Alter Wein in neue Schläuche?
New Work, Wertkritik und Oekonux – Ein Gespräch mit Franz Nahrada
Streifzüge 34/2005
„New Work“ heißt das Konzept, mit dem Frithjof Bergmann der Krise der Arbeitsgesellschaft beikommen will. Weltweit stoßen Bergmanns Ideen auf große Resonanz, die ihren Niederschlag auch in praktischen Projekten gefunden hat. Franz Nahrada hat dieser Tage in Wien eine Veranstaltung mit dem Philosophen des New Work organisiert. Anlass genug, um uns mit ihm über das Verhältnis von New Work zur Wert- und Arbeitskritik zu unterhalten und über die Chancen, damit Wege aus dem Kapitalismus zu eröffnen.
Andreas Exner: Wie würdest du die Eckpfeiler der New-Work-Idee beschreiben?
Franz Nahrada: Im Grunde führt Frithjof Bergmann Gedanken weiter, die in ähnlicher Form von Alvin Toffler und Marshall McLuhan geäußert wurden: dass nämlich die Epoche der industriellen Produktion durch die Ausbreitung der Mikroelektronik und der Informationstechnologie nicht nur von der Produktionsseite ihre Grundlagen untergräbt, sondern auch von der Produktseite. Die Produkte industrieller Produktion werden durch die Implementation von Chips und Kybernetik selbst zu Produktionsmitteln. Die Veränderung der Produktion und der Produkte geschieht simultan.
Toffler nannte das die „Dritte Welle“ oder das „Prosumenten-Zeitalter“, McLuhan spricht vom radikalen Gegensatz zwischen dem zentralisierenden Industriekonzept und dem dezentralisierenden Automationskonzept. In zahllosen Beispielen beschreiben sie, wie Arbeit auch auf der Produktseite an den Konsumenten „ausgelagert“ wird: eigener Schwangerschaftstest, eigene Textmaschine, eigene Druckerei… Unser Alltag ist eigentlich voller Dinge, die uns in die Lage versetzen, selber zu tun, wofür früher eine spezialisierte Funktion notwendig war.
Frithjof Bergmanns originäre Leistung ist es, diese simultane Veränderung – Arbeitsplätze werden wegrationalisiert und die Produkte werden immer intelligenter – zusammengeschlossen zu haben. Die Lohnarbeit geht zurück und die Technologie der Eigenproduktion wird immer mächtiger: Man muss nur eins und eins zusammenzählen können, um zu sehen, welche Konsequenzen das haben könnte: Produzenten, die zunehmend weniger „Arbeitgeber“ brauchen, weil sie eben direkteren Zugriff auf produktive Potenzen haben, können ihren Eigenarbeitsraum schaffen.
Im Gegensatz zu Toffler, der sich eine nicht marktförmige Lösung überhaupt nicht vorstellen konnte und kann, spricht Frithjof von der Notwendigkeit der zumindest parziellen Demonetarisierung – das versteht er unter „gemeinschaftlicher Eigenarbeit“. Aber das ist nur die Spitze eines Eisbergs: Mit der massenhaften Zunahme kopierender und realisierender Technologie wird die Qualifikationsstruktur der gesamten Arbeitswelt epochal umgewälzt. Auch innerhalb der Wirtschaft kommt es nicht mehr auf das Vollziehen von vorgegebenen Kommandos an, sondern auf die ständig steigende Eigentätigkeit. Diese steht natürlich unter dem Diktat von absurden betriebswirtschaftlichen Vorgaben.
Spannend ist nun, dass diese beiden Spielarten der „Eigenmacht“ – jene im System und jene außerhalb davon – beginnen miteinander Kontakt aufzunehmen. Das ist in großem Stil erstmals in der Open-Source-Bewegung geschehen. Für mich ist das New-Work-Konzept, wenn du so willst, der „ideologische Ausdruck“ dieses Prozesses, wobei richtiges und falsches Bewusstsein munter durcheinandergehen. Auf jeden Fall entsteht durch diese „Koalition“ etwas völlig Neues. Hardt/Negri beschreiben das phänomenologisch, ohne es auf den Begriff zu bringen.
Ich habe es die drei Eckpfeiler „Selbstversorgung“, „Selbstentfaltung“ und „Selbständigkeit“ genannt. Die stecken das New-Work-Konzept relativ gut ab, ohne dass wir die Resultate dieses Prozesses im Einzelnen schon kennen würden. Dennoch können wir diesen Prozess so besser verstehen und vor allem: mitgestalten!
Andreas Exner: Was brachte dich dazu, dich für dieses Konzept einzusetzen? Wo siehst du seine Chancen, wo liegen deiner Meinung nach die Defizite?
Franz Nahrada: Ich traf Frithjof Bergmann an der TU Wien und hörte mir an, was er über „Self Providing Villages“ in Südafrika sprach. Er war in Begleitung eines ANC-Abgeordneten, und ich sah staunend, dass da mein Konzept eines „Globalen Dorfes“ besprochen wurde. Wir sind dann bis Mitternacht im Café gesessen und haben beschlossen uns zusammenzutun.
Also in Südafrika hat in der ANC-Regierung oder zumindest bei einigen Ministern der Zweifel an der Globalisierung zu historisch vielleicht bedeutsamen Ideen geführt. Der Nettoeffekt der Zurichtung von Land und Leuten als Produktionsstandort globaler Konzerne ist katastrophal. Die Idee, auf Eigenproduktion zu setzen, ist ähnlich revolutionär wie die Vertreibung der Bauern von der Scholle am Beginn der kapitalistischen Dynamik.
Gegenüber Frithjof hab ich nur eine Akzentsetzung vorgenommen, aber gemerkt, dass ihm die ganz recht war. Ich wies darauf hin, dass sich die Eigenarbeit in unbeschränkt großen Netzwerken des Informationsaustausches zu vernetzen imstande ist. Keine New-Work-Bewegung ohne Open Source. Das heißt aber: Je mehr eigenproduzierende Dörfer es auf der Welt gibt, umso stärker ist ihre Produktivkraft, Bandbreite, Ingenuität und letztlich – ihre politische Macht.
Zweitens betone ich immer auch den ökologischen Gesichtspunkt. Das gesamte Techniksystem ist auf der Basis einer enormen Blindheit gegen die allgemeinen Produktionsvoraussetzungen aufgebaut. Ich meine, dass ein selbstbestimmtes menschliches Produktionssystem zum Beispiel dem Automobil nicht denselben Stellenwert einräumen kann wie ein von Kapital- und Absatzschlachten dominiertes. Umgekehrt sind wir heute in der Lage, stoffliche Kreislaufsysteme zu komponieren, die wie natürliche Biotope sich quasi automatisch selbst regenerieren. Diese Akzentsetzungen reichen weit über das New-Work-Konzept hinaus, können es aber nicht unberührt lassen.
Andreas Exner: Was ist das Neue an New Work? Bergmann plädiert zwar für eine radikale Selbstverwirklichung in Gemeinschaft, doch scheint es mir im Unklaren zu bleiben, inwieweit sein Konzept über eine bloße Utopie mit moralisierendem Unterton hinausgeht.
Franz Nahrada: Mir scheint das Neue an New Work gerade das Insistieren darauf zu sein, dass „Selbstverwirklichung in Gemeinschaft“ nicht die einsame Entscheidung einiger Individuen ist, die sich dann noch dazu mit dem Schicksal abfinden müssen, vom Mainstream der gesellschaftlichen Produktivkraft abgeschnitten zu sein. Robert Kurz hat in „Antiökonomie und Antipolitik“1 ganz ähnliche Gedanken wie Frithjof Bergmann anklingen lassen: dass die von dieser Gesellschaft nicht mehr gebrauchte und nicht mehr organisierte Kompetenz eigenständig von Individuen organisierbar ist. Wo aber bei Robert Kurz eine große Leerstelle hinsichtlich des Funktionierens einer derart abgekoppelten Reproduktion jenseits der Lohnarbeit gähnt, die durch beliebig radikales Vokabular aufzufüllen ist, sieht Frithjof einen konkreten historischen Prozess, der inmitten der noch funktionierenden Segmente der Warenökonomie beginnt, mit ihr in einem Spannungs- und Ergänzungsverhältnis zugleich steht. Hier hat er sich mit tausend verschiedenen Fragen der konkreten Ausgestaltung des Entstehens von auch stofflich überlebensfähigen Communities beschäftigt, wo hingegen bei Theoretikern wie Kurz nur die immergleiche Versicherung steht, dass selbstverständlich ein Kampf und eine Auseinandersetzung um Ressourcen mit der offiziellen kapitalistischen Welt angesagt sei. Wie bitte soll man sich das konkret vorstellen? Wie sollen das Überleben in einer bis an die Zähne hochgerüsteten bürgerlichen Welt und zugleich eine überlegene Reproduktionsform gleichermaßen möglich sein? Kein Wunder, dass Robert Kurz sich vom Konkretismus der krisis 19 wieder distanziert und auf das Level eines allgemeinen revolutionären Bewusstseinsakts zurückgezogen hat, mit dem sich trefflich auf die „Handwerkelei“ der praktischen Bewegung heruntersehen lässt.
Dabei wissen wir spätestens seit Eric Hobsbawm, dass die Epoche der bürgerlichen Revolution Ergebnis eines jahrhundertelangen Wachsens der Keimform bürgerlichen Lebens innerhalb der alten feudalen Gesellschaft war, dass diese Keimform nicht zuletzt deswegen wachsen konnte, weil sie dem Interesse der Feudalherren an Reichtum für die Alimentation ihrer militärischen Gewalt entgegenkam. Die Wertkritik hat in dieser Hinsicht wertvolle Aufklärungsarbeit geleistet. Der logische Schluss, dass es auch hinsichtlich der Überwindung bürgerlicher Verhältnisse einer ähnlichen Keimform bedarf, die systemkonform und systemsprengend zugleich wirkt, wurde nur von einigen Leuten im Umfeld von Oekonux überhaupt durchdacht.
Frithjof ist meiner Ansicht nach ein Keimformtheoretiker, der der offiziellen Gesellschaft nicht nur ihre wachsenden Defizite in der Aufrechterhaltung ihrer eigenen zivilisatorischen Standards entgegenhält, sondern eben auch die Möglichkeit aufzeigt, durch die Transzendierung des engen Horizonts der Lohn- und Erwerbsarbeit eine Perspektive der Ausbalancierung ansonsten immer weniger haltbarer gesellschaftlicher Verhältnisse zu erreichen. Ebenso wenig wie Marx macht er Voraussagen, wie sich eine solche gesellschaftliche Subjektivität weiterzuentwickeln vermag. Es geht um das Hier und Heute und um die Möglichkeit, ja Notwendigkeit der Etablierung von Segmenten selbstbestimmten Lebens.
Dabei ist Frithjof nicht moralisierend, er zeigt sogar, wie die jahrhundertelange Gewöhnung an Lohnarbeit und Geld eine säkulare „Armut der Begierde“ erzeugt hat, also eine Unfähigkeit zu einer Selbstbestimmung, die sich nicht in vom Markt vorgekauten Alternativen bewegt. Aber diese „Armut der Begierde“ ist kein Schicksal, und genauso wie die verschiedenen Phasen der Subsumtion unter die Sachzwänge des Geldes und der ihm dienlichen Gewaltverhältnisse ein schrittweiser Gewöhnungsprozess waren, genauso verhält es sich eben mit der Aufhebung dieser gesellschaftlichen Verkehrsformen. Nur derjenige moralisiert nicht, der dem Willen einen gangbaren Weg zeigt, aus seiner Ohnmacht herauszufinden.
Andreas Exner: Wie sehen die Erfahrungen in den New-Work-Projekten aus? Volker Hildebrandt meint in seinem Beitrag zu New Work für das Buch „Feierabend“2, dass die meisten Projekte weit unter den Ansprüchen des Konzepts bleiben.
Franz Nahrada: Ja. Das ist wohl auch Frithjof bekannt. Und dennoch: Wofür soll das ein Argument sein? Doch nur dafür, es besser zu machen. Jeder, der sich mit New Work einlässt, tut gut daran, sich selbst ein Bild vom Stand der Projekte zu machen, die es rund um die Welt gibt. Insgesamt handelt es sich um tastende Versuche, um Aufbrüche ins Neue, Unbekannte, die auch immer wieder eingeholt werden von ihren eigenen Unzulänglichkeiten. Ein Projekt wie die Sozialistische Selbsthilfe Mülheim zum Beispiel wirkt für viele abschreckend, weil da auf relativ niedrigem Level der Produktivkraft gearbeitet wird und sehr viel nur dadurch gelingt, dass bewusst Abstriche im Lebensstandard gemacht werden, sehr viel manuelle und mühsame Tätigkeit in Kauf genommen wird etc. Und dennoch sind genau diese Projekte, die ihre eigenen Möglichkeiten nicht überschätzt haben, die zähesten und lebensfähigsten.
Die Entwicklung zu überlegenen Formen der Produktivkraft dezentral vernetzter Produktionseinheiten ist einerseits mühsam, auf der anderen Seite lässt ein gelegentlicher Blick in die Technologiespalten der Zeitungen erahnen, wie rasch deren Bedingungen heranreifen. Was bleibt uns anderes über, als diese Entwicklung nach Kräften zu befördern und eine Allianz all jener herbeizuführen, die an der Verfügbarmachung solcher Fortschritte für die verschiedensten Ansätze der „Selbstverwirklichung in Gemeinschaft“ interessiert sind? Das Potenzial für eine solche Allianz ist ungeheuer groß, und das Selbstbewusstsein der „Globalen Dörfer“ wächst in dem Maß, in dem sie nicht nur ihre produktiven Fähigkeiten, sondern vor allem die Fähigkeit, sie an andere zu kommunizieren, vergrößern.
Andreas Exner: Liest man Bergmann, so findet man wenig Gesellschaftskritik oder Theorie, dagegen viele Appelle. New Work gleicht in diesem Sinne eher einer Spielart „Positiven Denkens“ denn emanzipativer Theorie oder Praxis-Reflexion.
Franz Nahrada: Lassen wir mal die Frage beiseite, ob diese Feststellung wirklich stimmt, so scheint mir doch die Verbindung zwischen Theorie und Praxis keineswegs so einfach zu sein, wie sie hier unterstellt ist. Obwohl das weit über die Bergmann-Thematik hinausgeht, kann ich mir doch den Hinweis nicht ersparen, dass gerade in Theoretikerzirkeln nicht automatisch „emanzipative Praxis“ zu Hause ist. Die krisis–Exit! –Kontroverse könnte, richtig betrachtet, ein wenig Aufklärung darüber stiften, wie schwer der Weg von einer Kritik bürgerlicher Verkehrsformen zu emanzipativer Praxis ist. Ich bin selbst lange der Vorstellung vom Automatismus nachgehangen, derzufolge die Erkenntnis dessen, was ist, auch den Weg der Aufhebung miteinschließt. Aber in Wirklichkeit ist Denken nicht nur Werkzeug der Erkenntnis, sondern auch ein Weg, unsere Energien und unsere Aufmerksamkeit zu lenken. Denken kann ein höchst schöpferischer Vorgang sein, in dessen Vollzug sich neue Möglichkeiten abzeichnen, ein gestaltendes Bewusstsein von der Welt.
Frithjof Bergmann beabsichtigt gar nicht, eine Theorie des zeitgenössischen Kapitalismus zu liefern, doch sind seine Befunde so eindeutig und auch mit der Wertkritik kompatibel, dass ich mich schon wundern muss, dass ihm „Positives Denken“ vorgeworfen wird. Nein, er sagt zum Beispiel ganz klipp und klar, dass es aus ist mit der Vollbeschäftigung, auch aus ist mit der Zweidrittelgesellschaft, dass wir längst in eine säkulare Krise der (Lohn-)Arbeit geraten sind. Nur ist das nicht Anlass, über die Krise zu kontemplieren. Krise heißt auch immer Möglichkeit des Neuen, und warum sollte denn das nicht interessieren? Gerade jemand, der an vorderster politischer Front steht, sollte es verstehen, dieses Neue auch so zu erfassen und zu vermitteln, dass es massenhaft verständlich und handhabbar wird. Dieses Neue ist keine neue Gesellschaftsformation, es ist zunächst noch neue Praxis im alten Rahmen. Das Buch „Neue Arbeit, neue Kultur“3 ist eine Spurensuche, wie sich dieses Neue zu organisieren vermag; wie es das massenhafte negierende Urteil Lügen straft, das durch die Entlassung, die sozialstaatliche Entmündigung und Passivierung, das Nicht-in-Dienst-Nehmen oder die Prekarisierung über die Menschen gesprochen wird; wie es sich dabei allerdings auch mit einer Gesellschaft zu arrangieren vermag, deren Tage wohl gezählt sind.
Frithjof weist nach, wie massiv die Kompetenz und Professionalität, das ungeheure Potenzial der nicht mehr kapitalistisch organisierbaren Kreativität und Produktivität angewachsen sind. Ein Potenzial, das alles andere will als ein weiteres Wachstum des Schrottplatzes, der ungeheuren Warensammlung, die sinn- und ziellos unser Leben überflutet. Eine Bewegung, der es um intelligente Produktion, um Wiedergewinnung von Kontrolle über das eigene Leben, um Gestaltung von Qualitäten und Beziehungen geht, wächst aus der vernachlässigten Menge von Wissen und Können. Ja, an dieses Potenzial richtet sich Frithjofs Appell, sich zusammenzutun und sich nicht mehr den Imperativen des Lohns und der Fremdbestimmung zu unterwerfen. Die technologische Kraft der assoziierten Arbeit ist so stark geworden, dass sie das Kapital über weite Strecken nicht mehr braucht. Das klingt unglaublich, weil uns ständig das Gegenteil eingetrichtert wird: dass das Kapital die Arbeit nicht mehr braucht. New Work ist nichts anderes als der offizielle und einvernehmliche Vollzug der Ehescheidung mit einem akzeptablen Scheidungspreis!
Natürlich muss man dafür sorgen, dass der geschiedene Ehepartner nicht rabiat wird. New Work ist auch der Versuch, der Wirtschaft die Vorteile eines Arrangements mit der assoziierten Arbeit bewusst zu machen. Und zwar so nachhaltig, dass ein positives Interesse an diesem neuen Arrangement ein Wiederaufflammen des alten Beziehungskrieges verhindert. Deswegen geht es auch um Produkte und neue Märkte. Auf absehbare Zeit entstehen eben keine „Fabricators“ in Eigenproduktion!
Andreas Exner: Die Betonung „unternehmerischen Geistes“ im Verein mit einer grundsätzlichen Marktgläubigkeit weckt bei mir die Befürchtung, dass Bergmanns New Work letztlich bloß der Ausweitung der Ich-AGs Vorschub leistet. Wie siehst du die Abgrenzung zwischen New Work und neoliberalem Selbstunternehmertum? Kommt es hier nicht zu problematischen Überschneidungen?
Franz Nahrada: Frithjof pflegt an dieser Stelle zu sagen, dass es keine größere Sklaverei gibt als die der so genannten Selbständigen, die zu Sklaven des Markts geworden sind. Er setzt eine sehr deutliche Abgrenzung zur rein formellen Freiheit der Selbstausbeutung. Diese Abgrenzung kann mehrfach praktisch werden:
1. Durch den Primat des „Calling“. Es geht primär darum, die eigenen Bedürfnisse zu spüren und die Art, wie jeder sein Leben in Gesellschaft vollzieht, was es ihn zu geben drängt. Leben ist ein Prozess von Geben und Nehmen, und Selbstentfaltung ein Prozess, in dem wir unsere tätige Seite leidenschaftlich entfalten. Ob sich der Austausch marktförmig vollzieht oder in einer anderen Vermittlungsform, das ist keineswegs unwichtig – aber die Definition dessen, wodurch wir mit anderen Menschen das sind, was wir sind, nimmt uns kein höheres Wesen ab.
2. Durch die Assoziation. Keiner kann seine Arbeit alleine und gegen die anderen tun. Dies ist eine Illusion, die uns eingetrichtert wird. New Work besteht auch darin, die richtigen Gemeinschaften und Soziotope auszuwählen und zu finden, in denen lohnende und befriedigende Formen der Selbstorganisation von Arbeit möglich sind.
3. Durch die radikale Senkung der Lebenshaltungskosten bei gleichzeitiger Aufrechterhaltung von Lebensqualität. Möglich wird dies durch Kreislaufschlüsse assoziierter Arbeit, Gemeinschaftsbildung, Ressourcenpooling etc.
Freilich: Die Netzwerkbildung ist auch für diejenigen interessant, die innerhalb des alten Systems keine Chancen mehr gegen Monopole und geballte Kapitalmacht haben. Das ist eine unvermeidliche Überschneidung. Durch die flexible Automation und die offenen Wissensquellen kommt es auch zu einer Renaissance des Handwerks und der kleinen Betriebe. Doch deren Unternehmer sind nicht mehr dieselben „Kleinbürger“, die wir aus der Vergangenheit kennen. Unter der Hand haben sie sich ebenfalls in kooperative Produzenten verwandelt, die von partizipativen Ressourcen gestärkt werden und sie selbstbewusst ausbauen. Eine nicht uninteressante Perspektive!
Andreas Exner: Bergmann scheint mir einen recht fragwürdigen, wenn nicht gar gänzlich unreflektierten und unpräzisen Arbeitsbegriff zu vertreten. In einem Interview betont er, dass New Work dazu führen würde, selbst intime Beziehungen zu vernachlässigen, weil „sinnvolle Arbeit“ das Interesse eines Menschen so sehr fesseln könne. Ist das nicht ausgesprochen problematisch?
Franz Nahrada: Auch bei Marx gibt es die emphatische Formulierung, die Arbeit werde zum „ersten Lebensbedürfnis“, wenn sie nicht unter entfremdeten Bedingungen stattfinde. Die Frage ist freilich, was sinnvolle und nicht entfremdete Arbeit ist. Wir kennen das Phänomen des männlichen „Hobbys“, das als kanalisierter Ausdruck von Individualität und Emotion dient. Dass das wohl auch mit der traurigen Rolle der Intimität und der Sinnlichkeit zu tun hat, die in der bürgerlichen Gesellschaft hinter all dem promiskuitiven Spektakel übriggeblieben ist, dass eine durch Kalkulation und Besitzdenken zerstörte Liebe das logische Resultat der Einrichtung der Familie als Reproduktionsgemeinschaft ist – das sind alles Faktoren, die hier mitspielen. Es kann schon sein, dass die Flucht in die Arbeit die Flucht in eine scheinbare Kontrolle der Welt ist, die sich der bewussten Gestaltung durch das Kollektiv entzieht. Genauso ist es aber gerade die Werkstatt, in der der Mensch sich als Gestalter und Veränderer von Dingen erfährt. Ich habe in meinem Leben ganz unterschiedliche Schwerpunktsetzungen an mir selbst erfahren und finde es am besten, wenn man sich von einem süßen Wahn in den anderen begeben kann. So wird man im Leben am wenigsten irre und hat den meisten Genuss daran…
Im Übrigen halte ich es, streng wissenschaftlich gesehen, mit dem Arbeitsbegriff von Ulrich Sigor, der einen sehr nüchternen und befreienden Blick ermöglicht. Arbeit, so sagt er, ist jene menschliche Tätigkeit, die ihre eigene Verringerung zum Ziel hat. Ohne jetzt ein weiteres Fass aufmachen zu wollen: Hier liegt vielleicht ein ganz hübsches Fluchttürchen aus dem Gefängnis einer „Arbeitsontologie“ und ein Weg zu einem historischen Arbeitsbegriff, der die Rolle der kapitalistischen Akkumulation und der Arbeit als „Substanz des Kapitals“ angemessen begreifen kann, ohne die immanente Rationalität des Arbeitsbegriffs komplett verabschieden zu müssen. Das werden wir wohl zu einem späteren Zeitpunkt klären müssen…
Andreas Exner: Wir danken für das Gespräch.
Literatur
Robert Kurz (1997): Antiökonomie und Antipolitik. Zur Reformulierung der sozialen Emanzipation nach dem Ende des „Marxismus“, krisis 19/1997.
Volker Hildebrandt (1999): Ein Schritt vorwärts, zwei Schritte rückwärts. Von der „Neuen Arbeit“ zurück zur „Alten Arbeit“. In: Robert Kurz, Ernst Lohoff, Norbert Trenkle (Hg. ): Feierabend! Elf Attacken gegen die Arbeit, Hamburg, vergriffen. Online: www.streifzuege.org/feierabend_hildebrandt.html
3 Frithjof Bergmann (2004): Neue Arbeit, neue Kultur, Freiburg.