nutzen der Arbeit. Freizeit ist die Zeit, die man damit verbringt, sich von der Arbeit zu erholen und verzweifelt zu versuchen, die Arbeit zu vergessen. Viele Leute kommen aus den Ferien so zerschlagen wieder, daß sie sich darauf freuen, wieder arbeiten zu gehen. Der wesentliche Unterschied zwischen Arbeit und Freizeit besteht darin, daß man bei der Arbeit wenigstens für die Entfremdung und Entnervung bezahlt wird.
Ich betreibe hier keine Wortklauberei. Wenn ich sage, daß ich die Arbeit abschaffen möchte, meine ich genau das, aber ich will mich deutlich ausdrücken, indem ich meine Begriffe auf nicht-idiotische Weise definiere. Mein Grundbegriff für Arbeit ist Zwangsarbeit, also erzwungene Tätigkeit. Beide Teile des Wortes sind von zentraler Bedeutung. Arbeit ist mithilfe von wirtschaftlichen oder politischen Mitteln erzwungene Produktion, mithilfe von Zuckerbrot oder Peitsche (Das Zuckerbrot ist letztlich auch nur eine Peitsche. ) Jedoch ist nicht alle schöpferische Tätigkeit Arbeit. Arbeit wird nie um ihrer selbst Willen verrichtet, sie wird mit dem Ziel geleistet, ein bestimmtes Produkt oder eine bestimmte Leistung zu erzeugen. Das ist das Wesen der Arbeit. Sie ist aber mesit noch viel schlimmer, als sie von der Definition her klingt. Die Triebkraft der Herrschaft, die der Arbeit innewohnt, führt mit der Zeit zu weiteren Teilentwicklungen. In modernen Arbeitsgesellschaften, ob kapitalistisch oder „kommunistisch“, weist Arbeit immer auch andere Attribute auf, die ihre Absurdität noch betonen.
Üblicherweise – und sogar eher in „kommunistischen“ als in kapitalistischen Ländern, wenn der Staat als einziger Arbeitgeber auftritt und nahezu jeder sein Beschäftigter ist – ist Arbeit Beschäftigung, also Lohnarbeit, also das Sich-Verkaufen an den Dienstplan. 95% der arbeitenden Amerikaner arbeiten für jemand anderen (oder etwas anderes). In der UdSSR oder auf Kuba oder in Jugoslawien oder nahezu jedem anderem Modell, das wir heranziehen, beträgt der Anteil 100%. Lediglich die umkämpften Bauernbastionen der Dritten Welt – Mexiko, Indien, Brasilien, die Türkei – genießen zeitweise den Schutz beträchtlicher Konzentrationen an Landwirten, die an der traditionellen Arbeitsorganisation der letzten paar Jahrhunderte festhalten, am Zahlen von Steuern (=Lösegeld) an den Staat oder von Pacht an parasitäre Grundherrn, um ansonsten von ihnen in Ruhe gelassen zu werden. Sogar diese eigentlich harte Übereinkunft erscheint mittlerweile als verhältnismäßig gut. Alle Arbeiter in der Industrie und im Büro sind Lohnabhängige und stehen unter einer Form von Beaufsichtigung, die für Unterwürfigkeit sorgt.
An moderner Arbeit hängt aber noch mehr. Leute arbeiten nicht nur, sie haben „Jobs“. Eine Person erledigt die ganze Zeit eine produktive Aufgabe auf einer Tun-oder-Rausfliegen-Grundlage. Auch wenn der Tätigkeit ein Quentchen Erfüllung innewohnt (was immer seltener vorkommt), zerstört doch die Eintönigkeit ihrer verbindlichen Ausschließlichkeit jedes spielerische Potential. Ein „Job“, der vielleicht für einen vernünftigen Zeitraum und für den Spaß an der Sache die Energien einiger Leute mobilisieren mag, ist nichts als eine Last für die, die ihn 40 Stunden in der Woche ausüben müssen, ohne Mitspracherecht, für den Profit eines Eigentümers, der selbst nichts zum Vorankommen beiträgt und ohne die Möglichkeit für die eigentlich Arbeitenden, die Aufgaben zu teilen und zu verteilen. Das ist die wirkliche Arbeitswelt: eine Welt voller bürokratischem Pfusch, sexueller Belästigung und Diskriminierung, voller knochenköpfiger Chefs, die ihre Untergebenen ausbeuten und verunglimpfen, welche eigentlich – nach allen rational-technischen Erwägungen – das Sagen haben sollten. Aber der real existierende Kapitalismus unterwirft die rationale Produktivitätssteigerung und Profitmaximierung den Erfordernissen organisatorischer Kontrolle.
Die Entwürdigung, die die meisten Arbeitenden bei ihren Jobs erleben, entspringt der Summe der verschiedensten Demütigungen, die unter dem Begriff „Disziplin“ zusammengefaßt werden können. Foucault hat dieses Phänomen komplexer dargestellt, aber es ist eigentlich ganz einfach. Disziplin besteht aus der Absolutheit der totalitären Kontrolle am Arbeitsplatz – Überwachung, Fließband, vorgegebenes Arbeitstempo, Produktionsziffern, Stechuhr usw. Disziplin ist das, was Fabrik, Büro und Geschäft mit dem Gefängnis, der Schule und dem Irrenhaus gemein haben. Es ist etwas historisch Einzigartiges und Furchtbares. Es überstieg die Fähigkeiten solch teuflischer Diktatoren wie weiland Nero oder Dschingis Khan oder Iwan des Schrecklichen. So schlecht ihre Absichten auch gewesen sein mögen, ihnen fehlte die Maschinerie, um ihre Untertanen so gründlich zu kontrollieren, wie es moderne Despoten vermögen. Disziplin ist die charakteristisch moderne Funktionsweise der gesellschaftlichen Kontrolle, es ist ein innovatives Eintrichtern, gegen das bei der ersten sich bietenden Gelegenheit eingeschritten werden muß.
So steht es mit der Arbeit. Spielen ist das gerade Gegenteil. Spielen ist immer freiwillig. Was ansonsten Spiel wäre, wird zur Arbeit, sobald es erzwungen wird. Das ist unumstößlich klar. Bernie de Koven hat Spielen durch die „Ausschaltung der Konsequenzen“ definiert. Das ist inakzeptabel, wenn es darauf hinauslaufen soll, daß Spielen inkonsequent sei. Der Punkt ist nicht, daß Spiel ohne Folgen bleibt. Solche Anschauungen sollen das Spielen nur herabsetzen. Der Punkt ist, daß die Ergebnisse, so es sie gibt, kostenlos sind. Spielen und Schenken sind nah verwandt, sie sind Verhaltens- und Interaktionsausdruck des gleichen Impulses, des Spieltriebs. Ihnen ist eine geradezu aristokratische Mißachtung von Ergebnissen gemeinsam. Für den Spieler springt beim Spielen etwas heraus, deswegen spielt er. Doch die eigentliche Belohnung ist das Erlebnis der Aktivität. Ansonsten aufmerksame Beobachter des Spielens wie Johan Huizinga („Homo Ludens“), definieren es als Spielespielen oder als Regelnbefolgen. Ich respektiere Huizingas Gelehrsamkeit, aber lehne seine Beschränkungen nachdrücklich ab. Es gibt viele gute Spiele (Schach, Baseball, Monopoly, Bridge), die auf Regeln basieren, aber es gibt so viel anderes zu spielen als nur Spiele. Unterhaltung, Sex, Tanzen, Reisen – diesen Aktivitäten liegen keine Regeln zugrunde, doch sie fallen eindeutig in die Kategorie „Spiele“, wenn irgendetwas darunter fällt. Und mit Regeln kann mindestens genauso leicht gespielt werden.
Arbeit verhöhnt die Freiheit. Offiziell können wir uns glücklich schätzen, von Rechtsstaat und Demokratie umgeben zu sein. Andere arme Unglückliche, die nicht so frei sind wie wir, müssen in Polizeistaaten leben. Diese Opfer folgen Befehlen, egal wie willkürlich sie sind. Die Behörden halten sie unter dauernder Aufsicht. Staatsbeamte kontrollieren sogar kleinste Details ihres Alltagslebens. Die Bürokraten, die sie herumschubsen, müssen sich nur nach oben verantworten, in öffentlichen wie in Privat-Angelegenheiten. So und so werden Abweichung und Auflehnung bestraft. Regelmäßig leiten Informanten Berichte an die Behörden weiter. Das alles gilt als sehr schlecht gehalten.
Und das ist es auch , obwohl es nichts weiter darstellt als eine Beschreibung eines modernen Arbeitsplatzes. Die Liberalen und Konservativen und Freiheitlichen, die sich über Totalitarismus beschweren, sind Schwindler und Heuchler. Es gibt mehr Freiheit in jeder einigermaßen entstalinisierten Diktatur als an einem gewöhnlichen amerikanischen Arbeitsplatz. In einem Büro oder einer Fabrik herrscht dieselbe Art von Hierarchie und Disziplin wie in einem Kloster oder einem Gefängnis. Tatsächlich haben Foucault und andere gezeigt, daß Gefängnisse und Fabriken etwa zur gleichen Zeit aufkamen, und ihre Betreiber entliehen sich bewußt Kontrolltechniken voneinander. Ein Arbeiter ist ein Teilzeitsklave. Der Chef sagt, wann es losgeht, wann gegangen werden kann und was in der Zwischenzeit getan wird. Er schreibt vor, wieviel Arbeit zu erledigen ist und mit welchem Tempo. Es steht ihm frei, seine Kontrolle bis in demütigende Extreme auszuweiten, indem er festlegt, (wenn ihm danach ist) welche Kleidung vorgeschrieben wird und wie oft die Toilette aufgesucht werden darf. Mit wenigen Ausnahmen kann er jeden aus jedem Grund feuern, oder auch ohne Grund. Er läßt bespitzeln und nachschnüffeln, er legt Akten über jeden Angestellten an. Widersprechen heißt „Unbotmäßigsein“, als wäre der Arbeiter ein ungezogenes Kind, und es sorgt nicht nur für sofortige Entlassung, es verringert auch die Chancen auf Arbeitslosenunterstützung. Ohne es unbedingt gutzuheißen, ist es wichtig anzumerken, daß Kinder zu Hause und in der Schule die gleiche Behandlung erfahren, bei ihnen durch die angenommene Unreife gerechtfertigt. Was sagt uns das über ihre Eltern und Lehrer, die arbeiten?
Das entwürdigende Herrschaftssystem, das ich beschrieben habe, kontrolliert die Hälfte der wachen Zeit einer Mehrheit der Frauen und fast aller Männer für Jahrzehnte, den Großteil ihres Lebens. Aus bestimmten Gründen ist es gar nicht so irreführend, unser System Demokratie oder Kapitalismus oder – besser noch – Industriegesellschaft zu nennen, doch seine wirklichen Namen sind Fabrikfaschismus und Bürooligarchie. Jeder, der meint, all diese Männer und Frauen wären frei, lügt oder ist dumm. Du bist, was du tust. Wenn du langweilige, dumme, monotone Arbeit tust, ist es sehr wahrscheinlich, daß du langweilig, dumm und monoton wirst. Arbeit ist eine viel bessere Erklärung für die schleichende Verblödung um uns herum, als solche durchaus schon sehr verdummende Mechanismen wie das Fernsehen und das Bildungswesen. Menschen, denen ihr ganzes Leben lang Vorschriften gemacht werden, die von der Schule an die Arbeit weitergereicht werden und die zu Anfang von der Familie und später von der Privatklinik versorgt werden, sind an Hierarchien gewöhnt und psychologisch versklavt. Ihre Freiheitsfähigkeit ist so zerrüttet, daß ihre Freiheitsangst zu ihren wenigen rational begründeten Phobien gehört. Ihr Gefolgschaftstraining bei der Arbeit pflanzt sich zum einen in die von ihnen begründeten Familien fort und reproduziert so das System, zum anderen greift es in die Politik, die Kultur und alles andere über. Wenn einmal die Lebenskraft der Menschen durch die Arbeit abgesaugt ist, unterwerfen sie sich sehr wahrscheinlich Hierarchien und Experten in jeder Beziehung. Sie sind daran gewöhnt.
Wir sind so dicht an der Arbeitswelt, daß wir nicht sehen können, was sie uns antut. Wir müssen auf Beobachter aus anderen Zeiten oder aus anderen Kulturen zurückgreifen, um das Extrem und die Krankhaftigkeit unserer gegenwärtigen Position zu begreifen. Es gab eine Zeit in unserer Vergangenheit, in der die „Arbeitsethik“ unvorstellbar gewesen wäre, und vielleicht war Weber weitsichtig, als er ihr Entstehen mit einer Religion verknüpfte: dem Calvinismus, der, wenn er heute entstünde statt vor 400 Jahren, sofort als Sekte bezeichnet werden würde. Wie dem auch sei, wir müssen lediglich auf die Weisheit der Antike zurückgreifen, um uns ein Bild von der Arbeit zu machen. Die alten Denker sahen Arbeit als das, was sie ist – und ihre Sicht überdauerte, die Calvinisten nicht mitgerechnet, bis sie von der Industrialisierung gestürzt wurde – doch nicht eher, als daß deren Propheten es verlangten.
Tun wir mal für einen Moment so, als würde Arbeit aus Leuten keine verblödeten Untertanen machen. Tun wir auch so, entgegen jeder nachvollziehbaren Psychologie und der Ideologie ihrer Förderer, daß sie keinen Effekt auf die Charakterbildung hat. Und tun wir so, als wäre Arbeit nicht so langweilig und ermüdend und entwürdigend, wie sie es ist. Auch dann würde sie alle humanistischen und demokratischen Bemühungen verspotten, einfach weil sie so viel Zeit beansprucht. Sokrates beharrte, daß Handarbeiter schlechte Freunde und schlechte Staatsbürger abgäben, da ihnen die Zeit mangele, die Verantwortlichkeiten einer Freundschaft und ihrer Staatsbürgerschaft auszufüllen. Er hatte Recht. Wegen der Arbeit schauen wir dauernd auf die Uhr. Das einzig „freie“ an der sogenannten Freizeit, ist, daß sie den Boss von der Lohnfortzahlung befreit. Die Freizeit wird hauptsächlich genutzt, um sich auf die Arbeit vorzubereiten, zur Arbeit zu gehen, von der Arbeit zu kommen und sich von ihr zu erholen. Freizeit ist ein Euphemismus für die besondere Art, mit der die Arbeitskraft als ein Produktionsfaktor nicht nur sich selbst zum und vom Arbeitsplatz transportiert, sondern auch die Hauptverantwortung für die eigene Versorgung und Wiederherstellung übernimmt. Drehbänke und Schreibmaschinen machen das nicht. Arbeiter schon. Kein Wunder, daß Edward G. Robinson in einem seiner Gangsterfilme ausrief: „Arbeit ist für Luschen! “
Sowohl Plato als auch Xenophon führen das Bewußtsein für die zerstörerischen Effekte der Arbeit auf den Arbeiter als Bürger und menschliches Wesen auf Sokrates zurück und teilen es mit ihm. Herodot hielt die Verachtung für die Arbeit für ein Attribut der klassischen Griechen auf dem Zenit ihrer Kultur. Um nur ein römisches Beispiel herauszugreifen, Cicero schrieb, daß „wer immer seine Arbeitskraft für Geld gibt, sich selbst verkauft und sich in den Rang eines Sklaven stellt“. Seine Offenheit ist heute selten, doch heutige primitive Gesellschaften, auf die wir so gern herabblicken, haben Sprecher gesandt, die westliche Anthropologen erleuchten konnten. Die Kapauku aus West-Papua haben laut Posposil ein Konzept von Lebensbalance, das ihnen nur erlaubt, jeden zweiten Tag zu arbeiten, wobei der Tag der Ruhe dafür gedacht ist, „die verlorene Gesundheit und Kraft wiederzugewinnen“. Unsere Vorfahren waren sich noch im 18. Jahrhundert, als sie schon weit auf dem Weg zu unserem heutigen Dilemma fortgeschritten waren, über das im Klaren, was wir vergessen haben: die Kehrseite der Industrialisierung. Ihre religiöse Verehrung des Heiligen Montags – auf diese Weise die Einführung einer Fünf-Tage-Woche 150-200 Jahre vor ihrer rechtlichen Verankerung – trieb die frühen Fabrikbesitzer in die Verzweiflung. Es dauerte lange, bis sie sich der Tyrannei der Glocke unterwarfen, der Vorfahrin der Turmuhr. In den ersten ein oder zwei Generationen war es erforderlich, statt Männern Frauen einzustellen, die die Gefolgschaft gewohnt waren oder Kinder, die den industriellen Bedürfnissen angepaßt werden konnten. Sogar die ausgebeuteten Bauern des ancien regime entrissen der Fronarbeit entscheidende Zeitmengen. Lafargue zufolge bestand ein Viertel des französischen Bauernkalenders aus Sonntagen und Feiertagen, und Tschajanows Zahlen aus Dörfern des zaristischen Rußland – kaum eine fortschrittliche Gesellschaft – zeigen ein Viertel bis ein Fünftel Mußetage. Durch unser Ringen um Produktivität sind wir offenbar weit hinter diese rückschrittlichen Gesellschaften zurückgefallen. Die ausgebeuteten muzhiks würden sich fragen, warum wir überhaupt arbeiten. Und diese Frage sollten wir uns auch stellen.
Um das volle Ausmaß unserer Verirrung ermessen zu können, muß man sich jedoch die früheste menschliche Urgesellschaft vorstellen, ohne Regierung und Besitz, als wir Jäger und Sammler waren. Hobbes vermutete, daß das Leben damals gefährlich, grausam und kurz war. Andere nehmen an, daß das Leben nichts als ein verzweifelter, unerbittlicher Kampf ums Überleben war, ein Kampf, der gegen eine brutale Natur geführt wurde, und der mit dem Tod und Verderben für die endete, die der Herausforderung der Existenz nicht gewachsen waren. Eigentlich handelte es sich bei diesen Vorstellungen um Angstprojektionen angesichts des Sturzes einer Regierung über Leute, die es nicht gewohnt waren, ohne eine klarzukommen, wie im England von Hobbes zu Zeiten des Bürgerkriegs. Hobbes‘ Landsleute waren bereits alternativen Gesellschaftsformen begegnet, die andere Lebensweisen vorführten – besonders in Nordamerika – aber schon diese waren zu weit von ihrer Erfahrung entfernt, um von ihnen verstanden zu werden. (Die niederen Klassen, die dichter an den Lebensbedingungen der Indianer waren, verstanden es besser und fanden sie oft anziehend. Das gesamte 17. Jahrhundert hindurch kam es vor, daß englische Siedler zu den Indianerstämmen überliefen oder sich weigerten zurückzukehren, wenn sie im Krieg gefangen worden waren. Die Indianer hingegen wanderten nicht in größerer Zahl in die weißen Siedlungen aus, als Deutsche die Berliner Mauer von Westen überwanden. ) Die „Überleben des Stärkeren“-Version – die Thomas-Huxley-Version – des Darwinismus war ein bessere Darstellung des Wirtschaftslebens im viktorianischen England als ein Bild der natürlichen Auslese, wie der Anarchist Kropotkin in seinem Buch „Gegenseitige Hilfe und ihre Rolle in der Evolution“ zeigte. (Kropotkin war Wissenschaftler, ein Geograph, der jede Menge unfreiwillige Gelegenheit zu Feldforschung hatte, während er nach Sibirien vernannt war. ) So wie die meisten Gesellschaftstheorien oder politischen Ideen war die Geschichte von Hobbes und seiner Nachfolger eigentlich eine nicht eingestandene Autobiografie.
Der Anthropologe Marshall Sahlins sichtete die Daten über heutige Jäger und Sammler und nahm daraufhin den Mythos von Hobbes in einem Artikel namens „Die ursprüngliche Überflußgesellschaft“ auseinander. Sie arbeiten weit weniger als wir und ihre Arbeit ist nur schwer von dem zu unterscheiden, was wir Spielen nennen. Sahlins schlußfolgerte, daß „Jäger und Sammler weniger Zeit mit der Arbeit verbringen als wir; daß die Nahrungssuche weniger ein andauerndes Geplacker ist, sondern ständig unterbrochen wird, daß es Muße im Überfluß gibt und daß am Tage pro Nase und Jahr mehr geschlafen wird als in jeder anderen Gesellschaftsform.“ Sie arbeiten im Schnitt vier Stunden am Tag, wenn man davon ausgeht, daß sie überhaupt arbeiten. Ihre „Arbeit“, wie es uns scheint, war Facharbeit, die ihre körperlichen und intellektuellen Fähigkeiten förderte; ungelernte Arbeit in einem größeren Ausmaße ist undenkbar außerhalb der Industriegesellschaft. Damit erfüllt sie Schillers Definition des Spiels als der einzigen Gelegenheit, bei der ein Mensch seine volle Menschlichkeit erkennt, indem er beide Seiten seiner doppelten Natur anspricht, dem Denken und dem Fühlen. Wie es bei ihm heißt: „Ein Tier arbeitet, wenn Versagung der Hauptgrund seines Handelns ist, und es spielt, wenn die Fülle seiner Kraft es antreibt, wenn der Überfluß des Lebens sich selbst beflügelt.“ (Eine moderne Version – seltsam ausgebaut – ist Abraham Maslows Gegenüberstellung von „Mangel“ und „Wachstum“ als Motivation. ) Spiel und Freiheit decken einander in puncto Produktion. Sogar Marx, der trotz all seiner guten Absichten in den Produktivitäts-Pantheon gehört, stellte im dritten Band des Kapital fest: „Das Reich der Freiheit beginnt in der Tat erst da, wo das Arbeiten, das durch Not und äußere Zweckmäßigkeit bestimmt ist, aufhört; es liegt also der Natur der Sache nach jenseits der Sphäre der eigentlichen materiellen Produktion.“ Er konnte sich nie dazu durchringen, diesen fröhlichen Umstand als das zu sehen, was er ist: die Abschaffung der Arbeit. Es ist letztlich etwas ungewöhnlich, für die Arbeiter und gegen die Arbeit einzutreten – aber wir können das.
Das Bestreben, in ein Leben ohne Arbeit voranzuschreiten oder zurückzukehren, zeigt sich deutlich in jeder ernsthaften sozialen oder kulturellen Geschichtsschreibung im vorindustriellen Europa, darunter „England im Übergang“ von M. Dorothy George und „Volkskultur im frühmodernen Europa“ von Peter Burke. Genauso gehört Daniel Bells Essay „Arbeit und Unzufriedenheit“ hierher, vermutlich der erste Text, der so wortreich von einer „Revolte gegen die Arbeit“ spricht und, wäre er verstanden worden, ein wichtiges Korrektiv zur Selbstgefälligkeit, die gewöhnlich mit dem Buch in Verbindung gebracht wird, in dem er erschien, „Das Ende der Ideologie“. Weder die Kritiker noch die Bewunderer haben mitbekommen, daß Bells Ende-der-Ideologie-These nicht daß Ende sozialer Unzufriedenheit signalisierte, sondern den Beginn einer neuen, nicht faßbaren Phase, die von Ideologien nicht mehr gehemmt oder beeinflußt wird. Nicht Bell, sondern Seymour Lipset rief zu selben Zeit in „Political Man“ aus, daß „die fundamentalen Probleme der Industriellen Revolution gelöst sind“, nur ein paar Jahre, bevor ihn die post- oder meta-industrielle Unzufriedenheit der Studenten aus Berkeley ins vorübergehend relativ ruhige Harvard vertrieb.
Bell macht darauf aufmerksam, daß Adam Smith in seinem „Reichtum der Nationen“ bei allem Marktenthusiasmus und seiner Bewunderung für die Arbeitsteilung viel wachsamer gegenüber der Schattenseite der Arbeit war (und das auch zugab) als die Begründerin des Objektivismus Ayn Rand oder die marktliberalen Wirtschaftswissenschaftler von Chicago oder einer von Smiths modernen Epigonen. Smith beobachtete: „Das Verständnis der Mehrzahl der Menschen wird notwendigerweise von ihren gewöhnlichen Beschäftigungen geformt. Der Mann, dessen Leben darin besteht, wenige einfache Tätigkeiten auszuführen… hat keine Gelegenheit, sein Verständnis zu schulen… Er wird im allgemeinen so dumm und ignorant, wie ein Mensch eben werden kann.“ Hier findet sich in wenigen einfachen Worten meine Kritik an der Arbeit. In der Goldenen Ära des Eisenhower-Schwachsinns und der amerikanischen Selbstzufriedenheit entdeckte Bell 1956 die unorganisierte und unorganisierbare Misere der Siebziger; die, die sich keine politische Richtung nutzbar machen kann; die, die im Regierungsbericht „Arbeit in Amerika“3 dargelegt wurde; die, aus der niemand Kapital schlagen kann und die daher ignoriert wird. Das Problem ist die Revolte gegen die Arbeit. Sie kommt in keinem Text der Laissez-faire-Theoretiker vor – Milton Friedman, Murray Rothbard, Richard Prosner – weil sie sich nach ihren Begriffen, wie es bei Star Trek hieß, „nicht rechnet“.
Wenn es all diesen von der Freiheitsliebe getriebenen Einwänden nicht gelingen sollte, die Humanisten zu einer Wende der Nützlichkeit oder wenigstens der väterlichen Fürsorge zu bewegen, dann kann ich noch mehr anführen, dem sie sich nicht entziehen können. Arbeit ist eine Gesundheitsbedrohung. Arbeit stellt eigentlich einen Massenmord oder gar Völkermord dar. Arbeit wird auf direktem oder indirektem Weg die meisten umbringen, die das hier lesen. Zwischen 14000 und 25000 Werktätige sterben in Amerika jedes Jahr auf der Arbeit. Mehr als zwei Millionen werden versehrt. 20 bis 25 Millionen werden jedes Jahr verletzt. Und diese Zahlen gehen von einem sehr konservativen Begriff von Arbeitsunfall aus. Daher wurden die jährliche halbe Million Fälle von Berufskrankheiten nicht mitgerechnet. Ich fand ein medizinisches Lesebuch über Berufskrankheiten, daß 1200 Seiten dick war. Auch das kratzt gerade an der Oberfläche. Die verfügbaren Statistiken zählen die offensichtlichen Fälle wie die 100000 Bergarbeiter, die an Lungen-Tbc (black lung disease) erkrankt sind, von denen jedes Jahr 4000 daran sterben, eine wesentlich höhere Sterblichkeit als bei AIDS beispielsweise, obwohl das die viel höhere Aufmerksamkeit bekommt. Hier spiegelt sich die unreflektierte Annahme wieder, daß von AIDS nur Perverse betroffen sind, die ihre Mängel auch in den Griff kriegen könnten, während Kohlebergbau eine heilige Tätigkeit jenseits aller Infragestellung ist. Was die Zahlen in jedem Fall verschweigen, ist der Umstand, daß die Lebenserwartung von Millionen von Leuten durch die Arbeit verkürzt wird. Man denke an die Ärzte, die sich in ihren Fünfzigern zu Tode arbeiten. Man denke an die zahllosen Workaholics.
Auch wenn man nicht direkt beim Arbeiten verkrüppelt oder getötet wird, kann das genauso gut auf dem Weg zur oder von der Arbeit geschehen, bei der Arbeitssuche oder bei dem Versuch, die Arbeit zu vergessen. Die große Mehrzahl der Opfer von Autounfällen erledigen gerade einer dieser arbeitsnahen Beschäftigungen oder fallen einem zum Opfer, der sie erledigt. Zu dieser erweiterten Leichenzählung kommen auch die Opfer der auto-industriellen Verschmutzung und von Alkoholismus und Drogensucht als Folge der Arbeit hinzu. Sowohl Krebs als auch Herzkrankheiten sind moderne Heimsuchungen, die sich mehr oder weniger direkt auf die Arbeit zurückführen lassen.
Arbeit macht Totschlag zu einem Lebensstil. Es heißt, die Kambodschaner wären wahnsinnig gewesen, sich selbst auszurotten, aber sind wir irgendwie anders? Das Pol-Pot-Regime hatte zumindest eine Vision, wie verzerrt auch immer, von einer Gesellschaft der Gleichheit. Wir töten Menschenmengen im sechsstelligen Bereich, um Big Mäcs und Cadillacs an die Überlebenden zu verkaufen. Unsere 40 bis 50 Tausend Highway-Toten jedes Jahr sind Opfer und keine Märtyrer. Sie starben umsonst – oder besser: sie starben für die Arbeit. Aber Arbeit ist nichts, wofür es sich zu sterben lohnt.
Schlechte Neuigkeiten für Liberale: regulatorisches Geflicke ist in diesem Spiel auf Leben und Tod völlig sinnlos. Die Bundesbehörde für Sicherheit und Gesundheit im Beruf (OSHA) sollte den Kern des Problems überwachen, die Sicherheit am Arbeitsplatz. Schon bevor Reagan und der Oberste Gerichtshof OSHA stoppten, war es längst zu einer Farce geworden. Selbst bei der relativ großzügigen Bezuschussung der Carter-Ära konnte ein Arbeitsplatz statistisch gesehen höchstens einmal in 46 Jahren von einem OSHA-Inspektor Besuch erwarten.
Staatliche Wirtschaftskontrolle ist keine Lösung. Arbeit ist in staatssozialistischen Ländern noch wesentlich gefährlicher als hier. Tausende russischer Arbeiter wurden getötet oder verletzt, als sie die Moskauer U-Bahn bauten. Gegen die auftauchenden Geschichten über vertuschte Atomunfälle in der Sowjetunion wirken Times Beach und Three-Mile-Island wie Luftschutzübungen in der Grundschule. Auf der anderen Seite würde die gegenwärtig so beliebte Deregulierung auch nichts nützen und sogar Schaden anrichten. Aus dem Blickwinkel der Gesundheit und Sicherheit waren die Arbeitsbedingungen am schlimmsten, als die Wirtschaft dem Laissez-faire am nächsten war – wie Befürworter der Sklaverei in den Südstaaten betonen – Fabrikarbeiter in den Nordstaaten und in Europa waren weit schlimmer dran als die Sklaven auf den südlichen Plantagen. Keine Verschiebungen der Verhältnisse zwischen Bürokraten und Geschäftsleuten scheinen in puncto Produktion irgendwas zu ändern. Ernsthafte Durchsetzung selbst so vager Standards wie die der OSHA würden die Wirtschaft praktisch zum Stillstand bringen. Die Inspektoren sehen das auch so – schon um eine Ausrede zu haben, sich um die wirklich schlimmen Angelegenheiten nicht kümmern zu müssen.
Es lag keineswegs in meiner Absicht, mit dem Gesagten nur Unruhe zu stiften. Viele Werktätige kotzen sich mit der Arbeit an. Es gibt hohe und weiter steigende Raten von Blaumacherei, Fluktuation, Diebstahl am Arbeitsplatz und Sabotage, wilden Streiks und allgemeiner Verweigerung. Vielleicht gibt es sogar schon eine Bewegung hin zu einer bewußten und nicht nur instinktiven Ablehnung der Arbeit. Und doch ist die vorherrschende Auffassung, unter sämtlichen Chefs und ihren Agenten und zumindest weit verbreitet unter den Werktätigen, daß die Arbeit unausweichlich und notwendig ist.
Dem widerspreche ich. Wir haben jetzt die Möglichkeit, die Arbeit abzuschaffen und den notwendigen Anteil Arbeit durch eine Vielfalt an neuen freien Aktivitäten zu ersetzen. Die Abschaffung der Arbeit erfordert eine Annährung von zwei Seiten, einer quantitativen und einer qualitativen. Auf der einen, der quantitativen Seite, müssen wir die Menge geleisteter Arbeit massiv reduzieren. Gegenwärtig ist die meiste Arbeit einfach nutzlos und wir sollten sie loswerden. Auf der anderen Seite – und ich denke, diese qualitative Annäherung ist der Knackpunkt und der wirklich revolutionäre Aufbruch – müssen wir die wenige nutzbringende Arbeit in verschiedenste spielerische und handwerkliche Freuden verwandeln, nicht unterscheidbar von anderen freudvollen Tätigkeiten, außer dadurch, daß sie nebenbei nützliche Endprodukte hervorbringen. Das sollte sie aber keinesfalls weniger verlockend machen. In der Folge könnten alle künstlichen Schranken von Macht und Besitz fallen. Schöpfung wäre nicht mehr Erschöpfung. Und wir könnten alle aufhören, voreinander Angst zu haben.
Ich unterstelle nicht, daß diese Verwandlung bei jeder Art von Arbeit möglich ist. Aber dann ist die meiste Arbeit auch nicht wert, erhalten zu werden. Nur ein kleiner und sich noch verkleinernder Ausschnitt der Arbeitswelt dient letztlich einem Zweck, den nicht erst die Verteidigung und Reproduktion des Arbeitssystems und seiner politischen und rechtlichen Anhängsel nötig machen. Vor 20 Jahren schätzten Paul und Percival Goodman, daß gerade mal fünf Prozent der damals geleisteten Arbeit – es ist anzunehmen, daß die Zahl, wenn sie stimmt, heute noch geringer sein dürfte – tatsächlich der Befriedigung der Bedürfnisse nach Nahrung, Kleidung und Behausung diente. Sie stellten natürlich nur eine gelehrte Spekulation an, aber der Punkt ist doch: die meiste Arbeit dient direkt oder indirekt der wirtschaftlichen oder sozialen Kontrolle. Es wäre also einfach so möglich, Millionen von Verkäufern, Soldaten, Managern, Polizisten, Börsianern, Priestern, Bankiers, Anwälten, Lehrern, Vermietern, Wachen und Werbeleuten von der Arbeit zu befreien, nebst allen, die für sie arbeiten. Es gibt einen Schneeballeffekt, da jedesmal, wenn ein größeres Tier freikommt, seiner Untergebenen auch frei werden. Auf diese Weise würde die Wirtschaft implodieren.
40 Prozent der Arbeitskräfte sind sogenannte „white-collar workers“, von denen die meisten die drögsten und idiotischsten Jobs haben, die je erdacht wurden. Ganze Wirtschaftszweige, wie Versicherungen, Immobiliengesellschaften und das Kreditwesen zum Beispiel, bestehen aus nichts als völlig sinnfreiem Papiergewälze. Es ist kein Zufall, daß der „tertiäre Sektor“ der Wirtschaft, der Dienstleistungssektor wächst, während der „sekundäre“, also die Industrie, stagniert und der „primäre“, die Landwirtschaft, nahezu verschwindet. Da die Arbeit unnötig ist, außer für die, deren Macht sie sichert, werden die Werktätige aus relativ nützlichen in nahezu nutzlose Beschäftigungsfelder verschoben, und das nur, um die öffentliche Ordnung aufrechtzuerhalten. Deshalb darf niemand nach Hause gehen, bloß weil er eher fertig ist. Sie wollen die Zeit des Arbeiters, so daß sie sich seiner bemächtigen können, auch wenn es für die meisten keine Verwendung gibt. Warum sonst hat die durchschnittliche Wochenarbeitszeit in den letzten 50 Jahren gerade mal um ein paar Minuten abgenommen?
Als nächsten können wir uns mit dem großen Fleischermesser über die produktive Arbeit selbst hermachen. Keine Kriegsproduktion mehr, keine Atomkraftwerke mehr, kein Dosenfraß, keine albernen Hygieneartikel – und zuoberst keine Automobilindustrie mehr. Ein Stanley Steamer oder ein T-Modell von Zeit zu Zeit mag klargehen, aber die Auto-Erotik, auf die sich solche Pestlöcher wie Detroit oder Los Angeles gründen, ist indiskutabel. Und schon haben wir, ohne es überhaupt versucht zu haben, die Energiekrise, die Umweltprobleme und andere unlösbare soziale Probleme bewältigt.
Schließlich müssen mit dem mit Abstand größten Berufszweig Schluß machen, dem zeitintensivsten, schlechtbezahltesten und langweiligsten, den es gibt. Ich spreche von den Hausfrauen, die sich nur um Haushalt und Kinder kümmern. Indem wir die Lohnarbeit abschaffen und volle Arbeitslosigkeit erreichen, höhlen wir die Geschlechterteilung der Arbeit aus. Die Kernfamilie, wie wir sie kennen, ist eine unausweichliche Übertragung der Arbeitsteilung in der modernen Wirtschaft. Ob man es nun mag oder nicht, so wie es in den letzten ein oder zwei Jahrhunderten zuging, war es ökonomisch sinnvoll, daß der Mann den Speck verdient und die Frau die Drecksarbeit macht, um ihm einen Hafen in einer herzlosen Welt zu bieten, und daß die Kinder in Konzentrationslager überführt wurden, die Schulen heißen, im wesentlichen dazu da, sie außerhalb von Mamas Heim weiter unter Kontrolle halten zu können, zufällig aber auch, um ihnen die Unterwerfung und Pünktlichkeit nahezubringen, die für Arbeiter ja so wichtig ist. Wenn wir das Patriarchat loswerden wollen, müssen wir die Kernfamilie loswerden, deren unbezahlte „Schattenarbeit“ (Ivan Illich) das Arbeitssystem ermöglicht, das sie wiederum nötig macht. Eng mit dieser kernfreien Strategie ist die Abschaffung der Kindheit und die Schließung der Schulen verbunden. Wir haben mehr Vollzeitschüler als Vollzeitarbeiter in unserem Land. Wir brauchen Kinder als Lehrer, nicht als Schüler. Sie haben viel zur spielerischen Revolution beizutragen, weil sie nun mal besser spielen können als Erwachsene. Alt und jung sind nicht identisch, aber sie können durch gegenseitige Verbandelung gleich werden. Nur Spielen kann die Lücke zwischen Generationen schließen.
Ich bin noch gar nicht auf die Möglichkeiten eingegangen, die ganze Kleinarbeit zusammenzustreichen, indem sie automatisiert und kybernisiert wird. All die Wissenschaftler und Ingenieure und Techniker, die von der Kriegsforschung und dem geplanten Verschleiß enthoben werden, sollten sich eine schöne Zeit damit machen, Sachen wie den Bergbau von Langeweile, Ermüdung und Gefahren zu befreien. Vielleicht erstellen sie ein weltweites Multimedia-Kommunikationssystem oder gründen Weltraumkolonien. Vielleicht. Ich bin selbst gar kein Technikfreak. Ich hätte zwar nichts dagegen, in einem Knopfdruck-Paradies zu leben. Ich will aber nicht, daß Robotersklaven alles erledigen; ich mag schon selbst Dinge tun. Es gibt einen Platz für arbeitseinsparende Technologie, aber einen begrenzten. Die historischen und prähistorischen Aufzeichnungen sind nicht sehr ermutigend. Als die Fertigungsweisen nach der Jäger-und-Sammler-Zeit zu Landwirtschaft und später zur Industrie wurden, nahm die Arbeitsmenge zu, während Fähigkeiten und Selbstbestimmung abnahmen. Die weitere Entwicklung der Industriegesellschaft führte zu dem, was bei Harry Braverman die Abwertung der Arbeit heißt. Intelligenten Beobachtern ist das schon immer aufgefallen. John Stuart Mill schrieb, daß all die arbeitssparenden Erfindungen, die je gemacht wurden, keine Minute Arbeitszeit eingespart haben. Karl Marx war sich sicher, daß es möglich wäre, eine „Geschichte über all die Erfindungen seit 1830 zu schreiben, die einzig zu dem Zweck gemacht wurden, das Kapital mit Waffen zur Niederschlagung der Arbeiterklasse zu versorgen.“ Die enthusiastischen Technophilen – Saint-Simon, Comte, Lenin, B. F. Skinner – waren immer ebenso dreiste Autoritätsgläubige. Wir sollten mehr als skeptisch gegenüber den Versprechungen der Computermystiker sein. Sie arbeiten wie Hunde, und wenn es nach ihnen geht, werden wir das bald auch alle. Sollten sie tatsächlich Beiträge zum menschlichen Wohlbefinden äußern, sollten wir ihnen allerdings zuhören.
Was ich wirklich sehen möchte, ist die Verwandlung von Arbeit in Spiel. Ein erster Schritt wäre es, die vorhandenen Vorstellungen von „Job“ und „Beruf“ zu verwerfen. Auch Tätigkeiten, die jetzt schon spielerische Momente haben, verlieren das meiste davon, wenn sie auf Jobs reduziert werden, die nur von bestimmten Leuten ausgeführt werden, die wiederum nichts anderes tun. Ist es nicht seltsam, daß Landarbeiter sich schmerzvoll auf den Feldern abrackern, während ihre klimatisiert lebenden Chefs am Wochenende nach Hause fahren und ein bißchen im Garten herumhacken? In einem System ständiger Festlichkeit werden wir die Goldene Ära des Dilettanten erleben, welche noch die Renaissance in den Schatten stellen wird. Es wird keine Jobs mehr geben, nur noch Dinge und ihr Gemachtwerden.
Das Geheimnis der Verwandlung von Arbeit in Spiel besteht, wie Charles Fourier gezeigt hat, darin, nützliche Tätigkeiten so zu arrangieren, daß immer sie von dem profitieren, was irgendwer zu irgendeinem Zeitpunkt tatsächlich tun mag. Um es möglich zu machen, daß manche Leute das tun können, was ihnen gefällt, ist es nur nötig, die Irrationalismen und Entstellungen zu tilgen, von denen diese Tätigkeiten befallen werden, wenn man sie auf Jobs reduziert. Ich hätte zum Beispiel Lust, ein wenig zu unterrichten, aber ich möchte keine herbeigezwungenen Schüler und ich mache mir nicht viel daraus, vor irgendwelchen pathetischen Pedanten schönzutun, um nicht rauszufliegen.
Zum zweiten gibt es einige Dinge, die Leute schon gelegentlich tun wollen, aber nicht sehr lange und mit Sicherheit nicht die ganze Zeit. Ein paar Stunden Babysitting mögen Spaß machen, weil man die Gesellschaft des Kindes teilt – aber nie mehr Spaß, als es den Eltern bereitet. Währenddessen genießen die Eltern sicher die freie Zeit, was aber bald stark nachläßt, wenn sie von ihrem Nachwuchs zu lange getrennt sind. Genau diese Unterschiede zwischen den Einzelnen machen ein Leben des freien Spiels möglich. Das gleiche Prinzip ist auch auf andere Tätigkeiten anwendbar, gerade auf die grundlegenden. So kochen viele Leute sehr gern, wenn sie als Hobby tun können, aber nicht, wenn sie nur menschliche Körper für die Arbeit wieder auftanken.
Drittens – und gleichermaßen wichtig – sind manche Dinge, die allein oder in unangenehmer Umgebung oder auf Anweisung von Vorgesetzten unbefriedigend sind, zumindest zeitweise erträglich, wenn diese Bedingungen geändert werden. Das gilt möglicherweise für jede Arbeit in einem gewissen Ausmaß. Leute verwenden ihren sonst verschwendeten Einfallsreichtum, um aus ihren wenig aufregenden Krempeljobs ein Spiel zu machen, so weit das eben geht. Manche Tätigkeiten, die einigen sehr gefallen, sind für andere nichts, aber jeder hat eine gewisse Vielfalt von Interessen und ein Interesse an einer gewissen Vielfalt. Wie es so schön heißt, „alles mal machen.“ Fourier war unschlagbar in Spekulationen darüber, wie abwegige und perverse Neigungen in einer post-zivilisierten Gesellschaft („Harmonie“) in nutzbare Kanäle gelenkt werden könnten. Er dachte, daß Kaiser Nero schon zurechtgekommen wäre, wenn er als Kind seiner Leidenschaft fürs Blutvergießen in einem Schlachthof hätte nachgehen können. Kleine Kinder, die sich ständig im Dreck herumwälzen, könnten in „Kleinen Horden“ losgeschickt werden, um die Toiletten zu reinigen und den Müll zu leeren, komplett mit Belohnungen für die Eifrigsten. Mir geht es nicht um die konkreten Beispiele, sondern um das zugrundeliegende Prinzip, das durchaus als eine Dimension einer allgemeinen Umwälzung taugt. Es ist wichtig zu bedenken, daß wir nicht einfach jede heutige Arbeit nehmen können und nach jemandem suchen, der sie vielleicht gern macht, bei vielem wären die Betreffenden auf jeden Fall pervers. Wenn Technologie bei alldem eine Rolle spielen soll, dann weniger, um die Arbeit komplett aus der Welt zu automatisieren, sondern eher, um bessere Welten der Erholung zu schaffen. In gewissem Maße werden wir auch zum Handwerk zurückkehren wollen, was William Morris für ein wahrscheinliches und durchaus wünschenswertes Ergebnis einer kommunistischen Revolution hielt. Die Kunst würde den Snobs und Sammlern entrissen und als Spezialabteilung der Bewirtung für ein Elitepublikum abgeschafft werden, dabei würde sie ihre Qualitäten wie Schönheit und Schöpfertum für das eigentliche Leben wiedergewinnen, dem sie von der Arbeit gestohlen wurde. Es ist ein ernüchternder Gedanke, daß die griechischen Urnen, über die heute Oden verfaßt werden und die in Museen ausgestellt werden, in ihrer Zeit zur Aufbewahrung von Olivenöl benutzt wurden. Ich bezweifle, daß unsere Alltagsgegenstände sich in der Zukunft so gut machen werden (wenn es denn eine gibt). Der Knackpunkt ist, daß es in der Welt der Arbeit so etwas wie Fortschritt nicht gibt. Wir sollten nicht zögern, uns aus der Vergangenheit alles zu nehmen, was sie zu bieten hat, die Bewohner der Antike werden dabei nichts verlieren, unser Leben wird es jedoch bereichern.
Die Neuerfindung des Alltags bedeutet die Entführung über die Kanten unserer Landkarten von der Welt. Es gibt tatsächlich viel mehr bildmächtige Visionen, als gemeinhin angenommen wird. Neben Fourier und Morris – und da und dort einem Hinweis bei Marx – gibt es die Schriften Kropotkins, der Syndikalisten Pataud und Pouget, der Anarchokommunisten alter (Berkman) und neuer Prägung (Bookchin). Die Communitas der Goodman-Brüder zeigt beispielhaft, welche Formen lediglich vorgegebenen Funktionen (Zwecken) dienen; und es gibt einiges zu beziehen von den oftmals schwammigen Verkündern der alternativen/angemessenen/vermittelten/geselligen Technologie wie Schumacher und vor allem Illich, wenn man erst mal ihre Nebelmaschinen abklemmt. Die Situationisten, die von Vaneigems Revolution des Alltags und von der Anthologie der Situationistischen Internationale dargestellt werden, sind so unerbittlich verspielt, daß es belebend wirkt, auch wenn sie nie die Rolle der Arbeitervertretungen bei der Abschaffung der Arbeit eingesehen haben. Aber lieber ihre Ungereimtheiten als eine der vorhandenen Spielarten des Linksradikalismus, dessen Anhänger es darauf anlegen, die letzten Verteidiger der Arbeit zu sein, da es ohne Arbeit keine Arbeiter gäbe – und wen hätten die Linken ohne Arbeiter noch zu organisieren?
So stehen die Arbeits-Abolitionisten zunächst ziemlich alleine da. Niemand vermag zu sagen, was die Entfesselung der jetzt noch in der Arbeit gebundenen Schöpferkraft bringen wird. Alles kann geschehen. Das lästige Debattierzirkel-Problem Freiheit vs. Notwendigkeit (Lustprinzip – Leistungsprinzip) mit seinen theologischen Untertönen löst sich selbst, sobald sich die Produktion von Gebrauchswerten mit dem Konsum angenehmer Spieltätigkeiten deckt.
Das Leben wird zum Spiel, oder besser zu vielen Spielen und hebt sich dabei vom heutigen Nullsummenspiel ab. Eine optimale sexuelle Begegnung stellt das Paradigma schöpferischen Spiels dar. Die Beteiligten potenzieren gegenseitig ihre Freuden, niemand versucht, Punkte zu sammeln und trotzdem gewinnt jeder. Je mehr man gibt, desto mehr bekommt man. Im spielerischen Leben, wird das Beste am Sex in den besseren Teil des Alltags übergehen. Allgemeines Spielen führt zu einer Lustdurchdringung des Lebens. Sex wird auf diese Weise viel weniger dringend und verzweifelt, sondern ebenfalls spielerisch. Wenn wir es richtig anstellen, könne wir alle mehr vom Leben bekommen, als wir hineinstecken; aber nur, wenn wir um dauerhafte Einsätze spielen.
Niemand sollte jemals arbeiten.
Arbeiter aller Länder – entspannt euch!
1 Oblomowismus leitet sich von der Hauptfigur des Gontscharow-Romans „Oblomow“ von 1855 ab, der beispielhaft einen gelangweilten russischen Adeligen schildert. Bucharin sah später im Oblomowismus ein Problem der Parteiführung der Sowjetunion.
2 Die Stachanow-Bewegung in der UdSSR der 30er Jahre und später in der DDR die Hennecke-Bewegung der 50er waren Kampagnen zur Steigerung der Arbeitsmoral, geknüpft an besonders fleißige Werktätige mit leicht manipulierten Normübererfüllungswerten von 1000%, getragen meist von den Jugendorganisationen der Partei.
3 HEW-Report, Work in America